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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 01.12.2004
Aktenzeichen: 1 Ss 307/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 239 Abs. 1
a) Auch dann, wenn ein Angeklagtersich nicht zur Sache einlässt, an Aussagen nur die eines einzigen Belastungszeugen zur Verfügung steht und die Entscheidung allein davon abhängt, ob diesem einen Zeugen zu folgen ist, sind an die Beweiswürdigung die Anforderungen zu stellen, die im Fall der besonderen Beweissituation "Aussage gegen Aussage" gelten.

b) Ein Rechtsfehler unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Beweiswürdigung liegt dann vor, wenn sich die Frage nach dem Tatmotiv geradezu aufdrängt, aber vom Tatgericht noch nicht einmal erwogen wird.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 1 Ss 307/04

In der Strafsache

wegen falscher Verdächtigung, falscher uneidlicher Aussage und Freiheitsberaubung

hier: Revision der Angeklagten

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe und die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa am 1. Dezember 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Trier vom 14. Juli 2004 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Trier zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Nachdem das Amtsgericht die Angeklagte freigesprochen hatte, hat das Landgericht sie auf Berufung der Staatsanwaltschaft dem Anklagevorwurf entsprechend wegen falscher Verdächtigung in Tateinheit mit falscher uneidlicher Aussage und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach den Feststellungen des Urteils bezichtigte die Angeklagte einen namentlich benannten farbigen Zeugen in den frühen Morgenstunden des 1. September 2001 gegenüber der Polizei und am 11. September 2001 gegenüber dem Ermittlungsrichter, sie in der Nacht vom 31. August zum 1. September 2001 in seiner Wohnung vergewaltigt zu haben. In ihrer richterlichen Vernehmung gab sie an, nach dem Besuch verschiedener Gaststätten und erheblichem Alkoholgenuss auf einer Couch in einer Wohnung sitzend "blitzartig zu sich gekommen" zu sein und bemerkt zu haben, dass ein ihr bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannter Mann über ihr gewesen sei und sein Glied in ihrer Scheide gehabt habe. Sie habe geschrieen und den Mann aufgefordert, von ihr herunterzugehen. Dieser habe sie jedoch an den Händen festgehalten und sie gegen die Rücklehne der Couch gedrückt, wobei sie aus der Sitzposition eher in eine Liegeposition gelangt sei. Der Mann habe schließlich von ihr abgelassen, nachdem er bemerkt habe, dass ihr praktisch die Luft weggeblieben sei.

Der damalige Tatverdächtige hat sowohl als Beschuldigter als auch als Zeuge in der Hauptverhandlung bestritten, die Angeklagte vergewaltigt zu haben. Sie sei freiwillig mit ihm in seine Wohnung gegangen und habe ihn zum Geschlechtsverkehr aufgefordert, wobei sie diesen zunächst nur mit Kondom gewollt habe. Trotz seiner Erwiderung, keine Kondome zu besitzen, sei er von der Angeklagten nochmals aufgefordert worden, mit ihr zu schlafen, wobei er aber sein Glied vor dem Samenerguss herausziehen müsse. Dementsprechend hätten sie schließlich einvernehmlich miteinander verkehrt. Die Angeklagte sei jedoch plötzlich erregt aufgesprungen und habe ihm vorgeworfen, sein Glied nicht rechtzeitig aus ihr herausgezogen zu haben, sie wolle kein Baby. Darüber sei es zum Streit gekommen, wobei er die Angeklagte unter Hinweis auf die Spuren seiner Ejakulation auf dem Bettlaken wieder beruhigt habe. Diese habe sich anschließend angekleidet und seine Wohnung verlassen.

