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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 08.01.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 238/02
Rechtsgebiete: StGB, BGB, ZVG


Vorschriften:

StGB § 246
StGB § 136
BGB § 94 II
ZVG § 20
ZVG § 22
ZVG § 90
1. Eine Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage wegen Unterschlagung oder Verstrickungsbruch ist nicht möglich.

2. Fensterflügel, die als wesentliche Gebäudebestandteile durch Anordnung der Zwangsversteigerung beschlagnahmt worden sind, werden durch ein Beiseiteschaffen vor Zuschlagserteilung zwar der Verstrickung entzogen, jedoch wird deren Beschlagnahme dadurch nicht aufgehoben; sie unterliegen weiterhin dem Eigentumserwerb des Erstehers durch Zuschlag und können anschließend Gegenstand einer Unterschlagung durch den vorherigen Grundstückseigentümer sein.

3. Durch ein Beiseiteschaffen wesentlicher Gebäudebestandteile nach Zuschlagserteilung kann nur noch der Tatbestand eines Vermögensdelikts, nicht mehr der des Verstrickungsbruchs erfüllt werden.


1 Ss 238/02 8008 Js 20777/98 6 Ns StA Trier

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Strafsache

gegen

wegen Verstrickungsbruchs

hier: Revision der Angeklagten

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 08. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts T. vom 15. Februar 2002 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts T. zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagte wegen Verstrickungsbruchs zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten.

Die dagegen eingelegte Berufung hat die Strafkammer mit der Maßgabe verworfen, dass die Angeklagte wegen Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wird.

Nach den Urteilsfeststellungen war die Angeklagte Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses. Nach Aufteilung in Wohnungseigentum verkaufte sie drei Wohnungen an Interessenten, wobei sie sich verpflichtete, die Räume zu renovieren und den Käufern schlüsselfertig zu übergeben. Die Zahlung des Kaufpreises sollte sukzessive nach Baufortschritt erfolgen. Im Verlauf der Ausbauarbeiten kam es zwischen den Vertragsparteien wegen Leistungen und Forderungen zu einem Zivilrechtstreit vor dem Landgericht, in dem die Käufer obsiegten. Nachfolgend wurde das Zwangsversteigerungsverfahren über das jeweilige Wohnungseigentum eingeleitet. Die Anordnungsbeschlüsse enthielten den Hinweis, dass die Entscheidung zu Gunsten des Gläubigers als Beschlagnahme des Grundbesitzes gelte. Die Zustellung des zuerst ergangenen Beschlusses an die Angeklagte erfolgte am 6. November 1996, die die weiteren Eigentumswohnungen betreffenden Beschlüsse wurden in der Folgezeit zugestellt. Am 2. Oktober 1998 fand der Zwangsversteigerungstermin statt. Am 6. Oktober 1998 erhielten die jeweiligen Wohnungskäufer den Zuschlag.

"Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 1. Oktober 1998 und dem 7. Oktober 1998" ließ die Angeklagte durch ihren Ehemann in allen drei Wohnungen die Flügel der schon im Juli 1997 vollständig eingebauten Fenster entfernen und stellte sie auf dem Hofanwesen eines Dritten ab. Die Fenster waren der Angeklagten unter Eigentumsvorbehalt geliefert worden. Vollständige Bezahlung hatte sie nicht geleistet. Um ihre Schulden gegenüber dem Lieferanten zu verringern, bot sie diesem die Fensterflügel "wahrscheinlich im Verlauf des Monats Oktober 1998" zum Rückkauf an. Ihr Angebot blieb ohne Erfolg. Die Fensterflügel lagerten auf dem Hof des Dritten bis auch dieses Anwesen versteigert wurde. Auf welche Art sie anschließend verwertet wurden, steht nicht fest. Gegenüber dem ermittelnden Polizeibeamten erklärte die Angeklagte lediglich, die Fenster seien "ordnungsgemäß entsorgt".

