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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 01.08.2001
Aktenzeichen: 7 U 86/99
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 286
BGB § 847
1. Geht eine Berufungsbegründung auf die die Abweisung der Klage tragenden Erwägungen nicht ein, genügt sie den Anforderungen aus § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht, auch wenn allgemein vorgetragen wird, das Urteil bedürfe der Korrektur.

2. Der Kläger, der einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz oder Schmerzensgeld darauf stützt, der in Anspruch genommene habe bestimmte medizinische Präparate vom Markt nehmen müssen, muss dartun und beweisen, dass er erst erkrankt (hier: an einer HIV-Infektion) ist, nachdem die Präparate nach seiner Behauptung hätten vom Markt genommen werden müssen.

3. Kann durch einen Test nur in 61 % aller Fälle eine Infizierung vermieden werden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anwendung des Testverfahrens die Erkrankung des Klägers sicher vermieden hätte. Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises kommen nicht in Betracht.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil

7 U 86/99

Verkündet am: 1. August 2001

In Sachen

wegen Forderung

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 1. August 2001 durch

Richter am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 14.04.1999, Az. 2 0 191/97, wird hinsichtlich der Beklagten zu 2 als unzulässig verworfen, hinsichtlich der Beklagten zu 1 zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagten jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 10.000,00 abwenden, wenn nicht die Beklagten jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Sicherheit darf jeweils durch selbstschuldnerische, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zugelassenen Bank- oder Kreditinstituts erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern ein Schmerzensgeld in Höhe von 275.000,00 DM im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion.

Die Klägerin war die Lebensgefährtin und ist Alleinerbin des am 11.04.1959 geborenen und am 28.07.1995 verstorbenen M. P. , der an Hämophilie B litt. Der Verstorbene erhielt seit dem 04.05.1979 bis 1984 Produkte der Beklagten zu 2, sogenannte Faktor IX-Präparate. Aus der ärztlichen Bescheinigung von Prof. Dr. Z. vom 09.06.1994 (I 1013) ergibt sich, dass der Verstorbene seit dem 16.09.1985 (erste Bestimmung) mit dem HIV-Virus infiziert war.

M. P. hatte über den damals häufig für Hämophile tätigen Rechtsanwalt S. mit der Versicherung der Beklagten zu 2 Kontakt aufgenommen. Rechtsanwalt S. schrieb M. P. am 28.02.1988 an und legte ihm nahe, ein Vergleichsangebot der C. -Versicherung zu akzeptieren (I 71). Die C. -Versicherung brachte in einem Schreiben vom 25.04.1988 (I 75) zum Ausdruck, dass sie weder nach den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes noch nach Deliktsrecht hafte.

Am 07.05.1988 unterzeichnete M. P. folgende von der C. -Versicherung vorformulierte Abfindungserklärung (I 73):

"Abfindungserklärung in Verbindung mit unserem Schreiben vom 25.04.1988 an Herrn Rechtsanwalt S. .

"Ich, Herr M. P. , geboren am , wohnhaft H. , erkläre mich für alle Ersatzansprüche, die von mir oder meinen Rechtsnachfolgern gegen

1. I. GmbH und deren Haftpflichtversicherer C. Versicherung Aktiengesellschaft

2. andere pharmazeutische Unternehmen, die Gerinnungsfaktor-Präparate und/oder sonstige Blutprodukte in Verkehr gebracht oder hergestellt haben, sowie deren Haftpflichtversicherer

3. jeden anderen Dritten, sofern er als Gesamtschuldner in Betracht kommt, geltend gemacht werden könnten, gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von DM 75.000,00 (in Worten: Fünfundsiebzigtausend Deutsche Mark) für vollständig und endgültig abgefunden. Dies gilt auch für alle nicht vorhersehbaren Schäden und Spätfolgen. Mir ist bekannt, dass mit der Zahlung kein Anerkenntnis einer Haftung verbunden ist. Meine behaupteten Ansprüche sind weder abgetreten noch gepfändet. Die Abfindung bezieht sich nicht auf behauptete Ansprüche, die kraft Gesetzes - wie etwa § 116 SGB X - auf Sozialversicherungsträger übergehen könnten."

