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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 06.02.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 20/06
Rechtsgebiete: StPO, ZPO


Vorschriften:

StPO § 37 Abs. 1
StPO § 40
ZPO § 186 Abs. 2
Die öffentliche Zustellung einer Entscheidung gemäß § 40 StPO ist auch dann wirksam, wenn entgegen der Bestimmung des § 186 Abs. 2 ZPO das zuzustellende Schriftstück selbst ausgehändigt wird und dem Aushang alle Informationen zu entnehmen sind, die die in § 186 Abs. 2ZPO vorgesehene Benachrichtigung enthalten muss.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat

2 Ws 20/06

Strafsache gegen

wegen Diebstahls

hier: Widerruf der Strafaussetzung

Beschluss vom 06. Februar 2006

Tenor:

Der Antrag des Verurteilten vom 09.01.2006 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss des Landgerichts O. vom 11.09.2004, AZ 7 StVK 198/01, und die sofortige Beschwerde gegen den genannten Widerrufsbeschluss werden kostenpflichtig als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer O. vom 07.11.2001, rechtskräftig seit 16.11.2001, wurde die Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgericht K. vom 19.10.2000 (6 Monate m. B., widerrufen durch Beschluss vom 25.07.2001) auf zunächst drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt und durch Beschluss vom 31.03.2003 auf vier Jahre verlängert (7 StVK 198/01). Durch rechtskräftiges Urteil vom 22.04.2004 wurde J. H. vom Amtsgericht O. wegen einer erneuten Straftat während der bereits laufenden zwei Bewährungen zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung verurteilt. Die StA beantragte daraufhin den Widerruf der Bewährungsaussetzung. Dem Verurteilten wurde das entsprechende Anhörungsanschreiben am 17.08.2004 an die Adresse S. in O., "c/o Z." zugestellt.

Durch Beschluss vom 11.09.2005 wurde die Vollstreckungsaussetzung widerrufen. Die Strafvollstreckungskammer ordnete durch Beschluss vom 23.12.2004 die öffentliche Zustellung des Widerrufsbeschlusses an.

Die Zustellung wurde nach dem bis zum 31.08.2004 geltenden § 40 StPO durch die Anheftung des Widerrufsbeschlusses und des Beschlusses, mit dem die öffentliche Zustellung angeordnet worden war, an der Gerichtstafel bewirkt. Die Beschlüsse waren vom 30.12.2004 bis 17.01.2005 ausgehängt. Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses wurde für den 21.01.2005 bescheinigt.

Die Staatanwaltschaft O. erließ daraufhin Vollstreckungshaftbefehl gegen den Verurteilten. Am 01.01.2006 wurde er in K. festgenommen und in die JVA K. eingeliefert. Seitdem wird die widerrufene Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts K. vom 19.10.2000 (79 Tage) vollstreckt.

Am 09.01.2006 wurden dem Verurteilten der Widerrufsbeschluss und eine Belehrung über die Möglichkeit der Nachholung der Anhörung gem. § 33 a StPO und der Wiedereinsetzung nach § 29 Abs. 3 Nr. 2 StrVollstrO ausgehändigt.

Am 12.01.2006 ging bei der Strafvollstreckungskammer ein Antrag des Verurteilten auf Nachholung der Anhörung und "sofern möglich Wiedereinsetzung der Angelegenheit in den vorigen Stand" ein. Der Verurteilte habe das Anhörungsschreiben nie erhalten, da er in Frankreich wohnhaft gewesen sei.

Durch Beschluss vom 25.01.2006 (7 StVK 8/06) verwarf die Strafvollstreckungskammer den Antrag nach § 33 a StPO als unzulässig, da dem Verurteilten das Anhörungsschreiben zugestellt worden sei. Unter demselben Datum leitete sie die Akten unmittelbar an das OLG zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag weiter.

II.

Dem Antrag des Verurteilten vom 09.01.2006 ist zu entnehmen, dass er sich gegen den Widerruf der Strafaussetzung wehren möchte. Es ist daher interessengerecht, den Antrag gem. § 300 StPO als Wiedereinsetzungsantrag in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde auszulegen. Diese Frist hat der Verurteilte nämlich versäumt, weil die öffentliche Zustellung des Widerrufbeschlusses wirksam war und daher die Wochenfrist des § 453 Abs. 2 S. 3 StPO gem. § 40 Abs. 1 S. 2 StPO am 13.01.2005 in Lauf gesetzt hatte.

