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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 26.07.2001
Aktenzeichen: 9 U 11/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1922
BGB § 823 Abs 1
BGB § 847
Zur Wirksamkeit der Zustimmung des Totenfürsorgeberechtigten zu einer Obduktion bedarf es dessen Belehrung über den Umfang und die Tragweite der Obduktion.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Zivilsenat in Freiburg

Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am: 26. Juli 2001

In Sachen

wegen Schmerzensgeldes

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 9. Zivilsenat in Freiburg - auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2001 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 06.12.2000 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Beschwer des Klägers beträgt 11.000,00 DM.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen des Umfangs und der Umstände einer Obduktion seiner unerwartet im Alter von 53 Jahren verstorbenen Ehefrau auf angemessenes Schmerzensgeld in Anspruch.

Der Kläger wollte die Ursache des für ihn unerklärlichen Todes seiner Ehefrau ermitteln lassen und bat den Bestattungsunternehmer um Klärung, ob im Institut des Beklagten eine Obduktion zeitgerecht durchgeführt werden könne. Es kam zu einem Telefonat zwischen dem Mitarbeiter des Instituts, Dr. R., und dem Kläger, bei dem dieser über die Umstände des Todes der Verstorbenen befragt wurde. Auf den Hinweis, seine Ehefrau habe an Luftarmut gelitten und eine Ampulle Theophyllin eingenommen, erklärte Dr. Roos: "Dann wissen wir ja, wonach wir suchen müssen". Entsprechend dem geäußerten Wunsch erklärte sich der Kläger gegenüber dem Institut des Beklagten schriftlich damit einverstanden, die Todesursache seiner verstorbenen Ehefrau feststellen zu lassen. Die Leiche der Verstorbenen wurde hierauf vom Zweitbeklagten obduziert und anschließend wie vorgesehen beerdigt.

Bei der Leichenschau wurden der Leiche 15 Organe, darunter auch das Gehirn und die Zunge, entnommen. Diese entnommenen Organe wurden dem Leichnam vor der Bestattung nicht wieder beigegeben, sondern nach Abschluss der Untersuchungen zur Ermittlung der Todesursache durch den Zweitbeklagten der Kremation zugeführt.

Der Kläger hat geltend gemacht, die entnommenen Organe hätten dem Leichnam vor der Bestattung wieder beigegeben werden müssen. Die entgegenstehende Verfahrensweise des Zweitbeklagten sei pietätlos gewesen, da seiner Ehefrau dadurch eine würdevolle Bestattung des vollständigen Leichnams versagt worden sei. Eine solche Verfahrensweise entspreche nicht dem Üblichen. Er sei insbesondere aufgrund des vorangegangenen Telefonats davon ausgegangen, dass zur Klärung der Todesursache kein größerer Eingriff erforderlich sei. Wäre er darüber aufgeklärt worden, in welchem Umfang eine Leichenöffnung erfolgen werde, hätte er seine Zustimmung hierzu nicht erteilt. An der Vorstellung dieser Vorgänge habe er seelisch sehr stark gelitten und ungezählte schlaflose Nächte verbracht. Er leide seither an gesundheitlichen Störungen des vegetativen Nervensystems, insbesondere Angstzuständen, Schweißausbrüchen und plötzlichem nächtlichem Erwachen. Er habe sich deshalb wiederholt in ärztliche Behandlung begeben müssen. Auch nach Überwindung des eigentlichen Trauerschmerzes dauerten die Beschwerden an. Er hat gemeint, wegen Verletzung seines Rechts auf Totenfürsorge und seiner körperlichen Beeinträchtigung als deren Folge seien die Beklagten ihm zum Ersatz immateriellen Schadens verpflichtet.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Zweitbeklagte hat geltend gemacht, die vollständige innere Leichenschau sei zur Feststellung der Todesursache erforderlich, üblich und sachgerecht gewesen. Bei pathologischen im Gegensatz zu rechtsmedizinischen Obduktionen sei es nicht üblich, entnommene Organe dem Leichnam wieder beizugeben. Dies sei aus zeitlichen Gründen angesichts zeitnah bevorstehender Bestattungstermine und der Notwendigkeit ergänzender zeitaufwendiger Gewebeuntersuchungen nicht möglich.

Das Landgericht hat vor der mündlichen Verhandlung eine gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. H. vom pathologischen Institut des Universitäts-Klinikums F. eingeholt und die Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten, auch zum Sachverhalt, wird auf das Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er ergänzt und vertieft sein Vorbringen erster Instanz und beantragt,

auf die Berufung des Klägers das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 06.12.2000 dahingehend abzuändern, dass der Zweitbeklagte zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verurteilt wird, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Der Zweitbeklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ergänzt und vertieft sein Vorbringen erster Instanz und nimmt auf das Urteil des Landgerichts Bezug, das er im Ergebnis für richtig hält.

Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zwar bejaht der Senat die Verletzung eines absoluten Rechts des Klägers im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB, die, soweit sie zu einer körperlichen Beeinträchtigung des Klägers geführt hat, einen Schadensersatzanspruch gemäß § 847 BGB begründen könnte. Der Anspruch scheitert aber schon am fehlenden Verschulden des Zweitbeklagten.

