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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 24.07.2003
Aktenzeichen: 3 Ws 163/03
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 11 Abs. 2
StVollzG § 115 Abs. 5
1. Hängt die Entlassung eines Sicherungsverwahrten nur noch von der positiven Kriminalprognose des Richters im Rahmen der nach § 67 d Abs.3 StGB zu treffenden Entscheidung ab, so darf die Vollzugsbehörde nicht ohne zwingenden Grund die prognostische Basis der Richterentscheidung über die Fortdauer der Unterbringung schmälern, indem sie an die Gewährung der Vollzugslockerungen einen unverhältnismäßig strengen Maßstab anlegt.

2. Bei der Entscheidung über die Gewährung oder Versagung angestrebter Lockerungen eines Sicherungsverwahrten und der dabei vorzunehmenden Prüfung der Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG ist maßgeblicher Ansatzpunkt nicht die Frage, ob überhaupt in der Person des Verurteilten die erneute Gefahr der Begehung von - erheblichen - Straftaten droht, sondern ob zu befürchten ist, der Verurteilte werde gerade die Gewährung von Lockerungen zu Straftaten oder zur Flucht missbrauchen. Deshalb hat die Vollzugsbehörde auch zu erwägen, ob etwaigen Missbrauchsbefürchtungen durch gestufte Lockerungsgewährung wirksam begegnet werden könnte (Senat StV 2002, 34).


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

3 Ws 163/03

Strafvollzugssache

in der Justizvollzugsanstalt M.

hier: Rechtsbeschwerde nach § 116 StVollzG

Beschluss vom 24. Juli 2003

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Verurteilten werden der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - M. vom 09. Juli 2003 und die Verfügung des Leiters der Justizvollzugsanstalt M. vom 17. Februar 2003 aufgehoben.

2. Die Vollzugsbehörde wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

3. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

4. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen fallen zu 1/3 dem Antragsteller , zu 2/3 der Staatskasse zur Last. Im gleichen Umfang trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Antragstellers.

5. Der Geschäftswert wird auf 300,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der am 10.07.1940 geborene Verurteilte J. S. wurde mit Urteil des Landgerichts M. vom 14.03.1984 (4 KLs 25/83) wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten und in vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, hiervon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit homosexuellen Handlungen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Taten hatte er von Ostern 1982 bis März 1983 an seinen Kindern A., R. und B. (seinerzeit 8, 16, und 5 Jahre alt) begangen.

Zuvor war er bereits durch drei Urteile des Landgerichts M. vom 17.11.1975, 21.03.1978 und 20.12.1978 wegen einschlägiger, im Zeitraum von 1971 bis Mai 1977 begangener Taten zum Nachteil seiner Töchter M. (seinerzeit 6 - 7 Jahre alt), E. (seinerzeit 10 - 13 und 15 Jahre alt) und einer 11-jährigen Freundin seiner Tochter zu Freiheitsstrafen von insgesamt sechs Jahren verurteilt worden, die er nach Widerruf einer Reststrafenaussetzung am 24.02.1982 vollständig verbüßt hatte.

Die im Urteil des Landgerichts M. vom 14.03.1984 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren war am 12.06.1988 vollständig verbüßt. Seither wird gegen den Verurteilten die angeordnete Sicherungsverwahrung vollstreckt. Nachdem gemäß der ursprünglichen gesetzlichen Regelung in § 67 d Abs.1 S.1 StGB a. F. die Höchstfrist von 10 Jahren bei erstmaliger Anordnung von Sicherungsverwahrung am 02.07.1998 erreicht gewesen wäre, wurde der Verurteilte zur Vorbereitung seiner Entlassung ab dem 04.12.1995 in den offenen Vollzug verlegt. Am 25.06.1998 erfolgte seine Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug, weil die Vollzugsbehörde im Hinblick auf die gesetzliche Neuregelung zur Sicherungsverwahrung ohne zeitliche Begrenzung in § 67 d Abs.3 StGB n. F. , die nach Art.1 a Abs.3 EGStGB uneingeschränkt und damit auch auf sog. "Altfälle" Anwendung finden soll, nunmehr von Fluchtgefahr ausging. Eine gegen die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung erhobene Verfassungsbeschwerde des Verurteilten S. scheiterte aus formalen Gründen (vgl. BVerfG NStZ 1999, 156 und NStZ - RR 2000, 281). Zu irgendwelchen Beanstandungen des Vollzugsverhaltens des Verurteilten war es in der Zeit des offenen Vollzugs nicht gekommen.