Aufgrund dieser Feststellungen ist die Strafkammer zu der Auffassung gelangt, die Angeklagte habe sich oder einem Dritten fremde bewegliche Sachen rechtswidrig zugeeignet und damit den Tatbestand der Unterschlagung erfüllt. Die Fensterflügel seien mit dem Aushängen wieder zu beweglichen Sachen geworden, die in der Zeit vor dem Zuschlag zum Vorbehaltseigentum des Lieferanten gehörten, anschließend durch Erteilung des Zuschlags Eigentum der Ersteigerer geworden seien.

Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit der Revision. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat zumindest vorläufig Erfolg. Die getroffenen Feststellungen lassen für die Tathandlungen der Angeklagten mehrere sich gegenseitig ausschließende Alternativen und in Folge auch die Anwendung verschiedener Strafgesetze zu, ohne dass die Voraussetzungen für eine Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage vorliegen.

1.

Im einzelnen:

a) Die Urteilsgründe eröffnen die Möglichkeit, dass die Angeklagte die Fensterflügel in der Zeit vom 1. bis 6. Oktober 1998 vor Erteilung des Zuschlags im Zwangsversteigerungsverfahren hat ausbauen lassen und während dieser Zeit auch dem Lieferanten zum Rückkauf angeboten hat. In diesem Fall hätte die Angeklagte einen Verstrickungsbruch gemäß § 136 Abs. 1 StGB, nicht jedoch eine Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 StGB begangen.

Die Erfüllung des Unterschlagungstatbestands scheiterte bereits daran, dass die Fensterflügel im genannten Zeitraum vor Zuschlagserteilung für die Angeklagte keine fremden Sachen gewesen sind. Der Begriff der Fremdheit beurteilt sich nach bürgerlichem Recht. Danach ist die Angeklagte zu der in Rede stehenden Zeit noch selbst Eigentümerin der Fensterflügel gewesen. Diese waren gemäß § 94 Abs. 2 BGB mit dem vollständigen Einbau der Fenster im Juli 1997 zur Herstellung des Gebäudes "eingefügt" und damit wesentliche Bestandteile des Wohngebäudes geworden (vgl. Soergel/Marly § 94 Rdn. 26; Palandt/Heinrichs § 94 Rdn. 7; Stöber, ZVG, § 20 Rdn.3 Nr. 3.2 Buchst, b). Eine feste Verbindung erfordert das "Einfügen" nicht (BGHZ 36, 46, 50). Das Einsetzen der Fenster an der für sie vorgesehenen Stelle zu dem Zweck der Gebäudefertigstellung hat ausgereicht (vgl. Marly a.a.O.). Sie sind mit dem Einfügen als wesentliche Bestandteile des Gebäudes zugleich solche des Grundstücks geworden und haben von diesem Zeitpunkt an gemäß § 946 BGB dessen Eigentumsverhältnisse geteilt (vgl. Staudinger/Wiegand § 946 Rdn. 3). Grundstückseigentümerin war in der Zeit des Fenstereinbaus bis zur Zuschlagserteilung allein die Angeklagte. Das gebildete Wohnungseigentum war zwar schon verkauft, aber noch nicht übereignet. Weder hat ihrem Eigentumserwerb der mit dem Lieferanten vereinbarte Eigentumsvorbehalt entgegengestanden, noch ist ihr das Eigentum an den Fensterflügeln durch deren nachträglichen Ausbau wieder verloren gegangen. Der Eigentumsübergang nach § 946 BGB ist zwingend und endgültig. Die schuldrechtliche Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts erlischt mit Eintritt der Voraussetzungen und auch bei einer späteren Trennung verbleibt das Eigentum an den eingebauten Sachen gemäß § 953 BGB dem Grundstückseigentümer (Wiegand a.a.O. § 946 Rdn. 7, 10).

