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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 23.02.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 21/05
Rechtsgebiete: StVZO, OWiG, StPO


Vorschriften:

StVZO § 20
StVZO § 21
StVZO § 34
OWiG § 46 Abs. 1
OWiG § 79 Abs. 3
OWiG § 80 a Abs. 2 Nr. 2
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 3
StPO § 473 Abs. 1
1. Der Senat folgt nicht der Auffassung des OLG Stuttgart (NZV 96, 417), selbst bei einer geeichten Waage sei ein Pauschalabschlag in Höhe von 5% des Bruttogewichts vorzunehmen, um auch bei ordnungsgemäßer Bedienung (von der in der zitierten Entscheidung ersichtlich ausgegangen wurde) nicht ausschließbare "systemimmanente Messfehler" (außerhalb des aus dem gerätespezifischen Eichschein zu entnehmenden Verkehrsfehlers) auszugleichen.

2. Der vom OLG Stuttgart (und 2. Strafsenat des OLG Koblenz) herangezogene "Toleranzenkatalog" des BMVerkehr vom 9. April 1984 (Verkehrsblatt 84, 182 ff.) dient der Festlegung von Maßtoleranzen, die bei Fahrzeugprüfungen zur Erteilung der allgemeinen (§ 20 StVZO) bzw. speziellen (§ 21 StVZO) Betriebserlaubnis noch hingenommen werden können. Sie betreffen die Abweichungen der am Fahrzeug (in der Regel vor dessen Inverkehrbringung) ermittelten Messwerte von den Sollwerten und dienen vor allem der Neutralisierung von "Fertigungssteuerungen und Einstellunterschieden" und damit einem Regelungszweck, der mit der (Einzel-)Messung (Wiegung) eines in Betrieb befindlichen, beladenen Fahrzeugs zur Ermittlung von dessen tatsächlichem aktuellem Gesamtgewicht ersichtlich nichts zu tun hat.

3. Eine Messung mittels gültig geeichter und vorschriftsmäßig bedienter Waage ist richtig; es ist dann nur noch der für diese spezielle Waage ermittelte und im Eichschein vermerkte Eichfehler-Grenzwert zu berücksichtigen und nach Maßgabe des belastungsabhängigen Multiplitators als sog. Verkehrsfehler, der beim Betrieb auch einer geeichten Waage aufgreten kann, in Abzug zu bringen. Für einen weitergehenden Abzug wegen sonstiger (unbenannter) "Systemimmanenter Messfehler" ist daneben kein Raum mehr.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

1 Ss 21/05

In dem Bußgeldverfahren

wegen Überschreitung des zulässigen Gesamtgewichts

hat der 1. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe als Einzelrichter (§ 80 a Abs. 2 Nr. 2 OWiG)

am 23. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Montabaur vom 29. September 2004 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Betroffenen zur Last (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO).

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen als Führer eines mit Betonelementen beladenen Sattelzuges wegen fahrlässiger Überschreitung des zulässigen Gesamtgewichts zu einer Geldbuße von 50 € verurteilt.

Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat zwar Erfolg, weil es im Hinblick auf die vom Verteidiger zitierte, der Auffassung des Amtsgerichts entgegenstehende Entscheidung des 2. Strafsenats des OLG Koblenz geboten erscheint, das Rechtsmittel zur Rechtsfortbildung zuzulassen; in der Sache erweist es sich jedoch als unbegründet. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Beschwerderechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 und 3 StPO).

1.

Nach den tatrichterlichen Feststellungen erfolgte die Gewichtsmessung mit einer geeichten, nichtselbsttätigen Straßenfahrzeugwaage der Genauigkeitsklasse III. Zum Ausgleich systemimmanenter Meßfehler hat die sachverständig beratene Tatrichterin vom gemessenen Bruttogewicht des Sattelzuges "das Doppelte der Eichfehlergrenze, die vorliegend ausweislich des Eichscheins bei einer Belastung von 40.000 bis 50.000 kg 30 kg beträgt", mithin 60 kg, abgezogen. Angesichts der Feststellung, dass der "komplette Sattelzug in einem Vorgang" (und nicht, wie es z. B. bei Langholzfahrzeugen üblich ist, achsweise getrennt) gewogen worden, die Waage ordnungsgemäß (gültig) geeicht war und auch sonst keinerlei Hinweise auf eine Fehlfunktion oder einen sonstigen Faktor vorlagen, der das angezeigte Meßergebnis beeinflußt haben könnte, war dies für die Verurteilung ausreichend.

2.

Der auf eine Entscheidung des 2. Strafsenats des OLG Koblenz (2 Ss 284/97 vom 13.10.1997) gestützten Auffassung des Verteidigers, vom ermittelten Gesamtgewicht sei ein pauschaler Abschlag von 5% vorzunehmen, ist das Amtsgericht zu Recht nicht gefolgt (vgl. schon Senat, 1 Ss 291/02 vom 27.02.2003). Eines näheren Eingehens darauf bedarf es jedoch nicht; denn der 2. Strafsenat hat auf Anfrage mitgeteilt, daß er an dieser Rechtsprechung in Fällen, in denen es sich, wie hier, um eine geeichte Waage handelt, nicht festhalte.

3.

