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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 04.04.2008
Aktenzeichen: 3 Ss 79/07
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 14 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 3
1. Eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter Aufenthalt im Sinne der Straftatbestände des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG liegen außerhalb des Anwendungsbereichs der Gleichstellungsregelung des § 95 Abs. 6 AufenthG nicht vor, wenn der Ausländer über irgendeinen den Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubenden Aufenthaltstitel verfügt, ohne dass es auf den individuell verfolgten Aufenthaltszweck ankommt.

2. Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung der Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung über die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen (ABl. L 167 v. 20.06.2006, 8)


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

wegen Verdachts der unerlaubten Einreise u. a.

Beschluss vom 4. April 2008

Tenor:

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung der Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen (ABl. L 167 v. 20.06.2006, 8) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Regelung in Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006/EG dahin auszulegen, dass den im Anhang aufgeführten Aufenthaltserlaubnissen der Schweiz und von Liechtenstein kraft der einseitigen Anerkennung durch die Schengen-Mitgliedstaaten als gleichwertig zu ihren einheitlichen oder nationalen Visa unmittelbar die Wirkung eines die Durchreise durch den gemeinsamen Raum gestattenden Aufenthaltstitels zukommt;

oder

ist die Regelung der Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006/EG so zu verstehen, dass Drittstaatsangehörige, welche Inhaber einer der im Anhang aufgeführten, von den Schengen-Mitgliedstaaten einseitig anerkannten Aufenthaltserlaubnissen der Schweiz und von Liechtenstein sind, für den Zweck der Durchreise durch den gemeinsamen Raum von der sich aus Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) 539/2001 ergebenden Visumpflicht freigestellt werden?

Gründe:

I.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft K. vom 06.10.2006 legt dem Angeklagten zur Last, er sei am 04.08.2006 von der Schweiz kommend in das Bundesgebiet eingereist und habe sich bis 06.08.2006 darin aufgehalten, obwohl er als serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels in Form eines Visums gewesen sei.

Das Amtsgericht S. hat den Angeklagten mit Urteil vom 29.11.2006 vom Vorwurf der unerlaubten Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 3 und 2 AufenthG, 52 StGB freigesprochen, weil das Verhalten des Angeklagten mit Blick auf die Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.06.2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen (ABl. L 167 v. 20.06.2006, 8) keinen Straftatbestand erfülle. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, über welche der Senat als letztinstanzlich zur Entscheidung berufenes nationales Gericht zu befinden hat.

II.

Nach den Feststellungen lebt der Angeklagte, der ausweislich seines Passes serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger ist, seit Juni 1993 mit jeweils ununterbrochen gültigen Aufenthaltstiteln ständig in der Schweiz. Seit dem 27.03.2006 ist er Inhaber eines schweizerischen Ausländerausweises C, verbunden mit einer Niederlassungsbewilligung C, deren Kontrollfrist am 19.06.2009 ablaufen wird. Der Angeklagte reiste mit seiner Ehefrau und seinen Kindern am 04.08.2006 von der Schweiz nach Deutschland ein. Dabei und bis zur Ausreise am 06.08.2006 führte er seinen gültigen Pass, den schweizerischen Ausländerausweis C und seine gültige schweizerische Fahrerlaubnis mit sich. Auch alle mitfahrenden Familienangehörigen führten gültige Pässe und Ausländerausweise bzw. entsprechende Nachweise für die Kinder mit sich. Ein Visum für sich und seine Familie, wie bei früheren Kurzbesuchen von der Schweiz nach Deutschland, hatte der Angeklagte diesmal nicht beantragt, weil er auf Grund von Medienberichten, wonach durch eine Entscheidung des Rates der Europäischen Gemeinschaften der kurzfristige Aufenthalt in Deutschland für die in der Schweiz lebenden Ausländer visumfrei geworden sei, dies für möglich, wenn auch nicht für sicher hielt und es mit seiner mitreisenden Familie "ausprobieren" wollte. Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet vom 04. bis 06.08. 2006 besuchte der Angeklagte Familienangehörige in Köln und Stuttgart.

