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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 13.02.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 199/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 266 Abs. 1
Der Abschluss eines Vergleichs (hier: zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den Erben eines Kassenarztes über die Rückforderung betrügerisch erlangter Honorarzahlungen) ist nur dann pflichtwidrig i. S. des § 266 Abs. 1 StGB, wenn der Handelnde die Grenzen überschreitet, welche durch die für ein ordnungsgemäßes Verwaltungshandeln geltenden Normen und sonstigen Grundsätze gezogen werden. Dies ist der Fall, wenn der Abschluss der Vergleichsvereinbarung in ihrer konkreten Ausgestaltung unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe bei der aus ex-ante-Sicht objektiv gegebenen Sachlage nicht mehr vertretbar war.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Strafsenat

3 Ws 199/04

Strafsache gegen

wegen Verdachts der Untreue u. a.

hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens

Beschluss vom 13. Februar 2006

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts M. vom 03. August 2004, soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Angeschuldigten Dr. X., Y. und Z. abgelehnt und die Anklagen der Staatsanwaltschaft M. vom 17. Dezember 2001 gegen die Angeschuldigten Y. und Z. sowie vom 30. Januar 2002 gegen den Angeschuldigten Dr. X. nicht zur Hauptverhandlung zugelassen worden sind, wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft M. erhebt mit ihren Anklagen vom 17.12.2001 und 30.01.2002 u. a. gegen die Angeschuldigten den Vorwurf der Untreue (Angeschuldigte Y. und Dr. X.) sowie der Beihilfe zur Untreue (Angeschuldigter Z.) im Zusammenhang mit dem Abschluss eines im November 1999 zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung N. und der Erbin des verstorbenen Arztes Dr. A. vereinbarten Vergleichs über die Rückzahlung an Dr. A. im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung geleisteter Honorare.

Nach der Schilderung in den Anklagesätzen hätten der Angeschuldigte Y. als Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung N. sowie der Abrechnungsstelle M. der Kassenärztlichen Vereinigung N. und der Angeschuldigte Dr. X. in seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender der Abrechnungsstelle M. der Kassenärztlichen Vereinigung N. - gemeinschaftlich handelnd - gegenüber der Erbin des am 27.05.1998 verstorbenen Dr. A., der zu Lebzeiten bei der Kassenärztlichen Vereinigung N. als Kassenarzt zugelassen gewesen sei und dessen Abrechnungen mindestens in den Quartalen I/95 bis II/98 als fehlerhaft erkannt worden seien, trotz eines von der früheren Mitangeschuldigten W. errechneten Rückforderungsanspruchs in Höhe von 6.618.413,- DM auf Grund eines am 10./19.11.1999 zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche abgeschlossenen Vergleichs lediglich 2 Millionen DM zurückgefordert. Die allein erbende Ehefrau des Dr. A. habe in der Zeit von November 1999 bis Oktober 2000 in vier Monatsraten insgesamt 1.451.116,20 DM an die Kassenärztliche Vereinigung N. gezahlt, in Höhe von 548.883,80 DM sei mit noch offenen Honoraransprüchen aufgerechnet worden. Zum Nachteil der übrigen in der Kassenärztlichen Vereinigung N. zusammengeschlossenen Ärzte hätten die Angeschuldigten Y. und Dr. X. somit auf einen Betrag von 4.618.413,- DM verzichtet, wodurch diesen ein Schaden in der genannten Höhe entstanden sei. Der Angeschuldigte Z. habe als Geschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung N. - Abrechnungsstelle M. - die Tat der Angeschuldigten Y. und Dr. X. gefördert, indem er in Kenntnis dessen, dass der Kassenärztlichen Vereinigung N. tatsächlich ein Rückforderungsanspruch in Höhe von 6.618.413,- DM zugestanden habe, mit der Alleinerbin des Dr. A., vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten Dr. S., den später abgeschlossenen Vergleich ausgehandelt habe.

Mit Beschluss vom 03.08.2004 hat das Landgericht M. die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Angeschuldigten aus tatsächlichen Gründen abgelehnt, weil nach Auffassung der Wirtschaftsstrafkammer der hinreichende Tatverdacht einer Untreuehandlung bzw. der Beihilfe hierzu nach Aktenlage nicht bestehe. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde. Soweit sich das Rechtsmittel ursprünglich auch gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens gegen die Mitangeschuldigte W. richtete, hat die Staatsanwaltschaft die sofortige Beschwerde zurückgenommen.

