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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 11.04.2002
Aktenzeichen: 1 Ss 25/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 222
StGB § 315 c
StGB § 46
StGB § 56 III
1. Die Strafbarkeit eines alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrers wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs entfällt weder unter dem Gesichtspunkt der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung noch unter dem Aspekt der einverständlichen Fremdgefährdung, wenn der später bei einem Verkehrsunfall getötete oder verletzte Mitfahrer den Zustand des Fahrers bei Fahrantritt gekannt und billigend in Kauf genommen hat.

2. Ein Mitverschulden oder eine (unwirksame) Einwilligung des Mitfahrers kann sich jedoch günstig bei der Strafzumessung und Prüfung einer Strafaussetzung zur Bewährung auswirken.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ss 25/02

In der Strafsache

wegen fahrlässiger Tötung u.a.

hier: Revision des Angeklagten

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt am 11. April 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengerichts - M. vom 18. September 2001 im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe:

I.

Das Schöffengericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von zwei Jahren für deren Neuerteilung angeordnet.

Der Verurteilung liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, den der Angeklagte während seiner Wehrdienstzeit bei der Bundeswehr verursacht hatte: Nachdem er zusammen mit anderen in der Kaserne erheblich dem Alkohol zugesprochen hatte, verließ er gegen 2 Uhr morgens mit seinem PKW und zwei Kameraden als weiteren Fahrzeuginsassen das Kasernengelände, um an einer Tankstelle weiteres Bier zu kaufen. Auf einer Landstraße kam er ausgangs einer Linkskurve auf regennasser Fahrbahn ins Schleudern, da er wegen Trunkenheit - seine Blutalkoholkonzentration betrug mindestens 1,7 Promille - nicht in der Lage war, sein Fahrzeug den Witterungs- und Verkehrsverhältnissen entsprechend zu steuern. Der PKW kam nach links von der Fahrbahn ab und prallte mit der Beifahrertür gegen einen Betonmast. Dabei wurde der Beifahrer getötet. Der dritte Fahrzeuginsasse auf der Rückbank des PKW erlitt schwere Verletzungen.

II.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten. Er beantragt, die Entscheidung aufzuheben und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Gegen den Schuldspruch wendet er ein, dass seine beiden Mitfahrer beim Besteigen des Fahrzeugs gewusst hätten, dass er infolge des genossenen Alkohols fahruntüchtig gewesen sei. Damit sei nach den Grundsätzen der einverständlichen Fremdgefährdung eine Verurteilung ausgeschlossen. Außerdem läge in dem Verhalten der Mitfahrer eine Einwilligung in die gefährdende Handlung, so dass auch aus diesem Grund eine Strafbarkeit sowohl wegen eines fahrlässigen Tötungsdelikts als auch wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nicht in Betracht komme.

III.

Das als Sprungrevision statthafte (§ 335 Abs. 1 StPO), form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat nur im Rechtsfolgenausspruch Erfolg. Der Schuldspruch ist rechtfehlerfrei. Insoweit erweist sich die Revision gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als offensichtlich unbegründet.

Die Fehlerhaftigkeit der Rechtsfolgenseite ergibt sich aus der Unvollständigkeit der für die Strafzumessung relevanten Tatsachen. Das Urteil lässt offen, inwieweit den später verletzten bzw. getöteten Mitfahrern im PKW des Angeklagten dessen alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit bei Besteigen des Fahrzeugs bekannt gewesen ist (dazu nachfolgend Nr. 2).

1.

Für den Schuldspruch ist die unterbliebene Feststellung ohne Bedeutung. Selbst wenn die Geschädigten sich der Alkoholisierung des Angeklagten bei Fahrtantritt bewusst gewesen wären und das Führen des Kraftfahrzeugs durch ihn im fahruntüchtigen Zustand gebilligt hätten, bliebe die Strafbarkeit des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs erhalten.