III.

Die Beurteilung der Frage, ob sich der Angeklagte durch das vom Amtsgericht festgestellte Verhalten nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 und 2 AufenthG wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts strafbar gemacht hat, hängt ab von dem Verständnis der in der Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.06.2006 getroffenen Regelung über die einseitige Anerkennung von Aufenthaltserlaubnissen der Schweiz. Diese europarechtliche Vorfrage legt der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 68 Abs. 1 EGV i. V. m. Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung vor.

1. Nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG macht sich wegen unerlaubter Einreise u. a. strafbar, wer entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet einreist. Gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet unerlaubt, wenn er den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Den Straftatbestand des unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt derjenige, der ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sich im Bundesgebiet aufhält, vollziehbar ausreisepflichtig ist und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist.

Wie schon unter der Geltung des bis 31.12.2004 in Kraft gewesenen Ausländergesetzes (vgl. § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) ist in Rechtsprechung und Literatur auch nach der durch das Aufenthaltsgesetz geschaffenen Rechtslage streitig, wie das gesetzliche Tatbestandsmerkmal des erforderlichen Aufenthaltstitels in den Vorschriften der §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auszulegen ist (zum Streitstand vgl. Westphal in Huber Handbuch des Ausländer- und Asylrechts § 14 AufenthG Rdnr. 59 ff). Während eine Auffassung den Begriff der Erforderlichkeit in materiell-ausländerrechtlichem Sinne versteht und dementsprechend auf den für den jeweiligen konkreten Aufenthaltszweck im Einzelfall notwendigen Aufenthaltstitel abstellt (vgl. Renner Ausländerrecht 8. Aufl. § 14 AufenthG Rdnr. 6 und § 5 AufenthG Rdnr. 44; Heinrich ZAR 2005, 309, 315 ff), liegt nach der Gegenansicht eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter Aufenthalt schon dann nicht vor, wenn der Ausländer über irgendeinen den Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubenden Aufenthaltstitel verfügt, ohne dass es auf den individuell verfolgten Aufenthaltszweck ankommt (vgl. Westphal aaO § 14 AufenthG Rdnr. 63 ff; Hailbronner Ausländerrecht § 14 AufenthG Rdnr. 11 f, 20; Funke-Kaiser GK-AufenthG § 14 Rdnr. 9, 11; Schott NordÖR 2005, 507, 510 und Kriminalistik 2005, 554; 14.1.2.3.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum AufenthG). Für die strafrechtliche Würdigung hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 50, 105) entschieden, dass es bei der Prüfung, ob ein strafbares Verhalten im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG gegeben ist, mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG allein auf das Vorliegen einer formell wirksamen Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung ankommt. Eine verwaltungsrechtlich wirksam erteilte, den Aufenthalt im Bundesgebiet gestattende Erlaubnis entfalte im Strafrecht Tatbestandswirkung, unabhängig davon, ob die Erlaubnis rechtsmissbräuchlich erlangt worden sei oder den tatsächlich verfolgten Aufenthaltszweck abdecke (BGH aaO, 115; vgl. auch BGH StV 2000, 357, 358 f; BGH B. v. 18.10.2001 - 3 StR 247/01; BayObLGSt 2000, 64). Dieser auf eine formale Betrachtungsweise abstellenden Auffassung des Bundesgerichtshofs, welche durch die Einfügung der neuen Strafnorm des § 95 Abs. 1 a AufenthG sowie der Gleichstellungsregelung des § 95 Abs. 6 AufenthG zur Erfassung auf unlautere Weise erlangter Aufenthaltstitel in das Aufenthaltsgesetz durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl I 1970) mittelbar die Anerkennung des Gesetzgebers erfahren hat (vgl. BT-Drucks. 16/5065 S. 199, 164; vgl. auch schon Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz BT-Drucks. 15/420 S. 73), schließt sich der Senat an. Maßgebend für die Strafbarkeit des Angeklagten wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts ist daher, ob nach den ausländerrechtlichen Bestimmungen für seine Einreise und seinen Aufenthalt im Bundesgebiet ein Aufenthaltstitel erforderlich war und er über eine wirksame Einreise und Aufenthalt gestattende Erlaubnis verfügte.

