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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 23.03.2000
Aktenzeichen: 2 UF 140/99
Rechtsgebiete: BGB, SGB VIII


Vorschriften:

BGB § 1666
SGB VIII § 33
SGB VIII § 34
SGB VIII § 35
Leitsatz:

Dem aufenthaltsbestimmungsbrechtigten Jugendamt ist gem. § 1666 BGB das Antragsrecht für Hilfen zur Erziehung gem. §§ 33 - 35 SGB VIII zu übertragen, wenn andere Maßnahmen im Hinblick auf das Alter des Kindes nicht als ausreichend erscheinen, um einer ernsthaften Gefährdung des Kindeswohls entgegenzuwirken.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Zivilsenat - Senat für Familiensachen -

Karlsruhe, 23. März 2000

2 UF 140/99 VIII 243/86

Familiensache

hier: Herausgabe des Kindes und Übertragung des Antragsrechts auf Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII

Beschluß

Tenor:

Auf die Beschwerde werden die Beschlüsse des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - vom 22.02.1999 und vom 10.06.1999 - VIII 243/86 - aufgehoben und wie folgt abgeändert:

1. Dem Stadtamt - Bezirksstelle für Sozial- u. Jugendwesen - wird das Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII, insbesondere der §§ 33 - 35 SGB VIII, übertragen.

2. Das Kind, geb. am 05.09.1986, derzeit wohnhaft bei der Mutter, ist auf Verlangen des als vorläufiger Pfleger bestellten Stadtamts Bezirksstelle für Sozial- u. Jugendwesen - an dieses herauszugeben.

Die Trennung des Kindes von der Kindesmutter wird für zulässig erklärt.

3. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Auf Antrag des Stadtamts - Bezirksstelle für Sozial- u. Jugendwesen (im folgenden: Stadtjugendamt ) - vom 05.08.1997 hat das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - mit Beschluß vom 21.08.1997 - VIII 243/86 im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind geb. am 05.09.1986, der Kindesmutter, Frau entzogen und einstweilen auf das Stadtjugendamt als vorläufiger Pfleger übertragen (I, 53). Als Grund für diese Maßnahme wurde die mangelhafte Erziehung durch die Mutter sowie die schwachen schulischen Leistungen und das problematische Sozialverhalten des Jungen angeführt.

In der Folgezeit hat das Stadtjugendamt mehrfach beantragt, dem Stadtamt das Antragsrecht auf Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII und hierbei insbesondere der §§ 33 - 35 SGB VIII zu übertragen und die Herausgabe des Kindes an das als vorläufiger Pfleger eingesetzte Stadtjugendamt auszusprechen. Angeführt wurde insoweit, daß die vom Stadtjugendamt vorgeschlagenen Hilfen (Ergotherapie; therapeutische Tagesgruppe) nach anfänglichem Zögern von der Mutter zwar angenommen worden seien, es mangele jedoch an einer kontinuierlichen, konsequenten und verläßlichen Mitwirkung der Kindesmutter, weshalb die Maßnahmen unter Erziehungsgesichtspunkten erfolglos geblieben wären. Im Ergebnis seien weiterhin nachlassende schulische Leistungen bei festzustellen, auch hätten sich die Verwahrlosungstendenzen bei dem Jungen, wie die mehrfachen Schulausschlüsse und die polizeilichen Auffälligkeiten belegen würden, verstärkt.

Das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - hat zur weiteren Sachaufklärung den Sachverständigen Dipl.-Psych., mit der Erstellung eines familienpsychologischen Gutachtens beauftragt, welches mit Datum vom 24.12.1998 vorgelegt wurde. Der Gutachter, der sowohl die Mutter wie auch das Kind untersucht sowie das soziale Umfeld bei der Großmutter aufgeklärt und mit der Leiterin des von besuchten Schülerhorts gesprochen hat, kommt zu dem Ergebnis, daß die Gefahr einer Verwahrlosung (Deprivation) des Jungen bestehe und deshalb ein Eingreifen notwendig sei. Hierfür sei eine Ganztagseinrichtung geeignet, welche einerseits die notwendige Erziehung sichere, ohne andererseits die - unter psychohygienischen Aspekten protektiv wirkenden - familiären Bindungen zu lockern, die vorliegend durch eine beinahe symbiotische Mutter-Kind Beziehung geprägt seien. Die Erziehungsfähigkeit der Mutter sei eingeschränkt, aber steigerbar. Bei einer vollstationären Unterbringung wäre die Kindesmutter seiner Einschätzung nach ernsthaft gefährdet.

