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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 28.08.2002
Aktenzeichen: 1 Ss 107/02
Rechtsgebiete: GastG, GastVO, OWiG


Vorschriften:

GastG § 28 I Nr. 6
GastG § 18
GastVO § 18 I 2 a.F.
GastVO § 18 I n.F.
GastVO § 20 II a.F.
GastVO § 20 II n.F.
OWiG § 4 III
OWiG § 4 IV 1
OWiG § 79 VI
1. Vor dem 1. Januar 2002 begangene Sperrzeitverstöße nach § 18 I GastVO Rh.-Pf. a.F. können nach Inkrafttreten der Neufassung dieser Vorschrift durch die 5. Landesverordnung zur Änderung der Gaststättenverordnung vom 23. Oktober 2001 (GVBl. S. 267) nicht mehr geahndet werden, wenn nicht auch ein Verstoß gegen § 18 I GastVO Rh.-Pf. n.F. gegeben wäre.

2. Der nachträgliche Wegfall der Verfolgbarkeit ist auch im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

3. Bei der allgemeinen Sperrzeitregelung handelt es sich nicht um ein Zeitgesetz i.S.d. § 4 IV 1 OWiG.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 1 Ss 107/02 8011 Js 22943/01 - 8 OWi StA Trier

In dem Bußgeldverfahren

gegen

wegen Sperrzeitüberschreitung

hier: Rechtsbeschwerde des Betroffenen

hat der 1. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 28. August 2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts B.-K. vom 4. Februar 2002 aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens und die dem Betroffenen in beiden Rechtszügen entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 28 Abs. 1 Nr. 6 GastG i.V.m. § 18 GastG und § 18 Abs. 1 S. 2 GastVO zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt, weil er in der Nacht zum Samstag, dem 21. Juli 2002, das Verweilen von Gästen nach Eintritt der gemäß § 18 Abs. 1 S. 2 GastVO in der Fassung vom 25. Oktober 1992 um 2.00 Uhr beginnenden Sperrzeit geduldet habe, indem er selbst zu Bett gegangen sei und die Weiterführung der Gaststätte durch seine nicht über eine Stellvertretererlaubnis nach § 9 GastG verfügende Ehefrau zugelassen habe.

Seine dagegen gerichtete, form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde, über die der Bußgeldsenat gemäß § 80 a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG in der Besetzung mit einem Richter entscheidet, führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch des Betroffenen.

Der ihm zur Last gelegte Verstoß gegen die allgemeine Sperrzeitregelung in einer Nacht zum Samstag steht nicht mehr unter Bußgelddrohung, da die § 28 Abs. 1 Nr. 6 GastG ausfüllende allgemeine Sperrzeitregelung des § 18 Abs. 1 S. 2 GastVO i.d.F. v. 25. Oktober 1992 (GVBl. S. 371) durch die fünfte Landesverordnung zur Änderung der Gaststättenverordnung vom 23. Oktober 2001 (GVBl. S. 267) mit Wirkung vom 1. Januar 2002 dahin geändert worden ist, dass insbesondere in den Nächten zum Samstag und zum Sonntag die allgemeine Sperrfrist aufgehoben ist, und kein Zeitgesetz i.S.d. § 4 Abs. 4 S. 1 OWiG vorliegt.

1.

Wird das zur Tatzeit geltende Recht vor der gerichtlichen Entscheidung geändert, ist das mildeste Gesetz anzuwenden (§ 4 Abs. 3 OWiG). Selbst bei rechtskräftigem Schuldspruch sind nachträgliche Milderungen der Rechtsfolgen wie auch der nachträgliche Wegfall der Verfolgbarkeit in der Rechtsmittelinstanz zu berücksichtigen (BGHSt 20, 116, 119; OLG Düsseldorf NJW 91, 710). Hier hätte das Amtsgericht bereits selbst die zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetzesänderung bei seiner Entscheidung vom 4. Februar 2002 berücksichtigen müssen.

Die Änderung betrifft zwar nicht die (Blankett-)Bußgeldvorschrift des § 28 Abs. 1 Nr. 6 GastG als solche, wonach ordnungswidrig handelt, wer als Inhaber einer Schankwirtschaft duldet, dass ein Gast nach Beginn der Sperrzeit in den Betriebsräumen verweilt. Eine Verschiedenheit der Gesetze i.S.d. § 4 Abs. 3 OWiG liegt jedoch auch dann vor, wenn - wie hier - lediglich die ausfüllenden Bestimmungen über den Tatbestand geändert werden (vgl. BGHSt 20, 177; Göhler, OWiG, 13. Auflage, § 4 Rdn. 5 a und 5 b; Senat vom 16. März 1998 - 1 Ss 367/97 - vom 23. Juli 1998 - 1 Ss 25/98 - und vom 17. Februar 2000 - 1 Ss 29/00 -).

