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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 26.07.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 173/01
Rechtsgebiete: OwiG, GG


Vorschriften:

OWiG § 80 I Nr. 2
OWiG § 74 II
GG § 103 I
1. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann verletzt sein, wenn der Bußgeldrichter den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid trotz vorgebrachter oder zu beachtender wesentlicher Entschuldigungsgründe nach § 74 II OWiG verwirft und sich mit den Gründen im Urteil nicht auseinandersetzt.

2. Die Verhinderung des Verteidigers kann das Ausbleiben des Betroffenen nur entschuldigen, wenn sie dafür tatsächlich ursächlich ist.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 1 Ss 173/01

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordungswidrigkeit hier: Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde und Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts

hat der 1. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richterin am Oberlandesgericht Hardt als Einzelrichterin

am 26. Juli 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf Antrag des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Mainz vom 18. April 2001 aufgehoben.

Der Antrag des Betroffenen, seine Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Mainz vom 12. Dezember 2000 zuzulassen, wird als unbegründet verworfen.

Die Rechtsbeschwerde gilt damit als zurückgenommen (§ 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG).

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Betroffenen zur Last.

Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 5. Juni 2000 setzte das Polizeipräsidium Mainz gegen den Betroffenen wegen Führens eines sich in einem verkehrswidrigen, die Verkehrssicherheit erheblich beeinträchtigenden Zustand befindlichen Fahrzeugs eine Geldbuße von 100 DM fest. Das Amtsgericht Mainz bestimmte nach Einspruch des Betroffenen Termin zur Hauptverhandlung auf den 12. Dezember 2000, 15.30 Uhr. Vom persönlichen Erscheinen war der Betroffene nicht entbunden worden. Am Terminstag rief der Verteidiger, der seinen Kanzleisitz in Saarbrücken hat, die zuständige Richterin gegen 14.30 Uhr an und teilte mit, dass er zu dem angesetzten Termin nicht erscheinen könne, da er bis soeben einen Hauptverhandlungstermin vor dem Landgericht Saarbrücken habe wahrnehmen müssen. Er bat um Terminsverlegung, erklärte sich aber auch bereit, den Hauptverhandlungstermin noch wahrzunehmen, wobei mit einer Verzögerung von etwa einer Stunde zu rechnen sei. Die Richterin erklärte ihm, sie werde den Termin nicht verlegen und auf die Anreise des Verteidigers auch nicht warten. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liege nicht vor. Wenn der Betroffene "kopflos" sein sollte, werde sie prüfen, wie sie weiter vorgehe. Zunächst wolle sie versuchen, die Hauptverhandlung ohne den Verteidiger durchzuführen. Zum Termin erschien weder der Betroffene noch sein Verteidiger. Das Amtsgericht verwarf daraufhin den Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG.

Nach Zustellung des schriftlichen Urteils am 12. Januar 2001 beantragte der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers am 15. Januar 2001 ohne jegliche Angabe von Gründen, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung zu gewähren. Am selben Tag beantragte er die Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Mit Beschluss vom 24. Januar 2001 verwarf das Amtsgericht das Wiedereinsetzungsgesuch, weil der Betroffene innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO i.V.m. § 52 OWiG Tatsachen zur Begründung des Antrags nicht vorgetragen habe. Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2001 begründete der Verteidiger den Wiedereinsetzungsantrag damit, dass er mit dem Betroffenen vereinbart gehabt habe, diesen von der Raststätte Homburg aus zur Hauptverhandlung mitzunehmen. Aufgrund seiner unerwarteten Verhinderung habe der Betroffene, den er nicht habe telefonisch erreichen können, den Hauptverhandlungstermin versäumt.

Mit seiner gegen den die Wiedereinsetzung versagenden Beschluss eingelegten sofortigen Beschwerde vertrat der Betroffene die Auffassung, aufgrund der mitgeteilten Verhinderung des Verteidigers habe das Gericht, weil sein Wohnsitz und der Kanzleisitz des Verteidigers im Saarland lägen, die Möglichkeit einbeziehen müssen, dass er und der Verteidiger gemeinsam zur Hauptverhandlung kommen wollten, gemeinsam ein Fahrzeug benutzen wollten und deshalb auch er an der Wahrnehmung des Termins gehindert gewesen sei. Das Landgericht Mainz hat die sofortige Beschwerde durch Beschluss vom 12. März 2001 als unbegründet verworfen.

Nach Eingang der Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde am 20. Februar 2001, mit dem die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, hat das Amtsgericht Mainz den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde durch Beschluss vom 19. April 2001 gemäß § 346 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG mit der Begründung als unzulässig verworfen, die Rechtsmittelbegründungsschrift sei nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils eingegangen. Gegen diesen dem Verteidiger am 23. April 2001 zugestellten Beschluss hat der Betroffene mit am 30. April eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts beantragt.

II.

1.