In erster Linie gestützt auf dieses Sachverständigengutachten hat das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - mit Beschluß vom 22.02.1999 (I, 141) den Antrag des Stadtjugendamts auf Herausgabe des Kindes und auf Übertragung des Antragsrechts für Hilfen zur Erziehung gemäß § 33 - 35 SGB VIII als unbegründet zurückgewiesen.

Seitens des Amtsgerichts wird eine teilstationäre Lösung vorgeschlagen.

Gegen den nicht förmlich zugestellten Beschluß richtet sich die Beschwerde des Stadtjugendamts vom 31.03.1999, eingegangen beim Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - am 08.04.1999 (I, 255). Begründet wird die Beschwerde damit, daß eine teilstationäre Unterbringung nicht mehr ausreiche, um auf D in einer dem Kindeswohl entsprechenden Weise einzuwirken. Vielmehr sei eine vollstationäre Unterbringung beziehungsweise Heimunterbringung geboten, insbesondere, da alle anderen Hilfsangebote, wie sie in dem Bericht vom 18.03.1999 aufgelistet worden seien (I, 289), im Ergebnis keinen Erfolg gebracht hätten.

Das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - hat mit Beschluß vom 10.06.1999 (I, 323) der Beschwerde nicht abgeholfen und gleichzeitig den gestellten Antrag des Stadtjugendamts auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Herausgabe des Kindes abgelehnt. Der Beschwerdevorgang ging am 09.07.1999 beim Oberlandesgericht ein (I, 347).

In dem Verfahren vor dem erkennenden Senat wurde in der mündlichen Verhandlung vom 16.12.1999, in dem die Beteiligten und der Sachverständige Dipl.-Psych. Busse angehört sowie der Klassenlehrer von D, Herr Konrektor Heinz, als Zeuge vernommen wurden, der Mutter vorgeschlagen, von sich aus die Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung zu überlegen. Insoweit wurde von dem Verfahrensbevollmächtigten der Mutter mit Schriftsatz vom 03.02.2000 gebeten, mit einer Entscheidung jedenfalls bis 01.03.2000 zuzuwarten, da sich die Kindesmutter gemeinsam mit dem Kind eine Einrichtung in Baden-Baden anschauen wolle. Über das Ergebnis ist dem Gericht allerdings nichts bekanntgeworden. Fernmündlich hat der Verfahrensbevollmächtigte am 01.03.2000 mitgeteilt, daß er hierzu nicht vortragen könne, da sich die Kindesmutter seit der Besichtigung des Kinderheims im Baden-Baden am 09.02.2000 nicht mehr bei ihm gemeldet habe.

II.

Die befristete Beschwerde ist zulässig.

Nach Art. 15 § 1 Abs. 1 Kindschaftsrechtsreformgesetz bleibt zwar das Vormundschaftsgericht, welches bis zum 01.07.1998 mit einem Vormundschaftsverfahren nach § 1666 BGB befaßt war, bis zum Ende der Instanz weiterhin zuständig (Rogner in FamRefK, Rn. 39 vor § 1626 BGB). Durch Art. 15 § 1 Abs. 2 S.3 Kindschaftsrechtsreformgesetz ist aber klargestellt, daß sich für nach dem 1.7.1998 verkündete Beschlüsse - hier in einem Verfahren nach § 1666 BGB - die Zuständigkeit für die Verhandlung und die Rechstmittelzuständigkeit aus den Regelungen ergibt wie sie für die Familiengerichte bestehen. Da das nur bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts als vorläufiger Pfleger bestellte Stadtjugendamt jedenfalls mit dem Antrag auf Übertragung des Antragsrechts auf Hilfen zur Erziehung gem. § 27 ff. SGB VIII im Rahmen von § 1666 BGB auf die Übertragung eines weiteren Teilbereichs des elterlichen Sorge- und Erziehungsrechts zielt, ergibt sich die Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Karlsruhe-Durlach vom 22.2.1999 aus §§ 621e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1, 3 ZPO.

Das Stadtjugendamt i ist auch beschwert, da ihm aufgrund der Pflegerbestellung eine eigenständige Rechtsposition zukommt.