Wortgleiche Vereinbarungen, allerdings mit unterschiedlichen Abfindungsbeträgen, wurden mit zahlreichen anderen mit HIV-infizierten Blutern getroffen. M. P. erhielt die Vergleichssumme.

Die Firma B. entwickelte 1981 ein Verfahren zur Inaktivierung von Hepatitis-B für sogenannte Faktor VIII-Präparate. 1984 entwickelte die Beklagte zu 2 ein virusinaktiviertes PPSB-Konzentrat. Ein solches hatte die Firma B. bereits 1982 entwickelt.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte zu 2 habe mit dem Faktor IX-Präparat ein fehlerhaftes Produkt hergestellt, da es keine Inaktivierung gegen Hepatitis-Viren, die dann auch gegen das HI-Virus gewirkt hätten, besessen habe. Die Beklagte zu 2 habe importiertes Blut verwendet und dabei produktionstechnische Unzulänglichkeiten bewusst in Kauf genommen. Insbesondere sei dieses Blut bis 1985 nicht ALT-getestet gewesen, wodurch die Gefahr einer Infektion mit Hepatitis-C deutlich verringert worden wäre. Der Verstorbene habe nur Blutgerinnungspräparate der Beklagten zu 2 erhalten.

Das Bundesgesundheitsamt habe seit Bekanntwerden der Inaktivierungstechniken nicht inaktivierte und damit nicht mehr dem Stand der Technik entsprechende Mittel (PPSB-Präparate und Faktor VIII und IX-Medikamente vom Markt nehmen und verbieten müssen. Dann wäre dem Verstorbenen sein Schicksal erspart geblieben. Der Verstorbene sei auch mit Hepatitis C infiziert gewesen.

Die Klägerin ist der Auffassung gewesen, die Abfindungsvereinbarung stehe dem Anspruch nicht entgegen. Sie verstoße gegen das AGB-Gesetz. Die Berufung auf die Vereinbarung sei auch treuwidrig, weil ein krasses Mißverhältnis zwischen dem Schaden und der Abfindungssumme bestehe. Die jetzige Regulierungspraxis zeige, dass in vergleichbaren Fällen 350.000 DM bis 450.000,00 DM bezahlt würden. Auch sei die Geschäftsgrundlage des Vergleichs entfallen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 275.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1 hat behauptet, Anfang der 80-er Jahre sei der HIV-Erreger unbekannt und nicht nachweisbar gewesen. Erst 1983 habe der begründete Verdacht eines Zusammenhangs zwischen HIV und Blutpräparaten bestanden. Danach habe man unverzüglich die gebotenen Maßnahmen ergriffen. Zu der Infektion des Verstorbenen mit HIV sei es möglicherweise vorher gekommen. Der Schluss, die gegen den Hepatitis-B-Virus wirksame Hitzeinaktivierung könne auch den HI-Virus inaktivieren, sei wissenschaftlich nicht möglich gewesen. Das Bundesgesundheitsamt habe bereits ab 1960 auf die Gefahr der Infektion mit Hepatitis im Zusammenhang mit Blutpräparaten hingewiesen. Bis 1984 hätten die Inaktivierungsmethoden aber Gefahren gebogen, so dass es nicht geboten gewesen sei, nur noch inaktivierte Medikamente auf dem Markt zuzulassen. Auch habe es bis 1984 keine ausreichenden Erfahrungen mit inaktivierten Mitteln gegeben. Die Präparate der Beklagten zu 2 seien nicht ursächlich für die HIV-Infektion des Klägers gewesen.

Die Beklagte zu 1 hat sich nicht auf die Drittausschlussklausel in Ziff. 3 der Abfindungsvereinbarung berufen.

Die Beklagte zu 2 hat behauptet, sie vertreibe die Faktor IX-Präparate nur, sie stelle sie nicht her. Der Verstorbene habe auch andere Medikamente erhalten, die die HIV-Infektion verursacht haben könnten. Sie gehe davon aus, dass die HIV-Infektion bereits Ende der 70-er Jahre, als es nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht möglich gewesen sei, die Infektion vorherzusehen oder zu verhindern, erfolgt sei. Die Faktor IX-Präparate hätten stets dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik entsprochen.

