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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 18.10.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 106/05
Rechtsgebiete: StVollzG, UBG Baden-Württemberg


Vorschriften:

StVollzG § 138
UBG Baden-Württemberg § 11
UBG Baden-Württemberg § 15
1. Zu Begriff und Funktionen einer Lockerungsmaßnahme im Maßregelvollzug.

2. Zur gerichtlichen Überprüfung der Verweigerung der staatsanwaltlichen Zustimmung zu einer Lockerungsmaßnahme.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat

2 Ws 106/05 13 StVK 22/05

Maßregelvollzugssache

hier: Rechtsbeschwerde nach §§ 138, 116 StVollzG

Beschluss vom 18. Oktober 2005

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - F. vom 7. April 2005 und der Bescheid des Zentrums für Psychiatrie E. vom 3. Februar 2005 aufgehoben.

Die Sache wird an das Zentrum für Psychiatrie E. zurückgegeben, das verpflichtet wird, nach Einholung einer neuerlichen Zustimmungsentscheidung der Staatsanwaltschaft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens sowie die dem Antragsteller entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Mit Urteil vom 8.8.2000 wurde der Antragsteller wegen versuchter Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die der Verurteilung zugrundeliegenden Taten hatte der Untergebrachte während eines im Vollzug der Unterbringung, die wegen einschlägiger Straffälligkeit am 25.10.1978 vom Schwurgericht des Landgerichts F. angeordnet worden war, gewährten Freigangs begangen. Der Untergebrachte befindet sich seit 1979 ununterbrochen im Maßregelvollzug. Nach den verfahrensgegenständlichen Taten war er auf die Sicherungsstation des Zentrums für Psychiatrie E. zurückverlegt worden. Eine therapeutische Behandlung hat seither nicht mehr stattgefunden. In den vom Zentrum für Psychiatrie E. regelmäßig im Rahmen der jährlichen Überprüfung nach § 67 e Abs. 2 StGB vorgelegten Stellungnahmen wurde dem Antragsteller regelmäßig eine schlechte Behandlungs- und Legalprognose gestellt. Seit April 2004 fanden als einzige Lockerungsmaßnahme begleitete Ausgänge auf dem Klinikgelände statt, die ohne Beanstandungen verliefen.

Am 3.10.2004 beantragte der Untergebrachte - unterstützt vom Zentrum für Psychiatrie - die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zum Ausgang zur Besichtigung und Urlaub zum Probewohnen und - bei erfolgreichem Verlauf - zur Belastungserprobung in der geschlossenen Einrichtung "Haus S." in B.. Mit Verfügung vom 10.10.2004 stimmte die Staatsanwaltschaft nur dem Ausgang und einem zweimonatigen Probewohnen zu, die dem Untergebrachten in der Folge von der Maßregeleinrichtung auch gewährt wurde. Am 23.11.2004 wechselte der Antragsteller in die genannte Einrichtung. Nachdem das Probewohnen einen problemlosen Verlauf genommen, insbesondere der - inzwischen deutlich hospitalisierte - Untergebrachte sich gut eingegliedert und an alle Auflagen gehalten hatte, beantragte er - wiederum mit Unterstützung des Zentrums für Psychiatrie - erneut die staatsanwaltliche Zustimmung zu einem längeren Verbleib in der Einrichtung zur Belastungserprobung. Mit Verfügung vom 5.1.2005 versagte die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung mit der Begründung, dass einer externen Unterbringung, die auf unabsehbare Zeit erfolgen solle, nicht zugestimmt werden könne, da diese nicht zeitlich begrenzt sei und nicht der Vorbereitung einer Aussetzung der Maßregel diene. § 15 UBG erlaube keine Übertragung der durch Gesetz der Maßregeleinrichtung übertragenen Vollzugszuständigkeit des psychiatrischen Krankenhauses auf andere Einrichtung durch staatsanwaltliche Zustimmung. Die geplante Unterbringung sei nur auf unabsehbare Zeit nachvollziehbar, da eine bewährungsweise Aussetzung nicht absehbar sei. Denn selbst wenn der Antragsteller eine Bewährungszeit möglicherweise mit Hilfe enger Bewährungsweisungen ohne neue Straffälligkeit durchstehen könnte, käme über viele Jahre hinweg eine Aussetzung der Maßregel doch nicht in Betracht, da nach Ablauf der Dauer der Führungsaufsicht keine Möglichkeit bestehe, den Antragsteller wirksamen Beschränkungen der Freiheit seiner Lebensführung zu unterwerfen. Daraufhin lehnte das Zentrum für Psychiatrie E. mit Bescheid vom 3.2.2005 den Antrag des Untergebrachten ab. In seiner Stellungnahme gegenüber der Strafvollstreckungskammer legt das Zentrum für Psychiatrie dar, dass die "Fortsetzung der Belastungserprobung" aus therapeutischer Sicht befürwortet werde, da sie der Erweiterung sozialer Kompetenzen und alltagspraktischer Erfahrungen diene und in einen dauerhaften Verbleib in der Einrichtung - offensichtlich über eine Entlassung hinaus - münden solle. Missbrauchs- und Fluchtgefahr bestehe nicht. Zwar müsse dem Untergebrachten weiterhin eine schlechte Sozialprognose gestellt werden, wenn er auf sich allein gestellt sei.