Die Tathandlungen der Angeklagten in dem genannten Zeitraum hätten daher ihre eigenen Sachen betroffenen, so dass eine Unterschlagung für diese Zeit tatbestandsmäßig ausscheidet.

Erfüllt wäre der Tatbestand des Verstrickungsbruchs gemäß § 136 Abs. 1 StGB. Die Angeklagte hätte die Fensterflügel, die als wesentliche Bestandteile des Gebäudes von der nach §§ 20, 22 Abs. 1 ZVG wirksam angeordneten Beschlagnahme des Grundstücks miterfasst waren (Stöber a.a.O. § 20 Rdn.3 Nr. 3.1), durch Beiseiteschaffen der Verstrickung entzogen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB § 136 Rdn. 4, 7).

b) Möglich ist nach den Urteilsfeststellungen als zweite Handlungsalternative aber auch, dass die Angeklagte die Fensterflügel in der Zeit vom 1. bis 6. Oktober 1998 noch vor Zuschlagserteilung ausbauen und beiseiteschaffen ließ, diese aber erst nach Erteilung des Zuschlags dem Lieferanten zum Rückkauf angeboten hat.

In diesem Fall hätte sie tatmehrheitlich (§ 53 Abs. 1 StGB) zu dem nach wie vor verwirklichten Verstrickungsbruch auch den Tatbestand der Unterschlagung erfüllt. Denn mit Verkündung des Zuschlags (§ 89 ZVG) ist das Eigentum an den Fensterflügeln gemäß § 90 Abs. 1 und 2 ZVG auf die Ersteigerer übergegangen. Die Flügel waren bei der Versteigerung als wesentliche Gebäudebestandteile wirksam beschlagnahmt gewesen und unterlagen damit gemäß §§ 90 Abs. 2, 55 Abs. 1 ZVG dem Eigentumserwerb des Erstehers durch Zuschlag (vgl. Stöber a.a.O. § 90 Rdn. 5). Durch das Beiseiteschaffen vor Zuschlagserteilung hätte die Angeklagte die Sachen zwar der Verstrickung entzogen, deren Beschlagnahme damit jedoch nicht aufgehoben.

Mit dem Rückkaufangebot an den Lieferanten hätte sie sich die zu diesem Zeitpunkt für sie fremden Sachen i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB rechtswidrig wieder zugeeignet. Denn in diesem Akt wäre ihr Wille, wie ein Eigentümer über die Sachen zu verfügen, nach außen erkennbar zu Tage getreten (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. § 246 Rdn. 7).

Allein ein Vernichten ("Entsorgen"), das als eine in Anbetracht des bedeutenden Wertes und der aufgewendeten Ausbauarbeit allerdings wenig wahrscheinliche Form der bislang ungeklärten Endverwendung der Fensterflügel im Raum steht, würde einen Zueignungswillen nicht belegen, da eine solche Handlung gerade nicht auf die Ausnutzung des wirtschaftlichen Werts der fremden Sache gerichtet ist (OLG Düsseldorf NJW 1997, 2526; Tröndle/Fischer a.a.O. § 246 Rdn. 9). Durch sie kann daher ­ in Fortführung der Fallkonstellation zu a) ­ der Unterschlagungstatbestand nach Zuschlagserteilung nicht begründet werden.

c) Im Fall der verbleibenden dritten Möglichkeit, wonach der Ausbau der Fensterflügel in der Zeit vom 6. bis 7. Oktober 1998 nach Zuschlagserteilung stattgefunden haben könnte, hätte die Angeklagte nur den Tatbestand eines Vermögensdelikts erfüllt.

Verstrickungsbruch entfiele, weil die Beschlagnahme des Grundstücks und damit der Fensterflügel als wesentliche Gebäudebestandteile mit dem Zuschlag geendet hat (vgl. Stöber a.a.O. § 22 Rdn. 2 Nr. 2.7; Böttcher § 22 Rdn. 10; Steiner­Teufel § 22 Rdn. 38, ohne dass es auf die Streitfrage, ob die Wirkungen der Beschlagnahme gänzlich erlöschen oder diese sich nach dem Surrogationsgrundsatz am Versteigerungserlös fortsetzen, ankäme).