Zahlreiche Anträge des Verurteilten, die angeordnete Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen bzw. nach § 67 d Abs.3 S.1 StGB für erledigt zu erklären, lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts M. auf der Grundlage zuvor eingeholter kriminalprognostischer Gutachten ab, da nach ihrer Würdigung weiterhin die Gefahr bestehe, dass der Verurteilte infolge seines pädophilen Hanges erhebliche Straftaten begehen werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Zuletzt erfolgte die Ablehnung mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts M. vom 28.01.2003 (StVK 557/02) auf der Grundlage eines fachpsychiatrischen und kriminalprognostischen Gutachtens des Dr. Sp. und des Facharztes für Psychiatrie S. vom Zentrum für Psychiatrie in W. vom 18.11.2002. Die Gutachter kamen aufgrund umfassender Aktenkenntnis und einer ausführlichen psychiatrischen Untersuchung des Verurteilten zu dem Schluss, dass angesichts der über viele Jahre stabilen und rigiden Abwehr des Probanden, sich auch nur ansatzweise mit seinem Fehlverhalten auseinander zu setzen, davon auszugehen sei, dass eine therapeutische Aufarbeitung seiner Verfehlungen auch künftig nicht möglich sein werde. Es bestehe im Gegenteil der Eindruck, dass sich die diesbezügliche Abwehr des Probanden im Laufe der Jahre insbesondere im Hinblick auf das subjektive Erleben ihm zugefügten Unrechts nach nunmehr 20-jähriger Inhaftierung noch erheblich verhärtet habe. Von einem Weiterbestehen der vom Verurteilten (sei es bewusst oder unbewusst) stets geleugneten pädophilen Neigungen müsse ausgegangen werden. Ein wirksamer Aufbau von inneren Hemmungen oder Schranken gegenüber möglichen Verführungs- und Versuchungssituationen erscheine angesichts der fehlenden Auseinandersetzung mit den Taten wenig wahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund könne trotz der Veränderung der zum Zeitpunkt der Straftaten vorherrschenden konstellativen Bedingungen (fehlender Kontakt zu den Angehörigen, Erwachsenwerden der Töchter), trotz der festen und wohl auch im Wesentlichen tragfähigen Beziehung zu der in M. lebenden Ehefrau (Heirat im Vollzug im Jahr 1995), trotz des beanstandungsfreien Vollzugsverlaufs während des zweieinhalbjährigen offenen Vollzugs und trotz eines altersbedingten Nachlassens des sexuellen Antriebs die bedingte Entlassung des Verurteilten aufgrund des fortbestehenden Hanges und der Gefahr weiterer erheblicher Straftaten aus forensisch-psychiatrischer Sicht nicht befürwortet werden. Insoweit hätten sich in der prognostischen Einschätzung seit der letzten Begutachtung durch Dr. med. Sch. vom 12.08.1998 keine wesentlichen neuen prognostisch günstigen Aspekte ergeben. Abschließend verwiesen die Gutachter darauf, dass aus ihrer Sicht unter Berücksichtigung der im Gutachten angeführten prognostisch mit Einschränkungen günstigen Faktoren (Alter der Kinder, Heirat und Alter des Verurteilten und Bewährung im offenen Vollzug von Dezember 1995 bis Juni 1998) und angesichts der insgesamt geringeren Impulsivität des Verurteilten S. die Gewährung weitergehender Lockerungen - bis hin zum offenen Vollzug - verantwortbar wäre (vgl. Gutachten S. 51).

