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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 30.10.2003
Aktenzeichen: 1 Ausl. 38/03
Rechtsgebiete: EuAlÜbk


Vorschriften:

EuAlÜbk § 2
EuAlÜbk § 10
EuAlÜbk § 16
Bei Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft mit dem Ziel einer Auslieferung zur Strafvollstreckung auf Ersuchen der tschechischen Republik sind die vom Europäischen Auslieferungsübereinkommen abweichenden Regelungen im deutsch-tschechischen Ergänzungsvertrag zum Geschäftsweg, zur Strafvollstreckungsverjährung, zum vorausgesetzten Mindestmaßes der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe und zur 40-Tages-Frist zu beachten.
Geschäftsnummer: (1) Ausl. -III- 38/03

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ AUSLIEFERUNGSHAFTBEFEHL

In der Auslieferungssache

wegen Betrugs und Unterschlagung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 30. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Gegen den Verfolgten wird zum Zwecke der Auslieferung an die tschechische Republik vorläufige Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe:

Gegen den Verfolgten ist auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vorläufige Auslieferungshaft gemäß Art. 16 EuAlÜbk anzuordnen.

I.

Die tschechische Republik hat auf dem in Art. 9 Abs. 1 S. 1 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung vom 2. Februar 2000 (BGBl. 2001 S. 727) - in Kraft getreten am 19. Juni 2002 (BGBl. 2002 S. 1043) - vorgesehenen Geschäftsweg durch ein an das Ministerium der Justiz in Mainz gerichtetes Telefax-Schreiben ihres Justizministeriums vom 29. Oktober 2003 um vorläufige Festnahme des Verfolgten ersucht.

Gegen ihn besteht ein Steckbrief des Kreisgerichts in Hradec Kralove vom 20. Mai 2002, mit dem er zur Vollstreckung einer vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem seit dem 20. Mai 1998 rechtskräftigen Urteil des Kreisgerichts in Hradec Kralove vom 19. Dezember 1997 - 6 T 54/97 - gesucht wird.

Darin werden ihm mindestens 10 gemeinschaftliche mit St. V. und acht als Einzeltäter begangene Taten zur Last gelegt, die, soweit sie nachfolgend unter 1. lit. a) - i) und 2. a) - g) dargestellt werden, nach tschechischem und deutschem Recht gleichermaßen als Betrug (§ 250 tschechisches StGB, §§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 2 deutsches StGB), hinsichtlich der nachfolgend unter 3. beschriebenen Tat nach tschechischem Recht (§ 249 StGB) als unberechtigter Gebrauch einer fremden Sache, nach den deutschen Strafvorschriften als Unterschlagung (§ 246 StGB) strafbar, nach dem Recht beider Staaten im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht und damit auslieferungsfähige Handlungen gemäß Art. 2 Abs. 1 S. 1 EuAlÜbk sind.

Die Straftatbestände soll der Verfolgte dadurch erfüllt haben, dass er

1.

gemeinsam mit St. V.

a) sich am 30.3.1994 in Hradec Kralove unter dem Vorwand, Gold ankaufen zu wollen, von V. N. eine Geldsumme in Höhe von 30.000 CZK mit der Zusage ausgeliehen hat, das Geld binnen 14 Tagen zurückzuzahlen, was er jedoch nicht tat, sondern das Geld für sich selbst verbrauchte,

b) im Monat März 1994 in Nymburk den Eheleuten V. und H. S. Kuponhefte, Personalausweise und Auszüge der Zentralstelle für Wertpapiere unter dem Vorwand eines vorteilhaften Kaufs des Kuponheftes entlockt hat und diese Kuponhefte am 31.3.1994 der Firma K. P. verpfändete, wofür er eine Summe in Höhe von 13.000 CZK bekam, die er für sich selbst verbrauchte, weiter sich am 14.9.1995 von den genannten Eheleuten einen Geldbetrag in Höhe von 16.000 CZK ausgeliehen hat, die er ebenfalls für eigene Zwecke verwendete und bis heute nicht zurückzahlte,

c) sich am 24.10.1994 in Hradec Kralove von A. C. eine Summe von 250.000 CZK mit der Zusage ausgeliehen hat, ein Haus zu kaufen und ihr eine Wohnung abzutreten, nachfolgend jedoch nur 60.000 CZK zurückzahlte und die Zusage der Wohnungsabtretung nicht einhielt, die Restsumme von 190.000 CZK nicht zurückgab, sondern das Geld für sich selbst verbrauchte,

d) am 15.6.1995 in Mostek, Bezirk Trutnov dem J. S. unter dem Vorwand, einen Goldladen eröffnen zu wollen, einen Geldbetrag von 65.000 CZK mit dem Versprechen entlockt hat, die Summe bis zum 23.7.1995 zurückzuzahlen, was er jedoch bis heute nicht getan hat,

