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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 29.08.2000
Aktenzeichen: 1 Ss 195/00
Rechtsgebiete: OWiG, SGB III


Vorschriften:

OWiG § 4 III
OWiG § 130
SGB III § 284
SGB III § 404
Leitsatz:

1. § 130 OWiG ist ein Auffangtatbestand, der nur eingreift, wenn der nach Abs. 1 oder Abs. 2 dieser Vorschrift Verantwortliche den Verstoß gegen eine betriebsbezogene Pflicht nicht persönlich begangen hat.

2. § 4 Abs. 3 OWiG findet auch Anwendung, wenn die Gesetzesänderung die objektive Bedingung der Ahndung betrifft.


Geschäftsnummer: 1 Ss 195/00 8014 Js 21132/98 - StA Trier

In der Bußgeldsache

gegen

W. D.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt D. Q. --

wegen unerlaubter Ausländerbeschäftigung

hier: Rechtsbeschwerde des Betroffenen

hat der 1. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Richter am Oberlandesgericht Summa als Einzelrichter (§ 80 a Abs. 2 Nr. 1 OWiG)

am 29. August 2000 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Trier vom 24. Mai 2000 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgericht Trier zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen "fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht in einem Betrieb" (§ 130 Abs. 1 OWiG) zu einer Geldbuße von 600 DM verurteilt, weil in der von ihm als Geschäftsführer geleiteten GmbH vom 21. Juni 1996 bis zum 6. Februar 1997 ein ausländischer Arbeitnehmer ohne Arbeitserlaubnis beschäftigt gewesen war.

Seine dagegen gerichtete, form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat im Beschluss vom 27. September 1983 (StV 84, 64) ausgeführt:

"Es ist in der Regel ein sachlich-rechtlicher Fehler des Urteils, wenn die Darstellung der Gründe unklar und unübersichtlich ist und insbesondere nicht scharf zwischen der Feststellung der für erwiesen erachteten Tatsachen, der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung unterschieden wird. Aus der Sachverhaltsschilderung muss sich klar ergeben, durch welche bestimmten Tatsachen die einzelnen gesetzlichen Merkmale des inneren und äußeren Tatbestandes erfüllt werden. Dies erfordert eine in sich geschlossene Darstellung, die nicht durch in den Urteilsgründen verstreute tatsächliche Feststellungen ersetzt werden kann."

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Rechtsprechung, der sich der Senat angeschlossen hat (Beschluss vom 1. März 1999 - 1 Ss 21/99 -), mit Beschluss vom 20. Mai 1998 bestätigt (BGHR StPO, § 267 Abs. 1 Satz 1, Sachdarstellung 2).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Die dem Satz: "Die vorstehenden Feststellungen beruhen ... " vorangestellten Ausführungen sind nicht unter die objektiven und subjektiven Merkmale eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes zu subsumieren.

2.

Auch unter Berücksichtigung der weitschweifigen Ausführungen zur rechtlichen Würdigung erweist sich das Urteil als unvollständig.

