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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 07.05.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 77/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 81 a
1. Zur Verwertbarkeit von Beweismitteln, die auf Grund fehlender oder fehlerhafter Anordnungen ärztlicher Eingriffe gewonnen wurden.

2. Die Verabreichung eines Abführmittels zur Ausscheidung im Körper des Beschuldigten befindlicher Beweismittel bedarf grundsätzlich einer richterlichen Anordnung gemäß § 81 a Abs. 2 StPO.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat

2 Ws 77/04

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

hier: weitere Haftbeschwerde

Beschluss vom 7. Mai 2004

Tenor:

Die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den den Haftbefehl des Amtsgerichts L. vom 9. Januar 2004 aufrechterhaltenden Beschluss des Landgerichts F. vom 5. März 2004 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe:

Am 9.1.2004 erließ das Amtsgericht L. gegen den am 8.1.2004 vorläufig festgenommenen Beschuldigten einen auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Mit Beschluss vom 5.3.2004 hat das Landgericht F. die am 4.2.2004 eingegangene Haftbeschwerde zurückgewiesen. Die am 11.3.2004 eingekommene weitere Haftbeschwerde, die erst am 20.4.2004 dem Senat vorgelegt wurde, bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Der Beschuldigte ist der im Haftbefehl genannten Straftat - nach Maßgabe der in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft L. vom 14.4.2004 bezeichneten Betäubungsmittelmengen - dringend verdächtig. Danach soll er in 98 sog. Body-Packs 954 g Kokaingemisch mit einem KHCL-Gehalt von rund 747 g, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war, transportiert haben. Dieser Verdacht gründet sich auf die Angaben des Beschuldigten, der gegenüber den Grenzschutzbeamten nach Belehrung gem. § 136 StPO gesprächsweise eingeräumt hat, dass die inkorporierten "Bodypacks" Kokain enthielten, er ca. 70 solcher Beutel geschluckt habe und für die Fahrt 1500 € erhalten solle. Die in der Beschwerdebegründung erhobenen Bedenken hinsichtlich der Verwertbarkeit dieser Angaben, weil der Beschuldigte möglicherweise nicht ordnungsgemäß, insbesondere nicht über sein Recht, zunächst einen Verteidiger zu befragen, belehrt worden sei, teilt der Senat nicht. Nach den Vermerken der Beamten ZHS R. und ZBI O. vom 8. und 9.1.2004 wurde der Beschuldigte vor dieser Einlassung gem. § 136 StPO belehrt, was auch den Hinweis, dass es ihm freistehe, vor einer Einlassung einen Verteidiger zu befragen, beinhaltet. Anhaltspunkte für die Annahme, dass diese Belehrung entgegen der Darstellung der Grenzschutzbeamten unterblieben ist, sieht der Senat nicht. In der Beschwerdeschrift selbst wird nicht sicher behauptet, der Beschuldigte sei nicht über sein Recht zur Verteidigerbefragung belehrt worden. Dies wird vielmehr nur aus dem Verhalten der Ermittlungsbeamten gegenüber dem Verteidiger während eines Telefongespräches am 9.1.2004 geschlossen. Dass dem Beschuldigten jedoch schon vor dem am 9.1.2004 nach 14.30 Uhr stattgefundenen Telefongespräch mit dem Verteidiger sein Recht auf Verteidigerbefragung bekannt war, ergibt sich daraus, dass er sowohl bei der förmlichen Vernehmung durch die Zollbeamten am 8.1.2004 um 17.15 Uhr als auch bei seiner richterlichen Einvernahme im Rahmen der Haftbefehlseröffnung am 9.1.2004 um 13.35 Uhr angab, erst nach Rücksprache mit einem Verteidiger Angaben machen zu wollen. Auch dass der Beschuldigte, der nigerianischer Abstammung ist, aber die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, aufgrund sprachlicher Probleme die offensichtlich in deutscher Sprache erfolgte Belehrung nicht verstanden haben könnte, drängt sich nicht auf, zumal im Protokoll über die Haftbefehlseröffnung vom Haftrichter festgehalten wurde, dass der Beschuldigte über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt.

