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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 05.02.2001
Aktenzeichen: 3 Ss 178/00
Rechtsgebiete: StPO, BtMG


Vorschriften:

StPO § 261
BtMG § 29 Abs. 1
Leitsatz:

Ein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, dass sich in einem von einem Rauschgifthändler unter konspirativen Umständen an einen Dritten übergebenen Paket Drogen befinden, besteht nicht.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Strafsenat

3 Ss 178/00

Strafsache

wegen Verstoßes gegen das BtMG

Beschluss vom 05. Februar 2001

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts M. 10. Oktober 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts M. zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht -Schöffengericht- M. verurteilte den Angeklagten am 15. Juni 2000 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln unter Auflösung der mit Urteil, des Landgerichts S. vom 02.08.1999 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und unter Einbeziehung der dort gebildeten Einzelstrafen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Seine hiergegen eingelegte Berufung verwarf das Landgericht M. am 10.10.2000.

Nach den Feststellungen der Strafkammer hatte der Angeklagte am 09.07.1998 von der als Rauschgifthändlerin zwischenzeitlich rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilten S. G. 100 Gramm Haschisch erworben. Die Übergabe der in einem "Geschenkkarton" verborgenen Betäubungsmittel sei danach dergestalt erfolgt, dass der Angeklagte kurzfristig in das von S. G. gesteuerte Kraftfahrzeug eingestiegen sei und schon nach kurzer Fahrt dieses unter Mitnahme des "Geschenkkartons" wieder verlassen habe.

Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Er beanstandet die gerichtliche Beweiswürdigung. Diese hält er für rechtsfehlerhaft, weil sie sich lediglich auf Vermutungen stütze. Ein sicherer Beweis, dass sich in dem übergebenen Paket auch tatsächlich Haschisch befunden habe, liegt nach seiner Ansicht nicht vor.

Die Generalstaatsanwaltschaft K. hat auf Verwerfung des Rechtsmittels angetragen.

II.

Der Revision des Angeklagten greift durch.

Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche Gewissheit setzt jedoch objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (BGH StV 1995, 453 f.; BGHR StPO § 261 Vermutung 11). Die aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung folgende Bindung des Revisionsgerichts an nur mögliche Schlussfolgerungen des Tatrichters (BGHSt 29, 18,20; BGHR StPO Beweiswürdigung 5) findet dann ihre Grenze, wenn sich diese so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie nur noch den Verdacht, nicht dagegen die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung zu begründen vermögen (BGH NStZ 1981, 33; BGHR StPO Vermutung 1 Nachtrunk; OLG Düsseldorf StraFo 1997,208; BayObLG StraFo 2000, 263 ff.; LR-Gollwitzer, StPO, 25. Auflage 2000, § 261 Rn. 41 ff, 66). Diese Grundsätze hat die Strafkammer verkannt.

Ihre Überzeugung von der Täterschaft des von seinem Schweigerecht Gebrauch machenden und bislang wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz nicht vorbestraften Angeklagten stützt sie im Wesentlichen auf die Aussage zweier Polizeibeamten, die S. G. am 09.07.1998 observiert und mit ihrem Dienstfahrzeug auf ihrer Fahrt vom Wohnanwesen ihrer Großtante bis zum Treffen mit dem Angeklagten verfolgt hatten. Dass sich in dem während der kurzen Fahrt an den Angeklagten übergebenen "Geschenkkarton" Haschisch befunden habe - von der Sicherstellung des Pakets hatten die Polizeibeamten aus ermittlungstaktischen Gründen abgesehen (UA S. 8) -, entnimmt die Kammer zunächst der Tatsache, dass bei einer am 13.07.1998, mithin wenige Tage nach dem Vorfall erfolgten Durchsuchung des Wohnanwesen der Großtante der S. G. in einem Kellerverschlag 97,6 kg Haschisch, 861 Gramm Marihuana und 796 Gramm Kokain sichergestellt werden konnten. Außerdem habe S. G. auch an zwei andere namentlich bekannte Rauschgiftabnehmer Drogen in solcher Verpackung, in einem Falle ein Kilogramm Haschisch, welches -ebenso wie vorliegend- in einem "Geschenkkarton" in Größe einer Weinflasche mit Dekorschleife verpackt gewesen sei, ausgeliefert (UA S. 10 f.). Auch die unter "konspirativen Umständen" erfolgte Aushändigung des Paketes spreche für die Abwicklung eines der für S. G. üblichen Rauschgiftgeschäfte und gegen die bloße Aushändigung eines nur "unverfängliches Präsentes" (UA S. 10).