§ 130 OWiG ist ein Auffangtatbestand, der nur dann eingreift, wenn der nach Abs. 1 oder Abs. 2 dieser Vorschrift Verantwortliche (kurz: Betriebsinhaber) den Verstoß gegen eine betriebsbezogene Pflicht nicht persönlich - durch positives Tun oder Unterlassen (§ 8 OWiG) - begangen hat (KK OWiG-Cramer, § 130 Rdn. 100 m.w.N.) und ihm vorzuwerfen ist, dass er es unterlassen hat, die notwendigen Vorkehrungen zur Verhinderung einer solchen Zuwiderhandlung durch andere, im oder für den Betrieb tätige Personen zu treffen. Er findet keine Anwendung, wenn der Betriebsinhaber selbst den objektiven Tatbestand der mit Strafe oder Geldbuße bedrohten Norm erfüllt hat, das zur Ahndung notwendige Verschulden aber nicht nachgewiesen werden kann.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der Betroffene zur mutmaßlichen Tatzeit Geschäftsführer eines in der Rechtsform einer GmbH betriebenen Handwerksunternehmen mit "allenfalls fünf in der Produktion beschäftigten Arbeitnehmern". In einem Unternehmen dieser Größenordnung entscheidet in der Regel der Inhaber selbst über die Anstellung, Weiterbeschäftigung oder Entlassung eines Arbeitnehmers. Ihn trifft dann auch die alleinige Verantwortung für die Einhaltung arbeitsmarktrechtlicher Vorschriften wie etwa Beschäftigungsverbote für Ausländer. Den Ausführungen des Amtsgerichts ist nicht zu entnehmen, wie das von dem Betroffenen geleitete Unternehmen organisiert und ob die Prüfung des Vorhandenseins einer notwendigen Arbeitserlaubnis überhaupt auf für die Lohnbuchhaltung zuständige Personen delegiert worden war. Wenn das Amtsgericht dem Betroffenen anlastet, er habe sich von dem ausländischen Arbeitnehmer nicht die Arbeitserlaubnis vorlegen lassen, deutet dies vielmehr auf ein für den Tatbestand des § 404 Abs. 2 Nr. 2 SGB III relevantes persönliches Fehlverhalten des Betriebsinhabers hin. Ob ihm insoweit ein Schuldvorwurf zu machen ist, bleibt aber offen.

3.

Wird das zur Tatzeit geltende Recht vor der gerichtlichen Entscheidung geändert, ist das mildeste Gesetz anzuwenden (§ 4 Abs. 3 OWiG).

Zwar wurde § 130 Abs. 1 OWiG seit 1996 nicht geändert. Ein Verstoß gegen die Aufsichtspflicht kann aber nur geahndet werden, wenn in dem Betrieb/Unternehmen eine mit Strafe oder Geldbuße bedrohte Zuwiderhandlung begangen worden ist. Diese objektive Bedingung der Ahndung muss auch zum Zeitpunkt der Entscheidung noch gegeben sein. Könnte der Betriebsinhaber, wenn er die fragliche Handlung persönlich begangen hätte, nach dem neuen Recht in Anwendung des § 4 Abs. 3 OWiG nicht mehr belangt werden, so ist nachträglich auch die Sanktionswürdigkeit nach dem Auffangtatbestand des § 130 Abs. 1 OWiG entfallen.

Die zur mutmaßlichen Tatzeit geltenden §§ 19, 229 AFG sind mit Wirkung ab dem 1. Januar 1998 durch die §§ 284, 404 SGB III als milderes Gesetz im Sinne des § 4 Abs. 3 OWiG ersetzt worden. Während das alte Recht ein generelles Arbeitsverbot mit Erlaubnisvorbehalt für Ausländer normiert hatte, sind nach der Neuregelung Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen Inländern arbeitsmarktrechtlich gleichgestellt mit der Folge, dass zur Aufnahme einer Beschäftigung keine Genehmigung mehr erforderlich ist (§ 284 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Dementsprechend ist § 404 Abs. 2 Nr. 2 SGB III so zu verstehen, dass nur derjenige ordnungswidrig handelt, der einen Ausländer ohne die nach § 284 Abs. 1 Satz 1 SGB III erforderliche Genehmigung beschäftigt (Senatsbeschluss vom 21. April 1998 - 1 Ss 94/98 -). Dass in § 404 Abs. 2 Nr. 2 SGB III - anders als in Abs. 1 Nr. 2 dieser Vorschrift - der Zusatz "ohne erforderliche Genehmigung" fehlt, ist offensichtlich auf ein redaktionelles Versäumnis im Gesetzgebungsverfahren zurückzuführen. Die Beschäftigung eines Ausländers, der hinsichtlich des freien Zugangs zum Arbeitsmarkt rechtlich einem Inländer gleichgestellt ist, kann kein sanktionswürdiges Unrecht sein.

Folglich kommt eine Anwendung der §§ 404 Abs. 2 Nr. 2 SGB III, 130 Abs. 1 OWiG vorliegend nur in Betracht, wenn der ausländische Arbeitnehmer nicht zu dem Personenkreis gehörte, der nach heutigem Recht einen genehmigungsfreien Zugang zum inländischen Arbeitsmarkt hat. Dazu hat das Amtsgericht keine Feststellungen getroffen.

Ende der Entscheidung

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