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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 15.11.2006
Aktenzeichen: 1 U 1761/05 Baul.
Rechtsgebiete: BauGB, Weimarer Reichsverfassung


Vorschriften:

BauGB § 99 Abs. 3
BauGB § 221 Abs. 3
Weimarer Reichsverfassung Art. 153
1. Wird ein und der selbe Verwaltungsakt (Enteignungsbeschluss) von verschiedenen Beteiligten mit eigenen Anträgen angegriffen, dann liegt nach § 221 Abs. 3 BauGB der Fall der gesetzlichen Verbindung mit einheitlicher Verhandlung und Entscheidung vor.

2. Wird eine private Grundstücksfläche seit 1932 durchgängig als Wege-/Straßenparzelle rechtswidrig in Anspruch genommen, liegt ein enteignungsgleicher Eingriff vor, der dann auch für die Zeit vor dem Inkraftteten des Grundgesetzes (Art. 14 GG) über Art. 153 Weimarer Reichsverfassung zu einem Entschädigungsanspruch führt. Die Verzinsung der zu leistenden Entschädigung (Beginn und Höhe) kann sich in diesem Fall an den aus § 99 Abs. 3 BauGB ableitbaren allgemeinen Entschädigungsgrundsätzen orientieren.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 1 U 1761/05.Baul 1 U 1762/05.Baul

Verkündet am 15. November 2006 in dem Enteignungsverfahren

für den Ausbau und die Grundstücksübernahme der W...straße in R...,

wegen: Zulässigkeit einer Enteignung sowie der Höhe der zu zahlenden Entschädigung. Der Senat für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Itzel, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher sowie den Richter am Oberlandesgericht Rüll auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2006 für Recht erkannt: Tenor:

Auf die Berufung des Beteiligten zu 1. wird das am 14. November 2005 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer - Kammer für Baulandsachen - des Landgerichts Koblenz (1a O 4/05.Baul) abgeändert und wie folgt insgesamt neu gefasst: Der Enteignungsbeschluss der Struktur- und Genehmigungsdirektion ... vom 15. Dezember 2004 (Aktenzeichen 442-01-01-04/04) wird in Ziffer V. neu gefasst:

Die Antragstellerin (Beteiligte zu 2.) hat den unter Ziffern III und IV jeweils festgesetzten Entschädigungsbetrag für die Zeit vom 01.01.1932 (Zeitpunkt der Inanspruchnahme als öffentliche Verkehrsfläche) bis zum 11.04.2002 mit 2 % über dem jeweils gültigen Diskontsatz der Reichsbank, Deutschen Reichsbank und der Deutschen Bundsbank und ab dem 12.04.2002 mit 2 % über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich zu verzinsen.

Der Antrag der Beteiligten zu 2. auf gerichtliche Entscheidung (1a O 4/05.Baul) wird insoweit zurückgewiesen. Die Berufung des Beteiligten zu 1. gegen das am 14. November 2005 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer - Kammer für Baulandsachen - des Landgerichts Koblenz (1a O 3/05.Baul) wird zurückgewiesen. Von den Kosten des gesamten Rechtsstreits (Verfahren 1 U 1761/05.Baul sowie 1 U 1762/05.Baul) tragen die Beteiligte zu 2. 81 % und der Beteiligte zu 1. 19 %.