Ein Schmerzensgeldanspruch des Klägers wegen einer erlittenen Körperverletzung gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB kommt nur in Betracht, soweit der Kläger durch Verletzung eines eigenen Rechts selbst körperlich zu Schaden gekommen ist. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass dem Kläger nach dem Tode seiner Ehefrau das sogenannte Totenfürsorgerecht zustand. Dieses Totenfürsorgerecht ist als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Im Falle seiner Verletzung könnten ihm dann als Rechtsinhaber Schadensersatz-, Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche zustehen (Palandt/Edenhofer, BGB, 60. Auflage, Einleitung vor § 1922 Rdn. 12).

Der Zweitbeklagte hat die ihm übertragene Leichenöffnung im Umfang der Übertragung durchgeführt, so dass unter dem Gesichtspunkt der Auftragsüberschreitung eine Verletzung des Totenfürsorgerechts nicht vorliegt. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag ist nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auszulegen (§ 157 BGB). Der Auftrag ging dahin, durch eine fachgerechte Leichenöffnung die Todesursache festzustellen. Zwischen den Parteien wurde nicht darüber gesprochen, dass sich die Leichenöffnung nur auf Teile erstrecken sollte. Es mag sein, dass der Kläger mangels Erfahrung und aufgrund des Inhalts des Ferngesprächs mit dem Mitarbeiter des Zweitbeklagten von einem geringeren Umfang der Leichenöffnung ausging. Ein solcher Wille des Klägers hat aber in diesem Ferngespräch keinen ausreichenden Niederschlag gefunden. Auch aufgrund der nichteingeschränkten Einwilligung des Klägers zur Leichenöffnung konnte der Zweitbeklagte davon ausgehen, die Leichenöffnung solle in dem erforderlichen und üblichen Umfang durchgeführt werden, damit nach den Regeln der ärztlichen Kunst die Todesursache zweifelsfrei festgestellt wird.

In diesem vereinbarten Umfang wurde die Leichenöffnung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt. Der Senat folgt insoweit dem am 07.11.2000 erstellten Gutachten von Prof. Dr. H. vom pathologischen Institut des Universitäts-Klinikums F.. Danach war es richtig, die Obduktion in dieser Art und in diesem Umfang durchzuführen. Eine fachgerechte Obduktion muss prinzipiell, anders als eine rechtsmedizinische Obduktion, nicht nur eine unnatürliche Todesursache ausschließen. Hierzu ist auch die Entnahme von Organen erforderlich, die weitergehend pathologisch untersucht werden müssen. In solchen Fällen werden nur ausnahmsweise Teilobduktionen durchgeführt, wenn die Angehörigen ausdrücklich darum gebeten haben und das Ziel der Obduktion die spezielle Aufklärung beispielsweise eines postoperativen Lokalbefundes ist. Auch die Landesärztekammer hat in ihrer dem Kläger gegenüber abgegebenen Stellungnahme vom 24.02.2000 die Richtigkeit des Umfangs der durchgeführten Leichenöffnung bejaht.

Der Senat sieht es weiter durch das schriftliche Gutachten von Prof. Dr. H. als erwiesen an, dass es üblich und sachgerecht war, die entnommenen Organe nicht wieder in den Leichnam zurückzugeben, sondern getrennt zu entsorgen. Die Gründe hierfür sind, wie der Sachverständige ausgeführt hat, vielfältiger Art. So werden Organe vorübergehend (Tage) in Kühlkammern bis zum endgültigen Abschluss der mikroskopischen Organuntersuchung aufbewahrt, da sich in vielen Fällen erst nach der Auswertung von Präparaten weitere Fragen ergeben, die eine zusätzliche Probenentnahme erforderlich machen. Hierbei könne es sich auch um toxikologische Untersuchungen handeln, deren Erfordernis besonders bei plötzlichen und unerwarteten Todesfällen nicht immer voraussehbar sei. Diese Notwendigkeit ergebe sich auch aus dem Umstand, dass die Leiche nach abgeschlossener Obduktion möglichst schnell wieder zu verschließen und fachgerecht herzurichten ist, damit die Bestattung nicht verzögert wird und die Angehörigen noch Gelegenheit zum Abschied erhalten. Darüber hinaus hat der Sachverständige auch auf praktische und hygienische Gründe hingewiesen. Auch aus der Stellungnahme der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 24.02.2000 ergibt sich, dass es üblich ist, Organe zurückzubehalten, um weitere mikroskopische Untersuchungen durchführen zu können. Aus der zurückhaltenden Formulierung in dieser Stellungnahme kann nicht gefolgt werden, dass die gutachterliche Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. H. E. Schaefer, die sich auf die konkrete Leichenöffnung bezieht, falsch ist.

