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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 09.10.2002
Aktenzeichen: 7 U 107/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen muss auch dann erfolgen, wenn die alternativ in Betracht kommende Maßnahme zwar nicht zu Heilung führt, aber bei ungleich geringerem Risiko und geringerer Belastung zumindest für eine gewisse Zeit zur Linderung der Beschwerden und Beeinträchtigungen führt.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil

7 U 107/00

Verkündet am: 9. Oktober 2002

In Sachen

wegen Arzthaftung

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2002 durch

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 08.06.2000 - 3 O 30/00 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Feststellungsausspruch unter Nr. 3 des Tenors wie folgt gefasst wird:

Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin als Gesamtschuldner sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetze, die der am 1.1.2002 verstorbenen Frau T. aufgrund der Operation im Klinikum M. , Neurochirurgische Klinik, am 31.07.1997 entstanden sind, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

II. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsrechtszugs.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als Alleinerbin ihrer am 01.01.2002 verstorbenen Mutter von dem Beklagten Ersatz materiellen und immateriellen Schadens, teils im Weg der Feststellung, weil ihre Mutter infolge einer von dem Beklagten durchgeführten operativen Entfernung eines Rückenmarkstumors am 31.07.1997 eine Querschnittslähmungs-Symptomatik davongetragen hat. Die Mutter der Klägerin, 1945 geboren, war bis zu dieser Operation als Verbandsjuristin für den Groß- und Außenhandelverband P. tätig.

Nach vorangegangenen Untersuchungen, bei den der Rückenmarkstumor mit anhängender Zyste festgestellt worden war, hatte sie sich bereits am 02.04.1993 im Klinikum der Universität M. von Prof. R. operieren lassen. Sie hatte damals mit dem Arzt vereinbart, eine Entfernung des Tumors solle nur dann erfolgen, wenn dies ohne zusätzliches neurologisches Defizit möglich wäre; seit 1989 hatte sich ein Schmerzsyndrom bei zunehmender Kraftlosigkeit der Hand entwickelt. Bei der Operation verzichtete Prof. R. auf die Entfernung des Tumors und punktierte lediglich die Zyste. Auf den Operationsbericht vom 02.04.1993 und den Arztbrief vom 20.04.1993 wird verwiesen. Nach Bildung einer Liquorfistel im Operationsbereich musste am 06.04.1993 eine Wundrevision durchgeführt werden; anschließend verheilte die Wunde reizlos.

In der Folge wurde bis Juli 1993 eine Bestrahlung des Tumors durchgeführt, dessen Größe bis zur Operation durch den Beklagten 1 konstant blieb. Im Juni 1997 stellte man bei einer turnusmäßigen Untersuchung im Klinikum L. ein Wachstum der zystischen Komponente fest. Die Mutter der Klägerin, die jetzt an einer Schwäche bzw. Krämpfen der linken Hand und zeitweiliger Inkontinenz litt, wandte sich am 02.07.1997 an den Beklagten zu 1, der 1993 in M. Stellvertreter von Prof. R. gewesen und mittlerweile Direktor der Neurologischen Klinik des Klinikums M. war. Der Beklagte zu 1 empfahl der Mutter der Klägerin eine operative Entfernung des Tumors. Hierzu entschloss sich die Patientin an diesem Tag noch nicht, ließ sich aber einen Operationstermin geben. Die bloße Punktion der Zyste hielt der Beklagte nicht für sinnvoll.

Die Mutter der Klägerin wurde am 30.07.1997 stationär im Klinikum M. aufgenommen. An diesem Tag fand ein zweites ausführliches Gespräch mit dem Beklagten zu 1 statt, in dem dieser auch darauf hinwies, dass die Gefahr von Wundheilungsstörungen geringfügig durch die Bestrahlungen erhöht, grundsätzlich aber beherrschbar sei. Der Beklagte zu 1 habe die Patientin über das ihr (unstreitig) bekannte Risiko einer Querschnittslähmung, über das allgemeine Infektionsrisiko sowie darüber informiert.

Im Anschluss an die Operation, die am 31.07.1997 stattfand, entwickelte die Mutter der Klägerin eine Querschnittslähmungs-Symptomatik; sie war seither vom 7. Halswirbel an abwärts dauerhaft querschnittsgelähmt. In der Folge kam es zur Bildung von Liquorkissen und wegen der erheblichen Wundheilungsstörungen zu mehreren Operationen, zuletzt am 21.08.1997, bei der die Wunde mit einem Muskel, der aus dem Rückenbereich herausgetrennt worden war, verschlossen wurde.

