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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 26.06.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 137/03
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 73
OWiG § 74
StPO § 344 II 2
1. Ist dem Antrag des Betroffenen auf Entbindung von seiner Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung nicht entsprochen worden, obwohl die Voraussetzungen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG dafür vorgelegen haben und ist er aus diesem Grund zu Unrecht als säumig behandelt worden, ist nicht nur einfaches Verfahrensrecht, sondern auch der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

2. Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Rechtmäßigkeit der Verwerfung des Einspruchs und der darin liegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs jedoch nur aufgrund einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge überprüfen; ihr muss entnommen werden können, ob sämtliche Voraussetzungen für eine Entpflichtung des Betroffenen vorgelegen haben.


Geschäftsnummer: 1 Ss 137/03 2040 Js 68012/02.3 OWi StA Koblenz

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hier: Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde

hat der 1. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 26. Juni 2003 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Betroffenen, seine Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Mayen vom 28. Januar 2003 zuzulassen, wird als unbegründet verworfen.

Die Rechtsbeschwerde gilt damit als zurückgenommen (§ 80 Abs. 4 S. 4 OWiG).

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Betroffenen zur Last (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 S. 1 StPO).

Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 23. Juli 2001 setzte die Kreisverwaltung Mayen-Koblenz gegen den Betroffenen wegen Abstandsunterschreitung nach § 4 Abs. 3 StVO eine Geldbuße von 50 € fest.

Das Amtsgericht hat den Einspruch des Betroffenen durch Urteil vom 28. Januar 2003 in Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.

Dagegen richtet sich dessen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit dem "die Verletzung formellen und materiellen Rechts sowie des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör" gerügt wird. Mit der Verfahrensrüge wird beanstandet, dass das Amtsgericht den am 27. Januar 2003 durch Telefax des Verteidigers gestellten Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung, der auch die einzige Sacheinlassung des Betroffenen enthielt, abgelehnt habe und den Einspruch deshalb bei Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers nicht habe verwerfen dürfen. Der Betroffene sei zu Unrecht als säumig behandelt worden. Darin liege zugleich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Auch sei eine Begründung der Entscheidung, den Betroffenen nicht von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, weder mündlich noch in schriftlicher Form dem Verteidiger zugegangen. Lediglich die Tatsache der Antragsablehnung sei dem Verteidiger am Tag der Hauptverhandlung kurze Zeit vor der Terminsstunde bekannt gegeben worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs für zulässig und begründet. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Mayen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Da § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 OWiG auf den Fall der Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG nicht entsprechend anwendbar ist (vgl. Göhler, OWiG, § 74 Rdn. 48) bedarf die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG der Zulassung.

Bei einer Geldbuße von 50 € geltend die Zulassungsgründe des § 80 Abs. 1 OWiG gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift nicht umfassend. Die Rechtsbeschwerde ist bei Geldbuße bis 100 € nur zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des sachlichen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

Es liegt jedoch keiner der Zulassungsgründe vor.

1.

Fortbildung des sachlichen Rechts kommt nicht in Betracht.

Sachlich-rechtliche Bestimmungen werden hier nicht berührt, weil das Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG als reine Prozessentscheidung keinen Schuldspruch enthält. Damit ist auf die in zulässigerweise erhobene Sachrüge allein zu prüfen, ob nach Erlass des Urteils (§ 80 Abs. 5 OWiG) Verfahrenshindernisse eingetreten sind. Solche sind nicht ersichtlich.

2.

Der Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs greift ebenfalls nicht durch.

a) Zutreffend geht der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde davon aus, dass die Rechtsfehlerhaftigkeit des Verwerfungsurteils darauf beruhen kann, dass der Betroffene pflichtwidrig nicht von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und aus diesem Grund zu Unrecht als säumig behandelt worden ist. § 74 Abs. 2 OWiG ist verletzt, wenn dem Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung nicht entsprochen worden ist, obwohl die Voraussetzungen dafür gemäß § 73 Abs. 2 OWiG vorgelegen haben (OLG Köln VRS 102, 106; VRS 102, 112; BayObLG VRS 100, 441, 442; OLG Zweibrücken NZV 2000, 304; OLG Düsseldorf VRS 98, 371, 372 f; KK-Senge, OWiG, 2. Auflage, § 73 Rdn. 45, § 74 Rdn. 56). In diesem Fall ist nicht nur einfaches Verfahrensrecht, sondern der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (OLG Köln VRS 97, 187, 189 f; VRS 96, 451, 453 ff; KK-Steindorff, OWiG, § 80 Rdn. 41 m.w.N.).

Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Rechtmäßigkeit der Verwerfung des Einspruchs und der darin liegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs jedoch nur aufgrund einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge überprüfen (KK-Steindorff a.a.O. m.w.N.; Senat, Beschluss vom 2. April 2003 -1 Ss 12/03-). Das Vorbringen muss mithin so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen zutrifft. Der Rechtsbeschwerdebegründung muss entnommen werden können, ob sämtliche Voraussetzungen für eine Entpflichtung des Betroffenen vorgelegen haben (OLG Düsseldorf VRS 102, 106 = NZV 2002, 466 = DAR 2002, 180 = ZfS 2002, 154 = NJW 2002, 3791 L).

