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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 11.04.2002
Aktenzeichen: 7 U 171/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 448
ZPO § 713
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 543 Abs. 2
1. Der Arzt hat über die verbleibende Möglichkeit einer Schwangerschaft trotz Sterilisation zu informieren, weil die Patientin nur dadurch in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob sie und ihr Partner sich mit der hohen Sicherheitsquote begnügen oder aus besonderer Vorsicht zusätzliche Verhütungsmaßnahmen anwenden wollen. Dieser vertraglich geschuldeten Beratungspflicht wird er nur gerecht, wenn er dafür sorgt, dass die Information in einer Weise erfolgt, bei der er nach den Umständen sicher sein kann, dass sich die Patientin des konkreten Versagerrisikos bewusst geworden ist.

2. Die Beweislast für eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Information über das Versagerrisiko liegt - anders als bei der der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten dienenden Risikoaufklärung - in vollem Umfang bei der Patientin.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil

7 U 171/00

Verkündet am: 11. April 2002

In Sachen

wegen Arzthaftpflichtschaden

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 11. April 2002 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 22.9.2000 - 3 O 147/99 - wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsrechtszugs tragen die Kläger.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Aufklärung der Kläger über das Versagerrisiko bei Sterilisation zutreffend verneint. Das Berufungsvorbringen der Kläger rechtfertigt keine andere Beurteilung.

1. Die Kläger stützen ihre Klage im Berufungsrechtszug nicht mehr auf den Vorwurf einer fehlerhaften Durchführung der Sterilisation, sondern nur noch darauf, die Beklagten hätten sie nicht ausreichend über das Versagerrisiko informiert. Bei Durchführung einer Sterilisation der Frau ist der Arzt vertraglich verpflichtet, diese über die verbleibende Möglichkeit einer Schwangerschaft trotz Sterilisation zu informieren, weil sie nur dadurch in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob sie und ihr Partner sich mit der hohen Sicherheitsquote begnügen oder aus besonderer Vorsicht zusätzliche Verhütungsmaßnahmen anwenden wollen. Dieser vertraglich geschuldeten Beratungspflicht wird der Arzt nur gerecht, wenn er dafür sorgt, dass die Information in einer Weise erfolgt, bei der er nach den Umständen sicher sein kann, dass sich die Frau des konkreten Versagerrisikos bewusst geworden ist. Da hier keine therapeutischen Rücksichten zu nehmen sind, dürfen an diese Information keine geringen Anforderungen gestellt werden. Die Beweislast für eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Information über das Versagerrisiko liegt bei den Klägern (BGH, Urt. v. 2.12.1980 - VI ZR 175/78, NJW 1981, 630, 631f. = VersR 1981, 278, 279; Urt. v. 10.3.1981 - VI ZR 202/79, NJW 1981, 2002, 2003; Urt. v. 27.6.1995 - VI ZR 32/94, NJW 1995, 2407, 2408).

2. Die Kläger haben bereits den Vortrag der Beklagten, eine Information über das Versagerrisiko einer Sterilisation sei schon am 5.2.1993 durch den Beklagten zu 1 erfolgt, nicht widerlegt. Ein Beweisantritt der Kläger ist insoweit nicht deshalb entbehrlich, weil die Information der Klägerin von dem Beklagten zu 1 nicht dokumentiert wurde. Allerdings hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, das Fehlen einer Dokumentation hierüber könne ein Beweisanzeichen dafür bilden, dass die Erfüllung der Informationspflicht versäumt worden sei (BGH NJW 1981, 2002, 2004). Es ist hier jedoch zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1 bei dem Erstgespräch mit den Klägern davon ausgehen konnte, dass eine Aufklärung der Klägerin über das Versagerrisiko zu einem späteren Zeitpunkt im Zusammenhang mit der Aufklärung über die Sterilisation dokumentiert würde. Unter diesen Umständen stellte es nach Auffassung des Senats eine überzogene Anforderung dar, eine Dokumentation über die Information auch schon für das Erstgespräch zu fordern.

