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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 30.12.1999
Aktenzeichen: 2 UF 197/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1696
Leitsatz:

Der Prüfungsmaßstab ist bei der Abänderungsentscheidung nach § 1696 BGB streng: Die Vorteile der Neuregelung müssen bei fehlendem Einvernehmen der Eltern die mit der Änderung verbundenen Nachteile unter dem Gesichtspunkt der Erziehungskontinuität deutlich überwiegen. Geänderte Gesetze - hier die Neuregelung des Bereichs der elterlichen Sorge durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz - rechtfertigen für sich allein keine Abänderung.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Zivilsenat - Senat für Familiensachen -

2 UF 197/99 2 F 159/98

Karlsruhe, 30. Dezember 1999

Familiensache

wegen elterlicher Sorge

Beschluß

Tenor:

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - vom 26.8.1999 (2 F 159/98) wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000.- DM festgesetzt.

4. Der Antragsgegnerin wird für den 2. Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwältin Prozeßkostenhilfe bewilligt. Sie hat ab 1.2.2000 monatliche Raten in Höhe von 190.- DM auf die Prozeßkostenhilfe zu zahlen.

Gründe:

I.

Die Parteien sind die Eltern der am 24.3.1987 geborenen Kinder und Anläßlich der Ehescheidung wurde die elterliche Sorge durch das Urteile des Amtsgerichts - Familiengericht vom 14.11.1994 (2 F 145/93) auf die Kindeseltern gemeinsam übertragen. Durch Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - vom 26.8.1997 (2 F 88/97) wurde die elterliche Sorge in Abänderung des Scheidungsurteils auf Antrag der Kindesmutter auf diese allein übertragen.

Die beiden Kinder leben bei der Mutter, die teilweise erwerbstätig ist. Den Vater können die Kinder nach Bedarf besuchen.

Der Vater hat im Hinblick auf die am 1.7.1998 in Kraft getretene neue gesetzliche Regelung in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht vom 26.8.1997 beantragt, die elterliche Sorge für die gemeinsamen Töchter und auf beide Eltern zu übertragen. Zuletzt hat er bzgl. beantragt, ihm die elterliche Sorge allein zu übertragen, bzgl. könne es dann ggf. beim alleinigen Sorgerecht der Mutter bleiben.

Schon im Jahr 1997 habe das Gericht festgestellt, daß er ebenfalls erziehungsgeeignet sei und das Sorgerecht nur auf die Mutter übertragen, weil die Kinder bei der Anhörung erklärt hätten, daß sie im Haushalt der Mutter leben wollten. Er respektiere diesen Wunsch, wenngleich die Kinder auch bei ihm versorgt werden könnten. Sie hielten sich ohnehin fast jeden Nachmittag bei ihm auf. Beide Kinder hätten den Wunsch, daß die Eltern das Sorgerecht gemeinsam ausübten. J habe den Wunsch geäußert, bei ihm leben zu wollen.

Die Mutter ist dem Antrag entgegen getreten.

Eine Änderung der Sorgerechtsregelung sei dem Kindeswohl nicht dienlich. Die Kinder wollten bei der Mutter leben; daß sie eine gemeinsame Sorge wünschten, werde bestritten. Sie hielten sich im wesentlichen bei der Mutter auf. Im übrigen sei ein Zusammenwirken der Eltern hinsichtlich der Kindesbelange nicht möglich, da schon seit Jahren keine Kommunikationsmöglichkeiten bestünden.

Das Jugendamt des Landratsamtes Karlsruhe hat am 12.10.1998 einen Bericht erstattet (I, 21 ff.).

Das Familiengericht hat die Eltern sowie die Kinder J und K zweimal persönlich angehört (vgl. Protokolle vom 10.11.1998, 1.12.1998, 8.2.1999, I, 31 ff. sowie 29.7.1999 und 2.8.1999, I, 59 ff.).

Mit Beschluß vom 26.8.1999 hat das Familiengericht den Antrag des Vaters auf Abänderung der Sorgerechtsentscheidung zurückgewiesen.

Triftige Gründe im Sinne des § 1696 BGB für eine Abänderung lägen nicht vor.

Wolle bei der Mutter bleiben, dieser Wunsch sei zu berücksichtigen, so daß kein Anlaß bestehe, dem Vater die alleinige elterliche Sorge zu übertragen. Eine gemeinsame elterliche Sorge komme nicht in Betracht, da das Verhältnis zwischen den Eltern immer noch nachhaltig gestört sei; der partnerschaftliche Konflikt verhindere jeden Konsens auf Elternebene.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluß vom 26.8.1999 verwiesen.

Gegen diesen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Vaters.