Die Beschwerde ist auch rechtzeitig eingelegt. Die Beschwerdefrist von einem Monat, §§ 621e Abs. 1, 3 ZPO i.V.m. § 516 ZPO, beginnt mit der förmlichen Zustellung der Entscheidung. Da diese vorliegend nicht erfolgt ist, endet die Frist spätestens nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung der Entscheidung. Obwohl die Beschwerde des Stadtjugendamts gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Vormundschaftsgerichts - vom 22.02.1999 am 08.04.1999 fälschlicherweise beim Amtsgericht eingelegt wurde, § 621e Abs. 3 S.1 ZPO, ist die Frist durch die am 09.07.1999 erfolgte Vorlage des Beschwerdevorgangs an das Oberlandesgericht noch gewahrt.

III.

Die Beschwerde ist auch begründet. Nach Auffassung des Senats ist vorliegend von einer Gefährdung des Kindeswohls i. S. v. § 1666 BGB auszugehen, die es geboten erscheinen läßt, den Anträgen des Stadtjugendamts auf Übertragung des Antragsrechts für Maßnahmen nach § 27 ff. SGB VIII und auf Kindesherausgabe nach § 1632 Abs. 1 BGB stattzugeben.

1. Das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Karlsruhe-Durlach hat die Anträge des Stadtjugendamts Karlsruhe-Durlach im Beschluß vom 22.02.1999 mit der Begründung zurückgewiesen, daß aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Darlegungen des vom Gericht beauftragten Sachverständigen derzeit eine vollstationäre Unterbringung des beteiligten Kindes mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar und deshalb kontraindiziert sei. Es sei die Aufgabe des Stadtjugendamts die Teilnahme des Kindes an einer teilstationären Lösung zu ermöglichen. Damit hat das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - das dem Stadtjugendamt übertragene Aufenthaltsbestimmungsrecht näher ausgestaltet und durch die Zurückweisung des mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht ohne weiteres verbundenen Herausnahmerechts (Oberloskamp, Vormundschaft, Pflegschaft und Beistandschaft für Minderjährige, 2. Aufl., § 10 Rn. 55 a. E.) eingeschränkt.

2. Der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Zur Überzeugung des Senats steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Anhörung der Beteiligten und des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 16.12.1999 vielmehr fest, daß das wohlverstandene Kindeswohl die vom Stadtjugendamt beantragten Maßnahmen erfordert.

a) Zu dieser Auffassung des Senats hat in erster Linie die Aussage des in der mündlichen Verhandlung vom 16.12.1999 als Zeuge vernommenen Klassenlehrers und Konrektors der Schule beigetragen.

Dieser hat angegeben, daß im März 1995 in die 2. Klasse der Förderschule übernommen worden sei. Als Klassenlehrer könne er seit September 1999 beobachten. sei bei ihm jetzt in der 7. Klasse der Förderschule, obwohl er aus der 6. Klasse wegen sehr schlechter Leistungen in Mathematik (Note 6) nicht versetzt worden sei. Nur unter Förderungsgesichtspunkten sei er in die 7. Klasse übernommen worden. Er habe D zu Beginn des neuen Schuljahres gesagt, daß er bei ihm eine neue Chance bekomme. Der Junge habe zunächst auch gut mitgezogen und in den ersten beiden Wochen erfreuliche Leistungen erbracht. Dies zeige ihm, daß D durchaus das geistige Potenzial habe, zumindest durchschnittliche Leistungen zu erbringen, wenn er kontinuierlich am Unterricht teilnehme. Dies sei aber bedauerlicherweise nicht der Fall. Nach den ersten beiden Wochen sei mehrfach unentschuldigt dem Unterricht ferngeblieben. Dies sei auch in den vergangenen Schuljahren so gewesen. So habe im Schuljahr 1996/1997 an 13 Tagen, im Schuljahr 1997/1998 an 33 Tagen, im Schuljahr 1998/1999 an 48 Tagen und im jetzt angebrochenen Schuljahr von September bis Dezember 1999 schon wieder an 16 Tagen unentschuldigt gefehlt. Die Folge sei, daß mangels Kenntnis über den Unterrichtsstoff gegenwärtig nur deutlich unterdurchschnittliche Leistungen erbringe und dies in der Förderschule. Er habe selbstverständlich auf das unentschuldigte Entfernen von der Schule angesprochen. Dieser gebe ihm jedoch hierauf keine Antwort. Er komme insoweit einfach nicht an den Jungen heran. Diese Entwicklung mache ihm große Sorgen, da der Junge sich offensichtlich herumtreibe. Die Mutter, mit der er sich wegen der Fehlzeiten in Verbindung gesetzt habe, sei völlig überrascht gewesen. Sie habe immer in der Schule gewähnt, da er morgens pünktlich die Wohnung verlassen habe. In der Folgezeit habe sie sich wohl bemüht, zum Schulbesuch zu veranlassen und ihn auch zweimal direkt am Klassenzimmer bei ihm abgegeben.