Der gemäß § 346 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG statthafte und fristgerecht angebrachte Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zulässig und sachlich begründet. War das Urteil schon vor der Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zugestellt, so schließt sich die Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG an die des § 341 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG an. Da das Urteil dem Verteidiger am Freitag, dem 12. Januar 2001 zugestellt worden ist, lief die Rechtsmittelbegründungsfrist am Freitag, dem 19. Januar 2001, ab. Die Begründungsfrist von einem Monat begann gemäß § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels und damit am 20. Januar 2001. Sie endete mit Ablauf des Tages, der durch seine Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hatte, nämlich dem 20. Februar 2001. Dies folgt aus § 43 Abs. 1 StPO, der auch dann gilt, wenn die Rechtsmittelbegründungsfrist unmittelbar an den Ablauf der Einlegungsfrist anschließt, so dass sie mit dem Beginn des auf den Ablauf der Einlegungsfrist folgenden Tags in Lauf gesetzt wird. Der Tag des Beginns der Monatsfrist ist anders als nach der Regelung des § 188 Abs. 2, 2. Alt. BGB nicht mitzuzählen (BGHSt 36, 241). Da die Rechtsmittelbegründung am 20. Februar 2001 mithin fristgerecht eingegangen ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

2.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Die Rechtsbeschwerde bedarf gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG der Zulassung, da die durch den Bußgeldbescheid verhängte Geldbuße von 100 DM die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nicht erreicht und § 79 Abs. 1 Nr. 4 OWiG auf den Fall der Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG nicht entsprechend anwendbar ist (vgl. Göhler, OWiG, § 74 Rdnr. 48).

Bei einer Geldbuße von nicht mehr als 200 DM ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG) oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

a) Zur Fortbildung des materiellen Rechts ist die Nachprüfung des ergangenen Verwerfungsurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG schlechterdings ungeeignet. Ein fehlerhafter Schuldspruch kann nicht gerügt werden, da das Verwerfungsurteil sich als reine Prozessentscheidung darüber nicht verhält. Damit ist auf die Sachrüge allein zu prüfen, ob nach Erlass des Urteils (§ 80 Abs. 5 OWiG) Verfahrenshindernisse eingetreten sind. Solche sind nicht ersichtlich.

b) Die mit der Verfahrensrüge geltend zu machende Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs als weiterer Zulassungsgrund ist zwar in zulässiger Weise (§§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann verletzt sein, wenn das Amtsgericht den Einspruch trotz vorgebrachter oder zu beachtender wesentlicher Entschuldigungsgründe nach § 74 Abs. 2 OWiG verwirft und sich mit Entschuldigungsgründen in den Urteilsgründen nicht auseinandersetzt (vgl. OLG Köln VRS 92, 261; BayObLG VRS 83, 180). Da das Gebot des rechtlichen Gehörs keinen Schutz gegen Entscheidungen gewährt, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (BVerfGE 21, 191, 194; 70, 288, 294; BVerfG StV 92, 307), könnte in einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur liegen, wenn die Einspruchsverwerfung rechtsfehlerhaft gewesen wäre (OLG Köln a.a.0.). Das ist hier nicht der Fall.

aa) Das Amtsgericht hat sich in seinem Verwerfungsurteil nicht damit auseinandergesetzt, dass der Verteidiger an der Teilnahme an der Hauptverhandlung verhindert war und deswegen Vertagung beantragt hatte. Die fehlende Erörterung ist unschädlich, da das Vorbringen offensichtlich ungeeignet war, das Fernbleiben des Betroffenen zu entschuldigen (OLG Köln a.a.0. m.w.N.).

Bei dem etwa eine Stunde vor dem Hauptverhandlungstermin mit der zuständigen Richterin geführten Telefonat hat der Verteidiger sich ausschließlich selbst entschuldigt. Dass auch das Erscheinen des Betroffenen selbst infolge der Verhinderung des Verteidigers in Frage gestellt sei, hat der Verteidiger nicht nur ausweislich des Aktenvermerks der Richterin vom 12. Dezember 2000, sondern auch nach seinem eigenen Vortrag nicht behauptet. Danach will er zwar die Auffassung vertreten haben, dem Betroffenen sei eine Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins ohne Verteidiger mit Rücksicht auf eine besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage unzumutbar. Dass der Betroffene dieserhalb nicht erscheinen werde, hat er jedoch nicht erklärt. Selbst auf die Äußerung der Richterin, sie werde für den Fall, dass der Betroffene "kopflos" sei, sehen, wie weiter zu verfahren sei, hat der Verteidiger keine entsprechende Erklärung abgegeben. Dazu hätte um so mehr Veranlassung bestanden, als durch die Äußerung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden war, dass die Richterin von dem Erscheinen des Betroffenen ausging.

