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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 01.02.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 7/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 353 Abs. 1
StPO § 353 Abs. 2
StPO § 354 Abs. 2
1. Den Schuldspruch betreffen nicht nur die zur Erfüllung der Tatbestandsmerkmale erforderlichen Feststellungen, sondern auch die Tatsachen, die nur den Schuldumfang beschreiben, ohne für die rechtliche Bewertung der Tat von Bedeutung zu sein.

2. Erkennt das Berufungsgericht darin zugleich erhebliche Strafzumessungsgesichtspunkte (doppelrelevante Tatsachen), muss es nach Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch die dazu getroffenen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils seiner Entscheidung zugrunde legen. Fehlen dahingehende Feststellungen, darf die Lücke nicht durch ergänzende Aufklärung geschlossen werden. Hält die Kammer nähere Erkenntnisse für erforderlich, verbleibt ihr wegen der durch die Doppelrelevanz bedingten Untrennbarkeit von Schuld- und Straffrage nur die Möglichkeit, die Berufung unbeschränkt durchzuführen und die Schuldfeststellungen umfassend neu zu treffen.

3. Die Entscheidung, ob eine Beschränkungswirkung angenommen werden kann, ist der verfahrensabschließenden Urteilsberatung vorzubehalten.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 1 Ss 7/05

In der Strafsache

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes

hier: Revision des Angeklagten

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt am 1. Februar 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Trier vom 20. Oktober 2004 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Trier zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Seine dagegen eingelegte Berufung hat der Angeklagte in der Berufungsverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Strafkammer ist von einer wirksamen Rechtsmittelbeschränkung ausgegangen und hat die Berufung als unbegründet verworfen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Das Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Die von Amts wegen durchzuführende Prüfung der Prozessvoraussetzungen ergibt, dass die Strafkammer zu Unrecht eine Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung angenommen und deswegen über den Verfahrensgegenstand nur unvollständig entschieden hat. Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch ist nicht zulässig, wenn zwischen den Schuldfeststellungen und der Rechtsfolgenfrage eine so enge Verbindung besteht, dass eine getrennte Überprüfung des angefochtenen Urteils nicht möglich ist, ohne den nicht angegriffenen Teil mit zu berühren (BGHSt 33, 59; BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 2 und 7; KK-Ruß, StPO, § 318 Rdn. 7; Meyer-Goßner, StPO, § 318 Rdn. 6). Das ist vorliegend der Fall.

Der Angeklagte hat sich laut Urteilsgründen in der Berufungsverhandlung zunächst dahingehend eingelassen, dass zwischen ihm und dem Kind eine innere Beziehung bestanden und er es "gern gehabt" habe. Das Verhältnis sei von ihm wegen des großen Altersunterschieds und aus der Erkenntnis heraus beendet worden, dass zwischen ihnen "die Basis gefehlt" habe. Grund sei auch die Einsicht gewesen, sich strafbar gemacht zu haben. Die Kammer hat sich daraufhin zu ergänzenden, über die des amtsgerichtlichen Urteils hinausgehenden Feststellungen veranlasst gesehen. Danach fasste der Angeklagte den Entschluss, das Mädchen sexuell zu missbrauchen, schon beim ersten gemeinsamen Treffen. Er hatte nicht die Absicht, eine freundschaftliche Beziehung zu dem Kind einzugehen, sondern wollte es nur sexuell ausnutzen.

Diese Erkenntnisse betreffen die Sachverhaltsdarstellung zum Schuldspruch. Dazu gehören nämlich nicht nur die zur Erfüllung der Tatbestandsmerkmale erforderlichen Feststellungen, sondern auch die Tatsachen, die nur den Schuldumfang beschreiben, ohne für die rechtliche Bewertung der Tat von Bedeutung zu sein (BGHSt 30, 340, 343; LR-Gössel § 318 Rdn. 79, jeweils m.w.N.). Gerade der Zeitpunkt der Entstehung des Tatentschlusses sowie die Beweggründe für die Tatbegehung, worauf sich die ergänzende Aufklärung der Kammer bezogen hat, sind als solche schuldbedeutsamen Umstände anzusehen (BGH und LR-Gössel, jeweils a.a.O.). Erkennt das Berufungsgericht darin zugleich erhebliche Strafzumessungsgesichtspunkte (doppelrelevante Tatsachen), muss es nach Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch die dazu getroffenen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils seiner Entscheidung zugrunde legen (LR-Gössel, a.a.O. Rdn. 67 m.w.N.). Fehlen, wie vorliegend, dahingehende Feststellungen, darf die Lücke nicht durch ergänzende Aufklärung geschlossen werden (LR-Gössel a.a.O. Rdn. 82). Hält die Kammer nähere Erkenntnisse für erforderlich, verbleibt ihr wegen der durch die Doppelrelevanz bedingten Untrennbarkeit von Schuld- und Straffrage nur die Möglichkeit, die Berufung unbeschränkt durchzuführen und die Schuldfeststellungen umfassend neu zu treffen.

Die Entscheidung, ob eine Beschränkungswirkung angenommen werden kann, ist der verfahrensabschließenden Urteilsberatung vorzubehalten. Durch eine vorherige, im Wege der Vorausschau vorgenommene Prüfung der Beschränkungswirksamkeit, mag sie auch für die Planung der Hauptverhandlung unerlässlich sein, kann der Umfang der erforderlichen Aufklärungstätigkeit des Gerichts nicht festgelegt werden (LR-Gössel, a.a.O. Rdn. 125). Erforderlichenfalls ist nach der Urteilsberatung zur vollständigen Sachaufklärung nochmals in die Verhandlung einzutreten. Das hat die Kammer nicht beachtet.

Gemäß § 353 Abs. 1 und 2 StPO ist das angefochtene Urteil daher mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben. Gemäß § 354 Abs. 2 StPO wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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