Zu Recht nicht angeschlossen hat sich das Amtsgericht auch der Auffassung des OLG Stuttgart (NZV 96,417), selbst bei einer geeichten Waage sei ein Pauschalabschlag in Höhe von 5% des Bruttogewichts vorzunehmen, um auch bei ordnungsgemäßer Bedienung (von der in der zitierten Entscheidung ersichtlich ausgegangen wurde) nicht ausschließbare "systemimmanente Messfehler" (außerhalb des aus dem gerätespezifischen Eichschein zu entnehmenden Verkehrsfehlers) auszugleichen. Das OLG Stuttgart hat sich dabei an dem "Toleranzenkatalog" des BMVerkehr vom 9. April 1984 (Verkehrsblatt 84,182 ff) orientiert, jedoch den völlig anderen Regelungsgehalt jener Richtlinie unberücksichtigt gelassen. Ausweislich seiner Erläuterungen und Vorbemerkungen (aaO. 182) dient dieser Katalog der Festlegung von Maßtoleranzen, die bei Fahrzeugprüfungen zur Erteilung der allgemeinen (§ 20 StVZO) bzw. speziellen (§ 21 StVZO) Betriebserlaubnis noch hingenommen werden können. Sie betreffen die Abweichungen der am Fahrzeug (in der Regel vor dessen Inverkehrbringung) ermittelten Meßwerte von den Sollwerten und dienen vor allem der Neutralisierung von "Fertigungsstreuungen und Einstellunterschieden", wie sie bei einem aus mehreren tausend Einzelteilen (von denen wiederum jedes für sich mit gewissen produktionsbedingten Maßungenauigkeiten behaftet ist) zusammengesetzten Produkt praktisch nicht zu vermeiden sind. Dieser Regelungszweck hat mit der (Einzel-)Messung (Wiegung) eines in Betrieb befindlichen, beladenen Fahrzeugs zur Ermittlung von dessen tatsächlichem aktuellem Gesamtgewicht ersichtlich nichts zu tun. Eine solche Messung ist, wenn die Waage gültig geeicht ist und vorschriftsmäßig bedient wird, richtig; es ist dann nur noch der für diese spezielle Waage ermittelte und im Eichschein vermerkte Eichfehler-Grenzwert zu berücksichtigen und - nach Maßgabe des belastungsabhängigen Multiplikators, hier also Verdoppelung - als sog. Verkehrsfehler, der beim Betrieb auch einer geeichten Waage auftreten kann, in Abzug zu bringen (eingehend zum Berechnungsschema und den gesetzlichen Grundlagen: Senat, 1 Ss 291/02 vom 27.02.2003 und BayObLG NStZ-RR 01,183).

Für einen weitergehenden Abzug wegen sonstiger (unbenannter) "systemimmanenter Messfehler" ist daneben kein Raum mehr (BayObLG aaO.; OLG Karlsruhe DAR 00,418; zustimmend Hentschel NJW 01,716 und StrVerkR, § 34 StVZO Rdnr. 15). Andere Fehlerquellen als die durch die jeweils bestimmte Verkehrsfehlergrenze der Waage abgedeckten (wie sie z. B. durch während der Eichscheingültigkeit eingetretene Beschädigungen der Wiegeeinrichtung verursacht sein könnten), sind ohne konkrete Veranlassung nicht in Erwägung zu ziehen (Senat, 1 Ss 291/02 vom 27.02.2003; Hentschel NJW aaO.).

Im Hinblick auf die vom Senat nicht geteilte Auffassung des OLG Stuttgart bedarf es allerdings keiner Divergenzvorlage an den BGH. Der Entscheidung des OLG Stuttgart lag (anders als im Falle des 2. Strafsenats des OLG Koblenz) die Messung eines Langholzgespanns (Zugmaschine mit Nachläufer) zu Grunde; solche Fahrzeuge werden wegen ihrer Länge meist nicht in einem Vorgang, sondern achsweise einzeln verwogen. Den dabei u. U. auftretenden zusätzlichen Messungenauigkeiten wäre ggf. auch nach Auffassung des Senats durch einen gewissen Sicherheitsabschlag vom ermittelten Gesamtgewicht Rechnung zu tragen. Dafür, dass es sich im Falle des OLG Stuttgart um eine solche achsweise Einzelverwiegung handelte, spricht die Erwähnung von (getrennten) "Wiegescheinen mit den Gewichtsangaben von Zugmaschine und Nachläufer". Dass sich die Eichung der im Falle des OLG Stuttgart verwendeten Waage auch auf diese spezielle Art der Verwiegung bezog (vgl. dazu Senat 1 Ss 361/04 vom 21.12.2004), lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen. Das OLG Stuttgart hat - "den sog. Toleranzenkatalog des Bundesministers für Verkehr als Richtschnur zugrunde legend" - den Abzugswert mit 5% "veranschlagt", zugleich aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieser damit "sehr hoch angesetzt" sei. Der Senat entnimmt dem, dass das OLG Stuttgart einen derart hohen Toleranzabschlag nicht für zwingend, sondern lediglich für vertretbar und den Toleranzenkatalog insoweit auch nur als eine Orientierungshilfe angesehen hat.

Ende der Entscheidung

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