Die Beklagte zu 2 hat die Auffassung vertreten, die Abfindungsvereinbarung vom 07.05.1988 sei wirksam und schließe weitere Ansprüche des Verstorbenen bzw. der Erbin aus. Hinsichtlich deliktischer Ansprüche hat sie die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 14.04.1999, auf das auch wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, abgewiesen. Durch den wirksamen Abfindungsvergleich seien alle Ansprüche des Verstorbenen, auch Ansprüche aus Verschuldenshaftung und Ansprüche im Hinblick auf eine HIV-Infektion abgegolten. Im übrigen seien Schmerzensgeldansprüche wegen der HIV-Infektion - nur darauf stützte die Klägerin die Klage - aus § 847 BGB nach § 852 BGB verjährt. Ein Anspruch gegen die Beklagte zu 1 bestehe nicht, weil die Klägerin die Ursächlichkeit der behaupteten Amtspflichtverletzung (die Beklagte zu 1 habe nicht inaktivierte Mittel vom Markt nehmen müssen) für die HIV-Infektion des M. P. nicht dargelegt habe. Vor 1981 habe es ein solches Verfahren nicht gegeben. Die Klägerin behaupte nicht, dass die HIV-Infektion nach 1981 erfolgt sei.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die geltend macht, die Beklagten hätten nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechend gehandelt. So habe die Beklagte zu 1 gewußt, dass 90 % des Materials auch für die Blutpräparate aus Importmasse stamme, dass diese nicht ALT-getestet gewesen seien und dass in der Bundesrepublik ein höheres Sicherheitsstandard herrsche. Dennoch habe die Bundesrepublik nichts unternommen, um die Sicherheit der Medikamente zu optimieren. Die Beklagte zu 2 habe diese Produkte weiter vertrieben, ohne die Verbraucher auf deren Infektiösität hinzuweisen. Daraus folge, dass sowohl hinsichtlich der Kausalitätsproblematik als auch hinsichtlich der Frage der tatbestandlichen Verwirklichung deliktischen Verhaltens keine gegen die klägerische Rechtsposition streitenden Aspekte vorlägen (S. 2 der Berufungsbegründung; II 33). Die unterbliebene Risikovermeidung führe zu einer Beweislastumkehr und zu einer Haftung der Beklagten (S. 6 der Berufungsbegründung; II 41). Durch das ALT-Testverfahren sei das Risiko einer HCV-Infektion in 61 % der Fälle zu vermeiden gewesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Heidelberg aufzuheben und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 275.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte zu 1 rügt, die Berufung sei unzulässig, weil die Berufungsbegründung sich nicht mit der Begründung des Landgerichts für die Klagabweisung gegen die Beklagte zu 1 auseinandersetze. Die Beklagte zu 1 behauptet, auch das von dem Verstorbenen eingenommene Mittel "AHF-B Baden-Baden" könne die HIV-Infektion verursacht haben. Das von der Beklagten zu 2 verwendete Blutplasma sei auf ALT getestet gewesen. Die ALT-Testung sei zur Erkennung der Hepatitis C nur begrenzt wirksam gewesen und gar nicht zur Erkennung des HI-Virus.

Die Beklagte zu 2 verteidigt das Urteil des Landgerichts und wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie habe die Verbraucher über die Infektiösität der Blutpräparate aufgeklärt und die Produkte nach dem jeweiligen Stand der Technik hergestellt. Die Infektion mit Hepatitis C durch Faktor IX-Präparate sei in den 80-er Jahren nicht vollständig vermeidbar gewesen. Sie habe seit 1982 den ALT-Test eingeführt.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Klägerin ist, soweit sie sich gegen die Klagabweisung gegen die Beklagte zu 2 richtet, unzulässig. Nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muß die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz ausreichend vorbereitet wird, indem sie den Berufungsführer anhält, die Beurteilung des Rechtsfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen das angefochtene Urteil für unrichtig gehalten wird. Dadurch soll bloß formelhaften Berufungsbegründungen entgegengewirkt und eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs im Berufungsverfahren erreicht werden (BGH NJW 1997, 3449). Demnach muss die Berufungsbegründung jeweils auf den Einzelfall zugeschnitten sein und im einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsführers unrichtig ist. Ferner muss sie angeben, aus welchen Gründen die tatsächliche oder rechtliche Würdigung des vorinstanzlichen Urteils in den angegebenen Punkten für unrichtig gehalten wird (BGH NJW 1998, 3126). Ist die Klagabweisung hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung geeignet sein, das Urteil insgesamt in Frage zu stellen. Sie hat deshalb für jede der beiden Erwägungen darzulegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt (BGH NJW 1998, 3126 m.w.N.). Andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig.