a) Die Tatbestandserfüllung entfiele dadurch unter dem Gesichtspunkt der eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung der Geschädigten (BGHSt 32, 262 = NStZ 1984, 410; Senat, Urteil vom 27. April 1995 - 1 Ss 72/95 -) nicht. Denn mit billigender Teilnahme an der Trunkenheitsfahrt des Angeklagten hätten die Geschädigten sich lediglich passiv einer Gefährdung ausgesetzt, diese jedoch nicht mit eigener Verantwortung betrieben. Die aktive Tatausführung lag allein in den Händen des Angeklagten. Er übte als Fahrer des Kraftfahrzeugs die Herrschaft über das Tatgeschehen aus und verursachte durch sein Fahrverhalten die Gefährdung und schließlich den Tod bzw. die Körperverletzung der Geschädigten. Damit war der Taterfolg nicht das Ergebnis einer eigenen sondern einer Fremdgefährdung durch den Angeklagten (vgl. OLG Zweibrücken JR 1994, 518, 519; Dölling, Anm. zu OLG Zweibrücken, a.a.O., 520; Rudolphi in SK StGB vor § 1 Rdn. 81 a).

b) Als einverständliche Fremdgefährdung bliebe das Verhalten des Angeklagten strafbar, gleichgültig unter welchem rechtlichen Aspekt diese betrachtet wird.

aa) Unter Anwendung der Einwilligungsgrundsätze (vgl. BGHSt 7, 112, 114; OLG Zweibrücken, a.a.O. 519/520; Dölling a.a.O.; Rudolphi a.a.O.; Jähnke LK § 222 Rdn. 21 "Selbstgefährdung") ergäbe sich daraus kein Rechtsfertigungsgrund. Rechtfertigende Wirkung einer Einwilligung bedingt, dass der einwilligende Gefährdete alleiniger Träger des geschützten Rechtsguts ist und dieses seiner Disposition unterliegt. Wo zugleich oder sogar vorrangig die Beeinträchtigung öffentlicher Interessen mit Strafe bedroht wird, schließt seine Einwilligung die Rechtswidrigkeit nicht aus (BGHSt 6, 232, 234).

So wäre eine Einwilligung der Geschädigten in die Straßenverkehrsgefährdung (§ 315 c Abs. 1 StGB) wirkungslos. Geschütztes Rechtsgut dieser Strafvorschrift ist die Sicherheit des Straßenverkehrs. Darüber kann der Gefährdete nicht verfügen (BGHSt 23, 261, 264; BGH NZV 1995, 80/81; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, StGB § 315 c Rdn. 43 m.w.N.).

Die fahrlässige Tötung könnte eine Einwilligung des Geschädigten in die erfolgsursächliche Gefährdung ebenfalls nicht rechtfertigen. Das eigene Leben kann, wie sich aus §§ 216 und 226 a StGB ergibt, grundsätzlich nicht zur Disposition eines anderen gestellt werden (BGHSt 7, 112, 114; Jähnke a.a.O., m.w.N.).

Soweit eine rechtfertigende Einwilligung in eine das eigene Leben gefährdende Handlung zugelassen wird (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.; Dölling a.a.O.; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff Rdn. 104) wären deren Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt. Ausgehend vom Grundgedanken des § 216 StGB (Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen) könnte auch gegenüber der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB eine Einwilligung in die Lebensgefährdung nur in Ausnahmefällen als Rechtfertigung gelten. Solche Fälle werden angenommen bei Verfolgung höherwertiger Ziele in notstandsähnlichen Situationen oder bei leichtester Fahrlässigkeit des Täters (Jähnke, Dölling, Lenckner, jeweils a.a.O.). Derartige Besonderheiten lägen hier ersichtlich nicht vor.

bb) Eine Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung entsprechend der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung (Roxin, NStZ 1984, 411, 412) führte zu keinem anderen Ergebnis. Ihr wie dieser die Zurechenbarkeit zum gesetzlichen Straftatbestand abzusprechen, wäre gleichfalls von besonderen Voraussetzungen abhängig. Eine Gleichstellung wird nur dann befürwortet, wenn der Gefährdete das Risiko im selben Maße übersieht wie der Gefährdende, der Schaden die Folge des eingegangenen Risikos und nicht hinzukommender anderer Fehler ist und wenn der Gefährdete für das gemeinsame Tun dieselbe Verantwortung trägt wie der Gefährdende (Roxin a.a.O.). Davon könnte im vorliegenden Fall, in dem das verkehrswidrige Führen des Kraftfahrzeuges durch den Angeklagten als Schadensursache der lediglich passiven Risikoteilnahme der Geschädigten gegenüberstünde, keine Rede sein.