Mit Verfügung vom 17.02.2003, dem Antragsteller am 19.02.2003 als Abdruck ausgehändigt, verweigerte der Leiter der Justizvollzugsanstalt M. dem am 29.01.2003 von der Vollzugsplankonferenz fortgeschriebenen Vollzugsplan insoweit seine Genehmigung, als er unter Nr. 7 die Verlegung des Sicherungsverwahrten S. in den offenen Vollzug, seine Einteilung zur Arbeit in der Landwirtschaft und die Ausführung mit der Ehefrau alle zwei Monate vorsah. Er begründete dies damit, dass angesichts des schon mehrfach, zuletzt im Gutachten des Zentrums für Psychiatrie in W. vom 18.11.2002 gutachterlich festgestellten fortbestehenden pädophilen Hanges des Verurteilten, der fehlenden Auseinandersetzung des Verurteilten mit den Taten und mangels eines wirksamen Aufbaus von inneren Hemmungen und Schranken nicht nur die bedingte Entlassung, sondern auch die Gewährung von Lockerungen unverantwortbar sei. Die Auffassung der Gutachter, dass ein "gelockertes oder offenes Regime" unter Berücksichtigung der mit Einschränkungen versehenen prognostisch günstigen Faktoren möglich sei, vermöge nicht zu überzeugen. Auch das beanstandungsfreie Vollzugsverhalten des Verurteilten während des zweieinhalbjährigen offenen Vollzugs lasse eine andere Einschätzung nicht zu, weil heute - anders als damals - der Zeitpunkt einer bedingten Entlassung nicht absehbar erscheine. Den gegen diese Verfügung gerichteten Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung verwarf das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - M. mit Beschluss vom 09.07.2003 als unbegründet unter Hinweis auf den Beurteilungsspielraum und die Einschätzungsprärogative der Vollzugsbehörde bei der Beurteilung der Flucht- und Missbrauchsgefahr gemäß § 11 Abs.2 StVollzG.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14.07.2003 hat der Verurteilte fristgerecht Rechtsbeschwerde gegen den ihm und seinem Verteidiger am 11.07.2003 zugestellten Beschluss des Landgerichts vom 09.07.2003 eingelegt und gestützt auf die Sachrüge beantragt, die angegriffene Entscheidung aufzuheben und die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, ihm die in der Vollzugsplanfortschreibung vom 29.01.2003 vorgesehenen Lockerungen zu gewähren.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, sie ist nach § 118 StVollzG form- und fristgerecht eingereicht und mit der Sachrüge, - die, wie aus dem Gesamtinhalt des Schriftsatzes vom 14.07.2003 ersichtlich, erhoben wurde - zulässig begründet. Gem. § 116 Abs. 1 StVollzG ist es geboten, die Nachprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.

2. Die Rechtsbeschwerde ist insoweit begründet, als der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 09.07.2003 sowie die Verfügung des Leiters der Justizvollzugsanstalt M. vom 17.02.2003 aufzuheben sind.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafvollstreckungskammer den Umfang ihrer gerichtlichen Prüfungspflicht (§ 115 Abs. 5 StVollzG entspr.) verkannt und - ebenso wie die Vollzugsbehörde - die Vorschrift des § 11 Abs. 2 StVollzG rechtsfehlerhaft angewendet hat.

a) Gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG dürfen Lockerungen des Strafvollzugs angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzugs zu Straftaten missbrauchen wird. Das Gesetz räumt der Vollzugsbehörde damit bei der Gewährung von Lockerungen ein Ermessen ein, macht seine Ausübung aber davon abhängig, dass der zwingende Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsgefahr fehlt. Hinsichtlich des Versagungsgrundes der Flucht- oder Missbrauchsgefahr ist den Strafvollzugsbehörden ein Beurteilungsspielraum eröffnet, in dessen Rahmen sie mehrere Entscheidungen treffen können, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (vgl. BGHSt 30, 320). Damit soll vor allem dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Vollzugsbehörden wegen ihrer Nähe zu den Gefangenen besser als die Gerichte in der Lage sind, diese Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände zu treffen. Das bedeutet bei einem Bescheid, mit dem die Vollzugsbehörde die Gewährung von Lockungen versagt hat, dass die Strafvollstreckungskammer nur zu prüfen hat, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (BGH a.a.O.; vgl. auch Senat ZfStrVo 1983, 181).