Im Urteil wird weiter festgestellt, dass der Zeuge sich aufgrund des Tatvorwurfs mehr als zwei Monate in Untersuchungshaft befand. Er wurde entlassen und das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt, nachdem durch eine DNA-Untersuchung auf dem Bettlaken seines Doppelbetts Spuren von ihm und der Angeklagten bestätigt worden waren.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Zeuge und nicht die Angeklagte bei ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung die Wahrheit gesagt hat. Dafür spreche die Konstanz und Widerspruchsfreiheit seiner Angaben im Verlaufe des zuerst gegen ihn, dann gegen die Angeklagte geführten Ermittlungsverfahrens. Für die angebliche Vergewaltigung hätten sich dagegen keine Anhaltspunkte ergeben. Insbesondere seien bei der ärztlichen Untersuchung nach dem Geschehen keine darauf hindeutenden Verletzungen bei der Angeklagten festgestellt worden. Rippenfrakturen, die sie mit der Vergewaltigung in Zusammenhang gestellt habe, seien erst etwa ein Jahr später am 26. August 2002 röntgenologisch diagnostiziert worden. In der Hauptverhandlung seien von ihr keine weiteren Auskünfte zu erlangen gewesen, da sie bis auf die Bestätigung, sich im Jahre 1987 einer Totaloperation unterzogen zu haben, keine Einlassung abgegeben habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Angeklagten. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und rügt die Verletzung sowohl formellen als auch materiellen Rechts.

II.

Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat Erfolg. Ob die Verfahrensrüge durchgreift, kann dahinstehen. Begründet ist jedenfalls die Sachrüge. Die vorgenommene Beweiswürdigung begegnet rechtlichen Bedenken.

Auch dann, wenn wie vorliegend ein Angeklagter sich nicht zur Sache einlässt, an Aussagen nur die eines einzigen Belastungszeugen zur Verfügung steht und die Entscheidung allein davon abhängt, ob diesem einen Zeugen zu folgen ist, sind an die Beweiswürdigung die Anforderungen zu stellen, die im Fall der besonderen Beweissituation "Aussage gegen Aussage" gelten (BGH StV 1998, 250). Die Urteilsgründe müssen auch hier erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. nur BGH NStZ 2000, 496 m.w.N.).

Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Beweiserhebliche Feststellungen werden übergangen, Tatumstände mit potentieller Beweisbedeutung nicht aufgeklärt oder nicht erkannt:

a) Mit der Erwägung, bei der Angeklagten seien nach dem Tatgeschehen keine wesentlichen, auf eine vorangegangene Vergewaltigung hinweisenden Verletzungen festgestellt worden, setzt die Kammer sich in Widerspruch zu ihren eigenen Feststellungen. Danach verspürte die Angeklagte nach dem Tatgeschehen Schmerzen im Brustkorb. Bei einer aus diesem Grund noch am 1. September 2001 vorgenommenen Untersuchung in einem Krankenhaus wurde "die Diagnose einer Rippenprellung gestellt". Mit diesem Untersuchungsergebnis hätte die Kammer sich auseinandersetzen müssen. Träfe der ärztliche Befund zu, könnte ihm eine Beweisbedeutung nicht ohne weiteres abgesprochen werden. Denn eine festgestellte Rippenprellung deutete indiziell daraufhin, dass die Angeklagte gemäß ihrer Tatschilderung von dem Zeugen tatsächlich so bedrängt worden ist, dass sie "praktisch keine Luft mehr bekommen" hat.

Die Beweisbedeutung der Rippenverletzung würde noch gesteigert, wenn es sich bei ihr nicht nur um eine Prellung, sondern um eine Fraktur gehandelt hätte. Denn eine solche Verletzung wäre schon für sich betrachtet ein unabweisbares Indiz dafür, dass die Angeklagte zuvor einer erheblichen Gewaltanwendung ausgesetzt gewesen ist. Laut Urteil sind Rippenbrüche bei der Angeklagten im Nachhinein durch eine Röntgenuntersuchung, allerdings erst am 26. August 2002, festgestellt worden. Mit dem bloßen Hinweis auf den zwischen Tat und Untersuchung liegenden Zeitraum kann eine Beweistauglichkeit des röntgenologischen Untersuchungsergebnisses aber nicht verneint werden. Denn im Urteil ist dazu weiter angemerkt, die Rippenfrakturen hätten im Übergang zum knorpeligen Rippenbogen gelegen und seien "nativ-röntgenologisch" nicht zu sehen gewesen. Die Bedeutung dieses Umstandes wird nicht näher untersucht. Ob damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass das Vorhandensein von Frakturen nach der Tat auszuschließen sei oder die Rippenbrüche unmittelbar nach dem Tatgeschehen, hätten sie vorgelegen, aufgrund ihrer Lage durch eine Röntgenuntersuchung noch gar nicht hätten diagnostiziert werden können, bleibt offen. Im letzten Fall hätte es nahe gelegen, durch Vernehmung eines medizinischen Sachverständigen der Frage des Entstehungszeitpunkts der Verletzungen näher nachzugehen.