3. Die Beklagten haben zudem dargetan und nach der fehlerfreien Würdigung des Landgerichts bewiesen, dass am 25.2.1993 eine ausreichende Information der Kläger erfolgte. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Sterilisation nur dann durchgeführt werden sollte, wenn die Klägerin nicht, wie von ihr erhofft, normal gebären könnte, sondern ein Kaiserschnitt erforderlich würde. Am frühen Nachmittag des 25.2.1993 zeigte sich, dass ein Kaiserschnitt erforderlich würde. Die Zeugin Dr. B. hat bekundet, dass sie die Klägerin etwa um 16.00 über die bevorstehende Kaiserschnitt-Operation und - im Zusammenhang damit - über die Sterilisation aufgeklärt hat. Sie habe dabei - wie üblich - den Inhalt des Aufklärungsbogens der Patientin vorgetragen und dann gefragt, ob sie den Bogen noch einmal selbst durchlesen möchte. Nach den Angaben der Zeugin hat sie die Klägerin darüber informiert, dass das Versagerrisiko bei etwa 2 bis 3 Promille liege, jedoch bei einer Sterilisation während einer Kaiserschnitt-Operation etwas höher sei. Der von der Klägerin unterschriebene Aufklärungsbogen, der sich bei den Krankenunterlagen befindet, zeigt auf S. 2 eine schematische Zeichnung mit handschriftlichen Zusätzen, die eine Sterilisation durch Eileiterunterbindung mit jeweils zwei Fäden erläutern. Auf S. 5 des Aufklärungbogens ist vermerkt, dass die Patientin verstanden hat, dass es auch bei fehlerfreier Sterilisation "in seltenen Fällen zur späteren Empfängnis kommen kann".

4. Die Kläger haben demnach nicht beweisen können, dass eine Aufklärung über das Versagerrisiko der Sterilisation gänzlich unterblieben sei. Mit ihrer Klage könnten sie daher nur dann Erfolg haben, wenn die Information über das Versagerrisiko, wie sie von den Beklagten dargelegt wurde, als unzureichend angesehen werden müsste. Das ist jedoch nicht der Fall.

a) Die Information der Klägerin war nicht deshalb unzureichend, weil das Versagerrisiko bei der konkret gewählten Methode der Sterilisation nach den Angaben des Sachverständigen 13,5 Promille beträgt. Nach den Angaben der Zeugin Dr. B. hat sie darüber informiert, dass das Risiko höher als 2 bis 3 Promille ist, wenn die Sterilisation - wie hier - im Zusammenhang mit einer Kaiserschnitt-Operation erfolgt. Eine konkrete Zahl hat sie dabei nicht genannt. Der Unterschied zwischen dem Versagerrisiko, das den Klägern mitgeteilt wurde, und dem tatsächlichen Versagerrisiko ist, absolut gesehen, so geringfügig, dass die Information der Klägerin durch die Zeugin nicht als unzureichend angesehen werden kann.

