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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 06.06.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 269/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 35 a
StPO § 323 I 2
StPO § 329 I
StPO § 329 III
StPO § 337
StPO § 342 II
Leitsatz:

Das Fehlen der Voraussetzungen für die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO führt nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, wenn dieses auf dem Mangel beruhen kann. Voraussetzung dafür ist, dass der Ladungsmangel für das Fernbleiben ursächlich geworden ist.


1 Ss 269/00 8002 Js 12165/99 6 Ns StA Trier

In der Strafsache

wegen Betruges

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt am 6. Juni 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Trier vom 21. August 2000 wird als offensichtlich unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO).

Der Angeklagte trägt die Kosten der Revision (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Trier hatte den Angeklagten am 1. Februar 2000 wegen Betrugs unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten aus dem Urteil desselben Gerichts vom 19. Januar 1999 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat Berufung eingelegt.

Das Landgericht hat Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 21. August 2000 bestimmt und am 28. Juli 2000 die Ladung des Angeklagten unter seiner bisherigen Wohnanschrift sowie seines damaligen Verteidigers Rechtsanwalt Ch. K. verfügt. Am 1. August 2000 unternahm der Justizwachtmeister einen Zustellungsversuch unter der bisherigen Wohnanschrift des Angeklagten. Er legte eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten ein und legte die Ladung am 2. August 2000 beim Amtsgericht Trier nieder. Die Ladung erreichte den Angeklagten nicht. Er hatte seine Wohnung wenige Tage zuvor geräumt und auch die Briefkastenschlüssel bereits abgegeben. Die im Briefkasten befindlichen Schriftstücke wurden kurze Zeit später vom Vermieter entsorgt.

Mit Schriftsatz vom 17. August 2000 legte Rechtsanwalt Ch.K., den seine Ladung am 1. August 2000 erreicht hatte, das Mandat nieder. Am 18. August 2000 ging der Bestellungsschriftsatz des neuen Verteidigers vom 17. August 2000 ein. Dieser wurde fernmündlich zur Berufungshauptverhandlung geladen und sah am 18. August 2000 die Akten auf der Geschäftsstelle des Landgerichts ein.

Zur Berufungshauptverhandlung erschien der Angeklagte nicht. Das Landgericht hat seine Berufung durch Urteil vom 21. August 2000 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen. Der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten blieb erfolglos. Seine gegen die ablehnende Entscheidung des Landgerichts gerichtete sofortige Beschwerde hat der Senat als unbegründet verworfen.

Gegen das Urteil hat der Angeklagte für den Fall der Verwerfung seines Wiedereinsetzungsantrags (§ 342 Abs. 2 StPO) Revision eingelegt, mit der er die Verletzung formellen Rechts rügt und geltend macht, die für ein Verwerfungsurteil erforderliche ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung sei unwirksam, da er am Ort der Ladung zur fraglichen Zeit keine Wohnung mehr gehabt habe.

II.

Der in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrüge bleibt ein Erfolg versagt.

Der Angeklagte ist zwar nicht ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung geladen worden, so dass er nicht säumig gewesen ist und seine Berufung nicht nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen werden durfte.

Eine ordnungsgemäße Ladung ist jedoch ebensowenig wie das Fehlen einer ausreichenden Entschuldigung eine Verfahrensvoraussetzung im prozessrechtlichen Sinne, von deren Vorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängig gemacht werden müsste (vgl. BGHSt 15, 287, 290; KG GA 75, 148, 149). Das Fehlen einer Voraussetzung für die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO muss vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen des Revisionsrechts als Verfahrensfehler gerügt werden und führt nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, wenn dieses auf dem Mangel beruhen kann (§ 337 StPO). Denn unter die zwingenden Revisionsgründe des § 338 StPO fällt der Mangel nicht. Die ordnungsgemäße Ladung, die den Angeklagten über Ort, Zeit und Gegenstand der Verhandlung unterrichtet, ist nur deshalb eine Voraussetzung für die Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO, weil der Annahme des Gesetzgebers, der ausgebliebene Angeklagte verfolge die Berufung nicht weiter, die Grundlage fehlte, wenn ihm keine Gelegenheit gegeben wurde, in der Hauptverhandlung zu erscheinen (BGHSt 24, 143, 150). Fehler bei der Ladung sind daher nur von Bedeutung, wenn sie verhindert haben, dass der erscheinungswillige Angeklagte an der Berufungshauptverhandlung teilnehmen konnte (KG a.a.O.; Düsseldorf StV 82, 216, 217; OLG Oldenburg GA 93, 462; OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 75; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. A., § 329 Rdn. 9).

