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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 12.07.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 155/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 86 a II 2
StPO § 261
1. Eine Strafbarkeit nach § 86 a Abs. 2 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass sich der Handelnde der Verwechslungsgefahr bewusst ist. Wird dem Angeklagten eine Armhaltung oder -bewegung zur Last gelegt, die sowohl als abgewandelter "Hitlergruß" als auch als harmlose Begrüßung gewollt gewesen sein kann, erfordert die Annahme eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 86 a Abs. 2 Nr. 2 StGB die Feststellung von Indizien, die den Schluss auf eine strafrechtlich relevante Willensrichtung zulassen (z.B. Mitgliedschaft in oder Kontakte zu einer extremistischen Organisation).

2. Die Nichterörterung von in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen muss mit der Verfahrensrüge (Verletzung des § 261 StPO) geltend gemacht werden.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 1 Ss 155/01

Verkündet am 12. Juli 2001

In der Strafsache

wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen hier: Revision der Staatsanwaltschaft

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in der Sitzung vom 12. Juli 2001, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, Richter am Oberlandesgericht Summa, Richterin am Landgericht Schmitz, Staatsanwalt K. als Beamter der Staatsanwaltschaft, Justizobersekretärin W. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Trier vom 29. Januar 2001 wird als unbegründet verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Revisionsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten zur Last, am 9. Juni 1998 als Fahrer eines Linienbusses im Vorbeifahren vier am Straßenrand stehenden Bundeswehrsoldaten "mehrere Sekunden deutlich den Hitlergruß" gezeigt zu haben.

Nachdem das Amtsgericht Bernkastel-Kues zunächst am 23. August 1999 einen Strafbefehl erlassen hatte und der Angeklagte nach Einspruch durch Urteil vom 12. Januar 2000 wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, hat ihn die Strafkammer auf seine Berufung am 29. Januar 2001 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Revision. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

II.

Das Rechtsmittel ist auf Kosten der Staatskasse als unbegründet zu verwerfen.

1.

Der "Hitlergruß" war vor 1933 ein Symbol des Führerkults in der NSDAP. Er bestand aus der Begrüßung mit den Worten "Heil Hitler" und dem gleichzeitigen Anheben des gestreckten rechten Arms mit geöffneter flacher Hand in Augenhöhe. Der Grüßende nahm dabei in der Regel eine militärisch geprägte Körperhaltung ein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er anstelle der in Deutschland bis dahin üblichen tageszeitlichen oder religiösen Grußformen als "Deutscher Gruß" allgemein eingeführt (s. dazu Friedemann Bedürftig, Lexikon 3. Reich, Carlsen Verlag GmbH Hamburg 1994). Er ist ein verbotenes Kennzeichen i.S.d. § 86 a StGB.

2.

Gegenstand des Verfahrens ist nicht der Vorwurf, der Angeklagte habe den akustisch und optisch ohne weiteres als nationalsozialistisches Kennzeichen erkennbaren und in aller Regel nur vorsätzlich darstellbaren vollständigen "Hitlergruß" präsentiert. Ihm wird vielmehr nur zur Last gelegt, die für diese Grußform charakteristische, ebenfalls unter den Anwendungsbereich des § 86 a StGB fallende Haltung des rechten Arms eingenommen zu haben, für die im heutigen Sprachgebrauch - verkürzend - auch der Begriff "Hitlergruß" verwendet wird.

Dies ergibt sich allerdings nicht aus dem Strafbefehl vom 23. August 1999, in dem ohne Beschreibung einer konkreten Tathandlung nur vom "Hitlergruß" die Rede ist. Erst den bisher ergangenen Urteilen ist zu entnehmen, dass die als Zeugen vernommenen vier Soldaten nur den in ihre Richtung weisenden rechten Arm des am Steuer eines Busses sitzenden Angeklagten wahrgenommen und als "Hitlergruß" aufgefasst hatten.

Der Senat hat deshalb erwogen, das Verfahren mangels ausreichender Tatbeschreibung im Strafbefehl einzustellen (s. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45 A., § 407 Rnr. 4), hat jedoch davon Abstand genommen, weil der Revision der Staatsanwaltschaft der Erfolg zu versagen ist und ein Freispruch im jetzigen Verfahrensstadium Vorrang vor der Verfahrenseinstellung hat.

3.

Der Angeklagte hat bestritten, die für den "Hitlergruß" charakteristische Haltung des rechten Arms eingenommen zu haben und behauptet, er habe die Soldaten auf für ihn übliche Weise durch kurzes Heben des nicht durchgestreckten Arms begrüßt.

Die Strafkammer hat sich aufgrund der Beweisaufnahme außer Stande gesehen, diese Einlassung zu widerlegen. Sie hat festgestellt, dass der Angeklagte seinen rechten Arm gehoben und für kurze Zeit "mehr oder weniger gestreckt" (UA. S. 3) in Richtung der rechts von ihm am Straßenrand stehenden Soldaten gehoben hatte, nachdem ihm "grüßend zugenickt" (UA. S. 4) worden war. Der Nachweis, er habe (bedingt) vorsätzlich den "Hitlergruß" gezeigt, sei nicht zu führen.

Dies ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a)

Die Rüge der Staatsanwaltschaft, der Tatrichter habe nicht mitgeteilt, was die Zeugen P. und Sch. (zwei der Soldaten) "über die Haltung von Arm, Hand und Finger des Angeklagten während des Grußes" in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt haben, dringt nicht durch.

aa)

Die Nichterörterung in der Hauptverhandlung erhobener Beweise muss mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend gemacht werden (BGH StV 91, 340). Mindestvoraussetzung ist die Darlegung, dass es ein Beweisergebnis gibt, welches aber keine Berücksichtigung gefunden habe. Der Vortrag der Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Ausführungen zur Sachrüge, den Urteilsgründen sei nicht zu entnehmen, was die Zeugen gesagt hatten, genügt nicht.