Der dringende Tatverdacht gründet sich darüber hinaus auf die im Beisein von Zollbeamten im Krankenhaus ausgeschiedenen, mit Kokain gefüllten 98 "Bodypacks". Bedenken gegen die Verwertbarkeit dieser Beweismittel bestehen im Ergebnis nicht. Allerdings begegnet die vorangegangene, von der Staatsanwaltschaft angeordnete Röntgenuntersuchung des Beschuldigten rechtlichen Bedenken. Die körperliche Untersuchung eines Beschuldigten, zu der auch die Röntgenuntersuchung zählt (LR-Krause zu § 81 a Rn. 59), darf auch dann, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst und ohne Nachteil für die Gesundheit vorgenommen wird (§ 81a Abs. 1 S. 2 StPO), nach § 81a Abs. 2 StPO nur aufgrund richterlicher Anordnung erfolgen. Eine Anordnung durch die Staatsanwaltschaft kommt nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung in Betracht. Vorliegend kann eine solche Gefahr im Verzug (LR-Krause zu § 81 a Rn. 66), deren Annahme sich auf den Einzelfall bezogene Tatsachen stützen muss und deren Vorliegen uneingeschränkter gerichtlicher Überprüfung unterliegt (BVerfG NJW 2001, 1121, 1123), nicht festgestellt werden. Diese volle gerichtliche Kontrolle fordert von dem die Untersuchung anordnenden Beamten eine zeitnahe Dokumentation der für den Eingriff bedeutsamen Erkenntnisse und insbesondere auch der Umstände, auf die sich die Gefahr des Beweismittelverlustes stützt (vgl. BVerfG NJW 2001, 1121, 1124; OLG Koblenz NStZ 2002, 660). Eine solche Dokumentation, die über den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall der Wohnungsdurchsuchung hinaus auch für die Anordnung der körperlichen Untersuchung zu fordern ist (Amelung NStZ 2001, 337, 342), liegt hier nicht vor. Die vom anordnenden Staatsanwalt genannte generelle Gesundheitsgefahr, die mit dem weiteren Verbleib der "Bodypacks" im Körper des Beschuldigten einhergeht, vermag jedenfalls Gefahr im Verzug nicht zu begründen, die nur bei drohendem Beweismittelverlust die Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft eröffnet. Ob darüber hinaus weitere Gründe vorlagen, die die Staatsanwaltschaft veranlasst haben, Gefahr im Verzug anzunehmen, kann mangels Dokumentation nicht nachvollzogen werden (vgl. OLG Koblenz NStZ 2002, 660, 661). Angesichts der Tatsache, dass die Anordnung der Röntgenuntersuchung am Vormittag des 8.1.2004 anstand, ist deshalb kein Grund ersichtlich, der eine Ausnahme von der Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters (BVerfG NJW 2001, 1121, 1122) erlauben könnte.

Die unzutreffende Annahme von Gefahr im Verzug durch die Staatsanwaltschaft führt aber nicht zur Unverwertbarkeit der sichergestellten "Bodypacks" als Beweismittel (vgl. KK-Senge zu § 81 a Rn. 14; LR-Krause zu § 81 a Rn. 94). Auch bei - gesetzlich geregelten - Eingriffen in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S.1 GG folgt aus Verstößen gegen Verfahrensvorschriften nur dann die Unverwertbarkeit, wenn nach Abwägung aller Umstände das Recht des Beschuldigten das Strafverfolgungsinteresse überwiegt (BGHSt 24, 125, 130; OLG Koblenz NStZ 2002, 660, 661). Dies ist hier nicht der Fall. Dem relativ geringfügigen körperlichen Eingriff steht der Verdacht einer nicht unerheblichen Betäubungsmittelstraftat gegenüber. Auch wurde das Ergebnis der Röntgenuntersuchung nicht durch einen den Anspruch auf ein faires Verfahren verletzenden Missbrauch staatlicher Zwangsbefugnis gewonnen (vgl. OLG Koblenz NStZ 2002, 660, 661). Denn wenn auch der Senat der Rechtsauffassung des anordnenden Staatsanwalts, die Eilbedürftigkeit ergebe sich schon aus der drohenden Gefahr für Leib und Leben des Beschuldigten bei weiterem Verbleib der Betäubungsmittel im Körper, nicht folgt so kann doch von einer willkürlichen Annahme staatsanwaltlicher Eilzuständigkeit (vgl. OLG Koblenz NStZ 2002, 660) nicht die Rede sein.

