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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 21.12.2000
Aktenzeichen: 4 U 99/00
Rechtsgebiete: UWG, ZPO


Vorschriften:

UWG § 1
ZPO § 713
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
4 U 99/00

Leitsatz

Telefonwerbung und Europarecht sowie Irrtumsfragen.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 4. Zivilsenat in Freiburg

Im Namen des Volkes Urteil

4 U 99/00 3 HO 30/00

Verkündet am 21.12.00

Gall, JOS als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

Vertreten durch den Vorstand,

- Beklagte, Berufungsklägerin -

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

GmbH,

vertreten durch den Geschäftsführer

- Beklagte, Berufungsklägerin -

Prozeßbevollmächtigte:

wegen Unterlassung

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 4. Zivilsenat in Freiburg - auf die mündliche Verhandlung vom 14.12.00 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

Richter am Oberlandesgericht

Richter am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Konstanz, 3. KfH in Villingen-Schwennigen, vom 06.07.2000 - 3 HO 30/00 - wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Beschwer der Beklagten übersteigt nicht den Betrag von DM 60.000,00.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sachlich aber nicht begründet. Das Landgericht hat der Beklagten zu Recht mit dem angefochtenen Urteil unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, "im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Privatpersonen unter deren privaten Telefonanschlüssen anzurufen oder anrufen zu lassen, um Geschäftsabschlüsse anzubahnen, es sei denn, daß der Angerufene zuvor ausdrücklich oder, stillschweigend sein Einverständnis erklärt hat, zu Werbezwecken angerufen zu werden."

Die Beklagte bestreitet in der Berufungsinstanz nicht mehr, daß ihr Mitarbeiter H (§ 13 Abs. 4 UWG) am 02.02.2000 den Privatmann M in zu Werbezwecken angerufen und damit den objektiven Tatbestand einer nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (beginnend mit BGH GRUB 1970, 523, 524 - Telefonwerbung) gemäß § 1 UWG unzulässigen Telefonwerbung erfüllt hat. Ferner vertritt die Beklagte mit ihrer Berufung auch nicht mehr die Ansicht, daß der Beurteilung der beanstandeten Telefonwerbung als wettbewerbswidrig die Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (Fernabsatzrichtlinie - ABI.EG Nr. L 144 vom 04.06.1997, S. 19 - im Folgenden: FernARL) entgegensteht, nachdem der BGH in seinem Urteil vom 27.01.2000 - I ZR 241/97 - (WRP 2000, 722, 724 - Telefonwerbung VI -) entschieden hat, daß die FernARL ausweislich ihres Art. 14 S. 1 nur eine Mindestregelung enthält, die den Mitgliedsstaaten grundsätzlich einen weitergehenden Schutz der Verbraucher freistellt. Hieraus folgt, daß die strenge deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung zur Telefonwerbung ungeachtet von Art. 10, (2) FemARL, wonach Telefonwerbung zulässig sein soll, "wenn der Verbraucher ihre - nämlich Fernkommunikationstechniken; die eine individuelle Kommunikation erlauben - Verwendung nicht offenkundig abgelehnt hat" - sog. "opt-out"-Lösung im Gegensatz zu dem nach der deutschen Rechtsprechung geltenden "opt-in"-Grundsatz -, nicht richtlinienwidrig ist. Der Senat schließt sich dieser Ansicht insbesondere im Hinblick auf den in Ziff. 17 der Erwägungsgründe zur FernARL zum Ausdruck gebrachten Verbraucherschutz (NJW 1998, 212, 213) und den klaren Wortlaut von Art. 14 S. 1 FernARL an (Härting/Schirmbacher, MDR 2000; 917, 919; Schmittmann, BB 2000, 1541, 1542). Darüber hinaus steht die deutsche Rechtsprechung zur Telefonwerbung in Einklang mit Art. 12 (2) der ISDN-Datenschutzrichtlinie 97/66/EG vom 15.12.1997 - ABI.EG Nr. L 24/6 -, der unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten den Mitgliedsstaaten bei der Telefonwerbung die Wahl zwischen der "opt-in"- und der "opt-out"-Lösung läßt. Dementsprechend hat der deutsche Gesetzgeber im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH zur Telefonwerbung bei der mit Gesetz über Fernabsatzverträge vom 27.06.2000 (BGBl. I S. 897) erfolgten Umsetzung der FernARL 97/7/EG innationales Recht keinen Umsetzungsbedarf beim sog. "cold calling" gesehen (BT-Drucksache 14/2658 S. 24/25).