2. Die Erforderlichkeit eines Aufenthaltstitels für die Einreise und einen geplanten Aufenthalt von bis zu drei Monaten Dauer von Drittstaatsangehörigen im Sinne des Art. 2 Nr. 6 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.03.2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) beurteilt sich vorrangig nach Europäischem Gemeinschaftsrecht (vgl. Art. 62 Nr. 2 EGV), namentlich nach der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, vom 15.03.2001 (ABl. L 81 v. 21.03.2001, 1 - EG-VisaVO) in der zur Tatzeit geltenden Fassung sowie nach dem in das Europäische Gemeinschaftsrecht implementierten und fortentwickelten Schengener Durchführungsübereinkommen. Die entsprechenden Verweisungen in § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und § 15 AufenthV haben wegen des Anwendungsvorrangs Europäischen Rechts lediglich deklaratorische Bedeutung.

Nach Art. 1 Abs. 1 EG-VisaVO müssen Staatsangehörige der Drittländer, die in der Liste in Anhang I aufgeführt sind, beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein, während die Staatsangehörigen der in der Liste in Anhang II aufgeführten Drittländer gem. Art. 1 Abs. 2 EG-VisaVO von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der insgesamt drei Monate nicht überschreitet, befreit sind. Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, die zur Tatzeit unter der Bezeichnung Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien-Montenegro) in der gemeinsamen Liste in Anhang I zur Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführt waren, bedürfen danach für das Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten eines Visums und gehören nicht zu den sichtvermerksfreien Drittausländern nach Art. 20 Abs. 1 SDÜ.

Für nach Art. 1 Abs. 1 EG-VisaVO i. V. m. der gemeinsamen Liste in Anhang I visumpflichtige Drittstaatsangehörige, welche Inhaber bestimmter von der Schweiz ausgestellter Aufenthaltserlaubnisse sind, enthält die Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.06.2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen (ABl. L 167 v. 20.06.2006, 8), welche gestützt auf die Kompetenznorm des Art. 62 Nr. 2 a EGV ergangen ist, eine die generelle Visumpflicht partiell durchbrechende Regelung. Nach Art. 1 der Entscheidung Nr. 896/2006/EG wird eine vereinfachte Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen eingeführt, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten Aufenthaltserlaubnisse, die Staatsangehörigen von Drittländern, die nach der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 der Visumpflicht unterliegen, von der Schweiz oder von Liechtenstein ausgestellt worden sind, für die Zwecke der Durchreise einseitig als ihren einheitlichen oder nationalen Visa gleichwertig anerkennen. Art. 2 der Entscheidung sieht vor, dass die Schengen-Mitgliedstaaten die im Anhang aufgeführten Aufenthaltserlaubnisse, die von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellt worden sind, einseitig anerkennen. Hierzu zählt auch der schweizerische Ausländerausweis C, über welchen der Angeklagte bei seiner Einreise von der Schweiz in die Bundesrepublik und während des anschließenden, Besuchszwecken dienenden Aufenthalts im Bundesgebiet verfügte.

3. Ob sich ein von den Bestimmungen der Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006/EG begünstigter Drittstaatsangehöriger wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts strafbar macht, wenn er nicht zum Zwecke der Durchreise, sondern zur Verfolgung eines anderweitigen Aufenthaltszwecks von der Schweiz in die Bundesrepublik eingereist und sich im Bundesgebiet aufhält, hängt vor dem Hintergrund des vom Senat gebilligten formalen Verständnisses des Tatbestandsmerkmals des erforderlichen Aufenthaltstitels in den §§ 14 Abs. 1 Nr. 2, 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG maßgeblich von der Auslegung der in der Entscheidung Nr. 896/2006/EG vorgesehenen Ausnahmeregelung ab.

