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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 20.08.1999
Aktenzeichen: 20 WF 47/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 323 Abs. 4
Leitsatz

§ 323 Abs. 4 ZPO. Zur Abänderbarkeit einer Jugendamtsurkunde über die Zahlung des Regelunterhalts.

OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 20. Zivilsenat - Senat für Familiensachen


20 WF 47/99 5 F 89/99

Karlsruhe, 20. August 1999

Beschluß

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Pforzheim vom 26.04.1999 - 5 F 89/99 - aufgehoben.

Gründe:

I.

Am 28.01.1997 verpflichtete sich der - zu diesem Zeitpunkt arbeitslose und einem ehelichen Kind unterhaltspflichtige - Antragsteller in einer von einem Jugendamt errichteten vollstreckbaren Urkunde, der Antragsgegnerin für die Zeit ab 01.04.1995 den Regelunterhalt in der Höhe nach bestimmten Geldbeträgen zu zahlen. Am 21.05.1997 wurde er Vater eines weiteren ehelichen Kindes und hält nunmehr auch seine Ehefrau für unterhaltsberechtigt. Seit 01.07.1997 ist der Antragsteller wieder erwerbstätig.

Weil sein Erwerbseinkommen nicht zur Bestreitung aller Unterhaltspflichten ausreiche, begehrt der Antragsteller die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zur Erhebung einer Klage auf Abänderung der Jugendamtsurkunde.

Mit dem angegriffenen Beschluß hat das Familiengericht das Prozeßkostenhilfegesuch mangels hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen, da sich die für die titulierte Unterhaltsverpflichtung maßgebenden Verhältnisse nicht, wie es nach § 323 Abs. 1 ZPO erforderlich sei, wesentlich geändert hätten. Infolge der zum Zeitpunkt der Errichtung der Jugendamtsurkunde bestehenden Schwangerschaft seiner Ehefrau sei für den Antragsteller das Entstehen weiterer Unterhaltsverpflichtungen ohne weiteres voraussehbar gewesen. Dieser nahe bevorstehenden Entwicklung hätte er durch eine entsprechende Beschränkung seiner in der Urkunde erklärten Verpflichtung Rechnung tragen müssen. Im übrigen hätten sich seine Einkommensverhältnisse vorteilhaft entwickelt, da er nunmehr Erwerbseinkommen erziele. Gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der das Familiengericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Zulässigkeit der beabsichtigten Abänderungsklage kann jedenfalls nicht mit der von dem Familiengericht gegebenen Begründung verneint werden.

Das Familiengericht wird über das Prozeßkostenhilfegesuch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden haben.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 1984, 997) unterliegt eine vom Jugendamt formgerecht errichtete vollstreckbare Urkunde zwar der Abänderung nach § 323 ZPO. Seit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs (FamRZ 1983, 22) ist indessen geklärt, daß sich Voraussetzungen und Umfang einer etwaigen Abänderung sämtlicher Titel nach § 323 Abs. 4 ZPO, zu denen auch die Jugendamtsurkunden gehören, allein nach materiellem Recht richten (a.A. ohne Auseinandersetzung mit der Rspr. des BGH OLG KA - 18. Senat - NJW-RR 1994, 68). Da Geltungsgrund von ein- oder zweiseitig - freiwillig - errichteten Urkunden allein der Parteiwille ist (BGH, FamRZ 1983, 22 <24>), beurteilt sich die Frage nach Bindungswirkungen der abzuändernden Urkunde auf die Abänderungsentscheidung in erster Linie nach der Reichweite des Bindungswillens der Partei bzw. der Parteien. Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine zweiseitig errichtete Urkunde infolge ihres Vertragscharakters eine wechselseitige Bindung der Parteien enthält, die einseitig errichteten Urkunden von vornherein fremd ist. Diese wechselseitige Bindungskraft rechtfertigt es, die Abänderung von Parteivereinbarungen dann an den aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsätzen über die Veränderung oder den Fortfall der Geschäftsgrundlage zu orientieren, wenn sich dem in der Urkunde zum Ausdruck gekommenen Parteiwillen keine Anhaltspunkte für einen bestimmten Bindungswillen der Parteien entnehmen lassen (BGH, FamRZ 1983, 22 <24>). Soweit ersichtlich, wird nur in diesem - auf die Prüfung der Abänderbarkeit von Verträgen beschränkten - Zusammenhang die Auffassung vertreten, es liege keine nach § 242 BGB beachtliche Veränderung der Geschäftsgrundlage vor, wenn die Änderung von Umständen bereits bei Titelerrichtung ohne weiteres erkennbar oder voraussehbar gewesen und diese Entwicklung auch in so naher Zukunft erwartbar gewesen sei, dass die Verhältnisse als im Titel immanent geregelt anzusehen seien (OLG Karlsruhe, FamRZ 1997, 366 = NJWE-FER, 1997, 27 m.w.N.).