Sie sei jedoch offensichtlich nicht in der Lage einen geregelten Schulbesuch sicherzustellen und stehe seiner Einschätzung nach der Situation und dem Verhalten ihres Sohnes im Ergebnis hilflos gegenüber.

Auch an den Verhaltensauffälligkeiten habe sich nichts geändert. Er könne dies gut in den großen Pausen beobachten. D habe nur wenige Verhaltensmuster, um mit anderen umzugehen. Dies wirke sich unter anderem dahin aus, daß kleinere Rangeleien gleich in größere Streitigkeiten ausarten. D fehle das Maß, um mit Stresssituationen umzugehen; seine Reaktionen seien unberechenbar. In diesen Zusammenhang seien auch die beiden Schulausschlüsse D zu stellen. Bei dem Vorfall im November 1998 habe D in der Klasse die Hosen heruntergelassen und den Mädchen seinen Penis gezeigt. Der zweite Vorfall im Februar 1999 habe die Erpressung eines Mitschülers um 20,-- DM betroffen. Bedenke man, daß D schon mehrfach wegen Diebstahls von der Polizei aufgegriffen worden sei, könne seiner Meinung nach an der Eingriffsnotwendigkeit im Erziehungsbereich kein Zweifel bestehen.

Dabei sei für ihn aufgrund der von ihm beobachteten Entwicklung völlig klar, daß nur noch ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl einen kontinuierlichen Schulbesuch wie auch eine kontinuierliche Erziehungsarbeit sicherstelle, helfen könne. Die Zeit in der Schule reiche keinesfalls aus, um den Jungen auf den rechten Weg zurückzubringen. Vielmehr brauche auch außerhalb der Schule sehr enge Grenzen, um den Verwahrlosungstendenzen entgegenzuwirken und damit sein noch vorhandenes positives Potenzial zu erschließen und zu fördern.

b) Die klaren und eindeutigen Angaben und Einschätzungen des Zeugen sieht der Senat durch die Anhörung von und seiner Mutter nicht widerlegt, sondern bestätigt.

Die Anhörung von hat bezüglich der schulischen Situation nur wenig erhellendes erbracht. Angesprochen auf die Fehlzeiten meinte, der sich insgesamt sehr wortkarg zeigte, daß er sich in der Klasse "wegen der anderen" nicht wohlfühle. Wo und wie er die unentschuldigten Fehltage verbracht habe, mochte er allerdings nicht sagen. Die Angabe "er habe nachgedacht" war das einzige, was er sich dazu entlocken ließ. Klar ist für ihn, daß er nicht in ein Heim will. Vielmehr möchte er bei seiner Mutter bleiben und auf eine Ganztagesschule wechseln. Die Frage nach seinen Eindrücken bei dem Besuch des Kinderheimes M in Baden-Baden im Juli 1997, welches ihm nach den Angaben des ihn damals begleitenden Jugendamtsvertreters durchaus zugesagt habe, blieb ohne Antwort. ( Insgesamt entstand bei dem Senat der Eindruck, daß der Junge in weiten Bereichen seiner Freizeitgestaltung von der Schule, aber auch von seiner Mutter nicht mehr erreichbar und deshalb nicht mehr steuerbar ist. Daß auch er letztlich die Situation als bedrückend erlebt, zeigte ein kurzer Tränenausbruch.

