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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 06.10.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 273/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 224
1. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ("mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich") setzt voraus, dass die Täter die Tat als gemeinschaftliche wollen, also Mittäter sind. Allein die Feststellung gleichzeitiger Tatbegehung genügt nicht.

2. Ob eine Körperverletzung objektiv "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) begangen wurde, kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalles, also unter Berücksichtigung der individuellen Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten beurteilt werden. Die konkrete Misshandlung muss abstrakt geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden.

3. Erwiesen sich die Trinkmengenangaben des Angeklagten als unglaubhaft - etwa weil sich aus ihnen auch unter Berücksichtigung von Höchstabbauwerten und eines hohen Resorptionsdefizits eine in der Regel letale oder mit dem äußeren Erscheinungsbild unter keinen Umständen zu vereinbarende Blutalkoholkonzentration errechnet - , so muss der Tatrichter zunächst versuchen, durch andere Erkenntnisquellen (z. B. Aussagen der Begleiter) zuverlässige Angaben zu erhalten. Erst wenn eine zeitliche und/oder mengenmäßige Eingrenzung der Alkoholaufnahme unmöglich ist, kann von der Berechnung einer Blutalkoholkonzentration abgesehen werden. Die Frage einer alkoholbedingten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit ist dann allein anhand psychodiagnostischer Kriterien zu prüfen.


Geschäftsnummer: 1 Ss 273/03 8006 Js 3526/02 jug StA Trier

In der Strafsache

wegen gefährlicher Körperverletzung hier: Revision des Angeklagten

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt am 6. Oktober 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig

beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Trier vom 11. Juni 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine nach dem Geschäftverteilungsplan für Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts Trier zuständige allgemeine (kleine) Strafkammer des Landgerichts Trier zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Jugendschöffengericht bei dem Amtsgericht Trier hatte den zur Tatzeit 30 Jahre alten Angeklagten - zusammen mit dem jetzigen Zeugen J., einem Jugendlichen - am 10. September 2002 der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nrn. 4, 5 StGB für schuldig befunden und ihn zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten verurteilt.

Auf seine Berufung hat die Jugendkammer - unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels als unbegründet - die Freiheitsstrafe auf ein Jahr ermäßigt und zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:

"Am 8. Dezember 2001 gegen 19.00 Uhr hielt sich der Angeklagte mit der Zeugin Tina F. am Bahnhof in Trier auf, wo beide Dosenbier konsumierten. Hier trafen sie auch den ehemaligen Mitangeklagten J., der Trierweiler bis zu diesem Abend nicht kannte. Gegen 20.00 Uhr begaben der Angeklagte und F. sich in die nahegelegene Gaststätte "Bierakademie", J. ging in die nahegelegene Gaststätte "Zweite Heimat", in der sich auch der Vi. befand, der sich an diesem Abend mit Tina F. am Bahnhof treffen wollte. J. setzte sich an einen Tisch, an dem neben anderen Personen auch Vi. saß. Da Vi. J. nicht kannte, forderte er diesen auf, den Tisch zu verlassen mit der Begründung, dass ihn die Gespräche am Tisch nichts angingen, woraufhin J. sich zunächst an die Theke stellte und dann die Gaststätte verließ und in die "Bierakademie" zum Angeklagten und F. wechselte, wo diese Dart spielten und weiter Bier tranken.

Vi., der seinerseits mit F. für diesen Abend verabredet war, bemerkte nachdem Verlassen der "Zweiten Heimat" im Vorbeigehen, dass F. sich mit dem Angeklagten und J. in der "Bierakademie" aufhielt, woraufhin er die "Bierakademie" betrat und F. zur Rede stellte, weswegen es zu einem Wortgefecht zwischen F., dem Angeklagten, J. und Vi. kam. Nachdem sich der Streit beruhigt hatte, verließ Vi., der sich zunächst noch an einem anderen Tisch aufhielt, das Lokal, um dann in der "Agritiusschänke" weiter zu trinken.

Der Angeklagte, J. und F. suchten, nachdem sie ihrerseits die "Bierakademie" verlassen hatten, noch die "Zweite Heimat" und anschließend die Gaststätte "Thiel" auf, wo alle weiter Bier tranken.

Gegen 2.00 Uhr verließen sie die Gaststätte und gingen wieder in Richtung Bahnhof. Auf dem Weg dorthin trafen sie Vi. in der Moltkestraße an, der sich gerade eine Zigarette ansteckte. Daraufhin kam es erneut zu Streitigkeiten zwischen J. und Vi., in deren Verlauf J. zu Vi. hinlief und auf ihn einschlug, so dass Vi. zu Boden fiel. Nachdem J. von Vi. abließ, eilte der Angeklagte Trierweiler herbei und trat Vi. mehrfach wuchtig mit den beschuhten Füßen gegen Oberkörper- und Kopfbereich. Aufgrund der Misshandlungen des Angeklagten und J.s erlitt Vi. eine große tiefe Platzwunde quer über die Stirn bis zur Augenbraue verlaufend, einen Unterarmbruch sowie Prellungen im Oberkörperbereich. Zur Korrektur des Unterarmbruchs wurde ihm eine Platte implantiert, die demnächst wieder unter Vollnarkose entfernt werden soll."

Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass weder der Angeklagte noch die Zeugen Vi. und J. brauchbare Angaben zum Tatgeschehen machten.