e) am 26.6.1995 in Vysoka nad Labem, Bezirk Hradec Kralove, dem Dipl.-Ing. J. K. unter dem Vorwand, ihm eine Wohnung in der Rokytanskeho Strasse, Konskriptionsnummer 73, abzutreten, einen Geldbetrag von 150.000 CZK entlockt hat, sich nachfolgend nach Mahnungen des Geschädigten verpflichtete, die Summe bis zum 30.8.1995 zurückzuzahlen, was er jedoch bis heute nicht getan und auch die Wohnung dem Geschädigten nicht überlassen hat,

f) am 26.6.1995 in Vysoka nad Labem, Bezirk Hradec Kralove dem P. K. unter dem Vorwand, eine Wohnung für die Eltern V. ankaufen zu wollen, einen Geldbetrag von 100.000 CZK mit der Zusage entlockt hat, das Geld bis zum 26.7.1995 zurückzuzahlen, was er jedoch bis heute nicht getan hat,

g) am 5.9.1995 um 21.00 Uhr in Skalna, Bezirk Cheb, J. J. unter dem Vorwand, Kraftstoff für den PKW zu kaufen, eine Summe von 3.000 CZK und 20 DM entlockt und das Versprechen, das Geld bis zum 11.9.1995 zurückzuzahlen, nicht eingehalten hat, wodurch der Geschädigten ein Schaden von 3.359,20 CZK entstanden ist,

h) am 6.9.1995 in Ehingen/Donau-Berg in der Bundesrepublik Deutschland dem T. K. unter dem Vorwand, Gold ankaufen zu wollen, einen Geldbetrag von 3.000 DM entlockt hat mit der Zusage, die Summe zurückzuzahlen, was jedoch bis heute nicht geschehen ist, wodurch er einen Schaden in Höhe von 53.790 CZK verursachte,

ch) im Monat September 1995 in Horni Brusnice, Bezirk Trutnov dem L. P. einen Geldbetrag von 2.000 CZK mit der Zusage entlockt hat, das Geld binnen einer Woche zurückzuzahlen, ihm weiter am 2.10.1995 einen Geldbetrag von 6.500 CZK entlockt und das Geld nachfolgend für sich selbst verwendet hat, wodurch dem Geschädigten ein Schaden in einer Gesamthöhe von 8.500 CZK entstanden ist,

i) am 4.11.1995 auf einem Parkplatz bei Karlsruhe in der Bundesrepublik Deutschland dem J. K. unter dem Vorwand, die Geldbörse verloren zu haben, eine Summe von 120 DM entlockt, diesen Betrag für eigene Zwecke verbraucht und dadurch dem Geschädigten ein Schaden in Höhe von 2.229,60 CZK zugefügt hat,

2.

alleine handelnd

a) im Monat Mai 1991 in Karlovy Vary sich von M. C. einen Geldbetrag von 10.000 CZK und 200 DM mit der Zusage ausgeliehen hat, das Geld bis zum 20.6.1991 zurückzuzahlen, was er aber nicht getan und dadurch der Genannten ein Schaden in einer Gesamthöhe von 13.408 CZK zugefügt hat,

b) im Monat April 1994 in Hradec Kralove unter dem falschen Familiennamen V. dem L. S. einen Geldbetrag von 37.000 CZK entlockt hat, auf den er nach Mahnungen nur 7.000 CZK zurückgab, wodurch er dem Geschädigten einen Schaden in Höhe von 30.000 CZK zugefügte,

c) am 31.5.1994 in Hradec Kralove der Z. L. unter dem Vorwand, ihr beim Stadtamt in Hradec Kralove eine Wohnung zu sichern, einen Geldbetrag in Höhe von 3.500 CZK entlockt hat, nachfolgend jedoch die Wohnung nicht besorgte, nach Mahnungen nur einen Betrag von 2.000 CZK zurückzahlte, das Geld im Übrigen für eigene Zwecke verwendete,

d) im Monat Dezember 1994 in Hradec Kralove dem M. P. unter dem Vorwand, Gold ankaufen zu wollen, Geldbeträge von 50.000 CZK und 300 US-Dollar entlockt hat mit der Zusage, bis zum 3.1.1995 Rückzahlung zu leisten, das Versprechen aber nicht einhielt, sondern das Geld für sich selbst verwendete, wodurch er dem Geschädigten einen Schaden in Höhe von 58.256 CZK zufügte,

e) im Monat Dezember 1994 in Hradec Kralove der B. K. unter Berufung auf eine tatsächlich nicht bestehende Vereinbarung mit M. P. einen Geldbetrag von 15.000 CZK entlockt hat, das Geld aber nicht zurückgab, sondern es für eigene Zwecke verwendete,

f) in den Monaten Januar und Februar 1995 in Hradec Kralove dem R. H. unter dem Vorwand, Gold ankaufen zu wollen, 50.000 CZK entlockt hat, das Geld nachfolgend jedoch für eigene Zwecke verwendete,

g) im Monat Juli 1995 in Hradec Kralove I. P. unter dem Vorwand, einen PKW kaufen zu wollen, 45.000 CZK entlockt hat, die er später nicht zurückgab,

3. alleine handelnd,

am 3.9.1995 in Hradec Kralove vor dem Hotel C. sich von M. V. einen PKW der Marke VW Golf, Kennzeichen HKJ-92-60 mit dem Versprechen ausgeliehen hat, das Fahrzeug bis zum 4.9.1995 zurückzugeben, was er jedoch nicht tat, sondern das Fahrzeug unberechtigt bis zum 19.9.1995, an dem das Fahrzeug abgestellt aufgefunden worden ist, benutzte, wodurch der Inhaberin R. V. ein nicht näher spezifizierter Schaden entstanden ist.

