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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 10.06.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 141/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 240 II
Die Verwerflichkeitsklausel besagt, dass sich die Rechtswidrigkeit der Nötigung nicht einseitig nach dem angewandten Mittel oder dem angestrebten Zweck, sondern aus dem Verhältnis zueinander bestimmt (Mittel-Zweck-Relation), wobei unter "Zweck" nicht das Handlungsmotiv des Täters, sondern der von ihm angestrebte Handlungserfolg im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB zu verstehen ist.

In Fällen von Behinderungen o. ä. im Straßenverkehr muss geprüft werden, ob das Verhalten des Täters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als sozial unerträglich zu qualifizieren ist und deshalb ein über die Erfüllung eines Verkehrsordnungswidrigkeitentatbestandes hinausgehendes Unrecht darstellt


Geschäftsnummer: 1 Ss 141/03 8014 Js 14273/02 StA Trier

In der Strafsache

wegen Nötigung hier: Revision des Angeklagten

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa sowie die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 10. Juni 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Trier vom 5. Februar 2003 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer desselben Gerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Auf Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hermeskeil vom 12. September 2002, durch das er wegen Nötigung (§ 240 StGB) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 40 € verurteilt wurde, hat die Strafkammer unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels die Tagessatzhöhe um 10 € ermäßigt und zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:

"Am 21. Mai 2002 befuhr der Angeklagte gegen 11:50 Uhr mit einem PKW-Van ... die Autobahn A 1 im Bereich der Gemarkung Beuren/Hochwald in Fahrtrichtung Trier auf der rechten Fahrspur mit einer Geschwindigkeit von deutlich mehr als 140 km/h, etwa 180 km/h. So näherte er sich dem in gleicher Richtung auf der rechten Fahrspur vor ihm fahrenden PKW Audi ..., der von dem Zeugen D. geführt wurde. Der Zeuge D. ist Polizeibeamter, er war zu jener Zeit auf der Fahrt zu seiner Dienststelle. Der Zeuge D. fuhr deutlich langsamer als der Angeklagte, er hatte an seinem Fahrzeug den Tempomaten eingestellt, seine Geschwindigkeit betrug etwa 140 km/h. Während der Angeklagte sich dem PKW des Zeugen D. näherte, wurde der PKW des Angeklagten von einem anderen Fahrzeug überholt, so dass dem Angeklagten ein Überwechseln auf die Überholspur bei der Annäherung an den vom Zeugen D. geführten PKW nicht möglich war. Trotzdem bremste der Angeklagte sein Fahrzeug nicht ab, sondern fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit äußerst nahe auf das Fahrzeug des Zeugen D. auf. Als dieser die Vorderfront des vom Angeklagten geführten Fahrzeuges im Rückspiegel schon nicht mehr sehen konnte, wich der Zeuge D. zur Vermeidung einer Kollision mit seinem Fahrzeug teilweise nach rechts auf die Standspur aus. Der Angeklagte lenkte sein Fahrzeug beim Vorbeifahren am PKW des Zeugen D. zur Hälfte auf die Überholspur. Erst später wechselte der Angeklagte ganz auf die Überholspur."

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten und prozessordnungsgemäß begründeten Revision.

II.

Das Rechtsmittel hat entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, die Verwerfung gemäß § 349 Abs. 2 StPO beantragt, mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1.

Die tatrichterlichen Feststellungen beschreiben lediglich den objektiven Tatbestand einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nrn. 1, 4 StVO, schildern aber keinen Sachverhalt, der unter die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 240 Abs. 1 StGB zu subsumieren wäre. Die in die rechtliche Würdigung aufgenommene Floskel, der Anklagte habe den Zeugen D. "durch sein Fahrverhalten in verwerflicher Weise um des eigenen schnelleren Fortkommens Willen genötigt", kann diesen Darstellungsmangel nicht heilen. Den Urteilsgründen ist noch nicht einmal zu entnehmen, dass der Angeklagte - was (eine allein nicht ausreichende) Mindestvoraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Nötigung wäre - davon ausging, der Führer des vorausfahrenden Fahrzeuges werde sein riskantes Fahrmanöver wahrnehmen. Die Signaleinrichtungen seines Kraftfahrzeuges hatte er nach den Feststellungen jedenfalls nicht betätigt.

2.

Ein die objektiven und subjektiven Merkmale des Nötigungstatbestandes erfüllendes Verhalten ist nur strafbar, wenn es verwerflich ist (§ 240 Abs. 2 StGB).

Die Verwerflichkeitsklausel besagt, dass sich die Rechtswidrigkeit der Nötigung nicht einseitig nach dem angewandten Mittel oder dem angestrebten Zweck, sondern aus dem Verhältnis zueinander bestimmt (Mittel-Zweck-Relation), wobei unter "Zweck" nicht das Handlungsmotiv des Täters, sondern der von ihm angestrebte Handlungserfolg im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB zu verstehen ist. In Fällen von Behinderungen o. ä. im Straßenverkehr muss geprüft werden, ob das Verhalten des Täters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als sozial unerträglich zu qualifizieren ist und deshalb ein über die Erfüllung eines Verkehrsordnungswidrigkeitentatbestandes hinausgehendes Unrecht darstellt (Urteil des Senats v. 21.8.00 - 1 Ss 155/00 unter Hinweis auf BGHSt 18, 389 u. OLG Düsseldorf NZV 00, 301 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 4.9.02 - 1 Ss 121/02 unter Bezugnahme auf die damals zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 4 StVO Rdn. 16 m.w.N.). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, lässt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilen. Dabei fallen insbesondere Dauer, Intensität und Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes ins Gewicht. Lediglich kurzfristige Beeinträchtigungen sind nach der Rechtsprechung nicht ausreichend (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Köln NZV 2000, 99 m.w.N.).

Ob die besonderen Voraussetzungen für eine Strafbarkeit wegen Nötigung durch verkehrsordnungswidriges Verhalten gegeben sind, kann anhand der tatrichterlichen Feststellungen nicht nachgeprüft werden.

3.

Der gegen den Angeklagten erhobene Vorwurf bedarf somit einer erneuten tatrichterlichen Überprüfung. Abhängig vom Ergebnis der neuen Beweisaufnahme kann auch eine Verurteilung "nur" wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Betracht kommen.

Ende der Entscheidung

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