Auch aus der folgenden Verabreichung eines Laxativums kann eine Unverwertbarkeit nicht erwachsen, obgleich für diese Maßnahme ersichtlich weder eine richterliche noch eine staatsanwaltliche Anordnung vorlag (vgl. aber BayObLG DAR 1966, 261 f.). Einer solchen Anordnung hätte es aber grundsätzlich gem. § 81 a Abs. 2 StPO bedurft. Denn auch wenn die Verabreichung eines Abführmittels medizinisch indiziert war, da das weitere Verbleiben des Kokains im Körper des Beschuldigten mit nicht unerheblichen Gesundheitsgefahren verbunden war, so diente sie doch auch der Gewinnung von Beweismitteln und war damit als Untersuchung im Sinne des § 81 a Abs. 1 S. 1 StPO zu werten (LR-Krause zu § 81 a Rn. 16; vgl. KG StV 2002, 122). Die somit erforderliche richterliche Anordnung war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Beschuldigte ausweislich des Vermerks der ihn im Krankenhaus bewachenden Beamtin ZOSin I. vom 28.4.2004, an dessen inhaltlicher Richtigkeit nach Auffassung des Senats Zweifel nicht aufgekommen sind, das Abführmittel nach ärztlicher Aufklärung freiwillig eingenommen hat, so dass eine Duldung der Untersuchung nicht durch eine Anordnung erzwungen werden musste (LR-Krause zu § 81 a Rn. 22). Denn nur eine in Kenntnis seines Weigerungsrechtes erfolgte ausdrückliche und eindeutige Einwilligung des Beschuldigten vermag die Anordnung nach § 81a Abs. 1 S.2 StPO zu ersetzen (vgl. OLG Hamm NJW 1967, 1524; LR-Krause zu § 81 a Rn. 13 f.). Der Beschuldigte wurde aber ersichtlich nicht einmal über sein Weigerungsrecht belehrt.

Dennoch können die im Wege der ärztlichen Heilbehandlung gewonnenen Beweismittel im Strafverfahren verwertet werden. Die Erhebung der Beweise hätte nämlich auch durch eine Anordnung gem. § 81 a StPO erreicht werden können (BGHSt 24, 125, 130), weshalb auch die Vorschrift des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO der Verwertung nicht entgegensteht (OLG Celle NStZ 1989, 385; OLG Zweibrücken NJW 1994, 810 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 246 f.; im Ergebnis auch OLG Hamm NJW 1967, 1524; KK-Senge zu § 81 a Rn. 14). Ein Tatverdacht lag nach dem Ergebnis der Röntgenuntersuchung vor. Der Eingriff diente der Feststellung verfahrensbedeutender Tatsachen (LR-Krause zu § 81 a Rn. 29). Ein gesundheitlicher Nachteil war nicht zu erwarten. Insbesondere war die Behandlung mit einem Laxativum zur Feststellung verfahrenserheblicher Tatsachen geeignet und erforderlich, da ein milderes, aber ebenso wirksames Mittel zur Gewinnung der als Beweismittel benötigten "Bodypacks" nicht gegeben war (vgl. KG StV 2002, 122, 123 ff.). Dabei kann dahinstehen, ob ein Abwarten des natürlichen Abgangs der "Bodypacks" gegenüber der Unterstützung des Ausscheidens durch ein Laxativum überhaupt als milderes Mittel gewertet werden kann, zumal mit zunehmender Zeitdauer die Gefahr bestand, dass sich Beutel öffnen und Kokain in den Körper des Beschuldigten gelangen würde (KG NStZ-RR 2001, 204 f.). Denn jedenfalls wäre ein solches Zuwarten im Hinblick auf die erwartete Beweismittelgewinnung schon deshalb nicht ebenso gut geeignet gewesen, weil es dem zügigen Fortgang des Ermittlungsverfahrens entgegengestanden hätte und zudem mit dem Erfordernis einer weiteren Freiheitsentziehung verbunden gewesen wäre (OLG Bremen NStZ-RR 2000, 270; LR-Krause zu § 81 a Rn. 34; vgl. auch OLG Frankfurt MDR 1979, 694). Auch an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne besteht jedenfalls bei - wie vorliegend - freiwilliger Einnahme kein Zweifel (vgl. bzgl. des Einsatzes von Brechmitteln vgl. OLG Bremen NStZ-RR 2000, 270; KG NStZ-RR 2001, 204 f.; KG StV 2002, 122; 123 ff.; vgl. auch BVerfG StV 2000, 1; a.A. bei gewaltsamen Verabreichen von Brechmitteln OLG Frankfurt NJW 1997, 1647 ff.).

Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr. Dem Beschuldigten wird ein Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen. Angesichts der Mindeststrafe von einem Jahr und der Menge des zum Handel bestimmten Kokaingemischs - 954 g mit einem KHCL-Gehalt von rund 747 g - muss er mit einer Freiheitsstrafe rechnen, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dem von der Straferwartung ausgehenden natürlichen Fluchtanreiz stehen ausreichende fluchthemmende Bindungen im Inland nicht gegenüber. Der Beschuldigte ist zwar deutscher Staatsangehöriger und hier verheiratet. Doch verfügt er über keine Arbeitsstelle. Auch hat er nicht nur in Nigeria, sondern offensichtlich auch in den Niederlanden Verwandte, bei denen er sich öfter über längere Zeit aufhält. Es ist deshalb zu erwarten, dass er sich dem Strafverfahren durch Flucht ins Ausland entziehen wird.

Die Untersuchungshaft ist im Hinblick auf den Tatvorwurf und ihre bisherige Dauer verhältnismäßig.

Die weitere Haftbeschwerde war deshalb mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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