Das zulässige Rechtsmittel (§ 210 Abs. 2 StPO) bleibt in der Sache ohne Erfolg.

II.

Das Landgericht M. hat die Eröffnung des Hauptverfahrens zu Recht abgelehnt, weil ein hinreichender Tatverdacht im Sinne des Anklagevorwurfs nicht gegeben ist.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens setzt voraus, dass der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (§ 203 StPO). Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn die nach Maßgabe des Akteninhalts vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist (BGHSt 23, 304, 306; Senat wistra 2005, 72; B. v. 01.08.2005 - 3 Ws 285/04). Die Wahrscheinlichkeit muss so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind (Tolksdorf in KK-StPO 5. Aufl. § 203 Rdnr. 4). Zweifelhafte Tatfragen stehen der Eröffnung nicht entgegen, wenn in der Hauptverhandlung durch die Bewertung der Einlassung des Angeschuldigten, widersprechender Zeugenaussagen oder einzuholender Gutachten eine Klärung zu erwarten ist, die wahrscheinlich zu einer die Verurteilung tragenden Grundlage führen wird. Das Gericht ist dabei gehalten, die Beurteilung einerseits in Erfüllung seiner umfassenden Kognitionspflicht auf Grund des gesamten Ermittlungsergebnisses vorzunehmen, andererseits aber auch die besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung in Rechnung zu stellen. Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes erscheint eine Verurteilung der Angeschuldigten Y. und Dr. X. wegen Untreue und des Angeschuldigten Z. wegen Beihilfe zu Untreue nicht wahrscheinlich, weil ein pflichtwidriges Handeln im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB beim Abschluss des Vergleichs vom 10./19.11.1999 nach dem Ergebnis der Ermittlungen mit hinreichender Sicherheit nicht nachgewiesen werden kann.

1. Der Abschluss eines Vergleichs über vermögenswerte Ansprüche, durch den eine in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird, stellt ein risikobehaftetes Verwaltungshandeln dar, weil sich die notwendigerweise auf unvollkommener Informationsgrundlage vorgenommene Einschätzung von Art und Ausmaß der Ungewissheit einer sicheren Beurteilung entzieht und sich daher die Annahme der Ungewissheit selbst, als auch die für das Maß des Nachgebens bestimmend gewesene Bewertung nachträglich als unzutreffend erweisen können. Da nicht jede nachteilige Geschäftsbesorgung pönalisiert werden darf, ist der Abschluss eines Vergleichs nur dann pflichtwidrig im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB, wenn der Handelnde die Grenzen überschreitet, welche durch die für ein ordnungsgemäßes Verwaltungshandeln geltenden Normen und sonstigen Grundsätze gezogen werden (vgl. BGH StV 2004, 424; allg. zum Risikogeschäft Hillenkamp NStZ 1981, 161; Rose wistra 2005, 281; Schmid in Müller-Gugenberger/Bieneck Wirtschaftsstrafrecht 3. Aufl. § 31 Rdnr. 115 ff). Dies ist der Fall, wenn der Abschluss der Vergleichsvereinbarung in ihrer konkreten Ausgestaltung unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe bei der aus ex-ante-Sicht objektiv gegebenen Sachlage nicht mehr vertretbar war (vgl. Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 266 Rdnr. 44; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 266 Rdnr. 20). Diese Voraussetzung ist nach dem Ergebnis der kriminalpolizeilichen Ermittlungen indes nicht erfüllt.