Da im Falle einer bedingten Entlassung der Verbleib des Untergebrachten in der Einrichtung während der Dauer der Führungsaufsicht über Weisungen sichergestellt werden könne und es wenig wahrscheinlich und nur "theoretisch" möglich sei, dass der Untergebrachte, der jetzt schon deutliche Hospitalisierungssymptome aufweise, danach die Einrichtung verlassen werde, könne die Belastungserprobung bei konstruktiver Entwicklung zu einer Bewährungsentlassung führen.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Zentrums für Psychiatrie E. vom 3.2.2005 abgelehnt. Der Antragsteller begehrt mit seiner Rechtsbeschwerde die Aufhebung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer und die Verpflichtung des Zentrums für Psychiatrie E., ihm die "externe Unterbringung" im Haus am S. zu bewilligen.

Die Rechtsbeschwerde, die nach § 116 StVollzG zur Klärung erörterungsbedürftiger Fragen zulässig ist, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen - vorläufigen - Erfolg.

§§ 15 Abs. 1 i.V.m. 11 UBG sehen für im Maßregelvollzug Untergebrachte Urlaub und andere Vollzugslockerungen vor, wenn keine Missbrauchs- und Fluchtgefahr besteht oder der Zweck der Maßregel nicht sonst gefährdet wird (§ 15 Abs. 3 UBG). Kommt die Einrichtung im Rahmen des ihr insoweit eingeräumten Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ 1982, 173 f.; Senat NStZ-RR 2002, 283) zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 UBG für eine Versagung einer Lockerung nicht eingreifen, so obliegt es ihrem insbesondere an ärztlichen Maßstäben orientierten Ermessen, zu welchem Zeitpunkt sie welche Lockerungen für angezeigt hält (vgl. BGH NStZ 1982, 173; für einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Lockerungen Kammeier-Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, F 60; Volckart-Grünebaum, Maßregelvollzug, S. 284 f.). Allerdings dürfen Urlaub und Vollzugslockerungen, bei denen eine Aufsicht durch Bedienstete der Einrichtung des Maßregelvollzugs nicht gewährleistet ist, nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gewährt werden (§ 15 Abs. 2 UBG). Da diese Zustimmung vorliegend nicht erteilt wurde, konnte die Maßregeleinrichtung die von ihr selbst vorgeschlagene Lockerungsmaßnahme, der nach ihrer Beurteilung weder Missbrauchs- noch Fluchtgefahr entgegensteht, nicht bewilligen. Die nicht selbständig anfechtbare Versagung der Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft, auf die die Einrichtung ihre Ablehnung stützt, unterliegt bei einer Anfechtung des eine Urlaubsgewährung ablehnenden Bescheids der an sie gebundenen Maßregeleinrichtung gerichtlicher Überprüfung darauf, ob sie zu Unrecht erfolgt ist (OLG Stuttgart NStZ 1985, 525, 526). Dabei gelten für die Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft die gleichen Voraussetzungen wie für die Maßregelbehörde (Kammeier-Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, F 101; Volckart-Grünebaum, Maßregelvollzug, S. 125). D.h., dass auch die Zustimmungsbehörde eine Vollzugslockerung verweigern darf, wenn nach ihrer Beurteilung die Versagungsgründe des § 15 Abs. 3 UBG eingreifen, sie insbesondere Flucht- oder Missbrauchsgefahr für gegeben hält.