Die Anhörung von Frau hat diese Einschätzung bestätigt. Sie gab an, daß sie an sich einen "guten Draht" zu ihrem Sohn habe. Wenn sie ihn auf die Fehlzeiten in der Schule und auf die Ladendiebstähle bzw. die anderen Diebstähle anspreche, gebe er ihr allerdings keine Antwort. Selbstverständlich mache auch ihr die Entwicklung von Sorgen, zumal sie ihn schon bei der Polizei habe abholen müssen. Einer Heimunterbringung könne sie aber dennoch nicht zustimmen. Sie wolle ihren Sohn abends zu Hause haben. Ihrer Auffassung nach habe sich das Stadtjugendamt Karlsruhe-Durlach nicht genügend um die Situation gekümmert und keine adäquaten Hilfsangebote unterbreitet. Sie habe sich deshalb zuletzt selbst um Hilfsmöglichkeiten, z. B. der Teilnahme D an einem Projekt der AWO bemüht. Die Bemühungen seien aber erfolglos geblieben. Gegenwärtig werde keine Erziehungshilfe in Anspruch genommen.

Insgesamt entstand für den Senat der Eindruck, daß die Mutter sehr an ihrem Sohn hängt und ihm auch sehr gerne helfen würde, letztlich der Situation und dem Verhalten des Jungen aber hilflos gegenübersteht und deshalb in wichtigen Teilbereichen nicht mehr zu erziehen vermag.

c) Die Vertreter des Stadtjugendamtes - haben in Entgegnung auf die Angaben der Kindesmutter auf die vielfältig unterbreiteten Hilfsangebote in der Vergangenheit verwiesen. Herr K führte aus, daß eine teilstationäre Unterbringung, wie sie vom erstinstanzlichen Gericht in den Beschlüssen vom 22.02.1999 und vom 10.06.1999 vorgeschlagen wurde, nicht mehr geeignet sei, um der problematischen Entwicklung von D in ausreichender Weise entgegenzuwirken, da bei einer nur teilstationären Unterbringung bzw. bei einem Wechsel in eine Ganztagesschule keine Betreuung in den Abendstunden und an den Wochenenden sichergestellt sei. Die Betreuung gerade in diesen Zeiten, in denen sich der Junge teilweise unkontrolliert herumtreibe, sei jedoch enorm wichtig, um den Verwahrlosungstendenzen effektiv entgegenwirken zu können. Deswegen sei nach Auffassung des Stadtjugendamts Karlsruhe-Durlach auch das vom Amtsgericht Karlsruhe-Durlach vorgeschlagenen Projekt BINGO keine geeignete Alternative Nach Auffassung des Stadtjugendamtes können nur im Rahmen einer vollstationäre Unterbringung beziehungsweise Heimunterbringung die manifesten Erziehungsdefizite aufgearbeitet werden. Um dies zu erreichen, sei die Übertragung des Antragsrechts für Hilfen zur Erziehung gem. §§ 27 ff. SGB VIII zwingend erforderlich.

d) Aus der Zusammenschau der Ausführungen des Zeugen, den Angaben der Vertreter des Stadtjugendamtes und der Anhörung von D und seiner Mutter ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, daß tatsächlich nur ein ganzheitlicher Ansatz, der die Schul- und Freizeit von umfaßt, geeignet ist, den deutlich gewordenen Verwahrlosungstendenzen zu begegnen und den Jungen in seinem Verhalten und in seinen schulischen Leistungen positiv so zu beeinflussen, daß ihm noch eine Perspektive für die Zukunft erhalten bleibt. Dies kann nach Überzeugung des Senats nicht mehr durch eine teilstationäre Unterbringung bzw. der Unterbringung in einer Ganztagsschule erreicht werden, da damit der problematische Freizeitbereich nicht abgesichert wäre.