Die Klägerin hat vorgetragen, ihre Mutter habe in die Vornahme des Eingriffs nur insoweit eingewilligt, dass eine Entfernung des Rückenmarkstumors nur erfolgen solle, wenn keine gravierenden neurologischen Folgen damit verbunden wären; über die massive Gefahr von Wundheilungsstörungen, wie sie sich auch verwirklicht hätten, sei sie nicht unterrichtet gewesen. Sie hat ferner die aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ersichtlichen Ausführungen zum Umfang des materiellen und immateriellen Schadens gemacht.

Die Beklagten haben vorgetragen, die vollständige Entfernung des Tumors sei medizinisch indiziert gewesen, die behauptete Einschränkung der Einwilligung sei nicht erfolgt und wäre auch nicht akzeptiert worden.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug verwiesen wird, hat das Landgericht den Beklagten zu 1 zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 250.000,00 DM nebst Zinsen und beide Beklagten zum Ersatz materiellen Schadens in Höhe von 70.624,10 DM verurteilt. Es hat die Verpflichtung beider Beklagten festgestellt, der Klägerin sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Dritte ausgesprochen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Unter Wiederholung ihrer früheren Ausführungen tragen sie vor, die von der Patientin am 02.07.1997 gewünschte bloße Punktion der Zyste hätte nur einen vorübergehenden Therapieeffekt geboten; der Aufschub einer Tumorentfernung hätte das sich ggf. auch kurzfristig verwirklichende Risiko weiterer neurologischer Ausfälle bis hin zur Querschnittslähmung mit sich gebracht. Es sei mit der Patientin vereinbart worden, der Beklagte zu 1 werde die Operation abbrechen, wenn der Tumor sich nicht als gut abgrenzbar herausstelle; die von der Klägerin behauptete und vom Landgericht angenommene eingeschränkte Genehmigung sei in dieser Form nicht gegeben. Dagegen spreche schon, dass der Beklagte sich dann unverständlicherweise darauf eingelassen hätte, quasi eine Erfolgsgarantie zu geben. Auch die Angaben der Klägerin zu Protokoll des Landgerichts seien sinnvollerweise dahin zu verstehen, dass die Tumorentfernung abgebrochen werden sollte, wenn sich ein unvertretbar hohes Risiko herausstellen werde. Ein solches Risiko habe aber nicht bestanden, weil der Tumor gut abgrenzbar gewesen sei. Das Landgericht hätte den Beklagten zu 1 als Partei über den Umfang der erteilten Einwilligung vernehmen müssen. Die aus der Querschnittslähmungs-Symptomatik hergeleitete Arbeitsunfähigkeit bestehe nicht und deshalb auch nicht der deswegen geltend gemachte Verdienstentgang.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 08.06.2000 - 3 O 30/00 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil, vertieft und erweitert ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszug und trägt vor, dass es ihrer Mutter - wie schon bei der Operation 1993 - aufgrund ihrer im wesentlichen unveränderten persönlichen Situation (der zu versorgenden Mutter und der noch minderjährige Tochter) darum gegangen sei, dass Risiko neurologischer Schädigungen zu vermeiden. Zur Entfernung des Tumors bei der Operation sei sie nur bei der - insoweit auch gegebenen - Zusage des Beklagten bereit gewesen, dass mit absoluter Sicherheit mit tiefgreifenden neurologischen Ausfällen nicht zu rechnen sei. Die Größe von Wundheilungsstörungen wegen des bestrahlten Gewebes habe sie nicht gekannt, der Beklagte zu 1 habe vielmehr gesagt, solche Störungen seien voll beherrschbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivortrages wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

Im Berufungsrechtszug hat der Sachverständige Prof. Dr. P. am 15.03.2002 ein schriftliches Gutachten erstatt, das er im Senatstermin vom 11.09.2002 mündlich erläutert hat. Hierauf wird Bezug genommen

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagten Schadensersatz leisten müssen und für künftige Folgeschäden einzustehen haben sowie der Beklagte zu 1 zudem ein Schmerzensgeld zu zahlen hat.

1. Dabei kann offen bleiben, ob der Beklagte zu 1 nach §§ 823 Abs.1, 847 BGB aufgrund eines Behandlungsfehlers bei der Tumorentfernung am 31.07.1997 haftet. Fehler bei der Operation selbst und der postoperativen Behandlung sind nicht behauptet und auch nicht ersichtlich. Dass der Beklagten zu 1 den Eingriff angesichts des sich aus dem Gutachten ergebenden (ggf. erhöhten) Risikos neurologischer Ausfälle überhaupt durchführen durfte, bejahte der Sachverständige.