Der von der Strafkammer aus diesen Beweisanzeichen gezogene Schluss, in dem an den Angeklagten übergebenen Gegenstand hätten sich 100 Gramm Haschisch befunden, ist zwar möglich, mehr aber auch nicht. Überdies setzt sich das Urteil nicht mit ebenso naheliegenden anderen Möglichkeiten des Geschehensablaufes auseinander.

Die Folgerungen der Strafkammer entbehren zunächst einer objektiven Grundlage, da sichere Feststellungen über den Inhalt des "Geschenkkartons" nicht getroffen werden konnten. Zwar kann dem Umstand, dass S. G. an zwei andere Personen Haschisch in ähnlicher Verpackung veräußert hat, durchaus ein Indizwert beigemessen werden, tragfähig ist dieser Gesichtspunkt für sich gesehen aber nicht. Ihm könnte allenfalls im Zusammenhang mit anderen aussagekräftigen Beweisanzeichen Bedeutung zukommen (vgl. zur Notwendigkeit der Gewichtung herangezogener Indizien in ihrem Beweiswert: BGH StV 1993, 509 f; StV 1995, 453 f.; allgemein zum Indizienbeweis: KK-Hürxthal, StPO, 4. Auflage 1999, § 261 Rn. 64; LR-Gollwitzer, a.a.O., § 261 Rn. 60 ff. m.w.N.). Solche fehlen aber. Der nach Wertung des Landgerichts unter konspirativen Umständen erfolgten Übergabe kommt eine solche Bedeutung nicht bei, denn auch andere Schlüsse, als die vom Landgericht gezogenen, liegen ebenso nahe. So ist nicht zureichend erörtert, weshalb sich in dem Paket keine strafrechtlich nicht inkriminierten Waren aus dem von S. G. betriebenen "Asia Shop" befunden haben könnten, welche diese an den Angeklagten ausgeliefert hat (zur Notwendigkeit von realen Anknüpfungspunkten und nicht nur denktheoretischen, abstrakten Möglichkeiten zur Begründung von Zweifeln in der Beweiswürdigung, vgl. umfassend BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 5, Überzeugungsbildung 18). Allein die vom Landgericht angeführte "kurze Zeitdauer der Übergabe" (UA S. 10) schließt eine solche Möglichkeit nicht aus. Dass es sich bei diesem Gewerbebetrieb nur um eine bloße "Tarnfirma" zur Verdeckung von Rauschgiftgeschäften gehandelt haben könnte und dort keine relevanten Umsätze getätigt worden sind, ist den Feststellungen im übrigen nicht zu entnehmen. In Anbetracht der kriminellen Energie der S. G. und deren Ehemanns vermag bei lebensnaher Betrachtungsweise auch nicht verlässlich ausgeschlossen werden, in dem Paket hätten sich andere verbotenen Waren, wie etwa "harte" Drogen oder aber eine Waffe, befunden. Auch insoweit kommt dem vom Landgericht herangezogenen Beweisanzeichen nur ein eingeschränkter Beweiswert zu, was die Strafkammer bei seiner Gewichtung hätte bedenken müssen (vgl. BGH StV 1993, 509 f.).

