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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 17.05.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 105/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
Leitsatz:

1. Auch eine noch so breite und detaillierte Inhaltsangabe einer Zeugenaussage ersetzt nicht deren Würdigung.

2. Aus der Abschwächung einer vorherigen Aussage kann nicht ohne weiteres auf eine fehlende Belastungstendenz geschlossen werden (BGH StV 1992, 2).

3. Ein den Kernbereich des Tatgeschehens betreffender Widerspruch kann nicht mit einem bloßen persönlichen Eindruck von dem Zeugen übergangen werden (BGH NJW 1995, 966).


1 Ss 105/01 2030 Js 18909/98 -13Ns StA Koblenz

In der Strafsache

wegen gefährlicher Körperverletzung

hier: Revision des Angeklagten

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt am 17. Mai 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 20. November 2000 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landgericht verworfen mit der Maßgabe, dass die Freiheitsstrafe auf sechs Monate ermäßigt wird.

Nach den Feststellungen der Kammer schlug der Angeklagte bei einer tätlichen Auseinandersetzung vor seinem Hausanwesen mit einer Schaufel gezielt auf den Kopf seines Nachbarn ein und verletzte ihn erheblich. Der Angeklagte hat bestritten, eine bewusste Schlagbewegung ausgeführt zu haben. Als er sich von seinem Kontrahenten weggedreht habe, habe er diesen allenfalls unbeabsichtigt mit der Schaufel getroffen, die er zum Schutz vor Angriffen seines Gegners in Kopfhöhe quergehalten habe. Ihre Überzeugung vom Tatgeschehen hat die Kammer im Wesentlichen aus den Aussagen der kindlichen Tatzeugen M. H. - Sohn des Geschädigten - und N. W. gewonnen, die sie für glaubhaft erachtet hat.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er beantragt Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Überzeugungsbildung der Strafkammer nicht frei von Rechtsfehlern ist. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kammer sich in wesentlichen Teilen einer eigenverantwortlichen Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise enthalten hat. Soweit die Urteilsgründe eine solche erkennen lassen, ist sie widersprüchlich und unvollständig.

1.

§ 261 StPO verpflichtet den Tatrichter zur umfassenden und erschöpfenden Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise und verlangt von ihm, dem Revisionsgericht durch entsprechende Darlegungen in den Urteilsgründen die Nachprüfung des Beweisergebnisses auf seine Richtigkeit zu ermöglichen (KK-Engelhardt, StPO, § 267 Rdn. 12 m.w.N.).

Ihre Überzeugung von der Tathandlung des Angeklagten, dem gezielten Einschlagen mit der Schaufel auf den Kopf seines Kontrahenten, gründet die Kammer auf die Aussagen der beiden kindlichen Tatzeugen, die sie als "glaubhaft" und "zum Kerngeschehen sehr präzise" bewertet hat. Eine Begründung dieses Ergebnisses enthalten die Urteilsgründe jedoch nicht. Sie wird ersetzt durch eine ausführliche Inhaltsangabe der Zeugenbekundungen, die offenläßt, worin die Kammer Merkmale der Glaubhaftigkeit und Präzision erkannt hat. Ohne Bezug zu den einzelnen für die Beweiswürdigung herangezogenen Gesichtspunkten genügt eine Wiedergabe der Zeugenaussagen nicht (BGH NStZ 2000, 48). Sie läßt vielmehr besorgen, das Tatgericht könne davon ausgegangen sein, eine ausführliche Darstellung der erhobenen Beweise ersetze die gebotene eigenverantworliche Würdigung (BGH NStZ 1998, 475).

2.

Darüber hinaus ergibt sich aus der Inhaltsangabe der Zeugenaussagen ein Widerspruch zu dem angeführten Beweisergebnis. Danach sind die Aussagen der Tatzeugen keineswegs immer "sehr präzise", sondern im Kernbereich des Geschehens ungenau gewesen. So konnte keiner der beiden Zeugen angeben, ob der Angeklagte mit der Schaufel ein einziges Mal oder - wovon das Amtsgericht ausging - zweimal gegen den Kopf des Geschädigten geschlagen hat. Spricht die Kammer trotz dieser Aussageunsicherheit gerade bei Schilderung der Tathandlung den Zeugenaussagen eine besondere Präzision zu, so ergibt sich daraus ein Widerspruch, der zwar durch eingehende Auseinandersetzung mit den Aussagen im übrigen möglicherweise aufgelöst werden kann, ohne nähere Erörterungen jedoch zur Fehlerhaftigkeit der Überzeugungsbildung führt.