2. Honorarbescheide im Vertragsarztrecht ergehen nach den bundesmantelvertraglichen Bestimmungen - ungeachtet ihres Charakters als Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X - als vorläufige Regelungen unter dem Vorbehalt späterer Überprüfung auf ihre Rechtmäßigkeit (vgl. BSGE 89, 90; 74, 44). Die Kassenärztlichen Vereinigungen, denen gem. § 85 Abs. 4 SGB V die Verteilung der von den Krankenkassen entrichteten Gesamtvergütungen an die Vertragsärzte obliegt, sind daher im Rahmen der ihnen kompetenzmäßig zugewiesenen sachlich-rechnerischen Prüfung von Honoraranforderungen und -bescheiden befugt, innerhalb einer Frist von vier Jahren seit Ergehen des Quartalsabrechnungsbescheids unrichtige Honorarbescheide zu berichtigen und zu Unrecht geleistete Honorarzahlungen durch Erstattungsbescheid zurückzufordern (vgl. BSG aaO; auch BSGE 89, 62). Ein Berichtigungs- und Rückforderungsbescheid kann nach dem Tod des Vertragsarztes, der die Honorarzahlungen erhalten hat, auch gegenüber dessen Erben ergehen (vgl. BSG Breithaupt 1989, 414; VGH Baden-Württemberg VBlBW 1990, 467; Rüfner in Wannagat Sozialgesetzbuch § 50 SGB X Rdnr. 17; Schroeder-Printzen SGB X 3. Aufl. § 50 Rdnr. 6; Kopp/Ramsauer VwVfG 8. Aufl. § 49 a Rdnr. 10; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG 6. Aufl. § 49 a Rdnr. 31). Die den Kassenärztlichen Vereinigungen nach den Bestimmungen der Bundesmantelverträge obliegende sachlich-rechnerische Prüfung erstreckt sich in Abgrenzung zu der durch § 106 Abs. 5 SGB V ausschließlich den Prüfgremien zugewiesenen Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht nur auf die Einhaltung des Regelwerks der Gebührenordnungen, sondern auch auf die Frage, ob abgerechnete Leistungen nicht oder erkennbar ohne jeden Nutzen erbracht worden sind (vgl. BSG MedR 1997, 187; 2003, 591; Breithaupt 1999, 659). Lediglich in betrügerischer Absicht erbrachte, medizinisch nicht indizierte Leistungen dürfen mithin von den Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen der sachlich-rechnerischen Prüfung von der Honorierung ausgenommen werden. Unter den Voraussetzungen der §§ 53 Abs. 1 Satz 2, 54 Abs. 1 SGB X (vgl. Thieme in Wannagat aaO § 54 SGB V Rdnr. 5 ff) können die Kassenärztlichen Vereinigungen schließlich an Stelle des Erlasses von Berichtigungs- und Rückforderungsbescheiden auch öffentlich-rechtliche Vergleichsverträge über die Honorarrückzahlung schließen.

3. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen war zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung vom 10./19.11.1999 eine in tatsächlicher Hinsicht bestehende, durch Ermittlungen der Kassenärztlichen Vereinigung N. - Abrechnungsstelle M. - nicht ohne weiteres zu beseitigende Ungewissheit im Sinne des § 54 Abs. 1 SGB X insoweit gegeben, als der Umfang der von Dr. A. im Bereich Speziallabor betrügerisch abgerechneten, medizinisch nicht indizierten Leistungen nicht feststand. Die Kassenärztliche Vereinigung war daher grundsätzlich befugt, die Honorarrückforderung durch einen mit der Erbin des Dr. A. zu schließenden Vergleich zu regeln. Ausgehend von der objektiven Sachlage, wie sie sich ausweislich der im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses darstellte, erscheint auch der vereinbarte Rückzahlungsbetrag von 2 Millionen DM abzüglich bereits vorgenommener Honorarkürzungen für die Quartale I/96 bis I/98 auf Grund anderweitiger sachlich-rechnerischer Berichtigungen von insgesamt 307.073,- DM jedenfalls als vertretbar.

Auf Grund der durchgeführten Ermittlungen ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Dr. A. im Bereich Speziallabor sowohl im kollusiven Zusammenwirken mit der Frauenärztin Dr. B. bei von Dr. B. erteilten Überweisungsaufträgen, als auch bei eigenen Patienten in zahlreichen Fällen medizinisch nicht indizierte Laboruntersuchungen durchgeführte, um diese gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung betrügerisch abzurechnen. Dies war den Verantwortlichen der Kassenärztlichen Vereinigung N. - Abrechnungsstelle M. - im Vorfeld des Vergleichsschlusses bekannt. Welchen Anteil die betrügerisch abgerechneten Leistungen an dem Gesamtvolumen der für den Bereich Speziallabor des Dr. A. erbrachten Honorarzahlungen ausmachten, stand zum damaligen Zeitpunkt nicht fest und ist bis heute nicht verlässlich ermittelt.