2. Ebenfalls offen bleiben kann, ob die Mutter der Klägerin ihre Einwilligung in die Entfernung des Tumors dahingehend beschränkt hat, dass die Entfernung des Tumors nur erfolgen sollte, wenn dies ohne besondere neurologische Risiken möglich war, und ob der Beklagte zu 1 auf dieser Grundlage die Entfernung dann - insbesondere wegen guter Abgrenzbarkeit des Tumors - vornehmen durfte.

3. Der Beklagte zu 1 haftet nach §§ 823 Abs.1, 847 BGB jedenfalls aufgrund der Verletzung seiner Aufklärungspflicht, da er nicht über eine ernsthaft in Betracht kommende Behandlungsalternative aufgeklärt hat. Eine etwaige von der Mutter der Klägerin erklärte Einwilligung in die Operation war deshalb unwirksam, so dass der Eingriff rechtswidrig war.

a) Der Beklagte zu 1 hat in seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht erklärt, dass er die Mutter der Klägerin darauf hingewiesen habe, dass die Tumorentfernung in ihrem Fall notwendig sei. Die Mutter der Klägerin habe zwar bei dem ersten Gespräch zum Ausdruck gebracht, dass nach Möglichkeit die Zyste nur punktiert werden sollte. Wenn die Mutter der Klägerin jedoch mit einer Operation durch ihn nicht einverstanden gewesen wäre, habe es natürlich auch wieder die Möglichkeit gegeben, dass sie sich in München behandeln lasse. Er habe klar zum Ausdruck gebracht, dass er abweichend von der Behandlung in München die Operation durchführen würde.

Bereits aus dieser Darstellung des Beklagten zu 1 ergibt sich, dass er die Möglichkeit, lediglich eine Punktion der Zyste vorzunehmen, nicht als ernsthaft in Betracht kommende Möglichkeit angesehen und die Mutter der Klägerin auch nicht über diese Möglichkeit aufgeklärt hat. Weitergehend haben die Beklagten vorgetragen, dass der Beklagte zu 1 der Mutter der Klägerin gegenüber dargelegt habe, dass ein Aufschub der operativen Entfernung das Risiko weiterer neurologischer Ausfälle bis hin zur Querschnittslähmung mit sich bringe, welche durch eine spätere Operation nicht mehr ohne weiteres rückgängig zu machen seien (II 15). Der Beklagte zu 1 habe die Mutter der Klägerin ferner darauf hingewiesen, dass sich dieses Risiko gegebenenfalls auch sehr kurzfristig verwirklichen könne, da durch das Weiterwachsen des Tumors ein plötzliches Umkippen mit irreparablen Folgen möglich sei, wenn auch bisher der Tumor nur langsam oder gar nicht gewachsen sei. Auch würden sich bei einer Verzögerung der operativen Entfernung die Risiken dieses Eingriffs wesentlich erhöhen. Auch aus diesem Vortrag ergibt sich, dass der Beklagte zu 1 der Mutter der Klägerin eindringlich zur alsbaldigen Entfernung des Tumors geraten hat, ohne die bloße Punktion der Zyste als ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit darzustellen.

Demgegenüber hat jedoch der Sachverständige Prof. P. in der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor dem Senat erklärt, dass die bloße Punktion der Zyste gegenüber der stattgefundenen großen Operation mit Tumorentfernung ein vielfach geringer komplizierter Eingriff sei und eine geringere Belastung der Patientin mit sich gebracht hätte. Mit der Punktion der Zyste sei zwar keine Heilung wie bei der Entfernung des Tumors verbunden; der Chirurg müsse jedoch abwägen, ob diese endgültige Heilung, also die Entfernung des Tumors, erkauft werden könne mit einer wesentlichen Verschlechterung der Lebensqualität der Patientin, so wie sie hier dann im Ergebnis eingetreten sei. Entscheidend sei vor allem, was die Patientin wünsche. Zwar könne man nicht sagen, wie sich der Zustand der Patientin entwickelt hätte, wenn man lediglich die Zyste punktiert hätte; es gebe insoweit wegen der Seltenheit eines Krankheitsbildes wie bei der Mutter der Klägerin auch keine Erfahrungswerte. Festzuhalten sei lediglich, dass die Punktion in München der Patientin über mehrere Jahre geholfen habe und dass deshalb eine gewisse Vermutung dafür in Anspruch genommen werden könne, dass eine erneute Punktion auch über einen längeren Zeitraum geholfen hätte. Es sei reine Spekulation, dass der Tumor, der sich wegen der Bestrahlung über Jahre hinweg nicht vergrößert hatte, nunmehr anfangen würde, plötzlich zu wachsen. Eher sei die Annahme des Gegenteils berechtigt.