Der Zweck von Vollzugslockerungen im Sinne des § 11 StVollzG liegt vornehmlich in der Behandlung und Resozialisierung des Gefangenen (vgl. Callies / Müller - Dietz, StVollzG, 9. Aufl., § 11 Rn. 2). Aus dem Resozialisierungsgebot und dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit allen staatlichen Handelns folgt, dass das Interesse des Gefangenen, vor schädlichen Folgen aus der langjährigen Inhaftierung bewahrt zu werden, um so höheres Gewicht hat, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bzw. freiheitsentziehende Maßregel bereits andauert (BVerf NStZ - RR 1998, 121 m.w.N.).

Handelt es sich bei dem Gefangenen um einen Verurteilten, bei dem die Aussetzung der Vollstreckung des Restes etwa einer lebenslangen Strafe oder - wie vorliegend - der Maßregel der Sicherungsverwahrung nur noch von der positiven Kriminalprognose abhängt, dienen Lockerungen des Vollzugs dem weiteren Zweck, die den Vollstreckungsgerichten vorbehaltene Prognoseentscheidung, der Untergebrachte werde infolge seines Hanges keine erheblichen Straftaten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (§ 67 d Abs.3 StGB), vorzubereiten bzw. die Grundlage der prognostischen Beurteilung zu verbreitern (vgl. BVerfG NJW 1998, 1133). Die Vollzugsbehörde muss in diesen Fällen, in denen die Entlassung des Verurteilten nur noch von der positiven Kriminalprognose des Richters abhängt, beachten, dass sie den Gefangenen, soweit vertretbar, nicht nur auf eine Entlassung vorzubereiten, sondern ihm auch eine Bewährung im Rahmen von Vollzugslockerungen zu ermöglichen hat, damit dessen grundrechtlich garantierter Freiheitsanspruch durch den Richterentscheid zeitgerecht realisiert werden kann (BVerfG a.a.O.). Die Entscheidung, die die Vollzugsbehörde gemäß § 11 Abs.2 StVollzG zu treffen hat, darf deshalb nicht ohne zwingenden Grund die prognostische Basis der Richterentscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung bzw. Unterbringung schmälern, indem sie an die Gewährung der Vollzugslockerungen einen unverhältnismäßig strengen Maßstab anlegt. Die Totalversagung jeglicher Vollzugslockerungen, die geeignet sind, den vorgenannten Zwecken zu dienen, würde dem Verurteilten jede reale Entlassungschance nehmen. Sie kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn aufgrund konkreter Umstände zu befürchten ist, dass der Verurteilte bereits die begehrten Lockerungen nutzen wird, um neue und gewichtige Straftaten zu begehen (vgl. Senat StV 2002, 34; OLG Karlsruhe B. v. 10.07.2003 1 Ws 85/03).

Die mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung von Vollzugslockerungen befasste Strafvollstreckungskammer hat im Rahmen des § 115 Abs. 5 StVollzG daher auch zu überprüfen, ob die Vollzugsbehörde diese Bedeutung von Vollzugslockerungen für den grundrechtlich garantierten Freiheitsanspruch des Gefangenen und die daraus folgenden Beschränkungen ihres Beurteilungsspielraumes beachtet hat (BVerfG NStZ - RR 1998, 121).

b) Diesen Maßstäben genügen die angegriffenen Entscheidungen der JVA M. vom 17.02.2003 und des Landgerichts M. vom 09.07.2003 nicht. Sie waren daher aufzuheben.

