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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 31.07.2001
Aktenzeichen: 2 UF 172/00
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 767
ZPO § 717 Abs. 2
BGB § 366
BGB § 367
BGB § 394
Aufgrund eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils vollstreckte Unterhaltsbeträge sind entsprechend §§ 366, 367 BGB zu verrechnen. Bzgl. ggf. zu viel vollstreckter Beträge besteht ein Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO, mit dem gegenüber einem Unterhaltsanspruch wegen der Schutzvorschrift des § 394 BGB nicht aufgerechnet werden kann. Dies gilt insbesondere bei einem titulierten Kindesunterhalt, der deutlich unter dem Existenzminimum liegt. Der Schuldner kann bei der Berufungseinlegung die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragen.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE - Senat für Familiensachen -

Im Namen des Volkes Urteil

wegen Vollstreckungsabwehrklage

hat der 2. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 10.Juli 2001 durch

als Einzelrichterin gem. § 524 Abs. 4 ZPO

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - B. vom 29.9.2000 (2 F 122/00) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Aus der Ehe sind die noch minderjährigen Kinder A. und C. hervorgegangen, die beim Beklagten leben. Durch Urteil des Amtsgerichts B. vom 1.4.1999 (2 F 203/98) wurde die Klägerin zu Unterhaltszahlungen in Höhe des Regelbetrages der 3. Altersstufe für die beiden Kinder ab 1.3.1998 verurteilt. Gegen dieses Urteil hat sie Berufung eingelegt. Durch Beschluss des Oberlandesgerichts vom 9.11.1999 wurde die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil eingestellt, soweit mehr als insgesamt 400 DM monatlicher Unterhalt vollstreckt wurde. Durch das Urteil des Oberlandesgerichts vom 10.2.2000 (2 UF 68/99) wurde die Klägerin zu Unterhaltszahlungen für die beiden Kinder ab April 1999 verurteilt.

Der Beklagte hat durch Pfändungen aufgrund des erstinstanzlichen Urteils im Zeitraum Mai 1999 bis Oktober 1999 insgesamt 2.162,67 DM erlangt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser Betrag auf den sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts vom 10.2.2000 ergebenden Unterhaltsrückstand anzurechnen ist.

Die Klägerin trägt hierzu vor, die ab April 1999 erfolgten Pfändungen könnten nicht auf einen Zeitraum davor angerechnet werden, sondern erst auf den Unterhaltsanspruch ab April 1999. Dann ergebe sich unter Berücksichtigung der von ihr geleisteten Zahlung in Höhe von 1.017,48 DM und der ab November 1999 erbrachten laufenden Zahlungen für den Zeitraum bis einschließlich März 2000 kein Rückstand mehr, die vom Beklagten angedrohte Zwangsvollstreckung über einen Betrag von 2.612,52 DM sei daher insoweit unzulässig. Im übrigen seien die Zwangsvollstreckungskosten aufgrund des zu hoch angegebenen Streitwerts übersetzt, statt 988,22 DM seien nur 201 DM angemessen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 10.2.2000 (2 UF 68/99) wegen Unterhaltsrückständen und Kosten für die Zeit vor April 2000 für unzulässig zu erklären.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Zur Begründung verweist er darauf, dass die gepfändeten Beträge zunächst auf die Kosten und dann auf Unterhaltsrückstände ab März 1998 aufgrund des erstinstanzlichen Urteils verrechnet worden seien. Die Vollstreckungskosten seien ebenfalls nach der Unterhaltsschuld aus dem amtsgerichtlichen Urteil berechnet worden.

Mit Urteil vom 29.9.2000 hat das Familiengericht die Klage abgewiesen, da gem. § 366 Abs. 2 BGB die aufgrund des Urteils des Amtsgerichts vom 1.4.1999 vollstreckten Beträge zunächst auf die älteste Schuld, somit auf Unterhaltsschulden für die Zeit vor April 1999, anzurechnen seien. Damit sei die Unterhaltsschuld aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe für den Zeitraum ab April 2000 auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin zwischenzeitlich vorgenommenen Zahlungen unstreitig in Höhe von 2.162,17 DM noch nicht erfüllt. Der Klägerin stehe daher allenfalls ein Schadensersatzanspruch gem. § 717 Abs. 2 ZPO zu, der jedoch nicht im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden könne.

Gegen das Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt und beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe einstweilen einzustellen.

Sie verfolgt ihr erstinstanzliches Vorbringen weiter und trägt ergänzend vor, die Verrechnungsvorschriften des BGB fänden auf nur vorläufig vollstreckbare Verpflichtungen keine Anwendung. Es widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen, Zahlungen auf nicht bestehende Schulden anzurechnen und auf einen Schadensersatzanspruch zu verweisen, wenn ein solcher Rückzahlungsanspruch nicht durchsetzbar sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - B. vom 29.9.2000 aufzuheben und die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 10.2.2000 (2 UF 68/99) wegen Unterhaltsrückständen und Kosten für die Zeit vor April 2000 für unzulässig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und verweist darauf, dass die Klägerin im Vorprozess mit Einlegung der Berufung einen Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung hätte stellen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 6.3.2001 der Klägerin Prozesskostenhilfe versagt und die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung abgelehnt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat noch nicht alle Unterhaltsrückstände gezahlt, die sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 10.2.2000 ergeben, so dass eine Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 767 ZPO - wie von ihr beantragt - für den Zeitraum vor April 2000 nicht in Betracht kommt.