Auch in seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige dargelegt, dass 1997 durchaus eine erneute Punktion der Zyste in Betracht gekommen sei, da kernspintomographisch belegt keine Zunahme des eigentlichen Tumors stattgefunden und sich allein eine erneute Zystenvergrößerung eingestellt habe. Eine erneute Zystenpunktion sei auch deshalb in Betracht gekommen, weil die stattgehabte Zystenpunktion 1993 bei der Patientin zu einer mehrjährigen weitgehenden Beschwerdefreiheit geführt habe. Eine erneute Punktion hätte durchaus möglicherweise für einen erneuten Zeitraum, der jedoch nicht näher eingrenzbar sei, zu einer Linderung der seinerzeit bestehenden Beschwerden (Schwäche bzw. Krämpfe in der linken Hand, zeitweilige Inkontinenz) führen können.

Aus diesen den Senat überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich deutlich, dass die bloße Punktion der Zyste aus medizinischer Sicht durchaus eine echte Behandlungsalternative dargestellt hätte, über die die Patientin aufzuklären war. Die Punktion der Zyste hätte zwar keine endgültige Heilung bewirkt, hätte aber ohne erhebliche Risiken die bei der Mutter der Klägerin aufgetretenen Beschwerden, wie sie vergleichbar auch vor der Zystenpunktion im Jahre 1993 bestanden hatten und durch die damalige Zystenpunktion für einen nicht unerheblichen Zeitraum beseitigt worden waren, erneut beseitigt. Also war die Operation nur relativ indiziert, weil sie durch die bloße Punktion der Zyste - jedenfalls zunächst - vermieden werden konnte, so dass für die Patientin eine echte Wahlmöglichkeit bestand (vgl. BGH NJW 2000, 1788, 1789). Zu Recht hat der Sachverständige insoweit aus medizinischer Sicht dargelegt, dass die bei dieser Sachlage notwendige Risikoabwägung Sache der Patientin sei. Dem ist aus rechtlicher Sicht nichts hinzuzufügen.

b) Die Aufklärung über die Risiken der Operation war zudem inhaltlich nicht ausreichend; auch unter diesem Gesichtspunkt lag keine wirksame Einwilligung vor.

aa) Zwar hat der hierfür beweisbelastete (vgl. BGH NJW 1984, 1807, 1808; 1996, 788) Beklagte zu 1 die Mutter der Klägerin hinsichtlich der Risiken der Tumorentfernung als solcher - insbesondere der Gefahr einer Querschnittslähmungs-Symptomatik - zur Überzeugung des Senats hinreichend aufgeklärt.

Denn die frühere Klägerin hat selbst eingeräumt, dass das kurze Gespräch über mögliche Folgen der Tumorentfernung ausreichend gewesen sei; das Risiko einer Querschnittslähmungs-Symptomatik sei ihr aufgrund der Operation im Jahre 1993 noch bis in Details hinein bekannt gewesen. Insofern schuldete der Beklagten zu 1 keine weitere, über das tatsächlich erfolgte Beratungsgespräch hinausgehende Aufklärung.

bb) Hinsichtlich der Schwierigkeiten bei der Wundheilung wurde die Mutter der Klägerin jedoch nicht ordnungsgemäß aufgeklärt.

Zwar hat sie bei ihrer Anhörung vor dem Landgericht am 06.04.2000 eingeräumt, dass über Komplikationen bei der Wundheilung - auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen Strahlenbehandlung - gesprochen wurde. Auch dürfen an die ärztlichen Aufklärungsmaßnahmen keine übertriebenen Anforderungen erhoben werden; der Patient muss in die Lage versetzt werden, sich ein Bild von Art und Folgen der Operation zu machen (BGH NJW 1991, 2346, 2347; 1992, 2351, 2352).

