Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 07.10.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 275/03
Rechtsgebiete: SGB III, ArGV


Vorschriften:

SGB III § 404 II Nr. 3
SGB III § 284 I 2
SGB III § 285 I 1
SGB III § 286 I
ArGV § 1 II
ArGV § 2 I Nr. 1
1. Im Falle einer Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III muss der Tatrichter Feststellungen zum ausländerrechtlichen Status des Arbeitnehmer treffen.

2. Für die Bußgeldbemessung sind auch Feststellungen erforderlich, ob der ausländische Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Arbeitsgenehmigung hatte, zu welchen Arbeitsbedingungen der Ausländer beschäftigt war und in welchem Umfang er im Tatzeitraum Arbeitsleistungen erbracht hat (vgl. Beschlüsse vom 21. April 1998 - 1 Ss 94/98 -, vom 1. Dezember 1999 - 1 Ss 285/99 -, vom 1. August 2000 - 1 Ss 145/00 - und vom 29. August 2000 - 1 Ss 195/00 -).


Geschäftsnummer: 1 Ss 275/03 2020 Js 15403/03 - 13 OWi StA Koblenz

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

wegen unerlaubter Ausländerbeschäftigung hier: Rechtsbeschwerde der Betroffenen

hat der 1. Strafsenat - Bußgeldsenat - des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 7. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Montabaur vom 4. Juni 2003 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Montabaur zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat durch Urteil vom 4. Juni 2003 gegen die Betroffene wegen fahrlässiger Beschäftigung eines Ausländers "ohne Genehmigung des Arbeitsamtes" in der Zeit vom 26. Mai 2001 bis zum 20. Januar 2003 eine Geldbuße von 1.000 € festgesetzt.

Dagegen hat die Betroffene am 7. Juni 2003 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Verteidigerschriftsätzen vom 8. August 2003 und 9. September 2003 mit der Sachrüge begründet.

II.

1.

Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist nicht nur fristwahrend eingelegt, sondern auch fristgerecht begründet worden. Die am 24. Juni 2003 an den Verteidiger bewirkte Zustellung des schriftlichen Urteils hat die einmonatige Rechtsbeschwerdebegründungsfrist (§§ 345 Abs. 1 S. 2 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG) nicht in Lauf gesetzt, weil sich zu diesem Zeitpunkt keine Verteidigervollmacht bei der Akte befand (§§ 145 a Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG). Diese wurde erst am 29. August 2003 eingereicht. Anders als im Fall der Vollmachtvorlage zwischen Anordnung der Zustellung und ihrer Ausführung ist die Zustellung unwirksam, wenn die Vollmachtsurkunde wie hier erst nach Ausführung der Zustellung zu den Akten gelangt (OLG Düsseldorf VRS 93, 169; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 145 a Rdn. 8). Der Gewährung von Wiedereinsetzung bedarf es deshalb nicht.

2.

Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats handelt nur derjenige gemäß § 404 Abs. 2 Nr. 2 SGB III a.F. bzw. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III der am 1. August 2002 in Kraft getretenen Neufassung ordnungswidrig, der einen Ausländer als Arbeitnehmer ohne die erforderliche Genehmigung beschäftigt (vgl. Beschlüsse vom 21. April 1998 - 1 Ss 94/98 -, vom 1. Dezember 1999 - 1 Ss 285/99 -, vom 1. August 2000 - 1 Ss 145/00 - und vom 29. August 2000 - 1 Ss 195/00 -). Nach der Regelung des § 284 Abs. 1 SGB III benötigen nicht alle Ausländer eine Genehmigung des Arbeitsamtes, um beschäftigt werden zu dürfen. Namentlich die Ausländer, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AuslG oder eine Aufenthaltsberechtigung nach § 27 AuslG besitzen, bedürfen keiner Genehmigung (§ 284 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB III).

Ob das der Fall ist, kann nicht beurteilt werden, da der ausländerrechtliche Status des Arbeitnehmers während des Tatzeitraums im Urteil nicht festgestellt ist. Es ist nicht einmal mitgeteilt, seit wann der ausländische Arbeitnehmer sich im Bundesgebiet aufhält.

Eindeutige Hinweise auf den ausländerrechtlichen Status des Arbeitnehmers ergeben sich auch nicht aus folgenden Ausführungen des Amtsgerichts (UA S. 2):

"Ab dem 07.09.2002 hätte der Arbeitnehmer S. einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer unbefristeten Arbeitsgenehmigung gehabt, da er Vater eines Kindes deutscher Staatsangehörigkeit ist, mit der Mutter in eheähnlicher Gemeinschaft lebt und sich bereits zwei Jahre lang legal in Deutschland aufgehalten hatte."

