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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 25.06.2001
Aktenzeichen: (1) Ausl. - III - 4/01
Rechtsgebiete: IRG, 2. ZP-EuAlÜbk, EuAlÜbk


Vorschriften:

IRG § 15 I
2. ZP-EuAlÜbk Nr. 2
EuAlÜbk Art. 12 Abs. 1 S. 1
Zur Frage der Einhaltung der zugelassenen Geschäftswege BRD/Russische Föderation.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: (1) Ausl. - III - 4/01

In der Auslieferungssache

wegen Anstiftung zum versuchten Mord hier: Auslieferungshaft

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am Landgericht Schmitz

am 25. Juni 2001 beschlossen:

Tenor:

Gegen den Verfolgten wird zum Zwecke der Auslieferung an die Russische Föderation die Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe:

1.

Der Senat hatte mit Beschluss vom 20. Februar 2001 gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet und - nachdem die erforderlichen Auslieferungsunterlagen nach Ablauf der Frist des Art. 16 Abs. 4 S. 1 EuAlÜbk nicht vorgelegt worden waren - auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit Beschluss vom 29. März 2001 diese Anordnung wieder aufgehoben.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt nunmehr erneut, gegen den Verfolgten Auslieferungshaftbefehl jetzt nach § 15 Abs. 1 IRG zu erlassen. Dem Senat liegen inzwischen folgende Unterlagen im Original und in beglaubigter Abschrift vor:

a) Schreiben des stellvertretenden Generalstaatsanwalts der Russischen Föderation vom 20. April 2001 an das Bundesministerium der Justiz der Bundesrepublik Deutschland, in dem um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht wird (Nr. 15/1-4527-00) mit der Zusicherung, gegen den Verfolgten keine Todesstrafe zu verhängen;

b) Beschluss über die Heranziehung des Beschuldigten zur strafrechtlichen Verantwortung (Anklageschrift) der Staatsanwaltschaft des N. Gebietes gegen den Verfolgten vom 7. Juni 2000 (Strafsache Nr. 142956), mit Angabe der ihm zur Last gelegten Straftat, für welche die Auslieferung beantragt wird, sowie der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen;

c) Haftbefehl des stellvertretenden Staatsanwaltes des N. Gebietes gegen den Verfolgten vom 7. Juni 2000;

d) Beschluss über die Fahndung nach dem Beschuldigten der Staatsanwaltschaft des N. Gebietes vom 7. Juni 2000;

e) Erklärung des Ministerium des Inneren der russischen Föderation vom 17. Oktober 2000 (21-10365), dass der Verfolgte Staatsangehöriger der Russischen Föderation ist;

f) Abschriften der Gesetzesbestimmungen des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation, welche als verletzt angesehen werden.

2.

Obgleich die Unterlagen ihrem Inhalt nach vollständig sind (Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk), die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat eine auch nach deutschem Recht als Anstiftung zum Mord gem. §§ 26, 211 StGB strafbare auslieferungsfähige Straftat darstellt (Art. 2 Abs. 1 S. 1 EuAlÜbk), die Zusicherung nach Art. 11 EuAlÜbk vorliegt und auch sonstige Gründe, die eine Auslieferung als grundsätzlich unzulässig erscheinen lassen könnten, nicht ersichtlich sind, konnte dem Antrag zunächst nicht entsprochen werden:

Die dem Senat von der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vorgelegten Auslieferungsunterlagen hatten zwar i.V.m. der Erklärung der Russischen Föderation zu Kapitel V des 2. ZP, wonach deren Generalstaatsanwaltschaft "die zur Prüfung von Fragen der Auslieferung bestimmte Behörde der Russischen Föderation" ist (Rdschr. des Ministeriums der Justiz vom 06.02.2001 nebst Anlagen) erkennen lassen, dass das den Verfolgten betreffende Auslieferungsersuchen der Russischen Föderation (das entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz nicht "undatiert" ist, sondern das Datum "20. April 2001" trägt; unvollständig datiert ist lediglich die vorgelegte deutsche Übersetzung) von einer für Ersuchen dieser Art zuständigen Stelle ausgegangen ist. Es ist auch an den nach Art. 5 Satz 1 des 2. ZP-EuAlÜbk richtigen Adressaten, nämlich das Bundesministerium der Justiz, gerichtet.