Ob und gegebenenfalls mit welchen Modifikationen diese Rechtsprechung auf die Abänderung von Urkunden, die ein Unterhaltsschuldner einseitig errichtet hat, übertragen werden kann, ist als noch nicht eindeutig geklärte Rechtsfrage bei der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe dahingestellt zu lassen. Auch dem Bundesgerichtshof (FamRZ 1984, 997 f.) ist es zweifelhaft erschienen, ob bei einer Jugendamtsurkunde im Wege der Abänderungsklage zulässigerweise nur - wie sonst bei Abänderungsklagen - eine Anpassung unter Wahrung der Grundlagen des abzuändernden Titels oder gegebenenfalls mangels Verbindlichkeit der zugrundeliegenden Einschätzung - im Gewande der Abänderungsklage eine von dem abzuändernden Titel unabhängige Neufestsetzung des Unterhalts verlangt werden kann oder ob eine Bindung an die Grundlagen des Titels jedenfalls unter bestimmten Umständen besteht, etwa dann, wenn sich der Schuldner zur Zahlung einer verhältnismäßig großzügigen Unterhaltsrente verpflichtet hat.

Bei der im Zusammenhang mit der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sind hier keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Parteiwille oder Erfordernisse von Treu und Glauben (§ 242 BGB) die von dem Antragsteller gewünschte Abänderung dem Grunde nach verbieten könnten. Dem Text der von dem Antragsteller - lediglich über den Regelunterhalt - errichteten Jugendamtsurkunde sind keine diesbezüglichen Hinweise zu entnehmen. Der Antragsteller hat vorgetragen, das Jugendamt habe ihn anläßlich der Errichtung der Urkunde "eingruppiert"; der zu titulierende Unterhalt wurde danach an einer einschlägigen Unterhaltstabelle orientiert. Grundlage des Titels ist daher nichts anderes als eine angemessene Relation zwischen dem Einkommen des Antragstellers auf der einen und der Höhe der Unterhaltsrente auf der anderen Seite. Abänderung unter Wahrung der Grundlagen des Titels und Abänderung auf den unter den jetzigen Verhältnissen angemessenen Unterhalt laufen dann aber auf dasselbe hinaus (BGH, FamRZ 1984, 997 <998>).

b) Die Versagung von Prozeßkostenhilfe kann auch nicht auf die Erwägung gestützt werden, die Einkommensverhältnisse des Antragstellers hätten sich für ihn vorteilhaft entwickelt. Zum einen ist für die Frage des Umfangs der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit nicht nur die Höhe der unterhaltspflichtigen Einkünfte, sondern auch das Ausmaß der sonstigen berücksichtigungsfähigen Verpflichtungen erheblich. Zum anderen ist entschieden, dass bei einer vollstreckbaren Urkunde eine Abänderungklage auch auf Umstände aus der Zeit vor der Errichtung der Urkunde und mithin auch darauf gestützt werden kann, daß die zu Grunde gelegten Verhältnisse schon damals nicht den Tatsachen entsprochen haben. Für eine Präklusion, wie sie § 323 Abs. 2 ZPO für Klagen auf Abänderung von Urteilen vorsieht, ist bei Klagen auf Abänderung von Schuldtiteln, die unter § 323 Abs. 4 ZPO fallen, kein Raum (BGH, FamRZ 1984, 997 <998>)



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