Die Versagung der Zustimmung zu der vom Untergebrachten beantragten "Belastungserprobung" hält vorliegend rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Staatsanwaltschaft hat vorliegend ihre Zustimmung mit der Begründung versagt, dass es sich bei der beantragten Maßnahme nicht um eine die Entlassung vorbereitende Lockerung, sondern um eine dauernde externe Unterbringung des Antragstellers handele, die letztendlich zu einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Übertragung der Vollzugszuständigkeit des Zentrums für Psychiatrie auf eine andere Einrichtung bedeute.

In der Tat ist der Staatsanwaltschaft und der Strafvollstreckungskammer insoweit zu folgen, als die Maßregeleinrichtung ihre vollzuglichen Befugnisse nicht auf Dauer einer privaten Einrichtung übertragen darf. Doch geht es vorliegend ersichtlich nur darum, dass der Untergebrachte mit seiner Zustimmung und unter Auflagen in eine - geschlossene - Einrichtung beurlaubt werden soll, deren Hausordnung und den Weisungen des Personals er sich unterwerfen muss. Dagegen sollen die vollzuglichen Befugnisse bei der Maßregeleinrichtung verbleiben, der es unbenommen bleibt, bei Auflagenverstößen oder nachträglich eintretenden Umständen, die eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr befürchten lassen, die Beurlaubung zu widerrufen (vgl. OLG Hamm StV 1988, 115 f.; Kammeier-Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, F 47). Fehl geht auch die Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass es sich schon deshalb nicht um eine Lockerungsmaßnahme handele, weil die Dauer der "Belastungserprobung" unabsehbar sei. Eine zeitliche Befristung einer Beurlaubung aus dem Maßregelvollzug ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Sie würde auch der Vielzahl der die Dauer einer Beurlaubung bestimmenden ärztlichen und behandlerischen Gesichtspunkte wie den vielfältigen Funktionen von Lockerungen im Maßregelvollzug (vgl. vgl. Kammeier-Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, F 14 ff.) nicht gerecht. Auch dass die geplante "Belastungserprobung" aus der - insoweit von der Ansicht der Maßregeleinrichtung abweichenden - Sicht der Vollstreckungsbehörde nicht der Entlassungsvorbereitung dienen solle, nimmt ihr nicht ihren Charakter als Vollzugslockerung. Zwar kann eine Beurlaubung aus Behandlungsgründen eine durchaus sinnvolle Vorstufe zur Vorbereitung der gerichtlichen Entscheidung über eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Maßregel darstellen (OLG Hamm StV 1988, 115 f.; OLG Frankfurt StV 2001, 36). Doch kann hieraus nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass eine Beurlaubung nur zur Vorbereitung einer bewährungsweisen Entlassung aus dem Maßregelvollzug zulässig ist. Lockerungen im Maßregelvollzug dienen - neben der Vorbereitung einer Entlassung - auch dazu, in Ergänzung der intramuralen Behandlung das Erlernen sozialen Fertigkeiten zu fördern und Hospitalisierungsschäden vorzubeugen (Kammeier-Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, F 15; Volckart-Grünebaum, Maßregelvollzug, S. 124 f.). Damit tragen sie auch der verfassungsrechtlichen Forderung Rechnung, den auf unbestimmte Zeit Untergebrachten lebenstüchtig zu erhalten und schädlichen Auswirkungen des Vollzugs, insbesondere auch deformierenden Persönlichkeitsveränderungen, entgegenzuwirken (vgl. BVerfGE 45, 187 ff.). Gerade bei Untergebrachten wie dem Antragsteller, bei denen zunächst die Sicherungsfunktion der Maßregel im Vordergrund steht und die auf eine baldige Entlassung aus dem Maßregelvollzug nicht hoffen können, kommt Vollzugslockerungen, die nicht mit einer Gefährdung der Allgemeinheit verbunden sind, auch die Funktion zu, die grundlegenden Voraussetzungen der individuellen und sozialen Existenz des Untergebrachten zu erhalten (vgl. BVerfGE 45, 187 ff.) und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen (vgl. Volckart-Grünebaum, Maßregelvollzug, S. 123 f.). Soweit die Staatsanwaltschaft bei ihrer Zustimmungsversagung ergänzend darauf verweist, die beantragte Lockerungsmaßnahme könne auf eine nicht zu vertretende bedingte Entlassung hinauslaufen, übersieht sie, dass auch eine längere Urlaubsgewährung keinen Rechtsanspruch auf eine bedingte Entlassung begründet, da die von der Vollzugsbehörde in eigener Zuständigkeit gewährte Vollzugslockerung die ausschließliche Kompetenz der Strafvollstreckungskammer, über die Entlassungsreife nach § 67d Abs. 2 S. 1StGB zu entscheiden, nicht berührt (OLG Hamm StV 1988, 115 f.).