Weiter heißt es:

"Die Zeugin F. bekundete, dass Vi. gegen das Bein von J. getreten habe, J. habe Vi. dann "auf den Boden geholt". Der Angeklagte sei dazu gekommen, J. sei zu ihr gekommen; sie habe gesehen, dass der Angeklagte Tritte auf den noch am Boden liegenden Vi. ausgeführt habe. Obwohl von einem Auto aus gerufen wurde, habe Trierweiler weitergemacht. Sie habe gesehen, wie die Beine vom Angeklagten "gegangen" seien, ob er mit rechts oder links getreten habe, wisse sie nicht mehr.

Die Zeugin M., die im 2. Stockwerk eines Hauses in der Moltkestraße wohnt, hörte zunächst lautes Geschrei, woraufhin sie sich in den Erker ihrer Wohnung begab und von dort zwei männliche Personen bemerkte, die sich gegenüber standen und anschrieen, was dann in eine Schlägerei überging. Sie konnte sehen, dass eine Person extrem auf das Opfer eintrat, woraufhin sie sich anzog und runter auf die Straße ging. Dabei bemerkte sie, dass die Person, die zunächst mit dem Opfer in Streit geraten war, sich bei einer anderen Person in einiger Entfernung befand, während die Person, die noch bei dem Opfer war, dieses massiv mehrere Male in Richtung Kopf trat. Nachdem ein Pkw angehalten hatte und in der Moltkestraße zurücksetzte, konnte sie noch beobachten, dass der Täter davonlief."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Revision.

II.

1.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, weil die Feststellungen einen Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung nicht tragen.

Zwar kann davon ausgegangen werden, dass wuchtige Tritte mit einen beschuhten Fuß für das Opfer, egal wo es getroffen wird, schmerzhaft sind, sodass der Grundtatbestand des § 223 Abs. 1 StGB hinreichend durch Tatsachen belegt ist. Für die angenommenen Qualifikationstatbestände fehlen jedoch tatsächliche Feststellungen, die auch nicht dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, etwa den wiedergegebenen Aussagen der Zeuginnen F. und Meinecke, entnommen werden können.

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ( "mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich") setzt voraus, dass die Täter die Tat als gemeinschaftliche wollen, also Mittäter sind. Selbst die - hier nicht getroffene - Feststellung gleichzeitiger Tatbegehung allein genügt nicht (BGHR StGB § 223a Abs. 1: Gemeinschaftlich 1, Zusammenwirken m.w.N.).

Ob eine Körperverletzung objektiv "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) begangen wurde, kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalles, also unter Berücksichtigung der individuellen Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten beurteilt werden (BGHR StGB § 223a Abs. 1: Lebensgefährdung 1, Schläge und Fußtritte). Die konkrete Misshandlung muss abstrakt geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Die Feststellungen der Kammer zu den Verletzungen (von denen außerdem offen ist, ob sie vom Angeklagten oder von J. zugefügt wurden) genügen nicht, weil sie nicht zwingend auf eine Lebensgefährdung schließen lassen. Im übrigen hat die Kammer sich nicht damit auseinandergesetzt, ob der Angeklagte Kenntnis von denjenigen Umständen hatte, aus denen sich eine solche Gefährdung hätte ergeben können. (zur subjektiven Tatseite des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB siehe BGHSt 19, 352).

Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die Feststellungen auch nicht einen (von der Jugendkammer nicht in Erwägung gezogenen) Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung "mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs" (§ 224 Abs. 1 Nr. 2) tragen (zu den Voraussetzungen siehe BGHR StGB § 223a Abs. 1: Werkzeug 3, beschuhter Fuß m.w.N.).

Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben. Weil nicht auszuschließen ist, dass noch einen Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung tragende Feststellungen getroffen werden können, hat der Senat nicht in der Sache selbst entschieden, sondern an das Landgericht Trier zurückverwiesen. Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsener richtet, kann die Sache an eine nach dem Geschäftverteilungsplan für Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts Trier zuständige kleine Strafkammer zurückverwiesen werden (siehe dazu BGHSt 35, 267).

2.

Für die erneutet Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Erwiesen sich die Trinkmengenangaben des Angeklagten als unglaubhaft - etwa weil sich aus ihnen auch unter Berücksichtigung von Höchstabbauwerten und eines hohen Resorptionsdefizits eine in der Regel letale oder mit dem äußeren Erscheinungsbild unter keinen Umständen zu vereinbarende Blutalkoholkonzentration errechnet - , so muss der Tatrichter zunächst versuchen, durch andere Erkenntnisquellen (z. B. Aussagen der Begleiter) zuverlässige Angaben zu erhalten. Erst wenn eine zeitliche und/oder mengenmäßige Eingrenzung der Alkoholaufnahme unmöglich ist, kann von der Berechnung einer Blutalkoholkonzentration abgesehen werden. Die Frage einer alkoholbedingten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit ist dann allein anhand psychodiagnostischer Kriterien zu prüfen (BGH NStZ-RR 97, 226; 99, 297). Diesbezügliche Angaben von Zeugen, die selbst dem Alkohol zugesprochen hatten, sind einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Steht unabhängig von allen Unsicherheiten fest, dass der Angeklagte vor der Tat große Mengen Alkohol zu sich genommen hat, ist regelmäßig die Hinzuziehung eines Sachverständigen notwendig.

Ende der Entscheidung

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