Die Unterlagen gaben aber keinen Aufschluss darüber, ob das Ersuchen auf einem zugelassenen Geschäftsweg an die deutsche Empfangsbehörde übermittelt worden ist.

Nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 EuAlÜbk ist ein Auslieferungsersuchen grundsätzlich auf diplomatischem Wege zu übermitteln, jedoch kann ein anderer Weg unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart werden. Für die Vertragsparteien des zweiten Zusatzprotokolls wird Art. 12 Abs. 1 EuAlÜbk durch die Regelung ergänzt, dass das Ersuchen auch vom Justizministerium der ersuchenden Vertragspartei an das Justizministerium der ersuchten Vertragspartei gerichtet werden kann (Kapitel V [Art. 5 des 2. ZP-EuAlÜbk). Ob dies hier geschehen ist, ließ sich den dem Senat vorgelegten Akten nicht entnehmen; das Schreiben des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz vom 15. Mai 2001 (Bl. 45: "Mit der Bitte um Kenntnisnahme und weitere Veranlassung übersende ich ein Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 20. April 2001 nebst Anlagen") gab darüber ebenfalls keinen Aufschluss.

Allerdings bestimmt Art. 5 Satz 2 des 2. ZP, dass unmittelbar zwischen den Vertragsparteien auch ein vom ministeriellen Geschäftsweg abweichender Weg vereinbart werden kann. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vertritt hierzu in ihrem Antragsschreiben vom 18. Mai 2001 zwar die Auffassung, "wegen des einzuhaltenden Geschäftsweges ... auf das Rundschreiben des Ministeriums der Justiz vom 6. Februar 2001 (9361 R 2 4 - 1) und seine Anlagen Bezug" nehmen zu können, womit ersichtlich zum Ausdruck gebracht werden soll, die oben erwähnte Erklärung der Russischen Föderation, wonach deren Generalstaatsanwaltschaft "die zur Prüfung von Fragen der Auslieferung bestimmte Behörde" ist, regele zugleich auch den einzuhaltenden Geschäftsweg im Sinne einer von Art. 5 Satz 2 Satz 2 des 2. ZP abweichenden unmittelbaren Sondervereinbarung. Diese Auffassung trifft jedoch nicht zu. Die Bestimmung, welche Behörde in der Russischen Föderation Auslieferungsfragen zu prüfen hat, mag bei - hier vorgenommener - weiter Auslegung noch die Bestimmung mitbeinhalten, dass diese Behörde dann auch dafür zuständig sein soll, ein Auslieferungsersuchen zu stellen. Sie ist aber unergiebig für die - im Auslieferungsrecht stets streng zu trennende (vgl. dazu grundsätzlich S/L-Lagodny, Internationale Rechtshilfe, § 2 IRG Rdn. 29, 30) - Frage, auf welchem Geschäftsweg ein solches (von einer zuständigen ausländischen Stelle ausgehendes) Ersuchen an den ersuchten Staat zu übermitteln ist. Im Übrigen würde es sich bei der im Antragsschreiben der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz in Bezug genommenen einseitigen Erklärung der Russischen Föderation auch nicht um eine "Vereinbarung" i. S. v. Kapitel V des 2. ZP, also ein zweiseitiges Abkommen, handeln.

Der zugelassene Geschäftsweg wäre demnach, da der für den Senat ersichtliche Akteninhalt nichts darüber verlauten ließ, dass das vorliegende Auslieferungsersuchen über das Justizministerium der Russischen Föderation an die Bundesrepublik Deutschland übermittelt worden wäre, nicht eingehalten gewesen. Es ist auch nicht Aufgabe der Oberlandesgerichte, im Rahmen ihrer Rechtsprechungstätigkeit Staaten, die sich selbst durch Abschluss völkerrechtlicher Verträge verbindliche Vorschriften gesetzt haben, im Einzelfall von deren Einhaltung zu dispensieren. Dazu sind nur die beteiligten Staaten selbst befugt, zumal zahlreiche außerrechtliche Umstände denkbar sind, die bei einer solchen Entschließung zu berücksichtigen sein können (vgl Ziff. III 2. des Senatsbeschlusses vom 21.06.2001 (1) Ausl. - III - 19/00).

