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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 21.06.2006
Aktenzeichen: 2 WF 77/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 648 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 659
ZPO § 139 Abs. 2 ZPO
1. Auch im vereinfachten Unterhaltsverfahren nach §§ 645 ZPO besteht grundsätzlich eine gerichtliche Hinweispflicht entsprechend § 139 Abs. 2 ZPO; dies gebietet das Gebot fairen Verfahrens.

2. Zur formgerechten Erhebung des Einwandes der vollständig fehlenden Leistungsfähigkeit unter Verwendung des amtlichen Vordrucks in der seit 01.01.2002 geltenden Fassung.


OLG Karlsruhe

Beschluss

2 WF 77/06

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schwetzingen vom 21.03.2006 - III FH 18/05 - aufgehoben.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.755,00 €

Gründe:

I.

Das Antrag stellende Land hat auf der Grundlage des § 7 UVG beim Amtsgericht - Familiengericht - Festsetzung von Unterhalt für das am 16.04.2004 geborene Kind C. E. des Antragsgegners im vereinfachten Verfahren beantragt, und zwar für die Zeit ab 01.01.2005 in Höhe von monatlich 122,00 €, ab 01.07.2005 in Höhe von monatlich 127,00 € und ab Dezember 2005 in Höhe des Regelbetrags. Der Antrag ist dem Antragsgegner am 22.12.2005 zugestellt worden. Bereits am 11.01.2006 - und damit vor Ablauf der Monatsfrist (vgl. §§ 649 Abs. 1 Satz 1, 647 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO) - hat das Amtsgericht antragsgemäß einen Unterhaltsfestsetzungsbeschluss erlassen. Am 23.01.2006 (Montag) hat der Antragsgegner gegen den Antrag unter Verwendung des amtlichen Formulars Einwendungen erhoben und geltend gemacht, dass er auf Grund Arbeitslosigkeit leistungsunfähig sei; er beziehe derzeit Arbeitslosengeld II. Am 24.01.2006 und 27.01.2006 reichte der Antragsgegner zum Beleg Bescheide über das Arbeitslosengeld II vom 12.08.2005 und 25.01.2006 nach. Am 27.01.2006 wurde dem Antragsgegner der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss vom 11.01.2006 zugestellt. Am 6.2.2006 hat der Antragsgegner gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt. Dieser Beschwerde hat das Amtsgericht am 16.02.2006 abgeholfen, da der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss vom 11.01.2006 versehentlich vor Ablauf der Einwendungsfrist ergangen sei. Am 21.3.2006 hat das Amtsgericht anschließend erneut antragsgemäß einen Unterhaltsfestsetzungsbeschluss erlassen. Dieser Beschluss wurde dem Antragsgegner am 27.03.2006 zugestellt, der Antragsgegner hat hiergegen am 06.04.2006 beim Oberlandesgericht Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat dieser Beschwerde im weiteren Verfahren nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Gem. § 648 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann der Antragsgegner im vereinfachten Unterhaltsfestsetzungsverfahren den Einwand eingeschränkter oder fehlender Leistungsfähigkeit erheben, wenn er zugleich unter Verwendung des eingeführten Formulars Auskunft über seine Einkünfte, sein Vermögen und seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im übrigen erteilt und über seine Einkünfte Belege vorlegt. Gem. § 648 Abs. 3 sind die Einwendungen zu berücksichtigen, solange der Festsetzungsbeschluss nicht verfügt ist.

Vorliegend hat der Antragsgegner vor Erlass des nunmehr angegriffenen Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses seine vollständige Leistungsunfähigkeit eingewandt und unter Verwendung des amtlichen Formulars vollständig Auskunft über seine Einkünfte (insoweit mit der Erklärung "AlG II" ersichtlich unter Bezug auf die vorgelegten Belege), sein Vermögen und seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im übrigen erteilt sowie durch Vorlage von Bescheiden über das Arbeitslosengeld II über seine (einzigen) Einkünfte - im Jahr 2005 in Höhe von monatlich 345,00 €, seit 2006 in Höhe von monatlich 699,00 € - Belege vorgelegt. Zwar hat er die Einkünfte aus dem Arbeitslosengeld II betragsmäßig nicht in das gemäß §§ 648 Abs. 2 Satz 3, 659 Abs. 2 ZPO zu verwendende Formular eingetragen, sondern sich ersichtlich auf die vorgelegten Bescheide bezogen; auch belegen diese Bescheide den Bezug des Arbeitslosengeldes II nur für die Zeiträume 01.04.2005 - 30.04.2005 (AS I 53), 01.06.2005 - 30.11.2005 (AS I 57/59/49) und 01.01.2006 - 31.03.2006 (AS I 77 ff). Die Einkünfteangabe "AlG II" ohne Nennung des Betrags der Einkünfte im Formular selbst war allerdings ersichtlich ein reiner Formularausfüllungsfehler. Aufgrund der im amtlichen Formular abgegebenen Erklärungen und der Art der vorgelegten Belege (vollständige Bescheide für zwei der vorgenannten Zeiträume, für weitere der zuvor genannten Zeiträume nur die Berechnungsbögen von Bescheiden) war auch besonders nahe liegend, dass für die gar nicht belegten Zeiträume (01.01.2005 - 31.03.2005; 01.05.2005 - 31.05.2005; 01.12.2005 - 31.12.2005) lediglich versehendlich keine Belege/Bescheide beigefügt worden sind. Bei dieser Sachlage hätte dem Antragsgegner gemäß § 139 ZPO vor einer ihm nachteiligen Unterhaltsfestsetzung ein Hinweis erteilt und Gelegenheit zur Vervollständigung seiner Angaben im Formular (bzgl. der fehlenden Angabe des Betrags der Einkünfte im Formular selbst) sowie zur Nachreichung von Belegen gegeben werden müssen (vgl. Gottwald FamRZ 2001, 108). Dies wäre ein Gebot fairen Verfahrens gewesen.