Die Klägerin stützt die Berufung gegen die Beklagte zu 2 darauf, dass die Beklagte die dem verstorbenen M. P. verabreichten Medikamente nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechend aus dem Verkehr genommen und über Risiken aufgeklärt habe. Die Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 2 beruht nicht darauf, dass die Beklagte zu 2 dem Stand der Wissenschaft entsprechend gehandelt habe. Tragender Gesichtspunkt der Entscheidung ist, dass das Landgericht den Abfindungsvergleich für wirksam und dadurch sämtliche Ansprüche der Klägerin für ausgeschlossen erachtet, und zwar sowohl Ansprüche aus Gefährdungs- als auch aus Verschuldenshaftung als auch Ansprüche im Hinblick auf die HIV-Infektion des Verstorbenen und die behauptete Infektion des Verstorbenen mit Hepatitis C. Darüber hinaus seien deliktische Ansprüche im Hinblick auf die HIV-Infektion verjährt. Diese beiden tragenden Gesichtspunkte greift die Berufungsbegründung nicht an. Mit ihnen setzt die Klägerin sich nicht auseinander, sie erwähnt sie noch nicht einmal. Der Vortrag, die Beklagten hätten es vermocht, die Blickrichtung in eine ganz andere und - ... - irrelevante Thematik zu lenken, was der Korrektur bedürfe (Berufungsbegründung S. 3, II 35), reicht nicht aus. Er enthält keine inhaltliche Begründung, warum es auf die vom Landgericht für entscheidungserheblich gehaltenen Fragen nicht ankommen soll. Die Klägerin geht weder auf den Abfindungsvergleich noch auf die Verjährung des Anspruchs ein. Greift die Berufungsbegründung aber die tragenden Erwägungen nicht an, ist sie insgesamt nicht geeignet, das Urteil in Frage zu stellen. Die Berufung gegen die Beklagte zu 2 ist deshalb unzulässig.

II.

1. Die Berufung gegen die Beklagte zu 1 ist zulässig. Die Berufungsbegründung greift die Gründe für die Klagabweisung gegen die Beklagte zu 1 in noch ausreichender Weise an. Das Landgericht hat die Klagabweisung insoweit darauf gestützt, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die HIV-Infektion vermieden worden wäre, wenn die Beklagte zu 1 nicht-inaktivierte Blutpräparate verboten hätte. Vor 1981 habe die Beklagte zu 1 ein solches Verbot nicht vornehmen müssen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Infektion erst danach erfolgt sei. Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, die Beklagte habe eine ALT-Testung verlangen müssen. Dadurch wären 61 % der HCV-Fälle vermieden worden, riskante Spender ausgeschlossen und damit auch HIV-infizierte Spender eliminiert worden. Die unterbliebene Risikovermeidung führe zur Beweislastumkehr. Damit wendet die Klägerin sich gegen die Annahme des Landgerichts, die Beklagte zu 1 habe vor 1981 nichts unternehmen müssen sowie gegen die Auferlegung der Darlegungspflicht an die Klägerin.

2. Die Berufung gegen die Beklagte zu 1 ist aber nicht begründet. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass die HIV-Infektion auch auf eine Amtspflichtverletzung der Beklagten zu 1 zurückzuführen ist. Das von der Firma B. entwickelte Verfahren zur Inaktivierung von Hepatitis B-Viren stand auch nach dem Vortrag der Klägerin vor 1981 nicht zur Verfügung. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass M. P. erst nach 1981 sich mit HIV infiziert hat. Die erste Bestimmung einer HIV-Infektion erfolgte im September 1985. Aus der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 09.06.1994 (I 1013) geht hervor, aus den genannten Befunden könne geschlossen werden, dass die HIV-Infektion Anfang der 80-er Jahre stattgefunden habe. Damit ist die HIV-Infektion möglicherweise vor 1981 erfolgt. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Beklagte zu 1 bereits im Jahr 1981 nicht-inaktivierte Präparate vom Markt nehmen musste oder erst später.