Daraus kann aber nicht gefolgert werden, der ausländische Arbeitnehmer sei erst am 7. September 2000 in das Bundesgebiet eingereist und könne deshalb schlechterdings nicht im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder gar einer Aufenthaltsberechtigung sein, weil bereits die unbefristete Aufenthaltserlaubnis den mindestens 5-jährigen Besitz einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis voraussetzt (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG). Das Amtsgericht hat nämlich andererseits festgestellt, dass die Betroffene den polnischen Arbeitnehmer seit dem 1. Juni 2000 in ihrem Betrieb beschäftigt und für ihn am 9. Mai 2000 eine unbefristete Arbeitserlaubnis beantragt hatte, die am 26. Mai 2000 jedoch nur als bis zum 25. Mai 2001 befristete Arbeitserlaubnis erteilt worden war (UA S. 2). Infolge des Widerspruchs bleibt letztlich völlig offen, seit wann sich der ausländische Arbeitnehmer im Bundesgebiet aufhält und welchen ausländerrechtlichen Status er in der Zeit vom 26. Mai 2001 bis zum 20. Januar 2003 hatte. Dies bedarf näherer Sachaufklärung.

III.

Vorsorglich weist der Senat zur Bestimmung der Bußgeldhöhe auf folgendes hin:

1.

Die durch den Tatbestand des § 404 Abs. 2 Nr. 2 SGB III a.F. bzw. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III n.F. geschützte Genehmigungspflicht soll in erster Linie eine Überfremdung des deutschen Arbeitsmarktes verhindern (Ambs in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetz, § 404 SGB III Rdn. 14). Dieser Schutzzweck ist nicht tangiert, wenn der ausländische Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Arbeitsgenehmigung hatte oder - soweit Ermessenvorschriften in Betracht zu ziehen sind - ihm die Arbeitserlaubnis erteilt werden konnte und bei pflichtgemäßer Ermessensausübung auch hätte erteilt werden müssen. Das Amtsgericht wird deshalb Feststellungen zu dieser für die Bußgeldbemessung wesentlichen Frage zu treffen haben.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass über § 286 Abs. 1 SGB III hinaus die (unbefristete) Arbeitsberechtigung etwa auch dann zu erteilen ist, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen (hier möglicherweise mit seinem nichtehelichen deutschen Kind, dessen Geburtsdatum vom Amtsgericht nicht festgestellt worden ist) in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und eine nach § 23 Abs. 1 AuslG erteilte Aufenthaltserlaubnis besitzt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ArGV a.F. und n.F.), sofern die Voraussetzungen des § 286 Abs. 1 Nr. 2 SGB III vorliegen. Eine irgendwie geartete Wartezeit besteht dabei nicht. Falls der ausländische Arbeitnehmer bereits im Mai 2000 mit seinem Kind zusammengelebt haben sollte, könnten die Voraussetzungen für die Erteilung einer unbefristeten Arbeitserlaubnis bereits zur Zeit der Antragstellung am 9. Mai 2000 vorgelegen haben. In diesem Fall wäre die am 26. Mai 2000 erteilte Arbeitsgenehmigung zu Unrecht befristet erteilt worden, was die Schuld der Betroffenen besonders gering erscheinen lassen müsste.

Sollten die Voraussetzungen des § 2 ArGV i.V.m. § 286 Abs. 1 Nr. 2 SGB III nicht vorliegen, so bleibt § 1 Abs. 2 ArGV zu beachten. Danach kann abweichend von § 285 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 SGB III die befristete Arbeitserlaubnis auch erteilt werden, wenn die Versagung unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles eine besondere Härte bedeuten würde (Nr. 1) oder - wovon bereits aufgrund der vom Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen auszugehen ist - der Ausländer nach einem Jahr rechtmäßiger Beschäftigung die Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber fortsetzt (Nr. 2).

2.

Wesentliches Zumessungskriterium für die Höhe der Geldbuße ist bei einem Verstoß gegen § 404 Abs. 2 Nr. 2 SGB III a.F. bzw. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III n.F. der Umfang der unerlaubten Beschäftigung (Senat, Beschluss vom 1. August 2000 - 1 Ss 145/00 -). Insoweit ist nicht nur auf die Länge des Zeitraums der unerlaubten Beschäftigung, sondern auch darauf abzustellen, ob die Tätigkeit im Rahmen eines festen Arbeitsverhältnisses dauernd geleistet worden ist oder der Ausländer lediglich Aushilfs- oder Gelegenheitsarbeiten erbracht hat. Auch hierzu werden Feststellungen zu treffen sein.

3.

Die Genehmigungspflicht soll ferner den ausländischen Arbeitnehmer vor Ausbeutung schützen. Zur Bestimmung des Unrechtsgehalts bedarf es daher auch der Feststellung, zu welchen Arbeitsbedingungen der Ausländer beschäftigt war.

Ende der Entscheidung

Zurück