Mit ihrer Berufung macht die Beklagte nur noch geltend, die von der Klägerin beanstandete Telefonwerbung ihres Mitarbeiters vom 02.02.2000 sei nicht sittenwidrig im Sinne von § 1 UWG gewesen. Denn zum damaligen Zeitpunkt sei das einschlägige BGH-Urteil vom 27.01.2000 nicht bekannt gewesen, auch OLG-Rechtsprechung zu den Art. 10 (2), 14 Satz 1 FernARL habe nicht existiert und in der juristischen Literatur sei die Auffassung vertreten worden, daß Art. 10 (2) FernARL für die Mitgliedsstaaten bindend sei (so Vehslage, GRUR 1999, 656, 658 und Reich, EuZW 1997, 581, 586). Angesichts dieser Umstände könne von einem sittenwidrigen Wettbewerbsverhalten ihres Mitarbeiters nicht gesprochen werden.

Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

In Rechtsprechung und Lehre ist unbestritten, daß ein Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb im Sinne von § 1 UWG kein Verschulden voraussetzt(statt aller Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl., Einl. UWG Rnr. 125). Gleichermaßen erfordert eine wettbewerbsrechtliche Sittenwidrigkeit nicht das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit, sondern es genügt, wenn der Handelnde alle Tatumstände kennt; die bei objektiver Würdigung die Sittenwidrigkeit seiner Wettbewerbshandlung begründen (BGH GRUR 1991, 609, 613). Unter diesem Gesichtspunkt kann die wettbewerbsrechtliche Sittenwidrigkeit des inkriminierten Verhaltens des Mitarbeiters der Beklagten nicht zweifelhaft sein. Denn diesem war nach Sachlage bewußt, daß er den Zeugen H M ohne dessen vorheriges -ausdrückliche oder stillschweigende - Einverständnis zu Werbezwecken anrief.

Was die Beklagte mit ihrer Berufung in Wirklichkeit für sich bzw. ihren Mitarbeiter in Anspruch nimmt ist demgegenüber ein Rechtsirrtum, nämlich die - angebliche - Unkenntnis von der Unzulässigkeit des beanstandeten Wettbewerbsverhaltens. Grundsätzlich ist ein Rechtsirrtum jedoch nicht geeignet, einem wettbewerbswidrigen Verhalten die Rechtswidrigkeit zu nehmen (Großkomm/Schünemann, Einl. UWG D Rnr. 122; Baumbach/Hefermehl, a. a. O., Einl. UWG Rnr. 126). Bei unklarer Rechtslage hat der BGH allerdings in Ausnahmefällen bei entschuldbarem Rechtsirrtum die Sittenwidrigkeit einer Wettbewerbshandlung verneint (BGH WRP 1997, 325, 327; GRUB 1994, 222, 224). Im Streitfall erscheint aber schon zweifelhaft, ob dem Mitarbeiter der Beklagten bei seiner Telefonwerbung am 02.02.2000 bekannt war, daß in der juristischen Literatur im Hinblick auf die FernARL teilweise rechtliche Bedenken gegen die seit Jahrzehnten bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Telefonwerbung erhoben worden sind. Davon abgesehen gab - und gibt - es eine Vielzahl von Literaturstimmen, nach denen die fragliche Rechtsprechung durchaus mit der FernARL in Einklang steht (vgl. etwa Fikentscher/Möllers, NJW 1998, 1337, 1343; Schricker, GRUR Int. 1998, 541, 546; Hoeren, WRP 1997, 993) 995; so auch LG Traunstein NJW 1998, 1648, 1649). Von einer gesicherten Rechtsmeinung im Sinne der Beklagten konnte deshalb keine Rede sein. Darüber hinaus verteidigt die Beklagte auch nach Kenntnis des BGH-Urteils vom 27.01.2000 das Wettbewerbsverhalten ihres Mitarbeiters H als rechtmäßig. Da ferner Unterlassungsansprüche nicht auf Wiedergutmachung, sondern auf in die Zukunft gerichtetes Verhalten, d. h. auf Prävention gerichtet sind (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., 2. Kap. Rnr.14), hätte die Beklagte dem von der Klägerin geltend gemachten Unterlassungsbegehren nach Kenntniserlangung von dem BGH-Urteil vom 27.01.2000 nur durch Abgabe einer - ausreichenden, nicht nur wie ihre Unterlassungsverpflichtung vom 25.02.2000 auf die Person des M beschränkten (BGH WRP 1996, 284, 285 - Wegfall der Wiederholungsgefahr II; Teplitzky, a. a. O., 8. Kap. Rnr. 16 Anm. 34) - Unterlassungsverpflichtung begegnen können (Teplitzky, a. a. O., 5. Kap. Rnr. 17). Da dies nicht geschehen ist, führt auch der Berufungsvortrag der, Beklagten nicht zu einem Erfolg ihrer Rechtsverteidigung.

Nach all dem ist die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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