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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 30.07.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 299/08
Rechtsgebiete: StPO, UStG


Vorschriften:

StPO § 116
StPO § 121
StPO § 121 Abs. 1
StPO § 122
StPO § 122 Abs. 3 Satz 3
StPO § 126 Abs. 2 Satz 1
StPO § 201 Abs. 1
UStG § 4 Nr. 1 b
UStG § 6 a Abs. 1 Satz 1
UStG § 6 a Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Strafsenat

3 Ws 299/08 3 Ws 300/08

Strafsache wegen Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung

hier: besondere Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO

Beschluss vom 30. Juli 2008

Tenor:

Die Untersuchungshaft des Angeschuldigten hat fortzudauern.

Die weitere Haftprüfung wird für die Dauer von drei Monaten dem Landgericht übertragen.

Die Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Haftbefehl des Landgerichts vom 04. Juli 2008 ist erledigt.

Gründe:

Der Angeschuldigte befindet sich seit seiner Festnahme am 30.01.2008 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Haftgrundlage ist derzeit der Haftbefehl des Landgerichts vom 04.07.2008, welcher an die Stelle des am 04.07.2008 aufgehobenen ursprünglichen Haftbefehls des Amtsgerichts vom 28.01.2008 getreten ist. Das nach Anklageerhebung mit der Sache befasste Landgericht hält ausweislich seines Beschlusses vom 10.07.2008 die weitere Untersuchungshaft für erforderlich. Die Generalstaatsanwaltschaft trägt auf die Anordnung der Haftfortdauer an. Der Angeschuldigte und sein Verteidiger hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die nach § 121 Abs. 1 StPO gebotene besondere Haftprüfung durch den Senat führt zur Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft.

Dringender Tatverdacht hinsichtlich der Tatvorwürfe, welche dem Angeschuldigten in dem Haftbefehl vom 04.07.2008 zur Last gelegt werden, besteht nach Maßgabe der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 20.06.2008 aufgrund der dort angegebenen Beweismittel, deren vorläufiger Bewertung im "Wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen" der Senat beitritt. Entgegen der Auffassung der Verteidigung hatten die unrichtigen Jahressteuererklärungen jeweils eine Verkürzung der Umsatzsteuer zur Folge, da die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach §§ 4 Nr. 1 b, 6 a Abs. 1 Satz 1 UStG für innergemeinschaftliche Lieferungen nicht vorlagen. In Fällen, in denen der Unternehmer mittels ausgestellter Scheinrechnungen und deren Aufnahme in die Buchhaltung die Identität der Lieferungsempfänger planmäßig verschleiert, um eine Erwerbsbesteuerung im Mitgliedstaat der Beendigung der innergemeinschaftlichen Lieferung zu vereiteln, steht der fehlende Nachweis nach § 6 a Abs. 3 UStG der Steuerbefreiung nach §§ 4 Nr. 1 b, 6 a Abs. 1 Satz 1 UStG entgegen (vgl. BGH wistra 2005, 308). An dieser Rechtsansicht hält der Senat auch mit Blick auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Qualifizierung der Nachweispflicht des § 6 a Abs. 3 UStG (vgl. BFH BB 2008, 594; DB 2008, 852) fest. Der Bundesfinanzhof hat zwar seine frühere Auffassung, wonach die Erfüllung der Nachweispflichten des § 6 a Abs. 3 UStG materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen war, ausdrücklich aufgegeben. Dessen ungeachtet bleibt der Unternehmer zum Nachweis der Voraussetzungen der Steuerbefreiung verpflichtet mit der Folge, dass bei Nichterfüllung der Nachweispflichten grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht vorliegen. Etwas anderes gilt nach der Auffassung des Bundesfinanzhofs ausnahmsweise nur dann, wenn auf Grund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Tatbestandsmerkmale der Steuerbefreiung erfüllt sind (vgl. BFH aaO). Diese Ausnahme findet indes keine Anwendung, wenn - wie im vorliegenden Fall - durch Manipulationen der beleg- und buchmäßigen Nachweise planmäßig die Erwerbsbesteuerung im Mitgliedstaat der Beendigung der innergemeinschaftlichen Lieferung vereitelt werden soll. Denn darin liegt ein gezielter Missbrauch gemeinschaftsrechtlicher Regeln, welcher nach den Vorbehalten in der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Bundesfinanzhofs - anders als bei steuerehrlichem Verhalten - die Versagung der Steuerbefreiung rechtfertigt (vgl. EUGH Slg 2007 I, 7861 - Collée Rdnr. 38 f; Slg 2007 I, 7797 - Teleos Rdnr. 65 f; BFH BB 2008, 594, 597).