Ist die Regelung in Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006/EG dahin auszulegen, dass den im Anhang aufgeführten Aufenthaltserlaubnissen der Schweiz und von Liechtenstein kraft der einseitigen Anerkennung durch die Schengen-Mitgliedstaaten als gleichwertig zu ihren einheitlichen oder nationalen Visa unmittelbar die Wirkung eines die Durchreise durch den gemeinsamen Raum gestattenden Aufenthaltstitels zukommt, so verfügt der Begünstigte über einen erforderlichen Aufenthaltstitel i. S. der §§ 14 Abs. 1 Nr. 2, 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG mit der Folge, dass die Einreise von der Schweiz in die Bundesrepublik und der anschließende, die in Art. 3 Satz 1 der Entscheidung vorgesehene Höchstdauer von fünf Tagen nicht übersteigende Aufenthalt im Bundesgebiet unabhängig vom tatsächlich verfolgten Aufenthaltszweck nicht unerlaubt sind.

Ist die Regelung der Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006/EG dagegen so zu verstehen, dass Drittstaatsangehörige, welche Inhaber einer der im Anhang aufgeführten, von den Schengen-Mitgliedstaaten einseitig anerkannten Aufenthaltserlaubnissen der Schweiz und von Liechtenstein sind, für den Zweck der Durchreise durch den gemeinsamen Raum von der sich aus Art. 1 Abs. 1 EG-VisaVO ergebenden Visumpflicht freigestellt werden, erfüllt derjenige durch die Entscheidung Begünstigte, der nicht zur Durchreise, sondern zu anderen Zwecken ins Bundesgebiet eingereist und sich darin aufhält, zumindest den objektiven Tatbestand der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 und 2 AufenthG, weil die Voraussetzungen für die Befreiung von der Visumpflicht nicht vorliegen und er nicht über einen Aufenthaltstitel verfügt. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist es dem europäischen oder nationalen Normgeber im Rahmen der jeweiligen Rechtsetzungskompetenz unbenommen, die Befreiung von dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels von subjektiven Voraussetzungen, etwa von einem bestimmten, vom Drittstaatsangehörigen verfolgten Aufenthaltszweck abhängig zu machen (vgl. Funke-Kaiser GK-AufenthG § 6 Rdnr. 5, 6, § 14 Rdnr. 10; Westphal aaO § 14 AufenthG Rdnr. 42, 47; Renner aaO § 5 AufenthG Rdnr. 53, § 14 AufenthG Rdnr. 7; Schott NordÖR 2005, 507, 512 und Kriminalistik 2005, 554, 558; a. A. Hailbronner aaO § 14 AufenthG Rdnr. 15). Die unter der Geltung des Ausländergesetzes ergangene Rechtsprechung zu den aufenthaltsrechtlichen Folgen einer Erwerbstätigkeit von so genannten Positivstaatlern (vgl. BGH NStZ 2005, 407; OLG Brandenburg NStZ-RR 2004, 280; HansOLG Bremen StV 2002, 552; BayObLGSt 2002,80) knüpft an die auf ein objektives Kriterium abstellende Vorschrift des § 1 Satz 1 Nr. 2 DVAuslG an (vgl. Renner aaO § 5 AufenthG Rdnr. 52; zur Rechtslage nach § 17 AufenthV, Art. 4 Abs. 3 EG-VisaVO vgl. Funke-Kaiser GK-AufenthG § 14 Rdnr. 10 m. w. N; Schott aaO; 14.1.2.2.7.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum AufenthG) und ist auf eine mögliche durch die Entscheidung Nr. 896/2006/EG angeordnete partielle Freistellung von der Visumpflicht für den Fall einer beabsichtigten Durchreise nicht übertragbar.

Ende der Entscheidung

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