Er verfolgt weiterhin die Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Elternteile. Das alleinige Sorgerecht für habe er nur beantragt, da das Amtsgericht zu erkennen gegeben habe, daß ein gemeinsames Sorgerecht nicht in Betracht komme. Das Jugendamt habe ein gemeinsames Sorgerecht befürwortet, beide Kinder wollten dies, ebenso wollten die Kinder den Vater uneingeschränkt besuchen können. Die Mutter könne nicht durch ihre Opposition ein gemeinsames Sorgerecht verhindern, dies sei nicht Sinn der neuen gesetzlichen Regelung, sie müsse vielmehr zur Kommunikation mit dem Vater gezwungen werden.

Die Mutter tritt der Beschwerde entgegen.

Sie macht sich die Entscheidung des Amtsgerichts zu eigen und trägt im übrigen vor, die Kinder könnten die Tragweite ihres angeblichen Wunsches nicht überblicken. Nicht einmal im Vermögensbereich sei eine gemeinsame Entscheidung der Eltern möglich, so sei die Umsetzung eines Vergleichs über die Herausgabe von Sparbüchern der Kinder bis heute gescheitert. Soweit der Verbleib von Sparunterlagen der Kinder nicht in diesem Vergleich geregelt sei, sei es nicht zu einer Einigung gekommen. Allein die Gesetzesänderung rechtfertige keine Änderung der Sorgerechtsentscheidung.

Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die vom Senat beauftragte Berichterstatterin hat die Kinder und sowie die Eltern persönlich angehört (Protokoll vom 1.12.1999, II, 29 ff.). Ferner wurde ein ergänzender Bericht des zuständigen Jugendamtes eingeholt (II, 17 ff.).

II.

Die gemäß §§ 621 e Abs. 1 und Abs. 3, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Es liegen keine Gründe vor, die nach der Entscheidung des Familiengerichts im Beschluß vom 26.8.1997 der Mutter allein zustehende elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder und., beide geb. am 24.3.1987, neu zu regeln, § 1696 Abs. 1 BGB.

1. Nach § 1696 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht seine Anordnungen zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Dieser Maßstab ist strenger als die an anderen Stellen (z.B. in § 1672 Abs. 1 Satz 1 BGB) vorgesehene Prüfung, ob eine bestimmte gerichtliche Maßnahme dem Wohl des Kindes dient. Die Vorteile der Neuregelung müssen vielmehr die mit der Änderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (Palandt/Diederichsen, BGB, 59. Aufl., § 1696, Rn. 21 m.w.N.). Diese strengen Voraussetzungen dienen dem Gesichtspunkt der Erziehungskontinuität, jede Änderung soll an dem generellen Bedürfnis jedes Kindes nach Kontinuität und Stabilität seiner Lebens- und Erziehungsbedingungen gemessen werden (so auch Schwab, Elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung der Eltern, FamRZ 1998, 457, 471; Huber, Die elterliche Sorge zwischen Veränderung und Kontinuität, FamRZ 1999, 1625, 1629; Rogner in Familienrechtsreformkommentar FamRefK = Rn. 6 zu § 1696 BGB). Eine einmal getroffene Sorgerechtsentscheidung soll nicht beliebig wieder aufgerollt werden können. Dies gilt zumindest dann, wenn wie hier zwischen den Eltern kein Einvernehmen über die gemeinsame elterliche Sorge besteht.

Der Maßstab der Abänderungsentscheidung hat sich nicht am der Erstentscheidung zugrundeliegenden Maßstab zu orientieren, sondern bedeutet nach richtigem Verständnis lediglich, daß bei dessen Konkretisierung die grundlegenden Wertentscheidungen zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu Huber, aaO., S. 1629).

Zwar ermöglicht die Abänderungsbefugnis gem. § 1696 BGB die Anpassung einer Sorgerechtsregelung auch an geänderte Gesetze, so hier die Neuregelung des Bereichs der elterlichen Sorge durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz zum 1.7.1998 (vgl. Palandt/Diederichsen, aaO., Rn. 25). Unter Beachtung der strengen Abänderungskriterien des § 1696 BGB kann jedoch dieser Umstand für sich allein keine Abänderung rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat die Förderung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch nach Trennung der Eltern insofern beabsichtigt, als nicht von Amts wegen im Falle einer Scheidung über das Sorgerecht zu entscheiden ist, keinesfalls jedoch ein Regel-Ausnahmeverhältnis im Sinne einer Priorität zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge geschaffen. Die Alleinsorge eines Elternteils soll nicht nur in Ausnahmefällen als ultima ratio in Betracht kommen; dies wurde vom BGH ausdrücklich klargestellt (BGH FamRZ 1999, 1646, 1647). Es besteht auch keine gesetzliche Vermutung dafür, daß ein gemeinsames Sorgerecht im Zweifel für die Kinder die beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist, einer solchen Regelung stünde schon entgegen, daß sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen läßt (BGH aaO.).