Allein die Verhinderung des Verteidigers entschuldigt regelmäßig nicht das Ausbleiben des Betroffenen. Anderes kann nur gelten, wenn die Fürsorgepflicht des Gerichts eine Vertagung wegen Verhinderung des Verteidigers erfordert (vgl. dazu OLG Köln a.a.0.; BayObLG DAR 2001, 83; OLG Hamm VRS 74, 36). Welche Voraussetzungen dafür im Einzelnen erfüllt sein müssen, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Unabdingbar ist jedenfalls, dass der Grund des Nichterscheinens des Betroffenen tatsächlich darin liegt, dass sein Verteidiger verhindert war. Das wird in der Rechtsmittelbegründungsschrift aber nicht behauptet. Vielmehr ist dort ausgeführt, der Verteidiger habe den Betroffenen fernmündlich nicht erreichen können und habe erst später erfahren, dass dieser vergeblich auf ihn gewartet und seinerseits keine Möglichkeit gehabt habe, rechtzeitig nach Mainz zu kommen (S. 5 der Rechtsmittelbegründungsschrift a. E.). Diese Schilderung entspricht dem Inhalt des zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgelegten Schreibens des Betroffenen an seinen Verteidiger (Bl. 118 d.A.) und dem Vortrag im Wiedereinsetzungsverfahren.

Dass der Betroffene sich bei Wahrnehmung des Termins notfalls ohne Hilfe seines Verteidigers hätte äußern müssen, berührt nicht den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, da Art. 103 Abs. 1 GG nicht das rechtliche Gehör gerade durch Vermittlung eines Rechtsanwalts gewährleistet (BVerfG NJW 1984, 862, 863; OLG Köln a.a.0.; OLG Zweibrücken StV 92, 568; OLG Düsseldorf VRS 95, 104; OLG Hamm VRS 98, 117).

bb) Das rechtliche Gehör ist auch nicht dadurch verletzt, dass sich das Amtsgericht in dem Verwerfungsurteil nicht damit auseinandergesetzt hat, dass der Betroffene möglicherweise deshalb nicht zur Hauptverhandlung erschienen ist, weil er infolge der Verhinderung des Verteidigers keine Mitfahrgelegenheit nach Mainz hatte. Das Gericht hat sich vor einer Entscheidung nach § 74 Abs. 2 OWiG zwar auch mit nicht ausdrücklich geltend gemachten, sich aber aus den Akten, Erklärungen des Verteidigers oder anwesender Zeugen, aus allgemeinkundigen Tatsachen oder aus naheliegenden Zusammenhängen ergebenden Entschuldigungsgründen auseinanderzusetzen. Der Verteidiger hat in seinem Telefonat vor Beginn der Hauptverhandlung nichts dergleichen erwähnt. Aus dem Umstand, dass der Betroffene im Saarland wohnhaft ist und der Verteidiger dort seinen Kanzleisitz hat, konnte das Amtsgericht nicht auf die Vereinbarung einer Mitfahrgelegenheit zu dem Gerichtstermin vor einem auswärtigen Gericht und damit auf einen Entschuldigungsgrund für das Ausbleiben des Betroffenen schließen. Ein naheliegender Zusammenhang besteht insoweit nicht, so dass eine Aufklärungspflicht nicht bestand. Das Amtsgericht wusste weder von wo aus noch mit welchem Verkehrsmittel der Betroffene, der von Beruf Fernfahrer ist, anreisen würde. Die gemeinsame Anreise des Verteidigers und seines Mandanten zu Gerichtsterminen ist auch nicht allgemein üblich. Im Übrigen durfte das Gericht darauf vertrauen, dass der Verteidiger einen ihm bekannten Entschuldigungsgrund für das Fernbleiben des Betroffenen vorträgt.

Damit handelt es sich bei diesem möglichen Entschuldigungsgrund um nachträgliches Entschuldigungsvorbringen, das dem Amtsgericht nicht bekannt war, als es den Einspruch verwarf und das einer Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen ist. Es kann nur mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 74 Abs. 4 StPO geltend gemacht werden (vgl. Senat vom 15. Juli 2000 1 Ws 507/01 und 1 Ss 153/01 -).

cc) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die behauptete Nichtbenennung geladener Zeugen und des Sachverständigen in der Ladung des Verteidigers scheidet von vornherein aus, da es sich bei dem den Einspruch verwerfenden Urteil um eine Prozessentscheidung handelt, die sich über einen Schuldspruch nicht verhält.

3.

Dem Antrag des Verteidigers, ihm trotz der fehlenden Geltung des § 349 Abs. 3 StPO im Verfahren über die Zulassung der Rechtsbeschwerde den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zur Stellungnahme zuzuleiten, brauchte nicht entsprochen zu werden, da der Senat der Begründung des Verwerfungsantrags der Generalstaatsanwaltschaft nicht gefolgt ist (vgl. KK-OWiG-Steindorf 2. Aufl. § 80 Rdnr. 56).

Ende der Entscheidung

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