1. Die Voraussetzungen für die Anordnung der öffentlichen Zustellung lagen vor. Gem. § 40 StPO in der zum Zeitpunkt der Anordnung geltenden Fassung ist die öffentliche Zustellung zulässig, wenn eine Zustellung nicht in der vorgeschriebenen Weise im Inland bewirkt werden kann und die Befolgung der für Zustellungen im Ausland bestehenden Vorschriften unausführbar oder voraussichtlich erfolglos erscheint. Dies war hier der Fall, da die Strafvollstreckungskammer den Aufenthalt des Verurteilten zum Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung trotz umfassender Bemühungen nicht hatte ermitteln können.

2. Die Zustellung wurde allerdings fehlerhaft ausgeführt. Zum Zeitpunkt ihrer Anordnung und ihrer Ausführung regelte § 40 StPO nur noch die Voraussetzungen, nicht aber mehr die Art der Ausführung der öffentlichen Zustellung. Gem. § 37 Abs. 1 StPO gelten hierfür nunmehr die Vorschriften der ZPO. Seither erfolgt die öffentliche Zustellung auch im Bereich der StPO nicht mehr durch einen Aushang der zuzustellenden Schriftstücke an der Gerichtstafel, sondern durch den Aushang einer Benachrichtigung mit dem in § 186 Abs. 2 ZPO genannten Inhalt.

Trotz eines Verstoßes gegen diese Vorschriften ist die öffentliche Zustellung vorliegend wirksam.

In § 186 Abs. 2 ZPO wird der Mindestinhalt der auszuhängenden Benachrichtigung geregelt (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., 2005, § 186, Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., 2006, § 186, Rn. 11; a.A. daselbst Rn. 10). Vorliegend sind sämtliche Informationen, die die Benachrichtigung nach § 186 Abs. 2 ZPO enthalten muss, den tatsächlich ausgehängten Beschlüssen zu entnehmen: Aus ihnen gehen Name und die letzte bekannte Anschrift des Zustellungsadressaten (§ 186 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO), die Strafvollstreckungskammer als Veranlasser der Zustellung (§ 186 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO: "die Person, für die zugestellt wird"), Datum, Aktenzeichen und Prozessgegenstand (§ 186 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO) sowie der Inhalt des Beschlusses selbst hervor, so dass der Hinweis auf die Stelle, an welcher der Beschluss eingesehen werden kann (§ 186 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO), überflüssig ist. Durch den Aushang des Beschlusses über die öffentliche Zustellung und die ebenfalls mit ausgehängte Rechtsmittelbelehrung, wonach die sofortige Beschwerde innerhalb einer Woche "nach Zustellung dieses Beschlusses" beginnt, wird auch darauf hingewiesen, dass das Schriftstück öffentlich zugestellt wird und Fristen in Gang gesetzt werden können, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können (§ 186 Abs. 2 S. 2 ZPO). Auch bei einer Benachrichtigung nach § 186 Abs. 2 S. 2 ZPO muss nämlich der exakte Zeitpunkt der Zustellung nach § 188 ZPO nicht angegeben werden; ausreichend ist vielmehr der allgemeine Hinweis auf einen möglichen Rechtsverlust durch Fristablauf (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., 2005, § 186, Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., 2006, § 186, Rn. 16).