b) Auch der Zeitpunkt der Information der Kläger über das Versagerrisiko führt nicht dazu, dass diese als ungenügend anzusehen ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Aufklärung über das Risiko eines ärztlichen Eingriffs nicht unmittelbar vor der Operation erfolgen soll, findet hier keine Anwendung. Denn hier geht es, wie der Bundesgerichtshof betont hat (BGH NJW 1981, 530, 631; NJW 1981, 2002, 2003), nicht um die Sicherung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, der in einen Eingriff in seine körperliche Integrität einwilligen soll, sondern allein darum, dass eine deutliche Information über das trotz der Sterilisation bestehende Risiko einer erneuten Empfängnis erfolgt. Die Klägerin zu 1 hat bei ihrer informatorischen Anhörung im ersten Rechtszug geschildert, sie sei wegen der Aussicht, dass doch ein Kaiserschnitt erfolgen müsse, hilflos und sehr beunruhigt gewesen. Die Zeugin Dr. B. hat erklärt, sie könne sich nicht daran erinnern, dass die Klägerin zu 1 während des Aufklärungsgesprächs geweint habe. Auch wenn es naheliegt, dass die Klägerin wegen der bevorstehenden Entbindung und der ärztlichen Empfehlung, eine natürliche Geburt nicht zu riskieren, sehr aufgeregt war, ist damit nicht bewiesen, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die ihr von der Zeugin Dr. B. vermittelte Information über das Risiko, trotz einer Sterilisation schwanger zu werden, ebenso aufzunehmen wie die Information über die Risiken einer Anästhesie und einer Kaiserschnitt-Operation. Aus dem zeitlichen Ablauf der Entbindung, wie er den Krankenunterlagen zu entnehmen ist, ergibt sich zudem, dass kein Notfall vorlag, sondern die Vorbereitungen sich über mehrere Stunden erstreckten. Schließlich greift auch der Hinweis der Kläger darauf, die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Information über das Versagerrisiko bereits unter Medikamenten gestanden, nicht durch. Die Kläger haben insoweit schon nicht hinreichend dargetan, dass die Gabe von 5 ml Scandicain 1 % und Bupivacain (3,5 ml 0,5 % und 6 ml 0,25 %) bereits erfolgt war, als die Klägerin informiert wurde. Denn nach den Angaben der Klägerin bei ihrer informatorischen Anhörung wurde sie zeitgleich über die Anästhesie und den Kaiserschnitt aufgeklärt. Daraus wäre aber wegen der Erforderlichkeit einer Einwilligung der Klägerin zu folgern, dass die Anästhesie erst nach dem Aufklärungsgespräch eingeleitet wurde. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Erinnerung der Klägerin insoweit nicht zutrifft. Dafür könnte sprechen, dass die Zeugin Dr. B. angab, das Aufklärungsgespräch sei von ihr etwa um 16.00 Uhr geführt worden, während in den Krankenunterlagen die genannte Medikation schon für die Zeit ab 15.15 Uhr vermerkt ist. Auch weist der Aufklärungsbogen zur Anästhesie eine andere ärztliche Unterschrift auf als der über den Kaiserschnitt, was die Möglichkeit offenlässt, dass die Aufklärung insoweit schon früher erfolgte. Schließlich hat auch der Beklagte zu 1 bei seiner informatorischen Anhörung in erster Instanz erklärt, dass die Aufklärung der Klägerin zu 1 über den Kaiserschnitt und seine Risiken erfolgte, nachdem der Katheter für die Periduralanästhesie (PDA) gelegt worden war. Dieser Punkt bedarf jedoch keiner näheren Erörterung, weil es sich bei den genannten Medikamenten um geringe Dosen von Lokalanästhetika handelt, die üblicherweise bei der Vorbereitung einer PDA verwendet werden, um zu prüfen, ob der Katheter richtig gelegt wurde. Dass diese Medikation dazu führte, die Möglichkeit der Klägerin, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, in nennenswertem Umfang beeinträchtigte, ist nicht dargetan. Anderenfalls dürfte auch eine Risikoaufklärung generell nicht nach einer solchen Vorbereitung der PDA erfolgen.

5. Die Kläger haben nach alledem nicht nachgewiesen, dass der Vortrag der Beklagten zu der Information über das Versagerrisiko bei einer Sterilisation durch Tubenligatur unzutreffend ist. Da die Beweisaufnahme auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben hat, dass der Vortrag der Kläger zutrifft, sie seien weder am 5.2.1993, noch am 25.2.1993 noch am Tage der Entlassung der Klägerin auf ein Versagerrisiko hingewiesen worden, vielmehr habe ihnen der Beklagte zu 1 gesagt, sie könnten "bombensicher" sein, war eine Vernehmung der Kläger als Partei gemäß § 448 ZPO nicht veranlasst.

6. Selbst wenn man jedoch annehmen wollte, die Information der Klägerin über das Versagerrisiko der durchgeführten Sterilisation sei unzulänglich gewesen, kann die Klage jedenfalls deswegen keinen Erfolg haben, weil die Kläger für ihre Behauptung, sie hätten sich bei korrekter Aufklärung veranlasst gesehen, weitere Maßnahmen zur Vermeidung einer Empfängnis zu ergreifen, beweisfällig geblieben sind (BGH, NJW 1981, 630, 632; NJW 1981, 2002, 2004; Urt. v. 25.1.2000 - VI ZR 68/99, nicht veröffentlicht; OLG Hamburg, Urt. v. 26.6.1987 - 1 U 49/86, VersR 1989, 148).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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