Es ist zu besorgen, dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt M. bei seiner Entscheidung über die Versagung der in der Vollzugsplanfortschreibung vorgesehenen Lockerungen (Verlegung in den offenen Vollzug, Einteilung zur Arbeit in der Landwirtschaft und begleitete Ausgänge mit der Ehefrau alle 2 Monate) im Rahmen der von ihm zu treffenden Gefahrenprognose einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat. Denn bei der Prüfung der Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs.2 StVollzG ist maßgeblicher Ansatzpunkt nicht die Frage, ob überhaupt in der Person des Verurteilten die erneute Gefahr der Begehung von - erheblichen - Straftaten droht, sondern ob zu befürchten ist, der Verurteilte werde gerade die Gewährung von konkreten Lockerungen zu Straftaten oder zur Flucht missbrauchen (vgl. Senat StV 2002, 34). In diesem Sinne hatten auch sowohl der psychiatrische Sachverständige Dr. Sch. in seinem Gutachten vom 12.08.1998 (Gutachten Seite 60) als auch die Gutachter Dr. Sp. und S. in ihrem Gutachten vom 18.11.2002 (Gutachten S. 51) durchaus differenziert zwischen der Verantwortbarkeit einer bedingten Entlassung aus dem Maßregelvollzug einerseits und der Verantwortbarkeit der Lockerungsgewährung bis hin zur Verlegung in den offenen Vollzug andererseits. Letztere hatten sie unter Hinweis auf die oben dargestellten positiven Prognosefaktoren (geänderte familiäre Konstellation, Heirat, Alter) vor allem aber angesichts der Tatsache, dass der Verurteilte über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren ohne jede Beanstandung im offenen Vollzug war, bejaht. Diese gebotene Differenzierung zwischen der Gefahr erheblicher Straftaten in Freiheit nach Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung und der Gefahr erheblicher Straftaten im Rahmen von Vollzugslockerungen i.S.v. § 11 Abs.2 StVollzG lässt die Verfügung des Anstaltsleiters freilich vermissen, ohne zureichende, nachvollziehbare Gründe dafür zu bemerken. Auch die Frage, ob etwaigen Missbrauchsbefürchtungen durch die Gewährung von gestuften Lockerungen wirksam begegnet werden könnte, hat die Vollzugsbehörde infolge der Anlegung eines zu engen Gefahrenmaßstabs nicht geprüft und damit das ihr eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

Die Vollzugsbehörde hat zudem in dem angegriffenen Bescheid die besondere Bedeutung verkannt, die ihrer Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen im vorliegenden Fall für die prognostische Basis der Richterentscheidung über die bedingte Entlassung des Verurteilten zukommt. Obwohl die Strafvollstreckungskammer in ihrem letzten, die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung ablehnenden Beschluss vom 28.01.2003 ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Freiheitsanspruch des Verurteilten in Anbetracht der Dauer des erlittenen Freiheitsentzuges seine Erprobung im Rahmen von Vollzugslockerungen zur Erweiterung der prognostischen Basis gebiete, hat die Vollzugsbehörde diesen Belang in ihre Beurteilung nicht eingestellt.

Die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss vom 09.07.2003 lassen besorgen, dass das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - M. durch Hinnahme des in dem Bescheid der Justizvollzugsanstalt vom 17.02.2003 angewendeten rechtlichen Maßstab den Umfang der gerichtlichen Kontrolle von Prognoseentscheidungen im Rahmen des § 11 StVollzG verkannt hat.

c) Die Vollzugsbehörde muss daher über das Begehren des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu befinden (§ 115 Abs.4 S. 2 StVollzG). Eine Entscheidung des Senats über die dem Verurteilten zu gewährenden Lockerungen, etwa die von ihm mit der Rechtsbeschwerde begehrte Anordnung dahingehend, dass er binnen einer bestimmten Frist in den offenen Vollzug zu verlegen sei, kam hingegen nicht in Betracht. Denn insoweit war die Sache nicht spruchreif (§ 115 Abs.4 S. 1 StVollzG). Eine Ermessensreduktion auf Null dahingehend, dass nur noch die sofortige Verlegung des Verurteilten in den offenen Vollzug in Betracht kommt, lässt sich im vorliegenden Fall nicht feststellen. Vielmehr muss es der Entscheidung der Vollzugsbehörde überlassen bleiben, in welcher Form und in welchem zeitlichen Rahmen sie dem Verurteilten abgestufte Lockerungen zur Vorbereitung der Entscheidung über die Verlegung in den offenen Vollzug gewährt. Dabei hat sie jedoch die oben aufgeführten Aspekte, insbesondere den verfassungsrechtlich verbürgten Freiheitsanspruch des Verurteilten und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, im Blick zu halten.

3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 121 Abs.1 und 4 StVollzG i.V.m. § 473 Abs. 4 StPO und berücksichtigt den überwiegenden Erfolg des Rechtmittels. Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt derjenigen im ersten Rechtszug, gegen die Bedenken nicht bestehen.

Ende der Entscheidung

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