Nach der Neufassung des § 18 GastVO liegt ein Verstoß gegen § 28 Abs. 1 Nr. 6 GastG i.V.m. § 19 GastG und § 18 Abs. 1 S. 2 GastVO nicht mehr vor. Nach den Urteilsfeststellungen war die Gaststätte in der Nacht zum Samstag, dem 21. Juli 2002, bis mindestens 3.30 Uhr geöffnet. Nach neuem Recht besteht in der Nacht zum Samstag keine Sperrzeit mehr.

Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Verlängerung der Sperrzeit durch Ausnahmeregelung nach § 20 Abs. 2 GastVO a.F., die auch nach § 20 Abs. 1 GastVO n.F. möglich ist, sind weder nach den Urteilsfeststellungen gegeben noch sonst ersichtlich.

2.

Die Vorschrift des § 18 Abs. 1 S. 2 GastVO a.F. ist auch nicht gemäß § 4 Abs. 4 S. 1 OWiG anwendbar. Die Regelung der allgemeinen Sperrzeit für Gaststätten stellt nämlich kein Zeitgesetz in diesem Sinne dar, das auf Handlungen, die während der Geltungszeit begangen wurden, auch dann anzuwenden wäre, wenn es außer Kraft getreten oder geändert worden ist. Zu den Zeitgesetzen rechnen solche, deren Außerkrafttreten eindeutig durch Angabe des Zeitpunktes oder eines bestimmten Ereignisses angeordnet ist, als auch diejenigen, die ihrem Inhalt nach erkennbar für sich ändernde wirtschaftliche oder sonstige zeitbedingte Verhältnisse gedacht sind (BGHSt 20, 177, 182; OLG Düsseldorf NJW 1991, 710 f; BayObLG VRS 88, 56 ff). Beide Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Eine Befristung des § 18 GastVO a.F. hat die dritte Landesverordnung zur Änderung der Gaststättenverordnung vom 25. Oktober 1992, durch die die Regelung der allgemeinen Sperrzeit für Gaststätten in die Gaststättenverordnung aufgenommen wurde und wonach die Sperrzeit von 1.00 Uhr bis 6.00 Uhr, in den Nächten zum Samstag und Sonntag von 2.00 Uhr bis 6.00 Uhr dauerte und lediglich fünf genau bezeichnete Nächte von der Sperrzeit ausgenommen waren, nicht vorgesehen. Die Regelung war auch nicht erkennbar für sich ändernde wirtschaftliche Verhältnisse oder sonstig zeitbedingte Verhältnisse gedacht. Die Sperrzeitregelungen der Bundesländer waren von jeher trotz vergleichbarer wirtschaftlicher und sonstiger Verhältnisse (Schutz der Nachtruhe der Nachbarschaft, Bedarf der Allgemeinheit an den Diensten der Betriebe) sehr unterschiedlich (vgl. Ambs in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 18 GastG Rdn. 7). § 18 GastVO a.F. war keine ihrer Natur erkennbar vorübergehende Maßnahme. Sperrzeitregelungen sind von der Gewichtung der für und gegen eine lange Öffnung von Gaststätten sprechenden Umständen bestimmt und von einer Veränderung der wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse unabhängig. Um ein Zeitgesetz handelt es sich nicht, wenn die Rechtsänderung auf einer geläuterten Rechtsauffassung oder neuen Erkenntnissen beruht, die auch bei Beurteilung vorangegangener Geschehnisse zu einer anderen Bewertung führen (BGHSt a.a.O.; BayObLG a.a.O. m.w.N.).

Damit scheidet eine Verurteilung nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 GastG aus.

3.

Auch eine Ahndung nach anderen Vorschriften kommt nicht in Betracht.

Es liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Auffangtatbestand des § 130 OWiG vor, der bei einer eigenen Zuwiderhandlung des Aufsichtspflichtigen, sei es durch Nichteingreifen als verpflichteter Garant oder fahrlässig durch Versagen bei der Auswahl oder mangelnder Überwachung des gewillkürten Vertreters nach § 9 Abs. 2 OWiG (s. dazu Rogall in KK-OWiG, 2. Auflage, § 9 Rdn. 88 ff, § 130 Rdn. 108) ohnehin ausscheidet. Selbst wenn § 130 OWiG Anwendung finden würde, fehlt es bereits an einer Zuwiderhandlung gegen auch nach neuem Recht bestehende Pflichten (vgl. Senat vom 29. August 2000 - 1 Ss 195/00 -).

Anhaltspunkte für eine während der langen Öffnung der Gaststätte begangene Ordnungswidrigkeit nach § 10 LImSchG, 11 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 5 Abs. 1 der Landesverordnung zur Bekämpfung des Lärms oder nach dem nur subsidiär anwendbaren § 117 Abs. 1 OWiG (vgl. dazu Senat vom 18. Januar 2000 - 1 Ss 299/99 -) bestehen nach den Urteilsfeststellungen nicht. Insoweit sind auch keine weitere Feststellungen nach einer Zurückverweisung zu erwarten.

Der Senat hat deshalb gemäß § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst entschieden und den Betroffenen freigesprochen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Ende der Entscheidung

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