Weiterhin besteht auch kein allgemeiner Erfahrungssatz mit Wahrscheinlichkeitsaussage des Inhalts, dass sich in einem von einem Rauschgifthändler unter konspirativen Umständen an einen Dritten übergebenen Paket Drogen befinden (vgl. zu ähnlichen Fallgestaltungen, ei denen das Vorliegen eines Erfahrungssatzes abgelehnt wurde: BGH StV 2000, 20: Die Bewohner einer Wohnung kennen Rauschgiftverstecke; BGH StV 2000, 69: Mit einem Kilogramm Heroin wird in einschlägigen Kreisen nur bewaffnet Handel getrieben; BGH NStZ 1993, 95: Höhe des Kurierlohnes lässt Schluss auf Rauschgiftmenge zu; OLG Düsseldorf JMBI NW 1996, 57: Verstecktes Pulver in Unterhose lässt bei Grenzübertritt aus Holland auch ohne Untersuchung Schlüsse auf die Eigenschaft als Rauschgift zu; im weiteren vgl. BGH StV 1992, 148 f.; StV 1993, 116 f; LR-Gollwitzer, a.a.O., § 261 Rn. 45 ff.). Eine solche aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnisse gewonnene Regel, die keine Ausnahme zulässt und eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zum Inhalt hat (BGH StV 2000, 69; BGH StV 1993, 116; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage 1999, § 337 Rn. 3), vermag der Senat nicht zu erkennen. So lässt selbst die festgestellte äußere Beschaffenheit eines Stoffes und die Art seiner "Bunkerung" für sich gesehen keine hinreichende Gewissheit zu, dass es sich dabei um Rauschgift, etwa um Heroin oder Kokain, handelt; vielmehr bedarf es im Regelfall einer chemischen Untersuchung (so OLG Düsseldorf StV 1995, 305).

Schließlich vermag das vom Landgericht zur Überzeugungsbildung ergänzend herangezogene Aussageverhalten der S. G. sowie deren wegen Rauschgiftshandels zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Ehemanns, W. G., keine andere Beurteilung der Beweislage zu rechtfertigen. Allerdings kann eine unberechtigte Zeugnisverweigerung - gegen Beide wurde bereits vom Amtsgericht M. nach § 70 StPO Beugehaft in Höhe von sechs Monaten verhängt - in eingeschränktem Umfang auch zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden, wenn sich das Motiv der Zeugnisverweigerung eindeutig klären lässt (BGH NJW 1966, 211; LR-Gollwitzer, StPO, § 261 Rn. 86 m.w.N.). Welche Beweggründe die Zeugen zur Verweigerung ihrer Aussage und zum Aufsichnehmen einer Beugehaft von jeweils sechs Monaten bewogen haben könnten, kann den Feststellungen indes nicht entnommen werden (vgl. BGH StV 1984, 233). Bereits hieran mangelt die Beweiswürdigung. Im übrigen lässt die Bewertung des Landgerichts, die Zeugen hätten die Aussage nicht zu verweigern brauchen, wenn sich in dem Paket nur "unverfängliche Gegenstände" befunden hätten, außer Acht, dass die für die Aussageverweigerung in Betracht kommende Triebfeder der Zeugen derart vielschichtig sein mag, dass sie objektiv nicht zureichend eingrenzbar ist. Zwar ist durchaus in Erwägung zu ziehen, dass Beide den Angeklagten durch ihr Verhalten deshalb "schützen" wollten, weil jedenfalls S. G. in das vom Landgericht angenommene Rauschgiftgeschäft verstrickt gewesen war (vgl. hierzu jüngst KG, Beschluss vom 16.02.1998, 1 Ss 286/97 -zu § 55 StPO-), möglich sind aber auch ganz andere Motive, wie etwa das bloße Schaffen einer für den Angeklagten aufgrund einer langjährigen freundschaftlichen Verbundenheit (UA S. 5) günstigeren, auf dessen Freisprechung abzielenden Beweislage. Einen sicheren Schluss, dass sich in dem "Geschenkkarton" 100 Gramm Haschisch, wie vom Landgericht angenommen, befunden haben, lässt die Verweigerung der Zeugen aber jedenfalls nicht zu.

Die angeführten Beweisanzeichen bilden somit schon aus objektiven Gründen - selbst in ihrem Zusammenwirken - keine tragfähige Grundlage.

III.

Das Urteil war danach aufzuheben. Der Senat hat erwogen, ob in einer neuen Hauptverhandlung noch nicht herangezogene und aussagekräftige Beweismittel gefunden werden könnten, die in Zusammenwirken mit den bereits vorhandenen und bei zutreffender Gewichtung rechtsfehlerfreie Schlüsse auf ein strafrechtliches Fehlverhalten des Angeklagten zuließen. Eine solche Möglichkeit konnte nicht mit ausreichender Gewissheit ausgeschlossen werden, weshalb der Senat davon abgesehen hat, den Angeklagten selbst vom Vorwurf des Erwerbs von Betäubungsmitteln freizusprechen.

Die Sache war daher zur erneuten tatrichterlichen Prüfung an eine andere Strafkammer des Landgerichts M. zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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