2.

Zur Bedeutung der unvollständigen Tatsachenfeststellungen für die Strafausspruch hat die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt Stellung genommen:

"Zwar ist die Strafzumessung Sache des Tatrichters, der allein sich aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung ein umfassendes Bild von der Person des Angeklagten und den abgeurteilten Taten machen kann. Dem Revisionsgericht ist deshalb grundsätzlich ein Eingreifen verwehrt und es hat im Zweifelsfall dessen Bewertung hinzunehmen (KK-Engelhardt, StPO, 4. Aufl. § 267 Rdnr. 25 m.w.N.). Dennoch ist der Tatrichter nicht völlig frei in seiner Wertung und der Niederlegung der Strafzumessungserwägungen in den Urteilsgründen. Er ist vielmehr verpflichtet, die der Zumessung zugrunde liegenden Erwägungen darzulegen. Erforderlich ist zwar keine Aufzählung sämtlicher Strafzumessungsgründe. Gemäß § 267 Abs. 3 StPO muss das Urteil jedoch die für die Strafe bestimmenden Umstände enthalten. Zu diesen Gründen gehört u.a. eine nicht unerhebliche Mitschuld des Verletzten oder eine Einwilligung, selbst wenn sie unwirksam ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 267 StPO, Rdnr. 18, Schönke/Schröder-Stree, § 46 StGB Rdnr. 25). Ein Mitverschulden des Getöteten könnte hier darin liegen, dass er den Grad der Alkoholisierung des Angeklagten erkannt und sich dennoch im Bewusstsein der hiervon ausgehenden Gefahren entschlossen hat, die Fahrt gemeinsam zu unternehmen. Hierzu hat das Schöffengericht jedoch keinerlei Feststellungen getroffen. Das lässt besorgen, dass dieser Umstand keinen Eingang in die Strafbemessung gefunden hat. Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Schöffengericht bei Beachtung eines Mitverschuldens/Einwilligung zu einer für den Angeklagten günstigeren Strafzumessung gelangt wäre.

Ein Mitverschulden/Einwilligung ist auch bei Beantwortung der Frage bedeutsam, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung einer verhängten Freiheitsstrafe gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB). Zwar erfordern die durch Alkohol im Straßenverkehr hervorgerufenen Gefahren und Schäden ein nachdrückliches und energisches Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden. Bei auf Trunkenheit zurückzuführenden Verkehrsvergehen mit tödlichen Unfallfolgen wird deshalb die Versagung der Strafaussetzung häufig näher liegen als deren Bewilligung (OLG Koblenz, Urteil vom 28. Januar 1988 - 1 Ss 537/87 = VRS 75, 37; BGH NStZ 94, 336). Dennoch dürfen die Umstände des Einzelfalles, namentlich ein Mitverschulden des Opfers, nicht außer Acht gelassen werden (Schönke/Schröder-Stree, § 56 StGB Rdnr. 43 m.w.N.). Diesen Umstand hat das Schöffengericht bei der ansonsten nicht zu beanstandenden Abwägung unberücksichtigt gelassen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Schöffengericht nach Prüfung eines eventuellen Mitverschuldens zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das Urteil unterliegt deshalb hinsichtlich des Strafausspruches der Aufhebung."

Diese Ausführungen sind zutreffend. Der Senat schließt sich ihnen an und verweist ergänzend auf die höchstrichterliche Rechtsprechung in BGHSt 3, 218, 219/220 sowie VRS 36, 273 und 362. Wegen der regelmäßigen Wechselwirkung zwischen der auf Entziehung der Fahrerlaubnis lautenden Maßregel nach § 69 StGB und der Strafzumessung (vgl. Senatsbeschluss vom 29. März 2001 - 1 Ss 319/00 -) muss der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen werden (§§ 353 Abs. 1 und 2, 354 Abs. 2 S. 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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