Im Übrigen hätte auch eine formgerecht erhobene Rüge der Verletzung des § 261 StPO nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die zugrundeliegenden Vorgänge in der Hauptverhandlung im Freibeweisverfahren (BGH a.a.O.) ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 261 Rnr. 38 a m.w.N.) nachgewiesen werden könnten (z.B. bei wörtlicher Protokollierung), was vorliegend nicht der Fall ist.

bb)

Grundlage der materiellrechtlichen Prüfung sind allein die schriftlichen Urteilsgründe. Der Tatrichter ist nicht gehalten, alle Zeugenaussagen in epischer Breite wiederzugeben. Er soll sich vielmehr auf das Wesentliche beschränken (BGH a.a.O.).

Ob die Behauptung der unvollständigen Darstellung des Beweisergebnisses ausnahmsweise dann auf die Sachrüge zu beachten ist, wenn sich der Mangel aus den Urteilsgründen selbst ergibt, kann vorliegend dahinstehen. "Alle vier Zeugen" (UA. S. 5; gemeint sind damit auch P. und Sch.) haben ausgesagt, der Arm des Angeklagten sei nach rechts in ihre Richtung gehalten gewesen. Denkbar ist, dass P. und Sch. rund 2 1/2 Jahre nach dem fraglichen Ereignis keine weitergehende Erinnerung mehr hatten, so dass der Tatrichter auch keine Details mitteilen konnte. Eine offensichtliche Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe kann jedenfalls nicht festgestellt werden.

b)

Die Generalstaatsanwaltschaft weist zwar zutreffend daraufhin, dass unklar bleibt, "mit welcher Armhaltung der Angeklagte die am Straßenrand stehenden Zeugen begrüßt hat" und ob die objektiven Tatbestandsmerkmale des § 86 a StGB erfüllt sind. Entgegen ihrer Auffassung folgt daraus aber noch nicht die Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe. Klare Feststellungen können ohne Verstoß gegen § 261 StPO nur bei einer klare Feststellungen ermöglichenden Beweislage getroffen werden. Ist die Beweislage unklar, muss sich dies zwangsläufig in der Sachverhaltsdarstellung niederschlagen.

Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass die Angaben der Zeugen eine andere als die getroffene Feststellung nicht zugelassen haben. Gegenteiliges wird auch von der Staatsanwaltschaft nicht geltend gemacht.

c)

Ob die Armhaltung des Angeklagten - wie die Generalstaatsanwaltschaft meint - "dem Hitlergruß offensichtlich zum Verwechseln ähnlich" sah, bedarf keiner Erörterung. Die Strafkammer hat zutreffend darauf abgestellt, dass ein diesbezüglicher, also auf Verwechslung gerichteter Vorsatz nicht nachweisbar sei.

§ 86 a Abs. 2 S. 2 StGB wurde durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 eingeführt, um insbesondere zu verhindern, dass sich Rechtsextremisten unter Abwandlung von Symbolen des NS-Regimes straflos in der Öffentlichkeit als Anhänger nationalsozialistischen Gedankenguts präsentieren können (zum nach altem Recht straflosen "Widerstandsgruß", s. BGH bei Schmidt MDR 81, 973).

Zwar erfordert der subjektive Tatbestand des § 86 a StGB weder eine verfassungsfeindliche Absicht noch ein bekenntnishaftes Verwenden des Kennzeichens (BGHSt 25, 30, 31). Es genügt aber nicht, dass ein bestimmtes Verhalten objektiv die Verwechslungsgefahr i.S.d. § 86 a Abs. 2 S. 2 StGB in sich birgt, ohne dass sich der Handelnde dessen bewusst ist. Eine unbedachte Armbewegung allein begründet auch dann keine Strafbarkeit, wenn sie von einem unbefangenen Beobachter als "Hitlergruß" empfunden wird. Vielmehr muss der Handelnde davon ausgehen, dass der Beobachter sie (möglicherweise) für das Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation hält (Schönke/Schröder, StGB, 26. A., § 26 a Rnr. 11).

Welche Anforderungen bei Ähnlichkeit an den Vorsatznachweis zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles und der Art des in Frage kommenden Kennzeichens ab. Trägt jemand ein leicht abgewandeltes oder spiegelverkehrt dargestelltes Hakenkreuz und lässt auch sein sonstiges äußeres Erscheinungsbild den Schluss auf die Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut zu, dürfte es insoweit keine Probleme geben.

Vorliegend geht es aber um eine kurzfristige, im Detail nicht aufklärbare Armbewegung oder -haltung, die als (abgewandelter) "Hitlergruß", aber auch als alltägliche und harmlose Begrüßung gewollt gewesen sein kann. In einem solchen Fall erfordert die Annahme eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 86 a StGB die Feststellung von Anknüpfungstatsachen, die den Schluss auf eine strafrechtlich relevante Willensrichtung zulassen. In diesem Zusammenhang können einschlägige Vorstrafen, Mitgliedschaft in oder Kontakte zu einer extremistischen Organisation, ausländerfeindliche Einstellung oder ähnliches gewichtige Indizien sein. In einem Fall wie dem vorliegenden könnte als indiziell verwertbarer Hintergrund auch ein gestörtes Verhältnis des Angeklagten zu Bundeswehr oder einzelnen Soldaten in Betracht kommen. Der Tatrichter hat dies gesehen und geprüft; dahingehende Anhaltspunkte gab es allerdings nicht (UA. S. 7).

Die Strafkammer hat den Angeklagten in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" freigesprochen (UA. S. 7). Dass sie dabei überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hätte, ist nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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