Die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 3. trägt diese selbst. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Gründe: I. Der Beteiligte zu 1., Miteigentümer verschiedener Grundstücksflächen, die als öffentliche Wegefläche (W...straße) genutzt werden, wendet sich gegen einen Enteignungsbeschluss der Beteiligten zu 3. (1a O 3/05.Baul. - LG Koblenz). Nach erfolglosen Verhandlungen zwischen den Beteiligten zu 1. und 2. verfügte die Beteiligte zu 3. mit Enteignungsbeschluss vom 15. Dezember 2004 die Enteignung der Wege-Grundstücke des Antragstellers und setzte gleichzeitig die Entschädigungsleistung fest. Durch diese Enteignung sollte im Wege einer "Rechtsbereinigung" nach Aufstellung rechtsverbindlicher Bebauungspläne die jeweilige Straßenfläche (W...straße) der öffentlichen Hand, hier der Beteiligten zu 2., rechtlich zugeordnet werden. In dem Enteignungsbeschluss vom 15. Dezember 2004 war eine Verzinsung der Entschädigungssumme ab dem 01.01.1932, dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Grundstücke als öffentliche Verkehrsfläche angeordnet. Gegen diese weit in die Vergangenheit rückwirkende Verzinsung wendet sich die Beteiligte zu 2. mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung in dem vor dem Landgericht getrennt geführten Verfahren 1a O 4/05.Baul - LG Koblenz. Der Beteiligte zu 1. hat die streitgegenständlichen Grundstücke im Jahre 1967 zu (Mit-)Eigentum erworben und hierfür den damals üblichen Preis für Baugrundstücke gezahlt. Der Beteiligte zu 1. verfolgt in erster Linie das Ziel der Aufhebung des Enteignungsbeschlusses und begründet dies vor allem damit, dass eine Enteignung nicht erforderlich sei; Baumaßnahmen an der Straße, die über eine Ausbesserung der Fahrbahn hinausgingen, widersprächen auch dem Interesse der Anwohner wie auch denen der öffentlichen Hand. Die Beteiligte zu 2. wendet sich vor allem gegen die Verzinsung des Entschädigungsbetrages ab 01.01.1932 und begründet dies vor allem mit der fehlenden Rechtsgrundlage vor Inkrafttreten des Landesstraßengesetzes sowie der fehlenden Forderungsinhaberschaft für die Zeit vor Ankauf der Grundstücke durch den Beteiligten zu 1.. Das Landgericht hat in den beiden getrennt geführten Verfahren hinsichtlich des einheitlich ergangenen Enteignungsbeschlusses vom 15. Dezember 2004 den Antrag des Beteiligten zu 1. auf Aufhebung des Enteignungsbeschlusses zurückgewiesen und auf Antrag der Beteiligten zu 2. die Verzinsungspflicht - zeitlich - eingeschränkt. Gegen diese beiden Entscheidungen richtet sich die jeweilige Berufung des Beteiligten zu 1., mit der er in erster Linie die Aufhebung des Enteignungsbeschlusses und hilfsweise die Festsetzung eines Zinslaufes ab dem 01.01.1932 anstrebt. Die Beteiligte zu 2. beantragt - nach Verbindung beider Verfahren durch den Senat -, die Berufung des Antragstellers zu 1. insgesamt zurückzuweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze mit den weiter zu den Akten gereichten Unterlagen, auf die Tatbestände der angefochtenen landgerichtlichen Urteile sowie auf die vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen. II. Die zulässige Berufung des Beteiligten zu 1. hat mit dem Hilfsantrag (Verzinsungspflicht für die Entschädigungssumme ab dem 01.01.1932) Erfolg. Im Übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg in der Sache und ist daher zurückzuweisen, soweit sich der Beteiligte zu 1. gegen den Enteignungsbeschluss mit Entschädigungsfestsetzung als solchen wendet. Die beiden vor der Baulandkammer getrennt geführten Verfahren waren und sind gemäß § 221 Abs. 3 BauGB gleichzeitig zu verhandeln und zu entscheiden, da sich beide Anträge auf gerichtliche Entscheidung gegen denselben Verwaltungsakt (Enteignungsbeschluss) richten (vgl. zum Vorliegen des Falls einer gesetzlichen Verbindung und der Unzulässigkeit von Teilurteilen in diesen Fällen Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 9. Aufl., § 221 Rn. 4). 1. Mit der angefochtenen Entscheidung (1a O 3/05 Baul.) sieht auch der Senat die Enteignung der Straßenflächen als erforderlich und rechtlich zulässig an. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist er auf die ausführliche und überzeugende Begründung in dem angefochtenen Urteil der Baulandkammer vom 14. November 2005 - 1a O 3/05.Baul (S. 6 f.; Bl. 55 f. d. A.). Diese, wie auch die Begründung zur festgesetzten Entschädigung macht er sich zu eigen.