Da Grundstück und Fensterflügel mit Verkündung des Zuschlags ins Eigentum der Ersteher übergegangen waren, hätten sich Ausbau und Beiseiteschaffen von vornherein auf fremde Sachen bezogen. Wenn nicht schon den Tatbestand des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) hätte die Angeklagte dadurch jedenfalls den der ­ subsidiären ­ Unterschlagung erfüllt. Der Zueignungswille hätte sich dann nicht erst in dem späteren Verkaufsangebot, sondern bereits in der Tathandlung als solcher nach außen manifestiert.

2.

Demzufolge ergeben sich aus mehreren möglichen Geschehensabläufen die Tatbestandsalternativen des Verstrickungsbruchs oder der Unterschlagung, die sich jedenfalls in den Fallkonstellationen zu 1.a) und c) gegenseitig ausschließen. Sie stehen weder in einem eine Verurteilung aus dem leichteren Gesetz gestattenden Stufenverhältnis, noch werden sie von einem gemeinsamen "Auffangtatbestand" erfasst (vgl. BGHSt 22, 154, 156; 23, 203, 204/205). Die Unterschlagung gemäß § 246 StGB gilt als Tatbestand im letztgenannten Sinn nur für die Fälle einer rechtswidrigen Zueignung (Tröndle/Fischer a.a.O. § 246 Rdn. 4), zu denen Verstrickungsbruch nicht zählt.

Eine Verurteilung käme daher auf wahldeutiger Grundlage nur dann in Betracht, wenn die beiden möglichen Taten rechtsethisch und psychologisch gleichwertig wären. Voraussetzung wäre die Verletzung im Wesentlichen gleicher oder ähnlicher Rechtsgüter (BGHR StGB vor § 1/Wahlfeststellung Vergleichbarkeit 1). Sie ist vorliegend zu verneinen. Unterschlagung als ein gegen fremdes Eigentum gerichtetes Delikt stellt in der Bewertung nach den genannten Kriterien einen andersartigen Verstoß als Verstrickungsbruch dar, der als Straftat gegen die öffentliche Ordnung dem Schutz der durch Beschlagnahme begründeten Herrschaftsgewalt des Staates an beweglichen oder unbeweglichen Sachen dient (Tröndle/Fischer a.a.O. § 136 Rdn. 2). In einem solchen Fall muss allen Möglichkeiten gegenüber vom Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" Gebrauch gemacht und freigesprochen werden (BGHSt a.a.O.).

3.

Von einer eigenen Entscheidung in der Sache gem. § 354 Abs. 1 StPO hat der Senat abgesehen, da er nicht ausschließen kann, dass eine neue Hauptverhandlung weitere entscheidungsbedeutsame Sachaufklärung erbringen kann. Das erscheint insbesondere zur Frage der letztendlichen Verwendung bzw. des Verbleibs der Fensterflügel möglich. Dieser Punkt war für die Strafkammer auf Grundlage ihrer unzutreffenden Rechtsauffassung bislang nicht maßgeblich, so dass es fraglich erscheint, ob sie dazu alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen vollständig ausgeschöpft hat. Wäre der endgültige Verbleib der Fensterflügel nach Zuschlagserteilung (d.h. nach Eigentumsübergang auf die Ersteigerer) zumindest soweit geklärt, dass sich daraus auf die Manifestation eines Zueignungswillens der Angeklagten schließen ließe, so wäre auch im Fall der Tatvariante 1 a) eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung entsprechend der Tatalternative 1 b) gegeben.

Gem. § 353 Abs.1 und 2 StPO ist das angefochtene Urteil daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache gem. § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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