Die formalen Einwände des Klägers gegen die Einholung dieses Sachverständigengutachtens durch das Landgericht sind unbegründet. Das Gutachten wurde in zulässiger Weise gemäß § 358 a ZPO bereits vor der mündlichen Verhandlung eingeholt. Zur Auswahl des Sachverständigen bedurfte es nicht zwingend der vorherigen Anhörung der Parteien (BGHZ 131, 76/80; Zöller/Greger, ZPO, 22. Auflage, § 404 Rdn. 1). Wegen der Fragestellungen lag es hier nahe, den ärztlichen Direktor des pathologischen Instituts des Universitäts-Klinikums F.als Sachverständigen auszuwählen. Dem Kläger war es unbenommen, sofort nach Kenntniserlangen von der Auswahl des Sachverständigen einen anderen Sachverständigen vorzuschlagen, damit das Gericht dies noch berücksichtigen konnte. Dies ist aber nicht geschehen. Ein eventueller Verfahrensverstoß durch die Unterlassung der Anhörung der Parteien zur Auswahl des Sachverständigen wäre ohnehin gemäß § 295 ZPO geheilt, da der Kläger anschließend rügelos verhandelt hat.

Der Antrag des Klägers, ein Obergutachten einzuholen, ist nicht begründet. Es ist weder dargetan, dass der gerichtlich beauftragte Sachverständige nicht über die nötige Sachkunde verfügt noch ist dargetan, dass ein anderer Sachverständiger über bessere Sachkunde verfügt.

Soweit eine Leichenöffnung nicht aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften und Verfahren gestattet ist, bedarf eine Leichenöffnung nach der Rechtsprechung und einem ganz überwiegenden Teil des Schrifttums der vorherigen Einwilligung des Patienten oder der späteren Einwilligung des Totenfürsorgeberechtigten (BGH NJW 1990, 2313 m.w.N.). Dem ist zuzustimmen.

Der Senat verneint hier das Vorliegen einer ausreichenden Einwilligung zur Durchführung der umfangreichen Leichenöffnung mit Entnahme von zahlreichen Organen. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten zu einem ärztlichen Eingriff voraus, dass der Einwilligende das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite des Eingriffes in seinen Grundzügen erkannt hat. Dieser Grundsatz ist auch auf die Zustimmung zur Leichenöffnung zu übertragen, da nicht allgemein bekannt ist, wie, in welchem Umfang und mit welchen Folgen Leichenöffnungen durchgeführt werden. Bei medizinischen Eingriffen ist deshalb zur Wirksamkeit der Einwilligung die vorherige Aufklärung über die Tragweite der Entscheidung durch den Arzt erforderlich (BGH NJW 1998, 633; BGH NJW 1987, 1481). Da sich der in eine Leichenöffnung Einwilligende in einer ähnlichen Situation befindet, weil er ohne Aufklärung über die wesentlichen Umstände der Obduktion die Tragweite seiner Entscheidung nicht überblicken kann, sind in diesen Fällen diese Grundsätze entsprechend anzuwenden.

Es ist nicht zu übersehen, dass sich der die Einwilligung zur Leichenöffnung entgegennehmende Pathologe in einer schwierigen Situation befindet. Die Angehörigen des Verstorbenen befinden sich in aller Regel in einem psychischen Ausnahmezustand extremer Trauer. Dem Sachverständigen Prof. Dr. H. ist auch darin beizupflichten, dass eine detaillierte Darstellung der Technik einer Obduktion, der zu erwartenden Verwesung etc. eine menschlich und ärztlich unvertretbare Belastung darstellen würde, dennoch aber ist unerlässlich, dass der Einwilligende in groben Zügen informiert wird und nicht durch Verschweigen in Unkenntnis über Umfang und Tragweite einer Obduktion gehalten wird. Insbesondere ist auch ein Hinweis erforderlich, dass aufgrund der oben behandelten Erfordernisse entnommene Organe nicht alle vor der Bestattung wieder dem Leichnam beigegeben werden können.

Bei der Entscheidung dieser Frage wurde nicht übersehen, dass der Bundesgerichtshof (BGH NJW 1990, 2313) für die Zustimmung des Patienten in eine Leichenöffnung sogar eine Zustimmung in vorformulierten Vertragsbedingungen für ausreichend angesehen hat. Allerdings konnte nach der Klausel die Zustimmung zu Lebzeiten vom Patienten und nach dem Tod von den Angehörigen widerrufen werden. Diee Entscheidung hat im Übrigen weitgehend Widerspruch ausgelöst (Deutsch, NJW 1990, 2315; Ackmann JZ 1990, 925; Giesen und Kloth, JR 1991, 203).

Der Senat teilt die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht. Dies bedarf keiner Vertiefung und auch die Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, da die Klage ohnehin mangels Verschuldens des Beklagten abzuweisen ist.

Denn der Mangel der Einwilligung des Klägers in die Obduktion musste dem Beklagten aufgrund der bisherigen - nach Auffassung des Senats fehlerhaften - ärztlichen Übung und des Fehlens entsprechender Rechtsprechung nicht bekannt sein.

Da die Berufung des Klägers keinen Erfolg hat, hat er gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO.



Ende der Entscheidung

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