a) In einem vom Zeugen H., dem damaligen Leiter der Rechtsabteilung, verfassten Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung N. - Abrechnungsstelle M. - vom 16.12.1998, in welchem gegenüber Dr. S., dem Prozessbevollmächtigten der Erbin Dr. A.s, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen angekündigt wurde, bezifferte die Kassenärztliche Vereinigung allerdings die Höhe des aus den Falschabrechnungen resultierenden Ersatzanspruches für die Jahre 1996 bis 1998 auf ca. 6.618.413,- DM. Diese Bezifferung gründet auf einer in der Akte befindlichen handschriftlichen Aufstellung, welche von der früheren Mitangeschuldigten W. angefertigt wurde. Diese Aufstellung stellt jedoch keine Berechnung der Höhe des Rückforderungsanspruchs gegen die Erbin des Dr. A. dar. Gegenstand des Rechenwerks ist vielmehr eine Zusammenstellung der in den Quartalen I/95 bis II/98 von Dr. A. für den Bereich Speziallabor insgesamt gestellten Honoraranforderungen und der sich für die jeweiligen Quartale unter Berücksichtigung eines Auszahlungspunktwertes von 0,06 DM ergebenden Honorarauszahlungen. Dieser Bedeutungsgehalt ergibt sich zum Einen daraus, dass die in der Aufstellung unter der Bezeichnung "Speziallabor Summe" quartalsweise angegebenen Beträge von geringen Abweichungen abgesehen mit den Beträgen übereinstimmen, die handschriftlich als jeweils auf den Bereich Speziallabor O III entfallende Anteile der Honoraranforderungen auf Anzahlstatistiken vermerkt sind, welche per Telefax im Juni 1998 von der Kassenärztlichen Vereinigung an die Familie A. übermittelt wurden. Zum Anderen decken sich die Beträge im Wesentlichen mit den Angaben zu den Gesamthonoraranforderungen im Bereich Speziallabor für die Quartale I/96 bis II/98, welche in einer Aufstellung enthalten sind, die von der Kassenärztlichen Vereinigung am 01.03.1999 im Strafverfahren gegen Dr. B. an die Staatsanwaltschaft übersandt wurde. Ausweislich eines Bearbeitungsvermerks vom 15.03.1999 ging die Staatsanwaltschaft in dem damaligen Verfahren selbst davon aus, dass die am 01.03.1999 übersandte Aufstellung auch die nicht zu beanstandenden Laboruntersuchungen mit umfasst. Bei dem Betrag von 6.618.413,- DM handelt es sich somit lediglich um die unter Annahme eines einheitlichen Auszahlungspunktwertes von 0,06 DM ermittelte Summe der im Zeitraum vom 1. Quartal 1995 bis zum 2. Quartal 1998 für den Bereich Speziallabor insgesamt ausgezahlten Honorare. Die Annahme der Staatsanwaltschaft, die frühere Mitangeschuldigte W. habe einen Rückzahlungsanspruch in der genannten Höhe errechnet, entbehrt einer tatsächlichen Grundlage.

b) Eine nähere Quantifizierung des Anteils betrügerisch abgerechneter Laborleistungen war auf der Grundlage der bis zum Abschluss des Vergleichs vorliegenden gutachterlichen Äußerungen zu den Honoraranforderungen Dr. A. nicht möglich.

Der als beratender Arzt bei der Kassenärztlichen Vereinigung W. tätige Dr. Se., der im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung N. eine stichprobenhafte Durchsicht der Abrechnungsscheine aus dem Quartal IV/96 vornahm, beschränkte sich darauf, die Einhaltung des Regelwerks der Gebührenordnungen zu prüfen. Seine im Schreiben vom 18.09.1997 insoweit näher dargelegten Beanstandungen führten zu einer sachlich-rechnerischen Berichtigung des Honorarbescheides für das Quartal IV/96, welche die Kassenärztliche Vereinigung N. - Abrechnungsstelle M. - mit Bescheid vom 02.04.1998 verfügte. Des weiteren fielen dem Sachverständigen die Überweisungsaufträge der Frau Dr. B. auf, die in weit größerem Umfange als ihre Fachkollegen Hormonbestimmungen und Untersuchungen auf Tumormarker veranlasst hatte. Mit der Frage, in welchem Umfang medizinisch offensichtlich nicht indizierte Laborleistungen zur Abrechnung kamen, befasste sich der Sachverständige Dr. Se. nicht. Die Ausführungen des Dr. T. in seinem Schreiben vom 13.11.1998 beziehen sich ausschließlich auf die mit Bescheid der Kassenärztlichen Vereinigung N. - Abrechnungsstelle M. - vom 02.04.1998 vorgenommenen sachlich-rechnerischen Berichtigungen und bestätigen deren Rechtmäßigkeit. Ein weiterer Aussagegehalt kommt dieser Stellungnahme nicht zu. Das Schreiben des Laborarztes Dr. Gr. vom 22.11.1998 enthält eine Auflistung zahlreicher bei der Überprüfung der Abrechnungen der Quartale I/96 bis III/96, I/97, II/97, IV/97 und I/98 aufgefallener Ungereimtheiten, ohne dass den Darlegungen nähere Anhaltspunkte für eine mengenmäßige Eingrenzung der medizinisch nicht indizierten Laborleistungen entnommen werden können. Der durch Dr. S. beauftragte Sachverständige Prof. Dr. H. gelangte ausweislich seines Schreibens vom 22.02.1999 auf Grund einer Durchsicht von Abrechnungsunterlagen aus dem Quartal IV/96 schließlich zu dem Ergebnis, dass die Laboranforderungen von Frau Dr. B. "sich sicher außerhalb des medizinisch Vernünftigen" bewegten und im Eigenlabor "das Gebot der Wirtschaftlichkeit sehr häufig nicht eingehalten" worden sei. In welchem Umfang medizinisch offensichtlich nutzlose Laboruntersuchungen erbracht und abgerechnet wurden, bleibt indes auch bei den Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. H. offen.