Zwar hat der Antragsgegner seine - auf seine im amtlichen Formular erteilten Auskünfte bezogene - Erklärung, vollständig leistungsunfähig und daher in vollem Umfang nicht leistungsbereit zu sein, ebenfalls nicht im amtlichen Formular selbst - unter der insoweit einschlägigen Rubrik "G" - abgegeben. Ob dieser Formfehler den Einwand gemäß § 648 Abs. 2 ZPO unzulässig gemacht hat, kann aber offen bleiben. Dafür mag sprechen, dass der gemäß § 659 Abs. 2 ZPO zwingend zu verwendende amtliche Vordruck gem. Anlage 2 der Kindesunterhalts-VordruckVO vom 19.06.1998 nunmehr - seit 01.01.2002 (vgl. ÄnderungsVO vom 19.12.2002, BGBl. I 2001, 3842) - auch die Möglichkeit der Erklärung vollständiger Leistungsunfähigkeit und vollständig fehlender Leistungsbereitschaft vorsieht, so dass sich die Situation insoweit für die Antragsgegner des vereinfachten Unterhaltsverfahrens seit 01.01.2002 geändert hat (unter Geltung des Formulars in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung wurde die Angabe vollständiger Leistungsunfähigkeit und vollständig fehlender Leistungsbereitschaft außerhalb des amtlichen Formulars für ausreichend erachtet, und zwar ganz überwiegend unter Hinweis darauf, dass das Formular die Möglichkeit einer Erklärung, zu keiner Zahlung bereit zu sein, gar nicht vorsah, vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 648 Rdn. 7 unter Bezug auf die Rechtsprechung, u.a. OLG Düsseldorf FamRZ 2001, 765, 766, OLG Frankfurt FamRZ 2002, 835, 836, OLG Rostock FamRZ 2002, 836, OLG Bamberg FamRZ 2001, 108, 109, OLG Hamm FamRZ 2000, 360 und 901; im Ergebnis ebenso auch zum Formular in der seit 01.01.2002 geltenden Fassung OLG Brandenburg FamRZ 2004, 1587; zustimmend auch FA-FamR/Gerhardt, 5. Aufl. 2005, 6. Kap., Rdn. 203). Sofern man den nur außerhalb des amtlichen Formulars erhobenen Einwand der vollständigen Leistungsunfähigkeit aber nunmehr - seit der Verwendung des Vordrucks in der seit 01.01.2002 geltenden Fassung - als unzulässig ansieht, hätte der Antragsgegner auf diesen offenkundigen Formularausfüllungsfehler gemäß § 139 ZPO hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Ergänzung gegeben werden müssen (vgl. Gottwald aaO); auch dies gebietet das Gebot des fairen Verfahrens.

Bei alledem - der Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO auf besonders nahe liegende reine Versehen und Formularausfüllungsfehler - hat der Senat auch berücksichtigt, dass es nicht prozessökonomisch ist, durch eine übertriebene Formalisierung des vereinfachten Unterhaltsverfahrens den Antragsgegner auf die Abänderungsklage nach § 654 ZPO zu verweisen anstatt die Überleitung ins streitige Verfahren nach Maßgabe der §§ 650, 651 ZPO zu ermöglichen (auf dieser prozessökonomischen Erwägung beruht auch § 648 Abs. 3 ZPO - vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 648 Rdn. 12).

Ob der vom Antragsgegner damit erhobene Einwand der Leistungsunfähigkeit begründet ist, ist im vereinfachten Verfahren nicht zu prüfen (u.a. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 648 Rdn. 7a). Dies bleibt ggfls. dem streitigen Verfahren vorbehalten (vgl. §§ 650, 651 ZPO).

Nach alledem war es fehlerhaft, die vom Antragsgegner vor Erlass des angegriffenen Beschlusses erhobene Einwendung der vollständig fehlenden Leistungsfähigkeit als unzulässig zu behandeln und den Unterhaltsfestsetzungsbeschluss gemäß § 649 ZPO zu erlassen, ohne dem Antragsgegner zuvor die Möglichkeit der Behebung der Formfehler zu geben. Der Beschluss war daher aufzuheben.

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist vom erstinstanzlichen Gericht zusammen mit der abschließenden Entscheidung zu entscheiden, da der Senat in der Sache keine abschließende Entscheidung trifft, so dass der Ausgang des Verfahrens und damit das Maß des letztendlichen Obsiegens und Unterliegens noch offen ist (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 572 Rdn. 47 sowie - für die vergleichbare Konstellation bei einer Zurückverweisung nach §§ 538, 563 ZPO - Zöller/Gummer/Heßler, aaO, § 538 Rdn. 58).

Der Beschwerdewert ergibt sich aus § 42 GKG. Der Senat hat von der Niederschlagung der Gerichtskosten gemäß § 21 GKG abgesehen, da die Folgen der oben aufgeführten Formverstöße des Antragsgegners nicht offenkundig sind (vgl. BGH, Beschl. v. 26.09.2002 - III ZR 165/96, Juris-Datenbank). Aus diesem Grund hat der Einzelrichter die Sache auch gemäß § 568 Satz 2 ZPO dem Senat vorgelegt.



Ende der Entscheidung

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