Gründe, die eine Auslieferung des Verfolgten als von vornherein unzulässig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich.

Das in Art. 1 des genannten Ergänzungsvertrags zum EuAlÜbk vorausgesetzte Mindestmaß der im ersuchenden Staat wegen der Taten zu vollstreckenden Freiheitsstrafe von drei Monaten ist gewahrt.

Strafvollstreckungsverjährung ist noch nicht eingetreten. Gemäß Art. 10 EuAlÜbk ist dies sowohl nach tschechischem als auch nach deutschem Recht zu prüfen. Eine Beurteilung ausschließlich nach dem Recht des ersuchenden Staates gemäß Art. 4 des Ergänzungsvertrags zum EuAlÜbk kommt nicht in Betracht, da für zwei der Taten, nämlich die unter 1. lit. h) und i) aufgeführten, im Hinblick auf den in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Begehungsort gemäß § 3 StGB auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist. Während die in § 79 Abs. 3 Nr. 3 des deutschen StGB bestimmte, mit Rechtskraft des Urteils beginnende 10-jährige Verjährungsfrist noch im Gange ist, wäre die in § 68 Abs. 1 des tschechischen StGB vorgesehene, ebenfalls vom Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils an laufende 5-jährige Verjährungsfrist bereits verstrichen, würde nicht die in § 68 Abs. 2 S. 2 des tschechischen StGB getroffene Regelung eingreifen. Danach wird in die Frist die Zeit nicht eingerechnet, während der die Strafvollstreckung unmöglich war, weil der Verurteilte sich im Ausland aufgehalten hat. Vorliegend geht der Senat davon aus, dass der Verfolgte sich spätestens seit dem 20. Mai 2002 ununterbrochen außerhalb des tschechischen Staatsgebiets aufhält. Zeitliche Orientierung ist insoweit das Datum des bezeichneten Steckbriefs, in dessen Begründung der Aufenthalt des Verfolgten im Ausland positiv festgestellt wird. Dieser Zeitpunkt liegt vom Eintritt der Rechtskraft des Urteils an gerechnet (20. Mai 1998) noch vor dem Ablaufdatum der gesetzlichen Fünfjahresfrist.

Nicht abschließend zu prüfen vermag der Senat, ob auch die im Steckbrief unter 1. lit. j) aufgeführte Tat eine auslieferungsfähige strafbare Handlung i.S.d. Art. 2 Abs. 1 S. 1 EuAlÜbk darstellt. Sie wird dem Verfolgten als weiterer Betrug zur Last gelegt, den St. V. und er gemeinschaftlich dadurch verübt haben sollen, dass sie

"am 4.3.1994 in Hradec Kralove nach einer vorigen Abmachung, dass F. S. als St. V. auftreten werden wird, und dabei sich in einem Autobasar J. M. mit seinem Personalausweis legitimieren werden wird, einen PKW der Marke Opel Vectra 1,7 d cl Kennzeichen HKJ-38-57 an P. H. verkauft, und somit sie Herrn St. V. einen Schaden in Höhe von 85.000 CZK begangen haben".

Diese Sachverhaltsdarstellung reicht nicht aus, um das Geschehen unter einen gesetzlichen Straftatbestand des deutschen Strafgesetzbuchs subsumieren zu können. Für die hier zu treffende Entscheidung ist diese Unklarheit aber letztlich ohne ausschlaggebende Bedeutung.

II.

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§§ 16 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Es besteht die Gefahr, dass der Verfolgte sich der Durchführung der Auslieferung entziehen wird. Auch wenn er sich bei seiner richterlichen Anhörung mit einer vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass er untertauchen oder fliehen wird, sobald er sich auf freiem Fuß befindet. Er sieht der Vollstreckung einer erheblichen Freiheitsstrafe entgegen. In der Bundesrepublik Deutschland hält er sich illegal, zudem ohne festen Wohnsitz und sonstige persönliche Bindungen auf. Damit ist kein Umstand ersichtlich, der ihn davon abhalten könnte, sich unter dem Druck der Straferwartung mit unbekanntem Ziel abzusetzen.

Weniger einschneidende Maßnahmen (Art. 16 Abs. 4 S. 2 EuAlÜbk) sind unter den gegebenen Verhältnissen nicht geeignet, den Sicherungszweck der Haft in gleicher Weise zu gewährleisten.

Über die Fortdauer der Auslieferungshaft wird der Senat gemäß Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk i.V.m. Art. 9 Abs. 3 S. 1 des Ergänzungsvertrags zum EuAlÜbk spätestens am 9. Dezember 2003 erneut entscheiden.

Ende der Entscheidung

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