c) Mangels konkreter Anhaltspunkte für eine Quantifizierung der betrügerisch abgerechneten Laborleistungen beruhen die aus der Akte ersichtlichen Versuche, den Schadensumfang abzuschätzen, allesamt auf ungesicherten Annahmen zum Umfang der berechtigten bzw. in Betrugsabsicht erbrachten Leistungen.

So beziffert eine in einer undatierten Aktennotiz der Kassenärztlichen Vereinigung N. - Abrechnungsstelle M. - niedergelegte Schadensschätzung den durch die Überweisungsaufträge von Dr. B. in den Quartalen IV/96 bis I/98 entstandenen Schaden unter Zugrundelegung einer Quote von 20% berechtigter Leistungen auf ca. 2,3 Millionen DM. Die Berechnung ist allerdings fehlerhaft, weil der für alle Quartale einheitlich angenommene Fallwert von 968,- DM die Werte nicht unerheblich übersteigt, welche in der am 01.03.1999 im Strafverfahren Dr. B. übersandten Aufstellung für die jeweiligen Quartale ausgewiesen sind. Eine andere Berechnung, welche nach den Angaben des Zeugen Bo. im Juli 2000 - nach dem Vergleichsschluss - von der Abrechnungsstelle M. an die Landesstelle der Kassenärztlichen Vereinigung N. übermittelt wurde, basiert auf der Annahme eines Anteils berechtigter Leistungen von 25% und gelangt unter Berücksichtigung eines einheitlichen Auszahlungspunktwertes von 0,06 DM zu einer Gesamtschadenssumme für die Quartale I/96 bis I/98 von ungefähr 3,97 Millionen DM.

Im Strafverfahren gegen Dr. B. wurde der durch deren Überweisungsaufträge verursachte Betrugsschaden unter der Prämisse geschätzt, dass die Honoraranforderungen in den Überweisungsfällen bis zu einem Fallwert in Höhe des Vierfachen des mit 100,-DM angenommenen durchschnittlichen Fallwertes der Überweisungsaufträge der sonstigen Frauenärzte als berechtigt anzusehen seien. Nach diesem Schätzmodell, das von der Staatsanwaltschaft ihrem Strafbefehlsantrag zugrunde gelegt und der Kassenärztlichen Vereinigung N. - Abrechnungsstelle M. - im August 1999 zur Kenntnis gebracht wurde, belaufen sich die auf die Überweisungsaufträge von Dr. B. entfallenden unberechtigten Honoraranforderungen im Zeitraum vom 4. Quartal 1996 bis zum 1. Quartal 1998 auf insgesamt etwa 2,02 Millionen DM. Dem korrespondiert unter Berücksichtigung eines einheitlichen Auszahlungspunktwertes von 0,06 DM ein Honorarauszahlungsbetrag für den genannten Zeitraum in Höhe von ca. 1,21 Millionen DM. Geht man von der im Strafverfahren gegen Dr. B. zur Anwendung gelangten Schätzprämisse sowie den Beträgen und Fallzahlen aus, welche in der am 01.03.1999 übersandten Aufstellung der Kassenärztlichen Vereinigung für die Quartale I/96 bis I/98 aufgeführt sind, so ergibt sich nach einer vom Senat vorgenommenen Berechnung für die im Zeitraum vom 1. Quartal 1996 bis zum 1. Quartal 1998 betrügerisch abgerechneten Auftrags- und Eigenlaborleistungen unter Berücksichtigung eines einheitlichen Auszahlungspunktwertes von 0,06 DM ein Gesamtschaden von ca. 1,55 Millionen DM.