Es steht jedoch nicht zur Überzeugung des Senates fest, dass der Mutter der Klägerin vor Augen geführt wurde, dass aufgrund der vorangegangenen Bestrahlung die Komplikationen extreme Formen annehmen und zu einem mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt mit gravierenden Folgeoperationen wie derjenigen vom 05.09.1997 (Deckung des Operationsbereichs durch Teile des Musculus trapezius) und den weitern im Gutachten P. im einzelnen (S. 15 - 19) genannten führen konnten und die zur von der Querschnittslähmungssymptomatik unabhängigen bleibenden Bewegungseinschränkungen führten. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass das Risiko der Entstehung von Wundheilungsstörungen nach stattgehabter percutaner Radiatio in dem vorbestrahlten Gebiet nach dort erfolgten operativen Eingriffen im allgemeinen deutlich erhöht sei. Wenn nur eine Punktion der Tumorzyste erfolgt wäre, hätte es zwar auch zu Wundheilungsstörungen bis hin zur Ausbildung einer Liquorfistel kommen können; deren Therapie wäre jedoch aufgrund der geringeren Größe der Wunde sehr wahrscheinlich deutlich einfacher gewesen (I.1 und Erläuterung des Sachverständigengutachtens). Die jedenfalls erfolgte Aufklärung über die generelle Wundheilungsproblematik reichte von daher nicht aus, um den Unterschied zu den Wundheilungsschwierigkeiten im Jahre 1993 - damals nur zwei Tage - hinreichend zu verdeutlichen. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten hat der Beklagte zu 1 der Mutter der Klägerin lediglich erklärt, dass das Risiko von Wundheilungsstörungen durch die beiden Voreingriffe sowie die damals erfolgte Betrahlung "geringfügig" erhöht, grundsätzlich aber beherrschbar sei.

Der gegenteilige Vortrag im Schriftsatz vom 30.09.2002 (II 183) gibt mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 ZPO zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keine Veranlassung.

c) Auf eine hypothetische Einwilligung berufen sich die Beklagten nicht (vgl. BGH VersR 1992, 906, 962; VersR 1996, 1239, 1240). Im übrigen ist der Entscheidungskonflikt, zu dem die frühere Klägerin nicht mehr gehört werden kann, plausibel dargelegt, nachdem die Patientin bereits nach der Operation in München unter Wundheilungsstörungen gelitten hatte und insoweit unstreitig ursprünglich auch in Mannheim vor allem eine bloße Punktion der Zyste vorgezogen hätte. Auch 1997 rührten die Beschwerden ausschließlich von der Zyste her, da der Tumor seit der Operation im Jahre 1993 nicht weiter gewachsen war (I.2 des Gutachtens Prof. P. ). Da die Parteien dies im Rahmen der Voruntersuchungen auch erkannt hatten, bestand für die Mutter der Klägerin kein Anlass, bei vergleichbarer medizinischer Sachlage von dem bereits anlässlich der ersten Operation erfolgreich eingeschlagenen Behandlungsweg abzuweichen und eine weitergehende Einwilligung zu erteilen.

4. Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Prof. P. ist der Senat davon überzeugt, dass die Querschnittslähmungssymptomatik, die bei bei der Mutter der Klägerin unstreitig vorgelegen hat, auf die fragliche Operation zurückzuführen ist. Der Sachverständige hat insofern lediglich offen gelassen, ob die Ausfallsymptome unmittelbar auf die intraoperative Rückenmarksmanipulation beim Herauslösen des Tumors oder auf postoperative Vorgänge, insbesondere Minderdurchblutungen durch einen arteriellen Verschluß aufgrund der Manipulation am Rückenmark, zurückzuführen sind.

5. Die Zurechnung der durch die Rückenmarksoperation und die Wundheilungsschwierigkeiten hervorgerufenen Schmerzen und der Querschnittslähmungs-Symptomatik wird nicht aufgrund hypothetischer Kausalverläufe unterbrochen. Die insoweit beweisbelasteten Beklagten haben nicht bewiesen, dass ein Teil der Beeinträchtigungen auch bei bloßer Entleerung der Zyste eingetreten wäre. Nach den Aussagen des Sachverständigen P. drohten zwar prinzipiell bei jeder Operation aufgrund der Vorgeschichte der Mutter der Klägerin Schwierigkeiten bei der Wundheilung, doch hätten diese bei einer bloßen Punktion der Zyste nicht das Ausmaß gehabt, das sie bei Entfernung des Tumors annahmen (vgl. I.1 des Sachverständigengutachtens).