Als Haftgrund besteht jedenfalls Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Im Falle einer Verurteilung wegen der ihm im Haftbefehl angelasteten Tatvorwürfen hat der Angeschuldigte mit einer hohen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem aus dieser Straferwartung resultierenden natürlichen Fluchtanreiz stehen Umstände von fluchthinderndem Gewicht nicht ausreichend entgegen. Der Angeschuldigte, der die portugiesische Staatsangehörigkeit besitzt, unterhält Verbindungen nach Portugal und in die Schweiz sowie nach Brasilien, wohin er nach den Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden Geld zum Erwerb von Grundeigentum transferierte. Im Inland verfügt der Angeschuldigte infolge der Insolvenz seiner Unternehmen und der zu erwartenden Steuerforderungen über keine wirtschaftliche Perspektive. Ohne den Vollzug der Untersuchungshaft steht daher zu befürchten, dass sich der Angeschuldigte dem Verfahren durch Flucht oder Untertauchen entziehen wird. Die familiären Beziehungen erscheinen demgegenüber nicht geeignet, den Fluchtanreiz in hinreichendem Maße herabzusetzen.

Ob darüber hinaus auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) vorliegt, kann dahingestellt bleiben.

Minder schwere Maßnahmen nach § 116 StPO stehen derzeit nicht zu Gebote.

Die besonderen Haftvoraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO liegen ebenfalls vor. Die zur Aufklärung der Tatvorwürfe erforderlichen Ermittlungen, die sich wegen der Vielzahl der Lieferungen aufwändig gestalteten, wurden - wie der Senat im Einzelnen geprüft hat - mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt. Zeit in Anspruch nahm insbesondere die Auswertung der in den Unternehmen des Angeschuldigten umfangreich sichergestellten Geschäftsunterlagen. Des weiteren wurde die gesondert verfolgte Büroangestellte X. bis Ende April 2008 wiederholt zum Sachverhalt vernommen. Der die Ermittlungsergebnisse zusammenfassende Teilbericht der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts datiert vom 17.06.2008. Die Staatsanwaltschaft schloss mit Verfügung vom 20.06.2008 die Ermittlungen ab und erhob am 23.06.2008 Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts. Die Strafkammervorsitzende veranlasste am 23.06.2008 die Zustellung der Anklageschrift und räumte dem Angeschuldigten eine Erklärungsfrist nach § 201 Abs. 1 StPO von vier Wochen ein. Am 04.07.2008 führte die Wirtschaftsstrafkammer eine mündliche Haftprüfung durch und erließ den neuen dem Anklagevorwurf angepassten Haftbefehl. Nach der Entscheidung über die Haftfortdauer mit Beschluss vom 10.07.2008 wurden die Verfahrensakten dem Senat zur besonderen Haftprüfung vorgelegt. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung konnte wegen der noch laufenden Erklärungsfrist bislang nicht entschieden werden. Nach der dem Verteidiger telefonisch mitgeteilten vorläufigen Terminsplanung ist im Falle einer Eröffnung des Hauptverfahrens die Durchführung der Hauptverhandlung an insgesamt sieben Terminstagen, beginnend am 09.09.2008, vorgesehen. Ein früherer Hauptverhandlungstermin war ausweislich des Vermerks des stellvertretenden Vorsitzenden vom 07.07.2008 wegen der urlaubsbedingten Verhinderung zweier Strafkammermitglieder nicht möglich.

Dies sind Gründe im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO, welche ein Urteil bislang nicht zugelassen haben und die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus rechtfertigen. Es ist davon auszugehen, dass im Anschluss an die besondere Haftprüfung durch den Senat alsbald über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und gegebenenfalls Termin zur Hauptverhandlung entsprechend der vorliegenden Terminsplanung bestimmt werden wird.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist durch die seit 30.01.2008 andauernde Untersuchungshaft nicht verletzt.

Die Übertragung der weiteren Haftprüfung beruht auf den §§ 122 Abs. 3 Satz 3, 126 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Durch die Haftfortdauerentscheidung des Senats hat die am 10.07.2008 erhobene Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Haftbefehl des Landgerichts vom 04.07.2008 ihre Erledigung gefunden (vgl. Senat B. v. 20.11.2007 - 3 Ws 450 u. 451/07 [3 HEs 85 u. 86/07]; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 122 Rdnr. 18).

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