Für den Fall, dass der korrekte Geschäftsweg nicht eingehalten worden sein sollte, hat der Senat in seiner Zwischenentscheidung vom 30. 05. 2001 allerdings bereits darauf hingewiesen, dass er keinen Anlass sähe, die beantragte Haftanordnung wegen Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Geschäftsweges abzulehnen, wenn ihm eine schriftliche Erklärung der Bundesregierung vorgelegt würde, durch die zum Ausdruck käme, dass auf die Einhaltung des ministeriellen Geschäftsweges verzichtet werde.

3.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat nunmehr eine Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz vom 11. Juni 2001 zugeleitet, in der darauf hingewiesen wird, "dass Auslieferungsersuchen der russischen Föderation üblicherweise von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation dem Bundesministerium der Justiz unmittelbar übermittelt werden", und "dass diese Vorgehensweise ... bislang ... von hier" nicht beanstandet worden sei.

Soweit in diesem Schreiben im übrigen unter Hinweis auf den Kommentar von Grützner-Pötz die Auffassung vertreten wird, "dass in der Vergangenheit mehrere Oberlandesgerichte es für unschädlich gehalten haben, wenn Auslieferungsersuchen entgegen den jeweiligen Auslieferungsverträgen nicht auf dem diplomatischen bzw. justizministeriellen Geschäftsweg übermittelt wurden", wird damit zunächst bestätigt, dass die vom Senat gesehene, von der Generalstaatsanwaltschaft noch verneinte Abweichung vom Auslieferungsvertrag tatsächlich vorliegt. Der weitere Hinweis auf die in der zitierten Kommentarstelle angeführte oberlandesgerichtliche Rechtsprechung erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als weitgehend unergiebig: Der zu Artikel 16 des Deutsch-Amerikanischen Auslieferungsvertrages ergangenen Entscheidung OLG Karlsruhe Justiz 89, 92 lag ein Antrag auf Anordnung lediglich vorläufiger Auslieferungshaft zugrunde, um die es hier nicht geht, und OLG Hamburg GA 88, 566 betraf eine hier ebenfalls nicht vorliegende (Geschäftsweg-)Kann-Bestimmung; dabei wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Rechtslage bei einer zwingenden Geschäftswegregelung (wie sie hier gegeben ist) anders zu beurteilen wäre. In etwa einschlägig ist allein die Entscheidung des OLG Karlsruhe in NJW 90, 2208; dort hob das Gericht wie allerdings im vorliegenden Falle auch schon der Senat im Beschluss vom 30. Mai 2001, S. 4 a.E. entscheidend darauf ab, dass es sich bei dem Verstoß gegen die (an sich zwingende) Geschäftswegregelung um eine ständige, vom generellen Willen der Bundesregierung getragene abweichende Staatenpraxis handele (s. dazu auch Senatsbeschluss vom 21.06.2001 (1) Ausl. - III - 19/00 S. 8 f.).

Nach Vorlage des Schreibens des Bundesministeriums der Justiz steht nunmehr fest, dass es zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation üblich ist, Auslieferungsersuchen von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation dem Bundesministerium der Justiz unmittelbar übermitteln zu lassen, und dass diese Vorgehensweise bislang von der Bundesregierung bislang nie beanstandet worden ist. Der Senat wertet diese Ausführungen als Erklärung im Sinne des letzten Absatzes seines Beschlusses vom 30. Mai 2001. Es kommt mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, dass die Bundesregierung gegenüber der Russischen Föderation auf die Einhaltung des ministeriellen Geschäftsweges verzichtet.

Der Senat hat daher die Auslieferungshaft nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG angeordnet, über deren Fortdauer spätestens am 24. August 2001 (§ 26 Abs. 1 IRG) zu befinden ist.

Ende der Entscheidung

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