b) Des Weiteren fehlt in der Beweiswürdigung eine Auseinandersetzung mit der Behauptung der Angeklagten, sie habe sich bereits im Jahre 1987 einer "Totaloperation" unterzogen. Die Kammer greift diese Angabe nicht auf, obwohl ihr, träfe sie mit der im allgemeinen Sprachgebrauch üblichen Bedeutung zu, eine auf der Hand liegende Beweisbedeutung zukäme. Denn wäre die Angeklagte zur Tatzeit aufgrund einer Jahre zuvor vorgenommenen Gebärmutterresektion zu einem Empfängnis überhaupt nicht mehr in der Lage gewesen, bestünde Anlass, an der Richtigkeit der Zeugenaussage zu zweifeln. Ein Grund, sich wie vom Zeugen geschildert nach dem geschlechtlichen Verkehr aus Furcht vor einer möglichen Schwangerschaft aufzuregen, hätte für die Angeklagte dann nicht bestanden.

c) Die Kammer ist in ihrer Beweiswürdigung auch nicht auf die fehlende Erkennbarkeit eines Tatmotivs eingegangen.

Zwar kann der Tatrichter die Überzeugung von der Täterschaft eines Angeklagten auch dann rechtsfehlerfrei gewinnen, wenn die Tat als solche kaum verständlich und ein Motiv des Täters nicht feststellbar ist (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 14). Das bedeutet jedoch nicht, dass das Fehlen eines Motivs von vornherein unbeachtlich ist und deswegen außer Betracht bleiben kann. Ein Rechtsfehler unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Beweiswürdigung liegt dann vor, wenn sich die Frage nach dem Tatmotiv geradezu aufdrängt, aber vom Tatgericht noch nicht einmal erwogen wird (vgl. BGHR a.a.O. 12). So verhält es sich vorliegend. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich kein Anhaltspunkt, weshalb die Angeklagte den ihr bis zum Tattag unbekannten Zeugen unmittelbar nach dem Geschehen gegenüber der Polizei und sogar noch 10 Tage später gegenüber dem Ermittlungsrichter unter dem Druck einer zusätzlichen Strafbarkeit wegen Falschaussage zu Unrecht einer Vergewaltigung bezichtigt haben sollte. Insbesondere in der gegebenen Beweissituation "Aussage gegen Aussage", darf dieser Gesichtspunkt nicht völlig unbeachtet bleiben.

Selbst wenn die bislang unterbliebene Einbeziehung der aufgezeigten Umstände in die gebotene Gesamtwürdigung aller Indizien nicht ausreichen sollte, die Richtigkeit der gegen den Zeugen erhobenen Anschuldigung nachzuweisen, könnten sich daraus zumindest Zweifel an der im Urteil angenommenen Unwahrheit des Vorbringens ergeben, die nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" zum Freispruch der Angeklagten führen müssten.

Das Urteil ist daher mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1 und 2 StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Für die neue Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, dass die bislang getroffenen Feststellungen für eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung nicht ausreichen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu zutreffend folgendes ausgeführt:

"Darüber hinaus tragen die Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite eine Verurteilung gemäß § 239 Abs. 1 StGB nicht.

Die Kammer hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Angeklagte über die Festnahme und Inhaftierung des Zeugen G... informiert worden ist oder zumindest damit rechnen musste und dies im Rahmen ihrer polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen zumindest billigend in Kauf genommen hat."

Dem schließt der Senat sich an.

Ende der Entscheidung

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