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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 06.03.2003
Aktenzeichen: (1) 4420 BL ­III­ 13/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121 I
StPO § 122
Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Verkündung eines (erweiterten) Haftbefehls gemäß § 115 StPO einschließlich der Gewährung der Möglichkeit der Äußerung durch den Beschuldigten, darf dieser Haftbefehl in einem Haftfortdauerbeschluss gemäß §§ 121, 122 StPO nicht berücksichtigt werden (BVerfG StV 01, 691).
(1) 4420 BL ­ III ­ 13/03 2090 Js 43734/02 ­ 27 Ls StA Koblenz

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Strafsache

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und Diebstahls

hier: Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richter am Oberlandesgericht Völpel, Summa und Pott

am 6. März 2003 beschlossen:

Tenor:

1. Gegen den Angeklagten wird Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

2. Der nächste Haftprüfungstermin vor dem Senat findet erforderlichenfalls am 6. Juni 2003 statt.

3. Bis dahin werden die weiteren Haftentscheidungen dem Gericht übertragen, das nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständig ist.

Gründe:

Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts K. vom 22. August 2002 seit dem 4. September 2002 in Untersuchungshaft.

Der dringende Tatverdacht für die ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Taten des unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Heroin in acht Fällen und des unerlaubten Besitzes dieses Betäubungsmittels in einem Fall sowie des zweifachen gewerbsmäßigen Diebstahls im Zeitraum vom 14. Juni bis 8. August 2002 ergibt sich aus den in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft K. vom 11. September 2002 aufgeführten Beweismitteln.

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es ist zu erwarten, dass der Angeklagte sich dem Verfahren durch Flucht entziehen wird, sobald er sich auf freiem Fuß befindet. Er sieht im vorliegenden Verfahren einer erheblichen Gesamtfreiheitsstrafe entgegen. Über die im Haftbefehl beschriebenen acht Fälle hinaus enthält die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft noch einen weiteren Fall des unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Heroin. Der von der Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz wird verstärkt durch den gänzlich haltlosen Lebenswandel des Angeklagten. Er ist heroinabhängig und geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Auch über familiäre Bindungen verfügt er nicht. An seiner Meldeanschrift, dem Wohnsitz seiner Eltern, hielt er sich vor seiner Festnahme nur gelegentlich auf. Gewöhnlich nächtigte er in der Wohnung eines Freundes, der ebenfalls Heroinkonsument und inzwischen durch das Schöffengericht am 11. November 2002 wegen zahlreicher Drogendelikte und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist. Unter diesen Umständen ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Angeklagte im Fall seiner Freilassung sofort untertauchen wird. Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Untersuchungshaft (§ 116 Abs. 1 StPO) sind deswegen keinesfalls geeignet, den Verfahrenssicherungszweck der Haft zu gewährleisten.

Gemäß § 121 Abs. 1 StPO ist die Untersuchungshaft auch über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten, da wichtige Gründe eingetreten sind, die eine verfahrensabschließende Entscheidung trotz zügiger Verfahrensbearbeitung bislang nicht zugelassen haben:

Die Staatsanwaltschaft hatte nach Festnahme des Angeklagten unverzüglich am 11. September 2002 die Ermittlungen abgeschlossen und die Anklageschrift gefertigt. Da die dem Angeklagten angelasteten Straftaten offensichtlich im Zusammenhang mit seinem Heroinkonsum stehen, hatte der Dezernent am gleichen Tag auch einen medizinischen Sachverständigen mit der Untersuchung des Angeklagten auf seine Schuldfähigkeit und die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 StGB beauftragt, nachdem er mit dem Sachverständigen ­ wie es das Beschleunigungsgebot in Haftsachen erfordert ­ unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit der Sache eine Terminsabsprache für die Vorlage zumindest eines Zwischengutachtens zur Frage der Schuldunfähigkeit getroffen hatte.

Nach Eingang der Anklageschrift beim zuständigen Schöffengericht am 16. September 2003 hatte der Vorsitzende sofort am Folgetag die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten veranlasst, ihm am 15. Oktober 2002 einen Verteidiger bestellt und diesem am 28. Oktober 2002 vorsorglich bereits den vorgesehenen Termin zur Hauptverhandlung am 6. Januar 2003 schriftlich angekündigt. Nach Eingang des Sachverständigengutachtens am 5. November 2002 hatte das Gericht weiter unverzüglich am 9. Dezember 2002 das Hauptverfahren eröffnet und durch den Vorsitzenden Termin zur Hauptverhandlung wie geplant auf den 6. Januar 2003 bestimmt. Bei entsprechender Verfahrensfortführung wäre die Sache nach vier Monaten Untersuchungshaft des Angeklagten durch Urteil erledigt worden.

Die Verfahrensplanung wurde jedoch durch eine Erkrankung des Vorsitzenden zunichte gemacht. Der Hauptverhandlungstermin musste kurzfristig aufgehoben werden. Nach Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit hat der Vorsitzende unverzüglich am 13. Januar 2003 in Absprache mit dem Verteidiger und dem Sachverständigen neuen Termin zur Hauptverhandlung auf den 12. März 2003 bestimmt. Ein Versuch des Vorsitzenden am 4. Februar 2003, die Hauptverhandlung noch auf den 17. Februar 2003 vorzuziehen, nachdem eine andere auf diesen Tag terminierte Strafsache ausgefallen war, scheiterte an der Verhinderung sowohl des Verteidigers als auch des Sachverständigen.

Die aufgezeigten verfahrenshemmenden Umstände sind vom Gericht weder zu vertreten noch konnte es ihnen durch organisatorische Maßnahmen rechtzeitig vorbeugen. Sie sind daher als wichtige Gründe i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO anzuerkennen.

Da auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesichts der Schwere des Schuldvorwurfs sowie im Hinblick auf die zeitnah bevorstehende Hauptverhandlung ohne Bedenken gewahrt ist, hat der Senat Fortdauer der Untersuchungshaft für weitere drei Monate angeordnet.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der vom Schöffengericht am 19. Februar 2003 erlassene Haftbefehl nicht Grundlage der Haftprüfung sein kann, da er dem Angeklagten lediglich durch Übersendung bekannt gegeben worden ist. Das Bundesverfassungsgericht (StV 01, 691) hat dazu folgendes entschieden:

"Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Verkündung eines (erweiterten) Haftbefehls gemäß § 115 StPO einschließlich der Gewährung der Möglichkeit der Äußerung durch den Beschuldigten, darf dieser Haftbefehl in einem Haftfortdauerbeschluss gemäß §§ 121, 122 StPO nicht berücksichtigt werden".

Ende der Entscheidung

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