Die Staatsanwaltschaft durfte die Zustimmung zur beantragten Beurlaubung deshalb nicht mit der Begründung verweigern, dass es vorliegend gar nicht um eine Vollzugslockerung gehe. Dem Senat ist es allerdings verwehrt, die verweigerte Zustimmung mit der Folge zu ersetzen (vgl. insoweit OLG Stuttgart NStZ 1986, 525, 526), dass das Zentrum für Psychiatrie E., das Flucht- oder Missbrauchsgefahr verneint hat und in Ausübung seines Ermessens die beantragte "Belastungserprobung" gewähren will, zur Bewilligung der Lockerungsmaßnahme zu verpflichten wäre. Denn die Staatsanwaltschaft hat aufgrund ihrer fehlerhaften Rechtsauffassung bislang keine Entscheidung über die auch ihrer Beurteilung unterliegende Frage einer möglichen Flucht- und Missbrauchsgefahr getroffen. Die angefochtene Entscheidung des Zentrums für Psychiatrie war deshalb aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung - auch der Staatsanwaltschaft - zurückzuverweisen.

Für eine neue Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass - falls sich nicht zwischenzeitlich neue Umstände ergeben haben - die Maßregeleinrichtung an ihre bisherigen Beurteilung gebunden ist (vgl. OLG Frankfurt StV 2001, 35, 37). Sollte die Staatsanwaltschaft zu einer anderen Beurteilung der Flucht- und/oder Missbrauchsgefahr gelangen, so kann zur Aufklärung der tatsächlichen Grundlagen der Beurteilungsentscheidung die Einholung eines anstaltsexternen Gutachtens erforderlich sein (vgl. Kammeier-Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, F 101; Volckart-Grünebaum, Maßregelvollzug, S. 125 f.). Sollte keine Flucht- und/oder Missbrauchsgefahr vorliegen, wird es auch nicht möglich sein, diesen auf der Tatbestandsseite der Norm ausgeschlossenen Gesichtspunkt auf ihrer Rechtsfolgenseite, nämlich bei der Ausübung des Ermessens, negativ zur Geltung zu bringen (OLG Celle, StV 1988, 349 f.).

Ende der Entscheidung

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