2. In Anbetracht des Widerspruchs der Mutter gegen die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge reichen die vorliegenden Tatsachen nicht aus, eine Änderung der im Jahre 1997 getroffenen Sorgerechtsregelung vorzunehmen. In den tatsächlichen Verhältnissen, vor allem aber bei den Beziehungen der Eltern auf der Elternebene, ist selbst nach dem Vortrag des Vaters keine Änderung eingetreten. Zwischen ihnen sind Gespräche über die Kinder nach wie vor nicht möglich. Dies hat sich auch bei den Anhörungen der Eltern und der Kinder sowohl beim Familiengericht als auch im Beschwerdeverfahren bestätigt. Der Senat verkennt nicht, daß beide Kinder wiederholt geäußert haben, die Eltern sollten gemeinsam die Verantwortung für ihre Erziehung tragen. Beide Kinder haben jedoch auch angegeben, daß Gespräche zwischen den Eltern praktisch nicht stattfinden. Selbst wenn eher eine Kooperationsbereitschaft des Vaters als der Mutter unterstellt wird, verhehlt der Vater nicht, daß aufgrund der Vorkommnisse in der Ehe bei der Mutter große Haßgefühle ihm gegenüber bestünden.

Die unterschiedlichen Darstellungen der Elternteile hinsichtlich eines längeren Verbleibs der Kinder bei einem Musikfest zeigen, daß es schon bei kleinen Erziehungsfragen Differenzen gibt. Daß hier im Interesse des Kindeswohls eine Kooperation beider Elternteile stattfinden kann, erscheint mehr als unwahrscheinlich. Der Senat verkennt nicht, daß nach § 1687 BGB nunmehr die Angelegenheiten des täglichen Lebens von dem Elternteil, bei dem sich die Kinder aufhalten, allein entschieden werden können. Aufgrund der tiefen Abneigung der Mutter gegenüber dem Vater und der Schwierigkeiten bei der Umsetzung bereits geklärter Dinge wie der gerichtlichen Vereinbarung über die Herausgabe von Sparbüchern der Kinder ist die Anordnung eines gemeinsamen Sorgerechts gegen den Willen der Mutter im Sinne des § 1696 BGB nicht geboten.

Nachdem beide Kinder erklärt haben, daß sie im wesentlichen den Vater nach ihren Bedürfnissen besuchen können, ist durch eine Änderung des Sorgerechts letztlich auch keine Änderung der tatsächlichen Situation der Kinder zu erwarten. Die Kontinuitätsinteressen der Kinder sprechen vielmehr für eine Beibehaltung der bisherigen Sorgerechtsregelung. Hierzu gehört nicht nur die Betreuungssituation, an welcher der Vater nunmehr jedenfalls in Form des Hauptaufenthaltsortes der Kinder nichts mehr ändern möchte, sondern vor allem auch die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehungsverhältnisse. Im Falle einer gemeinsamen elterlichen Sorge könnte die Mutter nicht mehr wie bisher die richtungsweisenden Entscheidungen allein treffen. Angesichts der Streitigkeiten über kleinere Fragen wie die Erledigung der Hausaufgaben steht nicht zu erwarten, daß die Vorteile einer Änderung die Nachteile einer Beibehaltung der bisherigen Regelung deutlich überwiegen. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 131 Abs. 3 KostO. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten erschien nicht billig, § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

4. Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KostO.

5. Es bestand kein Anlaß, die weitere Beschwerde zuzulassen.

6. Der Mutter war auf ihren Antrag hin Prozeßkostenhilfe gem. § 114 ZPO zu bewilligen. Sie hat nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen monatliche Raten in Höhe von 190. DM zu zahlen.

Hierbei wurde folgendes berücksichtigt: Einkommen netto ca. 3.017.- DM abzgl. 560.- DM Miete und Heizung, 123.- DM Rate für Staubsaugerkredit, 273.- DM Fahrtkosten, 22.- DM Versicherungen (Haftpflicht- und Hausratsversicherung 264,10 DM : 12), 73,60 DM Zusatzkrankenversicherung, 672.- DM Parteifreibetrag, zweimal 473.- DM Kinderfreibetrag (Bekanntmachung zu § 115 ZPO, BGBl. 1999 Teil I, S. 1268), 274.DM Erwerbstätigenfreibetrag (vgl. Beschluß des 5. Senats des OLG Karlsruhe vom 31.8.1999 - 5 WF 60/99), 70.- DM Fahrtkosten Kinder zzgl. 500.- DM Kindergeld. Dies ergibt ein einzusetzendes Einkommen von monatlich 503,40 DM. Hiervon sind nach § 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO monatliche Raten in Höhe von 190.- DM zu zahlen.

Die Aufwendungen für weitere Lebens- und Rentenversicherungen sind als Vermögensbildung, die Aufwendungen für weitere Versicherungen als allgemeine Lebenshaltungskosten nicht abzugsfähig. Kindesunterhalt wurde nicht angerechnet, da dieser noch nicht gerichtlich geklärt ist und bisher nur unregelmäßig gezahlt wird.

Ende der Entscheidung

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