Das angefochtene Urteil beruht nicht auf dem Verfahrensfehler. Der Angeklagte kannte den Berufungshauptverhandlungstermin trotz des Ladungsmangels. Ihm war auch trotz der nicht zugegangenen Ladung und des damit zwangsläufig unterbliebenen Hinweises auf die Folgen seines Ausbleibens (§ 323 Abs. 1 S. 1 StPO) bekannt, dass seine Berufung gemäß § 329 StPO verworfen werden würde, wenn er nicht zur Berufungshauptverhandlung erscheint. Da er gleichwohl nicht erschienen ist, muss davon ausgegangen werden, dass er zu dem Termin ohnehin nicht erscheinen wollte und der Ladungsmangel mithin nicht ursächlich für das Fernbleiben gewesen ist. Im Einzelnen:

1.

Die Kenntnis des Angeklagten vom Berufungshauptverhandlungstermin ergibt sich bereits daraus, dass Rechtsanwalt Ch. K. am 17. August 2000 (nur vier Tage vor dem Berufungshauptverhandlungstermin) das Mandat niedergelegt und der Angeklagte am selben Tag Rechtsanwalt Sch. Vollmacht erteilt hat (Bl. 86 d.A.), der noch mit Schriftsatz vom selben Tag die Verteidigung des Angeklagten bei Gericht angezeigt hat. Dieser Ablauf läßt nur den Schluss zu, dass der Angeklagte über seinen früheren Verteidiger Kenntnis vom Berufungshauptverhandlungstermin hatte. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Verteidiger nach Erhalt der Terminsladung Kontakt mit seinem Mandanten aufnimmt, um die Verteidigungsstrategie zu besprechen. Die Mandatsniederlegung durch Rechtsanwalt Ch. K. kann hier auch nicht darauf zurückgeführt werden, dass er möglicherweise keinen Kontakt mit seinem unter der früheren Wohnanschrift nicht mehr erreichbaren Mandanten herstellen konnte. Wäre das der Fall gewesen, hätte für den Angeklagten keine Veranlassung bestanden, genau am Tag der Mandatsniederlegung des früheren Verteidigers, von der er gar keine Kenntnis gehabt hätte, einen anderen Rechtsanwalt zu beauftragen. Da der Angeklagte folglich Kenntnis von der Mandatsniederlegung durch den Rechtsanwalt König hatte, muss eine Kontaktaufnahme zwischen beiden stattgefunden haben. Dass dabei auch der Berufungshauptverhandlungstermin Erwähnung gefunden hat, kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen.

Im übrigen hat die Revision auch nie behauptet, dass der Angeklagte keine Kenntnis vom Berufungshauptverhandlungstermin gehabt hätte. Hervorgehoben wurde stets nur, dass der Angeklagte von der Ladung keine Kenntnis hatte. In der Revisionsbegründungsschrift ist insoweit lediglich ausgeführt, dass der Verteidiger aufgrund des Umstandes, dass sich der Akte bei seiner Einsichtnahme am 18. August 2001 nur eine Ersatzzustellung hatte entnehmen lassen, Anlass gesehen habe, den (erfolglosen) Versuch zu unternehmen, den Angeklagten fernmündlich vom Berufungshauptverhandlungstermin zu unterrichten (Revisionsbegründungsschrift S. 4 Abs. 2, Bl. 136 d.A.). Dieser Vortrag suggeriert, der Angeklagte habe den Verteidiger bei der Mandatserteilung nicht über den nahe bevorstehenden Termin informiert. Dies wiederum könnte den Schluss nahelegen, der Angeklagte habe von dem Termin tatsächlich keine Kenntnis gehabt. Ausdrücklich behauptet wird dies jedoch nicht. Es drängt sich mit Rücksicht auf die bereits dargelegte zeitliche Abfolge geradezu auf, dass der neue Verteidiger bei der Mandatserteilung über den Berufungshauptverhandlungstermin informiert worden ist. Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben, da zur Überzeugung des Senats jedenfalls feststeht, dass der Angeklagte davon Kenntnis hatte.

Der Angeklagte, der übrigens auch schon im Senatsbeschluss vom 17.10.2000 auf die Berechtigung der eine Terminskenntnis bejahenden Schlussfolgerung (der Strafkammer) hingewiesen worden war und dieser schon in jenem (Beschwerde-)Verfahren nicht entgegengetreten war, hat sich auf die ausdrückliche Anfrage des Senats, ob er - etwa durch Mitteilung seines früheren Verteidigers - Kenntnis von dem Termin gehabt habe, auf die Erklärung zurückgezogen, diese Frage sei für das Revisionsverfahren "nicht entscheidungserheblich". Die Weigerung, eine unmißverständliche Erklärung zu einer im Zusammenhang mit der Verfahrensrüge an ihn gerichteten und somit offensichtlich entscheidungserheblichen Frage abzugeben, bestätigt die sich bereits aus den dargelegten Indizien ergebende Schlussfolgerung der Kenntnis des Angeklagten vom Berufungshauptverhandlungstermin. Der Angeklagte hat sich zu den von ihm erhobenen Verfahrensrügen vollständig zu erklären und (zumindest auf Nachfrage) auch die Tatsachen darzulegen, aufgrund deren die Beruhensfrage geprüft werden kann (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O. § 345 Rn. 37 m.w.Nachw.). Ein Teilschweigen des Angeklagten darf gegen ihn verwendet werden.