6. Die Beklagten haben der Klägerin den Schaden zu ersetzen, den ihre Mutter durch die operationsbedingte Querschnittssymptomatik erlitten hat. Die Schadensersatzpflicht umfasst auch den Verdienstausfall der Mutter der Klägerin für die Jahre 1998 und 1999 in Höhe von 70.624,10 DM.

a) Das Bestreiten der Beklagten, die Querschnittlähmungssymptomatik ab dem 7. Halswirbel habe nicht zur dem geltend gemachten Verdienstausfall geführt, ist haltlos und als bemerkenswert, auch im Hinblick auf § 138 Abs. 1, 2 ZPO, zu bezeichnen. Der Beklagte zu 1 war (wie auch der Prozessbevollmächtigte der Beklagten) selbst bei der Anhörung der Parteien vor dem Landgericht und hat den Zustand der damaligen Klägerin, die - wie im Senatstermin bestätigt worden ist - im Rollstuhl in den Sitzungssaal gebracht werden musste, gesehen. Er ist kraft seines Berufs sachverständig genug zu wissen, dass angesichts dieses Krankheitsbildes die weitere Ausübung des bisherigen Berufs zu den alten Konditionen nicht in Betracht kam. Die Klägerin hat einen Rentenbescheid vorgelegt, aus dem sich die Erwerbsunfähigkeit ergibt. Unter diesen Umständen ist das Bestreiten der Erwerbsunfähigkeit - wenn nicht sogar bewusst wahrheitswidrig - jedenfalls ohne Substanz. Das gilt auch für die Höhe des Erwerbsschadens, dessen Berechnung nicht angegriffen und deshalb hier zugrundezulegen ist. Denn insoweit ist das Bestreiten, wie die Antwort auf die entsprechende Anfrage des Senat ergibt, nur daraus hergeleitet, dass eine Erwerbsunfähigkeit nicht bestehe

b) Das Landgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass der Einwand eines Mitverschuldens nicht greift. Dies wird von den Beklagten im zweiten Rechtszug auch nicht angegriffen.

aa) Der Mutter der Klägerin stand kein besonderer Kündigungsschutz zu; insofern war die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.1998 sachgerecht.

Der sachliche Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht eröffnet; insofern schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung den Ausführungen des Landgerichts an. Die Beklagten haben nicht substantiiert bestritten, dass der Arbeitgeber insgesamt nur vier Arbeitnehmer beschäftigte.

Es kann offen bleiben, ob die Mutter der Klägerin tatsächlich Geschäftsführerin des Verbandes war und schon aus diesem Grund - da dann kein Arbeitsverhältnis, sondern ein bloßer Dienstvertrag vorlag - der Kündigungsschutz nach § 15 SchwbG in Verbindung mit § 134 BGB nicht bestand. Denn zum einen war die Behinderung der Mutter der Klägerin zum Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses noch nicht nach § 4 SchwbG festgestellt; die Parteien tragen auch nicht vor, dass ein Antrag auf Feststellung bereits gestellt war; somit stand das Beschäftigungsverhältnis noch nicht unter besonderem Kündigungsschutz (vg. Schaub, Handbuch des Arbeitsrechts, 8. Aufl., § 179 I.1). Zum anderen dienen die Vorschriften des SchwbG in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers, auf den dieser - nachdem die das Beschäftigungsverhältnis beendigende Maßnahme getroffen wurde - verzichten kann (vgl. Schaub, aaO., § 179 I.3); ein den Schädiger privilegierendes Mitverschulden durch Verzicht des Geschädigten auf allein ihn schützende Maßnahmen ist nicht anzuerkennen.

bb) Die Mutter der Klägerin konnte aufgrund der Querschnittslähmungs-Symptomatik auch keine vergleichbare Arbeit aufnehmen; auch in dieser Hinsicht kann ihr kein Mitverschulden an dem Verdienstausfall angelastet werden.

7. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass die Beklagten auch den künftigen materiellen und immateriellen Schaden der Mutter der Klägerin zu ersetzen haben. Insoweit kommen allerdings lediglich Schäden in Betracht, die bis zum Tod der Mutter der Klägerin am 1.1.2002 eingetreten sind. Dies ist im Tenor des Urteils klarzustellen.

8. Die Beklagte zu 2 haftet für den Schaden der Mutter der Klägerin nach §§ 31, 89 BGB; die Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner ergibt sich aus § 840 Abs. 1 BGB.

9. Zudem ist der Beklagte zu 1 zur Leistung eines Schmerzensgeldes verpflichtet. Hinsichtlich der Bemessung des Schmerzensgeldes macht sich der Senat nach eigener Sachprüfung die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zueigen.

II.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 S. 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs.2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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