e) Aus den genannten Gründen vermochte der Senat den Ausführungen des Sachverständigen, der in der mündlichen Verhandlung vom 16.12.1999 weiterhin eine teilstationäre Unterbringung vorgeschlagen hat und eine Heimunterbringung ablehnt, nicht zu folgen. Der Senat ist sich dabei bewußt, daß ein Abweichen des Gerichts von dem Vorschlag des eingeschalteten Sachverständigen nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen kann (BVerfG, FamRZ 1999, 1417), meint jedoch im vorliegenden Fall sich gegen den Vorschlag des Sachverständigen entscheiden zu können und zu müssen. Dafür sind folgende Umstände maßgeblich: Der Sachverständige hat schon bei Erstellung des Gutachtens die schulische Situation von und damit auch die alarmierend hohe Zahl von unentschuldigten Fehltagen nicht ermittelt, was durch Nachfrage bei der Schule ohne weiteres möglich gewesen wäre. Damit ist jedoch von vornherein ein für die Beurteilung der Entwicklung wichtiger Komplex in dem Sachverständigengutachten nicht vollständig erfaßt. Insbesondere aber hat der Sachverständige bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 16.12.1999 die Ausführungen des als Zeuge vernommenen Klassenlehrers kaum berücksichtigt. Angesichts der Ausführungen des Klassenlehrers wäre es aber nach Auffassung des Senats geboten gewesen, die im Gutachten vom 24.12.1998 gemachten Vorschläge im Hinblick auf die seither festgestellte, poblematische Entwicklung, die im übrigen die vom Sachverständigen erwartete Steigerung der Erziehungsleistung der Kindesmutter widerlegt, zumindest kritisch zu hinterfragen. Dies ist nach Auffassung des Senats aber nicht erfolgt. Der Sachverständige, der keine grundlegende Änderung der Ausgangslage erkennen konnte, hat sich vielmehr auf seine in dem Gutachten vom 24.12.1998 niedergelegte Einschätzung berufen und nur ergänzend zu der von ihm vorgeschlagenen teilstationären Unterbringung eine kinderpsychologische Therapie angeregt. Dieser Vorschlag ist nach Auffassung des Senats angesichts der greifbaren Verwahrlosungstendenzen des Jungen, wie sie durch die polizeilich erfaßten Diebstähle und die Häufung der unentschuldigten Fehltage in der Schule belegt sind, und der offensichtlich gewordenen mangelnden Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter nicht ausreichend, um den auch von dem Sachverständigen nicht bestrittenen Erziehungsdefiziten zu begegnen, insbesondere auch deshalb, weil in diesem Jahr vierzehn Jahre alt wird und deshalb nicht mehr viel Zeit verbleibt, um überhaupt noch erzieherisch einzugreifen.

Nach Auffassung des Senats sind die vom Stadtjugendamt vorgeschlagenen Maßnahmen angemessen, um den dargelegten Erziehungsdefiziten zu begegnen, weshalb dem Stadtjugendamt das dem Erziehungsberechtigten zustehende Antragsrecht für Hilfen nach §§ 27 ff. SGB VIII, insbesondere für Maßnahmen nach §§ 33 - 35 SGB VIII, zu übertragen war.

Ebenso war die Herausgabe des Kindes an das Stadtjugendamt gem. § 1632 Abs. 1 BGB anzuordnen. Zwar steht das Herausnahmerecht demjenigen, dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wurde, materiell-rechtlich dem Grunde nach ohne weiters zu (Oberloskamp, a.a.O., § 10 Rn. 55 a. E.). Da das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Beschluß des AG - Vormundschaftsgericht - vom 22.02.1999 in einem selbständigen Verfahren (hierzu BayObLG, FamRZ 1985, S. 520f.) unter Verweis auf die vom Gericht im Anschluß an den Sachverständigen vorgeschlagene teilstationäre Unterbringung jedoch insoweit eingeschränkt wurde, war die Herausgabepflicht gesondert auszusprechen.

Im Ergebnis waren deshalb der Beschluß des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - vom 22.02.1999 sowie der (Nichtabhilfe-)Beschluß vom 10.06.1999 aufzuheben und den Anträgen des Stadtjugendamtes stattzugeben.

Das Gericht ist sich bewußt, daß diese Entscheidung, die auch eine mögliche Heimunterbringung mitumfaßt, für die Mutter wie auch für D, weil gegen deren erklärten Willen ergehend, durchaus eine besondere Härte bedeutet. Da jedoch nach Auffassung des Senats die Entwicklung des Jungen ein Stadium erreicht hat, in dem nur noch ein nachdrücklicher und ganzheitlicher Erziehungsansatz, der den schulischen Bereich, aber insbesondere auch den Freizeitbereich umfaßt, im Sinne des wohlverstandenen Kindeswohls geeignet ist, D auf einen positiven Weg zurückzuführen, der ihm Perspektiven für seine Zukunft eröffnet, ist die die Entscheidung unabweislich. Der Senat hofft, daß sich die Kindesmutter der Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahmen im Sinne des Wohls ihres Kindes nicht verschließen wird.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 S.1 FGG und entspricht billigem Ermessen. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, § 131 Abs. 3 KostO. Die Festsetzung des Beschwerdewerts erfolgt auf der Grundlage der §§ 131 Abs. 2, 30 Abs: 3 S.1 KostO.

Es besteht kein Anlaß, die weitere Beschwerde zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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