Allerdings liegt in der vorgenommenen Ausführungsart ein Verstoß gegen den mit der Neufassung der §§ 40 StPO, 186 ZPO bezweckten Schutz der Privatsphäre des Zustellungsadressaten (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., 2005, § 186, Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., 2006, § 186, Rn. 10; Hornung, RPfl. 2002, 493, 501). Dies führt aber nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung. Zwar wird teilweise - ohne Bezug auf die vorliegende Verfahrenskonstellation - die Auffassung vertreten, die öffentliche Zustellung sei unwirksam, wenn der Aushang nach § 186 Abs. 2 ZPO "nicht ordnungsgemäß vorgenommen" wurde (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., 2005, § 186, Rn. 11; Fischer, ZZP 107 - 1994 - , 163, 175 zu § 203 ZPO a. F.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., 2006, § 186, Rn. 18 unter Bezug auf OLG Stuttgart JurBüro 2005, 158, 159, das sich allerdings mit den Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung, nicht mit ihrer Ausführung befasst). Dies kann aber nur gelten, wenn die Ausführungsmängel für die Funktion der Zustellungsfiktion wesentlich sind (vgl. Münchner Kommentar/Wenzel, ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl., § 185, Rn. 11; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., 2006, vor § 166, Rn. 13). Welche Folge ein Verstoß gegen den Schutz der Privatsphäre durch versehentlichen Aushang des ganzen Beschlusses anstelle der bloßen Benachrichtigung hat, wird in Literatur und Rechtsprechung, soweit erkennbar, nicht erörtert. Nach dem oben Gesagten kann er aber nicht zur Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung führen, da der Schutz der Privatsphäre nicht der Zweck der öffentlichen Zustellung ist, sondern nur anlässlich dieser Zustellung gewahrt werden soll. Im Interesse der Rechtssicherheit sind die Unwirksamkeitsgründe auf wesentliche Verfahrensmängel zu beschränken. Andere Fehler machen die Ausführung zwar möglicherweise unzulässig, führen aber nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung (vgl. zu dieser Unterscheidung Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., 2005, § 185, Rn. 15).

III.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist indessen unzulässig, weil der Verurteilte keine Tatsachen glaubhaft gemacht hat, die eine unverschuldete Fristversäumung nahe legen. Insoweit lässt auch der aktenkundig gewordene Geschehensablauf keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen (§ 45 Abs. 2 S.3 StPO) erkennen. Unterlässt ein unter Bewährungsaufsicht stehender Verurteilter entgegen einer ihm erteilten gerichtlichen Weisung die Mitteilung seines jeweiligen Aufenthaltsorts, so ist die hierdurch veranlasste öffentliche Zustellung gerichtlicher Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren nach allgemeiner Ansicht nicht als unverschuldet anzusehen (OLG Düsseldorf, NStZ 2003, 167 m. w. N.). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Der Verurteilte unterlag in den Bewährungsverfahren 7 StVK 198/01 und 7 StVK 18/03 der gerichtlichen Weisung, etwaige Wohnungswechsel mitzuteilen. Er ist diesen Weisungen spätestens seit Juli 2004 nicht mehr nachgekommen und war auch für seine Bewährungshelferin nicht mehr erreichbar. Der Bewohner der zuletzt vom ihm benannten Postadresse hat die Annahme der Widerrufsbeschlüsse verweigert, so dass es hier nicht darauf ankam, dass eine Zustellung durch Einlegung in den Briefkasten nach § 37 Abs. 1 StPO, §§ 178, 180 ZPO hier ohnehin unwirksam gewesen wäre. Der Verurteilte musste vor dem Hintergrund des bisherigen Verlaufs der Bewährungszeit, insbesondere der seit Juni 2004 rechtskräftigen neuen Verurteilung durch das Amtsgericht O. vom 22.04.2004 zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung, mit gerichtlichen Maßnahmen im Rahmen der beiden Bewährungsverfahren rechnen. Angesichts dieser Umstände ist die Anordnung der öffentlichen Zustellung des Widerrufsbeschlusses von dem Verurteilten selbst zu vertreten.

IV.

Die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss, die dem Antrag des Verurteilten vom 09.01.2006 durch Auslegung entnommen werden kann, ist somit verfristet und daher ebenfalls als unzulässig zu verwerfen.

V.

Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 25.01.2006 ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Kammer wird aber Gelegenheit haben, diesen Beschluss von Amts wegen zu überprüfen. Es bestehen nämlich Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung des Anhörungsschreibens am 17.08.2004 durch Einlegung in den Briefkasten des Bewohners der Postanschrift des Verurteilten. Für eine vereinfachte Zustellung nach §§ 180, 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i. V. m. § 37 Abs. 1 StPO muss der Empfänger in der Wohnung, in deren Briefkasten die Sendung eingelegt wird, nämlich tatsächlich leben, das heißt, seinen Lebensmittelpunkt haben (Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 178, Rn. 4, § 180, Rn. 2). Aus den Akten ergeben sich aber Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Adresse S. von Anfang an um eine bloße Postadresse gehandelt hat. Eine Zustellungsbevollmächtigung des Bewohners der Adresse ist den Akten bislang ebenso wenig zu entnehmen wie eine Heilung durch faktischen Zugang, § 37 StPO, § 189 ZPO.

Ende der Entscheidung

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