3.

Unvollständig ist die Beweiswürdigung, die die Kammer wegen der beschriebenen Aussageunsicherheit zur Glaubwürdigkeit der beiden Tatzeugen vorgenommen hat. Diese hatten, so die Urteilsgründe, beide noch in erster Instanz bekundet, nach ihrer sicheren Erinnerung zwei Schaufelschläge des Angeklagten auf den Kopf des Geschädigten wahrgenommen zu haben.

Dazu führt die Kammer die Glaubwürdigkeit des Zeugen M. H. betreffend aus, das Bekenntnis zur Erinnerungslücke in der Berufungshauptverhandlung zeige, dass dieser unbeeinflusst ausgesagt und lediglich das wiedergegeben habe, was er noch wirklich wusste. Diesen Eindruck habe die Kammer auch aufgrund des persönlichen Eindrucks von dem Zeugen gewonnen. Diese Auseinandersetzung mit dem Aussagewiderspruch reicht zur Begründung des Beweisergebnisses nicht aus. Geht die Kammer von einer ansonsten sehr präzisen Aussage des Zeugen aus, so ist es schon nicht einsehbar, Ungenauigkeiten in den Angaben gerade zum Kernbereich des Geschehens einfach mit einer Erinnerungslücke zu erklären. Zudem kann aus der Abschwächung der vorherigen Aussage nicht, wie es die Kammer im Ergebnis getan hat, ohne weiteres auf eine fehlende Belastungstendenz geschlossen werden (BGH StV 1992, 2). Ein solcher den Kernbereich des Tatgeschehens berührender Widerspruch zwischen den Aussagen eines Zeugen in der ersten und zweiten Instanz kann auch nicht mit einem bloßen persönlichen Eindruck aus der Welt geschafft werden (BGH NJW 1995, 966).

Die Glaubwürdigkeit des Zeugen N. W. sieht die Kammer durch den Widerspruch in seinen Aussagen nicht berührt, weil er im übrigen sehr präzise zum Tatgeschehen ausgesagt habe. Diese Erwägung besagt nichts. In welchen Aussageteilen die Kammer eine die angenommene Erinnerungslücke des Zeugen zum Kerngeschehen ausgleichende Präzision erkannt haben will, bleibt offen. Im übrigen gilt auch hier, dass bei sonst präzisen Angaben eine Ungenauigkeit in der Aussage gerade zur eigentlichen Tathandlung nicht von vornherein in einem fehlenden Erinnerungsvermögen des Zeugen ihre Erklärung finden kann.

Bei kindlichen Zeugen ist zu berücksichtigen, dass ihre Aussagen insbesondere möglicherweise durch Absprachen untereinander oder unter dem Einfluss erwachsener Personen zustande gekommen sein können.

4.

Von den Rechtsfehlern zum Schuldspruch abgesehen, die zur Aufhebung des Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen zwingen (§ 353 StPO), ist auch der Rechtsfolgenausspruch nicht rechtsfehlerfrei.

Der strafschärfend herangezogene Gesichtspunkt, "dass der Angeklagte auch intellektuell in der Lage war, den Einsatz des gefährlichen Werkzeugs abzuschätzen und zu überschauen, welche Folgen dieser haben konnte", gehört zur subjektiven Seite des Tatbestands der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und unterliegt damit dem Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB. Denn die Erfüllung des Tatbestands setzt Vorsatz des Täters voraus, der auch die Umstände umfassen muss, aus denen sich die Einstufung eines Werkzeugs als gefährlich ergibt (Tröndle/Fischer, StGB, § 224 Rdn. 13).

Ende der Entscheidung

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