In dem Gutachten der Sachverständigen Dr. Ha. und Dr. E. vom 12./19.7.2005, welches von der Staatsanwaltschaft in dem gegen die frühere Mitangeschuldigte W. vor dem Landgericht M. anhängigen Strafverfahren in Auftrag gegeben wurde, schlagen die Gutachter schließlich vor, den nicht zu beanstandenden Anteil der Honoraranforderungen - in Anlehnung an die Bestimmung des offensichtlichen Missverhältnisses bei der statistischen Vergleichsprüfung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung (vgl. Krauskopf in Laufs/Uhlenbruck Handbuch des Arztrechts 3. Aufl. § 34 Rdnr. 18 ff) - in Höhe des Anderthalbfachen des Fallwerts der für die sonstigen Frauenärzte erbrachten Auftragsleistungen anzusetzen. Unter dieser Prämisse ergeben sich für das Eigenlabor Dr. A.s im Zeitraum vom 1. Quartal 1996 bis zum 1. Quartal 1998 unberechtigte Honoraranforderungen in Höhe von ca. 2,32 Millionen DM - die zu einem anderen Ergebnis führende Berechnung der Gutachter ist insoweit unrichtig, da die Fallwertdifferenzen falsch ermittelt wurden - und unter Berücksichtigung eines einheitlichen Auszahlungspunktwertes von 0,06 DM unberechtigte Honorarauszahlungen von insgesamt etwa 1,39 Millionen DM. Der Gesamtschaden, der in den Quartalen I/96 bis I/98 durch die im kollusiven Zusammenwirken mit Dr. B., als auch im Eigenlabor betrügerisch abgerechneten Leistungen entstanden ist, beläuft sich nach diesem Schätzmodell auf ungefähr 3,78 Millionen DM.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses keine verifizierten Erkenntnisse über den Umfang der in betrügerischer Absicht erbrachten Laborleistungen vorlagen. Bei dieser Sachlage war die Entscheidung der Verantwortlichen der Kassenärztlichen Vereinigung N. - Abrechnungsstelle M. -, die von der Familie A. angebotene Vergleichssumme zu akzeptieren, jedenfalls vertretbar. Zu einer höheren Rückzahlung war die erbende Witwe Dr. A.s nach den übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen N. A. und Dr. S. im Zuge eines Vergleichs nicht bereit. Für die getroffene Vergleichsvereinbarung sprach zum damaligen Zeitpunkt, dass die Aufklärung des konkreten Schadensumfangs mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre, weil die Anwendbarkeit der im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V anerkannten statistischen Vergleichsprüfung im konkreten Fall wegen der besonderen Ausrichtung der Praxis Dr. A.s zweifelhaft war und eine Einzelfallprüfung der Laboruntersuchungen selbst bei einzelnen Quartalen einen enormen, auch von der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Strafverfahrens gescheuten Aufwand erfordert hätte. Ferner hätte die Geltendmachung eines höheren Rückzahlungsanspruchs im Wege des Erlasses von Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheiden mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem langjährigen Rechtsstreit geführt. Da wegen des Ausscheidens des verstorbenen Dr. A. aus der vertragsärztlichen Versorgung keine Möglichkeit mehr bestand, Erstattungsforderungen mit laufenden Honoraransprüchen zu verrechnen, stellte sich schließlich auch die Frage der wirtschaftlichen Realisierung eines erst nach längerer Zeitdauer rechtlich durchgesetzten Rückzahlungsanspruches.

Nach alledem ist auf der Grundlage des aus den Verfahrensakten ersichtlichen Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht davon auszugehen, dass den Angeschuldigten Y. und Dr. X. im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vergleichs vom 10./19.11.1999 ein pflichtwidriges Handeln im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB zur Last gelegt werden kann. Hinreichender Tatverdacht besteht daher weder hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue gegen die Angeschuldigten Y. und Dr. X., noch bezüglich des gegen den Angeschuldigten Z. erhobenen Vorwurfs der Beihilfe zur Untreue.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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