Diesen Anforderungen genügt die Rechtsbeschwerdebegründung nicht:

In formeller Hinsicht ist die Entbindung von der Anwesenheitspflicht gemäß § 73 Abs. 2 OWiG davon abhängig, dass der Betroffene einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Der Verteidiger bedarf hierzu wegen der mit der Entpflichtung verbundenen Minderung der Rechtsstellung des Betroffenen einer - über die Verteidigervollmacht hinausgehenden - Vertretungsvollmacht (OLG Köln a.a.O.; BayObLG VRS 98, 376, 377 f). In materieller Hinsicht setzt die Entpflichtung zunächst voraus, dass sich der Betroffene spätestens mit dem Entpflichtungsantrag zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er in der Hauptverhandlung nicht zur Sache aussagen will (§ 73 Abs. 2 OWiG). Eine schriftliche Erklärung des Verteidigers steht einer schriftlichen Sacheinlassung des Betroffenen nur dann gleich, wenn der Verteidiger mit einer der Bestimmung des § 73 Abs. 3 OWiG genügenden Vertretungsvollmacht ausgestattet war (OLG Frankfurt NZV 1993, 281 mit zustimmender Anmerkung Göhler NStZ 1994, 74; OLG Zweibrücken NZV 1993, 372; KK-Senge a.a.O. § 73 Rdn. 22, § 74 Rdn. 10). Denn anderenfalls ist die Erklärung des Verteidigers in der Hauptverhandlung nicht nach § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG verwertbar (BGHSt 39, 305, 306). Deshalb muss mit der Rechtsbeschwerdebegründung auch vorgetragen werden, dass der Verteidiger sowohl zur Stellung des Entpflichtungsantrags als auch zur Abgabe einer Sacheinlassung des Betroffenen Vertretungsvollmacht hatte (zur Vertretungsvollmacht zur Stellung des Entpflichtungsantrags s. OLG Köln a.a.O. und VRS 102, 112 ff). Mitgeteilt werden muss ferner, dass sie dem Gericht rechtzeitig nachgewiesen worden war (OLG Köln a.a.O.). Denn der Anspruch auf Entpflichtung besteht nur, wenn bei Antragsstellung durch einen Vertreter nachgewiesen ist, dass die zur Vertretung des Betroffenen in der Hauptverhandlung berechtigende Vollmacht erteilt ist, und zwar in der gesetzlich geforderten Schriftform gemäß § 73 Abs. 3 OWiG, 234, 411 Abs. 2 StPO (OLG Köln a.a.O.; Göhler a.a.O. § 60 Rdn. 13; KK-Kurz, OWiG, § 60 Rdn. 5).

Daran fehlt es in der Rechtsbeschwerdebegründung. In ihr ist insoweit lediglich folgendes mitgeteilt (Bl. 77 d.A.):

"Der Betroffene hatte dem Verteidiger zur Stellung des Entpflichtungsantrags einen Auftrag und eine, über die Verteidigervollmacht hinausgehende Vertretungsvollmacht erteilt, die sich bei den Akten befindet und in deren Ziffer IV und V es u.a. heißt, dass der Verteidiger ermächtigt ist, Anträge auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung "zu stellen und den Mandanten in der Hauptverhandlung zu vertreten"."

Wann die Vollmacht zu den Akten gelangt ist, wird in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift verschwiegen. Dem Beschwerdevorbringen kann somit das Vorliegen entscheidender Voraussetzungen für die Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entnommen werden.

Die Verfahrensrüge ist im Übrigen unbegründet. Denn die in der Rechtsbeschwerdebegründung erwähnte Vertretungsvollmacht lag bei Entscheidung über den Entpflichtungsantrag nicht vor. Sie wurde erst bei Beanstandung nicht ordnungsgemäßer Zustellung des schriftlichen Urteils, weil eine schriftliche Vollmacht bisher nicht zu den Akten gelangt war, am 27. März 2003 vorgelegt. Das Amtsgericht hat deshalb den Entpflichtungsantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

b) Ob das Rechtsbeschwerdevorbringen darüber hinaus (auch) in der Nichtzustellung der ablehnenden Entbindungsentscheidung an den Verteidiger bzw. den Betroffenen eine Verletzung des § 74 Abs. 2 StPO und des rechtlichen Gehörs erblickt und ob diese Rüge ggf. in zulässiger Weise ausgeführt wäre, kann dahinstehen.

Zwar muss die Entscheidung, die den Antrag des Betroffenen auf Entbindung ablehnt, begründet und grundsätzlich durch Zustellung gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 35 Abs. 2 S. 1 StPO bekannt gemacht werden. Denn die ablehnende Entscheidung führt zum Wegfall der Vertretungsbefugnis nach § 73 Abs. 3 OWiG und zur Einspruchsverwerfung ohne sachliche Überprüfung der Beschuldigung nach § 74 Abs. 2 OWiG. Eine Zustellung an den Verteidiger musste hier von vornherein ausscheiden, weil die Voraussetzungen des § 145 a Abs. 2 StPO nicht vorlagen (KK-Senge a.a.O. § 73 Rdn. 34).

Der Tatrichter hat durch die Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG trotz unterbliebener Zustellung der ablehnenden Entscheidung an den Betroffenen nicht das rechtliche Gehör verletzt. Der Betroffene konnte durch die fehlende Zustellung der ablehnenden Entscheidung nicht dazu verleitet werden, der Hauptverhandlung fern zu bleiben. Stellt der Betroffene - wie hier - seinen Entbindungsantrag so spät, dass ihn die ablehnende Entscheidung nicht mehr rechtzeitig vor dem Termin erreichen kann, ist sein Ausbleiben im Termin unentschuldigt (KK-Senge a.a.O. § 73 Rdn. 18). Vergewissert er sich nicht, so geht der Betroffene das in seinem eigenen Verantwortungsbereich entstandene Risiko ein, dass sein Einspruch im Falle der Antragsablehnung nach § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache verworfen wird.

Ende der Entscheidung

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