Der Vortrag der Klägerin, die Beklagte zu 1 habe eine ALT-Testung verlangen müssen, reicht zur Begründung einer Haftung der Beklagten zu 1 nicht aus. Denn dadurch wäre nach eigenem Vorbringen der Klägerin nur 61 % der Hepatitis-C-Fälle vermieden worden. Selbst wenn man der Klägerin darin folgen würde, dass in diesen Fällen dann auch eine Infizierung mit HIV ausgeschlossen wäre, bedeutet dies umgekehrt, dass in 39 % der Fällen eine HCV-Infizierung nicht festgestellt werden konnte. Es hätte somit ein erhebliches Infektionsrisiko fortbestanden. Eine Infizierung des Verstorbenen wäre dadurch, dass die Beklagte zu 1 eine ALT-Testung verlangt hätte, somit nicht sicher vermieden worden. Angesichts der Höhe des auch bei einer ALT-Testung verbleibenden Infektionsrisikos ist der Senat nicht davon überzeugt (vgl. Zum notwendigen Grad der Gewissheit BGH Z 53, 245, 255), dass M. P. sich bei einer ALT-Testung des Präparate nicht mit Hepatitis C infiziert hätte. Selbst wenn man die Richtigkeit der Behauptungen der Klägerin unterstellt, ist damit die Ursächlichkeit des Verhaltens der Beklagten zu 1 für die Infizierung des M. P. mit Hepatitis C oder HIV nicht dargetan.

Der Klägerin kommen keine Beweiserleichterungen zugute. Für einen Anscheinsbeweis bedarf es zunächst eines typischen Geschehensablaufs, d.h. eines Sachverhaltes, bei dem nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge oder die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann (Zöller/Krieger ZPO, 22. Aufl. 2001, vor § 284, 29). Daran fehlt es hier schon deshalb, weil die ALT-Testung nur zu 60 % ausgeschlossen hätte, dass das verwendete Blut infiziert war. Der vom BGH in der Entscheidung NJW 1991, 1948 angenommene Anscheinsbeweis betrifft nicht die Ursächlichkeit einer Amtspflichtverletzung der Bundesrepublik für die Infektion des Geschädigten mit HIV, sondern die Frage, ob die Infektion mit dem HIV-Virus auf der von der Beklagten verwendeten Blutkonserven zurückzuführen war. Es handelt sich damit um eine andere, der vorliegenden Frage nicht vergleichbare Frage. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung den Anscheinsbeweis kumulativ an drei Voraussetzungen geknüpft, nämlich dass der Empfänger zu keiner HIV-gefährdeten Risikogruppe gehört und auch durch die Art seiner Lebensführung keiner gesteigerten Infektionsgefahr ausgesetzt ist, dass (2.) der Spender an AIDS erkrankt ist und (3.) bei anderen Empfängern dieses Blutes später eine AIDS-Infektion festgestellt wird. Im vorliegenden Fall kann nicht festgestellt werden, ob die dem Verstorbenen verabreichten Faktor IX-Präparate infiziert waren. Nach der ärztlichen Bescheinigung von Prof. Zimmermann sind Chargennummern nicht vorhanden. Ebenso wenig ist festzustellen, ob die Spender des für die Präparate verwendeten Blutes an AIDS erkrankt waren. Auch aus diesem Grunde kann hier ein Anscheinsbeweis nicht angenommen werden.

Die Klägerin ist auf ihren Vortrag vom 11.01.1999 (I 983), Herr P. hätte noch vor seinem Tod einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem HIV-Gesetz stellen können, wenn er richtig über den Zeitpunkt des Inkraftretens des Gesetzes informiert worden wäre, ihm hätten dann ab dem 01.01.1994 monatlich 3.000,00 DM zugestanden, nicht zurückgekommen. Die Klägerin greift damit das Urteil des Landgerichts dass zu diesem Vortrag nicht Stellung nimmt - die Beklagte zu 1 hatte einer Klageänderung widersprochen (I 1015 ff-), insoweit nicht an und macht den Anspruch auch nicht im Berufungsrechtszug geltend, sodass dieser Anspruch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.

Die Beschwer der Klägerin übersteigt 60.000,00 DM (§ 546 ZPO).

Ende der Entscheidung

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