2.

Zwar liegt eine ordnungsgemäße Ladung i.S.v. § 329 Abs. 1 StPO grundsätzlich auch dann nicht vor, wenn sie die nach § 323 Abs. 1 S. 2 StPO erforderliche selbständige Belehrung über die Folgen des Ausbleibens nicht enthält (OLG Koblenz, NJW 81, 2074; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O., § 329 Rdnr. 10 m.w.Nachw.). Die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn der Angeklagte bereits durch den seit Inkrafttreten des Strafrechtänderungsgesetzes 1987 (1. April 1987) erforderlichen - und hier erfolgten - Hinweis nach § 35 a S. 2 StPO ausführlich genug über die Folgen seines Ausbleibens in der Berufungshauptverhandlung unterrichtet worden ist (s. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O., § 329 Rdnr. 10), bedarf keiner Entscheidung. Auch auf diesem Verfahrensfehler würde das Urteil nicht beruhen.

Dem Angeklagten war nicht nur durch die ausweislich der erstinstanzlichen Sitzungsniederschrift mündlich erteilte, den Hinweis auf die Folgen nach § 329 StPO enthaltende Rechtsmittelbelehrung (Bl. 61 R d.A.) bekannt, dass seine Berufung ohne Verhandlung zur Sache verworfen werden würde, wenn er nicht zur Berufungshauptverhandlung erscheint. Welche Folgen § 329 StPO an das Nichterscheinen knüpft, hatte er in früheren gegen ihn gerichteten Strafverfahren mindestens vier Mal "am eigenen Leib" erfahren: Nachdem er in dem Verfahren 210 Js 13553/87 StA Traunstein am 28. November 1988 durch das Amtsgericht Laufen wegen versuchten Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden war, hatte er Berufung eingelegt. Zur Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Traunstein war er am 28. April 1989 jedoch nicht erschienen, so dass durch Urteil dieses Gerichts vom selben Tag die Berufung gemäß § 329 StPO ohne Verhandlung zur Sache verworfen worden war. Nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erschien er zu dem erneuten Berufungshauptverhandlungstermin vom 29. November 1989 abermals nicht, weshalb erneut nach § 329 StPO verfahren wurde. Sein Wiedereinsetzungsantrag und seine sofortige Beschwerde gegen den versagenden Beschluss des Landgerichts blieben erfolglos. Nach Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Landgericht Traunstein durch das Revisionsgericht erschien er wiederum nicht zu dem Berufungshauptverhandlungstermin vom 28. Juni 1991, so dass seine Berufung erneut gemäß § 329 StPO verworfen wurde. Die dagegen gerichtete Revision blieb ohne Erfolg (s. Beschluss des Amtsgerichts Korbach vom 23. März 1993 - 213 Js 321377/88 - 4 Ls, Bd. IV, Bl. 77 vorbezeichneter BA). In einem kurze Zeit später gegen ihn gerichteten weiteren Strafverfahren erschien er nicht zu der Berufungshauptverhandlung des Landgerichts Koblenz vom 22. April 1992, so dass seine Berufung durch Urteil vom selben Tag wiederum gemäß § 329 StPO verworfen wurde (Bl. 121 d.A. 103 Js 18376/91 - 6 Ns StA Koblenz).

Dem Angeklagten waren somit die Folgen des Nichterscheinens in der Berufungshauptverhandlung auch ohne erneuten Hinweis in der Ladung genauestens bekannt. Anders als ein schriftlich erteilter - und möglicherweise gar nicht zur Kenntnis genommener - Hinweis nach § 323 Abs. 1 S. 2 StPO im Zusammenhang mit der Ladung zu einem früheren Berufungshauptverhandlungstermin (s. dazu OLG Koblenz a.a.O.) konnten die praktischen Erfahrungen des Angeklagten mit der Vorschrift des § 329 StPO schlechterdings nicht in Vergessenheit geraten. Es kann deshalb ausgeschlossen werden, dass der möglicherweise vorliegende Verfahrensfehler für das Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ursächlich geworden ist und das angefochtene Urteil darauf beruht.

Ende der Entscheidung

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