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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 30.08.2001
Aktenzeichen: (1) Ausl. - III - 28/01
Rechtsgebiete: EuAlÜbk, IRG


Vorschriften:

EuAlÜbk Art. 16 IV 1
IRG § 26
Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass bei vorläufiger Auslieferungshaft der Lauf der in Art. 16 Abs. 4 S. 1 EuAlÜbk bestimmten Fristen mit der rechtlichen Verhaftung des Verfolgten, d.h. mit Erlass des Auslieferungshaftbefehls beginnt.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

Geschäftsnummer: (1) Ausl. - III - 28/01

In der Auslieferungssache

wegen Raubes

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe und die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa

am 30. August 2001 beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz auf Aufhebung des Termins zur Entscheidung über die Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft vom 30. August 2001 wird abgelehnt.

2. Gegen den Verfolgten wird Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft angeordnet.

3. Über die Haftfortdauer wird der Senat spätestens am 20. September 2001 erneut entscheiden.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 14. August 2001 hat der Senat gegen den Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung an die Republik Litauen die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet. Er hat weiter beschlossen, gemäß Art. 16 Abs. 4 S. 1 HS 1 EuAlÜbk vor Ablauf der dort genannten 18-Tages-Frist am 30. August 2001 über die Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft zu entscheiden.

Gegen die Bestimmung des Haftprüfungstermins wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft. Sie beantragt unter Bezugnahme auf ein angebliches, nicht näher bezeichnetes und inhaltlich nicht bekannt gegebenes Schreiben des Ministeriums der Justiz an die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, den Termin aufzuheben und die in Art. 16 Abs. 4 S. 1 EuAlÜbk bestimmten Fristen erst von dem Zeitpunkt an zu berechnen, ab dem die vorläufige Auslieferungshaft gegen den derzeit noch in Untersuchungshaft befindlichen Verfolgten tatsächlich vollzogen wird. Das entspräche der Rechtsprechung des Senats in seinen Beschlüssen vom 7. November 1995 ((1) Ausl. - III- 19/95), 22. März 1996 ((1) Ausl. - III - 3/96) und 23. Mai 1996 ((1) Ausl. - III - 10/96).

Hilfsweise beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft zu beschließen.

II.

Der Antrag auf Aufhebung des Haftprüfungstermins ist abzulehnen.

In jahrzehntelanger Rechtsprechung vertritt der Senat die Ansicht, dass bei Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft der Lauf der in Art. 16 Abs. 4 S. 1 EuAlÜbk bestimmten Fristen mit der rechtlichen Verhaftung des Verfolgten, d.h. mit Erlass des Auslieferungshaftbefehls beginnt (vgl. nur Senatsentscheidungen in den Verfahren (1) Ausl. - III - 2/85, 3/85, 10/86, 11/86, 3/87, 5/87, 3/88, 1/91, 2/91 und 13/92; entgegen S/L-Schomburg, Internationale Rechtshilfe, EuAlÜbk Art. 16 Rdn. 7). Demgemäß werden bei einer Anordnung gegen einen anderweitig in Untersuchungs- oder Strafhaft befindlichen Verfolgten die Fristen nicht erst mit Beginn des tatsächlichen Vollzugs der vorläufigen Auslieferungshaft sondern auch in diesem Fall schon mit Erlass des Auslieferungshaftbefehls in Gang gesetzt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 19. Januar 1999 - (1) Ausl. - III - 21/98 -; entgegen S/L-Schomburg, a.a.O. Rdn. 11 m.w.N.).

Gegen einen Fristbeginn erst mit Vollzug der vorläufigen Auslieferungshaft spricht schon der vergleichende Wortlaut der einschlägigen Auslieferungsbestimmungen. § 26 Abs. 1 S. 1 IRG, der sich mit der Prüfung der Auslieferungshaft befasst, lässt die dort bestimmte Zwei-Monats-Frist ausdrücklich nur dann zur Geltung kommen, wenn der Verfolgte sich tatsächlich in Auslieferungshaft befindet. § 26 Abs. 2 IRG, der die gerichtliche Prüfung der vorläufigen Auslieferungshaft regelt, nimmt auf Abs. 1 Bezug und setzte damit, wäre diese Gesetzesvorschrift anzuwenden, die genannte Prüfungsfrist auch für die vorläufige Auslieferungshaft erst mit deren tatsächlichem Vollzug in Gang. Letztgenannter Vorschrift geht jedoch gemäß § 1 Abs. 3 IRG die die vorläufige Auslieferungshaft betreffende Bestimmung des Art. 16 EuAlÜbk vor, die den Lauf der in ihrem Abs. 4 genannten Fristen mit dem Zeitpunkt der "Verhaftung" beginnen lässt. Bereits dieser unterschiedliche Wortwahl spricht dagegen, Verhaftung im Sinne der völkerrechtlichen Vertragsbestimmung mit dem tatsächlichen Vollzug der vorläufigen Auslieferungshaft gemäß der nationalen Gesetzesvorschriften gleichzusetzen. Vielmehr ergibt sich aus Art. 16 Abs. 1 EuAlÜbk, der unter vorläufiger Auslieferungshaft die "vorläufige Verhaftung" des Verfolgten auf Ersuchen eines anderen Staates versteht, dass auch unter dem in Abs. 4 wiederholten Begriff der Verhaftung nur die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft gemeint sein kann.