1. Soweit die Klage gegen den Beklagten als den gesetzlichen Prozeßstandschafter der Kinder im Vorprozess gerichtet ist, ist dies auch nach zwischenzeitlich erfolgter rechtskräftiger Scheidung nicht zu beanstanden. Der Elternteil, der als Prozeßstandschafter gem. § 1629 Abs. 3 S. 1 BGB einen Vollstreckungstitel erwirkt hat, bleibt vollstreckungsbefugt, solange nicht die Vollstreckungsklausel auf das Kind als materiellen Anspruchsinhaber umgeschrieben worden ist, also auch nach Beendigung der Prozeßstandschaft (BGH FamRZ 1991, 295, 296). Dies gilt auch für eine Vollstreckungsabwehrklage (Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 3. Aufl., § 1629 BGB, Rn. 13 m.w.N.).

2. Hinsichtlich der drohenden Zwangsvollstreckung wegen eines Unterhaltsrückstands für den Zeitraum bis einschließlich März 2000 ist die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zwar zulässig, aber nicht begründet.

Eine vollständige Erfüllung liegt nicht vor, die von der Klägerin begehrte Verrechnung der aufgrund des amtsgerichtlichen Urteils vom 1.4.1999 vollstreckten Beträge auf den letztlich nach dem Urteil des Oberlandesgerichts vom 10.2.1999 zu zahlenden Unterhalt ist nicht zulässig. Die Vollstreckung erfolgte aufgrund der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils vom 1.4.1999, die vereinnahmten Beträge sind entsprechend den Vorschriften der §§ 366, 367 BGB zu verrechnen (vgl. hierzu auch Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 366, Rn. 9). Diese gelten entsprechend auch bei einer nur vorläufigen Vollstreckbarkeit. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Familiengerichts im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Sofern ggf. zuviel vollstreckt wird, weil der vorläufig vollstreckbare Titel durch das Berufungsgericht abgeändert wird, besteht eine Schadensersatzpflicht nach § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO, ohne dass hier der Einwand der Entreicherung besteht. Das Risiko liegt beim Vollstreckungsgläubiger. Der Vollstreckungsschuldner kann bei Einlegung des Rechtsmittels einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung stellen, § 719 Abs. 1 S. 1 ZPO. Dies wäre vorliegend auch zumindest zum Teil möglich gewesen, selbst wenn die Klägerin bei Einlegung ihrer Berufung gegen das Unterhaltsurteil mehr verdiente und damit von einer bestehenden Unterhaltspflicht ausging.

Die Klägerin hätte somit - entsprechend dem Hinweis des Familiengerichts - einen Schadensersatzanspruch geltend machen müssen, die Vollstreckungsabwehrklage ist nicht der richtige Rechtsweg. Allein der Umstand, dass der Schadensersatzanspruch derzeit möglicherweise nicht zu realisieren ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Eine Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO gegenüber einer Unterhaltsforderung wird zwar teilweise als zulässig erachtet, da durch die Aufrechnung nur der tatsächlich geschuldete Zustand hergestellt würde. Der Schutzzweck der Norm des § 394 BGB, nämlich im öffentlichen Interesse den Eintritt einer Notlage auf Seiten des Unterhaltsgläubigers durch Entziehung der für den Lebensunterhalt notwendigen Mittel zu vermeiden, würde bei dieser Fallgestaltung nicht vereitelt, das Aufrechnungsverbot müsse daher nach Treu und Glauben zurücktreten (OLG Hamm FamRZ 1999, 436, 437; OLG Naumburg FamRZ 1999, 437 mit Anm. von Ludwig in FamRZ 1999, 1569 f.). Dem steht jedoch entgegen, dass bei der im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung (vgl. hierzu Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 394, Rn. 2; Wendl/Staudigl/Haußleiter, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 6, Rn. 311 a) hier eindeutig die Interessen der Kinder eine Aufrechnung verbieten. Die Kinder erhalten mit den letztlich titulierten Unterhaltsbeträgen bei weitem nicht das Existenzminimum, so dass eine Aufrechnung auch im Widerspruch zu §§ 850 b, d ZPO stünde.

4. Soweit die Klägerin rügt, die Zwangsvollstreckungskosten seien zu hoch angesetzt worden, ist ein Betrag von 787,22 DM (988,22 DM ./. 201 DM) streitig. Es kann letztlich dahinstehen, ob der gesamte Betrag der Kosten notwendig war (vgl. hierzu Zöller/Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 788, Rn. 11 ff.). Der im Streit stehende Betrag allein übersteigt jedenfalls die Berufungssumme von 1.500 DM (§ 511 a Abs. 1 ZPO) nicht, so dass insoweit die Berufung unzulässig und damit ebenfalls zurückzuweisen ist.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO.



Ende der Entscheidung

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