Dass der Lauf der bestimmten Fristen nicht vom tatsächlichen Vollzug der Haft abhängig sein kann, ergibt sich weiter aus dem Charakter der Haftanordnung. Sie ergeht in einem summarischen Verfahren (BGHSt 28, 31, 34), das auf ein nur formellen Begründungsanforderungen unterliegendes (Art. 16 Abs. 2 EuAlÜbk), durch jedes Nachrichtenmittel, das Schriftspuren hinterlässt, übermittelbares Ersuchen (Art. 16 Abs. 3 S. 1 EuAlÜbk) eines anderen Staates durchgeführt wird. Bereits bloße Nichtvorlage der Auslieferungsunterlagen innerhalb der vorgeschriebenen Fristen entzieht einer angeordneten vorläufigen Auslieferungshaft die Grundlage und führt zur Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls (vgl. BGH a.a.O.). Eine Haftanordnung, die in einem derart ungesicherten, näherer gerichtlicher Prüfung nicht zugänglichen, ausdrücklich auf Vorläufigkeit angelegten Verfahren ergeht, darf nach ihrem Erlass keinesfalls über die vorgesehenen Fristen aufrechterhalten bleiben gleichgültig, ob sie tatsächlich vollzogen wird oder der Verfolgte sich anderweitig in Haft befindet. Andernfalls könnte sie zu Freiheitsbeschränkungen führen, die mit ihrer Vorläufigkeit unvereinbar wären. Befände sich der Verfolgte in Untersuchungshaft und wäre Fristbeginn erst der sich daran anschließende Vollzug der vorläufigen Auslieferungshaft, müsste er nach Aufhebung der Untersuchungshaft weiter bis zu 40 Tagen im Freiheitsentzug verbleiben, obwohl schon die Zeit der Untersuchungshaft dazu hätte genutzt werden können, dem Eingang eines ordnungsgemäßen Auslieferungsersuchens entgegenzusehen und dieses zu prüfen. Einem - möglicherweise in langjähriger (vgl. (1) Ausl. - III - 21/98) - Strafhaft einsitzenden Verfolgten würde aufgrund eines vorläufige Auslieferungshaft anordnenden Haftbefehls Vollzugslockerungen und letztlich evtl. auch noch eine Reststrafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 StGB versagt bleiben, obwohl der ersuchende Staat nach Ablauf der Strafzeit möglicherweise das Interesse an einer Auslieferung verloren und seine Absicht, ein entsprechendes Ersuchen zu stellen, inzwischen aufgegeben hat.

Der Auslieferungshaftbefehl ist daher stets aufzuheben, wenn vom Zeitpunkt der Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft an innerhalb der in Art. 16 Abs. 4 S. 1 HS 2 EuAlÜbk genannten Frist von 40 Tagen die Auslieferungsunterlagen des ersuchenden Staates nicht dem Oberlandesgericht vorgelegt worden sind (vgl. nur Senatsbeschluss vom 19. Januar 1999 - (1) Ausl. - III - 21/98 -).

Soweit der Senat in anderer Besetzung vereinzelt in den von der Generalstaatsanwaltschaft genannten Beschlüssen eine andere Auffassung vertreten und Fristbeginn mit der tatsächlichen Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung angenommen hat, hält er daran nicht fest.

Für einen Fristbeginn erst vom Zeitpunkt des tatsächlichen Vollzugs der vorläufigen Auslieferungshaft an spricht auch kein praktischen Bedürfnis. Die genannten Fristen haben sich die Vertragsstaaten des EuAlÜbk selbst auferlegt. Es kann nicht Aufgabe der Gerichte sein, diese Vereinbarung aufzuweichen und mit eigenen Zwecksmäßigkeitserwägungen abzuändern. Für die Einhaltbarkeit der 40-Tages-Frist gemäß Art. 16 Abs. 4 S. 1 HS 2 EuAlÜbk ist die Frage, ob die angeordnete vorläufige Auslieferungshaft vollzogen wird oder der Verfolgte sich anderweitig in Haft befindet, ohne jeden Belang, so dass sich daraus auch kein sachlicher Grund für einen an dieser Frage ausgerichteten unterschiedlichen Fortbestand der vorläufigen Auslieferungshaftanordnung ergäbe. Eine durchgängige Fristberechnung vom Zeitpunkt der Haftanordnung an führt zudem für den ersuchenden Staat zu der größeren Verfahrenssicherheit. Denn anders als ein Fristbeginn vom ungewissen Zeitpunkt des Vollzugs der vorläufigen Auslieferungshaft an können auf Grundlage des konkreten Haftbefehlsdatums Zweifel über Beginn und Ende der Frist nicht aufkommen.

Nach alledem hält der Senat den angeordneten Haftprüfungstermin aufrecht.

III.

Auf den hilfsweise gestellten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz wird nach Ablauf der 18-Tages-Frist gemäß Art. 16 Abs. 1 S. 1 HS 1 EuAlÜbk Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft angeordnet.

Das Auslieferungsverfahren wird betrieben. Der Mitteilung der Interpol Wilna vom 26. Juli 2001 ist zu entnehmen, dass die litauischen Behörden förmlich gemäß des bestehenden Auslieferungsabkommens um Auslieferung des Verfolgten ersuchen werden. Gegenteiliges ist zwischenzeitlich nicht bekannt geworden. Es kann daher erwartet werden, dass die Auslieferungsunterlagen fristgerecht eingehen und dem Oberlandesgericht vorgelegt werden.

Die nächste Haftprüfung wird der Senat vor Ablauf der 40-Tages-Frist gemäß Art. 16 Abs. 4 S. 1 HS 2 EuAlÜbk am 20. September 2001 vornehmen.

Ende der Entscheidung

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