Damit hat der Antrag des Beteiligten zu 1. insoweit keinen Erfolg, als er sich gegen die Enteignung als solche wendet. Das Landgericht hat diesen Antrag mithin zu Recht zurückgewiesen; die Berufung hiergegen bleibt ohne Erfolg und ist gleichfalls zurückzuweisen. 2. Hinsichtlich der Verzinsung des Entschädigungsbetrages (vgl. § 99 Abs. 3 BauGB) hat das Rechtsmittel des Beteiligten zu 1. Erfolg, nachdem das Landgericht den entsprechend relevanten Zeitpunkt auf den 1. April 1963 in Abänderung des Enteignungsbeschlusses vom 15. Dezember 2004 festgesetzt hat. Dem Beteiligten zu 1. steht eine Verzinsung des festgesetzten Entschädigungsbetrages ab dem Zeitpunkt der Nutzung der streitgegenständlichen Flächen als Straßenland, damit ab dem 1. Januar 1932 zu. Unter Bezugnahme auf die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich bei dieser "Verzinsung" um einen Entschädigungsanspruch eigener Art handelt (vgl. zum ganzen Aust, Jacobs, Pasternak, Die Enteignungsentschädigung, 5. Aufl., Rn. 834 ff.). Hiernach gilt, dass die Enteignungsentschädigung als Gegenwert für das durch die Enteignung entzogene Vermögensobjekt an dessen Stelle tritt, und nach den Wertungen des Grundgesetzes (Art. 14 Abs. 3 GG) ist die Forderung nach einer angemessenen Entschädigung nur dann erfüllt, wenn die Entschädigung sofort, d. h. im Zeitpunkt der Wegnahme gezahlt wird. Wird diese Entschädigung, wie im vorliegenden Fall, nicht in diesem Zeitpunkt gezahlt, in dem der Eigentümer seiner Nutzungsmöglichkeiten vollständig beraubt wird, stellen die zu zahlenden Zinsen einen Ausgleich dafür dar, dass der Eigentümer die Nutzungen (z. B. durch Verpachtungen u. a.) nicht mehr ziehen kann - Nutzungsausfallentschädigung. Zum gleichen - wirtschaftlichen - Ergebnis führt die Überlegung, dass der Eigentümer bei sofortiger Zahlung der Enteignungsentschädigung diese verzinslich hätte anlegen können. Da dieser Zinsanspruch Teil des einheitlichen Entschädigungsanspruchs ist, kommt im vorliegenden Fall auch eine Verjährung nicht in Betracht, da erst durch den Enteignungsbeschluss die Grundlage für den (einheitlichen) Entschädigungsanspruch (mit "Zinsen") gelegt wurde. Mit der angefochtenen Entscheidung ist auch der Senat der Auffassung und Überzeugung, dass dem Beteiligten zu 1. in jedem Fall zumindest ab dem Inkrafttreten des Landesstraßengesetzes der entsprechende Zinsanspruch im Rahmen eines einheitlich festzusetzenden Entschädigungsanspruchs zusteht. Insoweit wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (S. 9 - 11; Bl. 127 - 129 d. A. 1 U 1762/05.Baul) verwiesen. Für die Zeit vor und nach Inkrafttreten des Landesstraßengesetzes liegt für den Senat mit den Ausführungen in dem Enteignungsbeschluss darüber hinausgehend auch eine rechtswidrige Inanspruchnahme des Eigentums als öffentliche Straßenfläche vor, mithin ist hierfür eine Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff für die gesamte Nutzungszeit als Straße zu leisten.

Gleiches gilt im Übrigen auch dann, wenn die Nutzung als Straße als solches rechtmäßig gewesen wäre; für den Senat läge in diesem Fall dann ein sogenannter enteignender Eingriff vor, da durch die Straßennutzung dem Eigentümer der jeweiligen Parzelle jedwede privatnützige Verwendung seines Eigentums unmöglich gemacht wurde ( zur Abgrenzung bloßer Inhaltsbestimmungen zur Enteignung des Eigentums s. Stein, Itzel, Schwall, Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts, Rn. 346 ff, 749 ff - jew. m. w. Nachw.). Unter Beachtung des die allgemeinen Enteignungsentschädigungsgrundsätze widerspiegelnden § 99 Abs. 3 S. 2 ist diese Nutzungsentschädigung (Verzinsung) ab dem Zeitpunkt des völligen Ausschlusses des Eigentümers mit seinen Nutzungsmöglichkeiten festzusetzen, mithin im vorliegenden Fall ab dem 1.01.1932. Für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes folgt dieser Entschädigungsanspruch letztlich aus Art. 153 Weimarer Reichsverfassung (vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl., S. 29, 149 und vor allem S. 216 - m. w. N.). Damit ist der festgesetzte Entschädigungsbetrag unter dem Gesichtspunkt des Nutzungsausfalls ab Beginn 1932 entsprechend zu verzinsen. Dem steht auch nicht die vorgelegte Erklärung eines Teils der Grundstückseigentümer (Bl. 7 - 9 d. A.) entgegen, wobei letztlich dahingestellt bleiben kann, ob diese sich überhaupt auf die streitgegenständlichen Parzellen und die W...straße bezieht. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (S. 11, Bl. 129 d. A. 1 U 1762/05.Baul). Auch eine Aufspaltung der Verzinsung (Nutzungsausfallsentschädigung) in einen Teil vor und nach Eigentumserwerb durch den Beteiligten zu 1. kommt mit der angefochtenen Entscheidung, die eine Verzinsung zugunsten des Beteiligten zu 1. bis 1963 vorsah, nicht in Betracht. Nach den tatsächlichen Feststellungen und zur Überzeugung des Senats hat der Beteiligte zu 1. die streitgegenständlichen Wegeparzellen 1997 zu dem damals üblichen Preis für Baugrundstücke erworben. Dieser Preis ist maßgeblicher Gesichtspunkt dafür, dass der vorherige Eigentümer diese Grundstücksparzellen jeweils mit allen Rechten und Ansprüchen übertragen hat und sich keinesfalls irgendwelche (Teil-) Entschädigungsansprüche, Nutzungsentschädigungsansprüche für die Zeit seiner Eigentümerposition zurückbehalten wollte. Insoweit hat er diese im Eigentum selbst angelegten Positionen zumindest stillschweigend auf den Beteiligten zu 1. mit übertragen. Eine andere Auslegung dieses Vorgangs im Jahr 1967 kommt im Hinblick auf den gezahlten Preis für Baugrundstücke nicht in Betracht. Damit kann der Beteiligte zu 1. Verzinsung des Entschädigungsbetrages ab dem 1.01.1932 von der Enteignungsbegünstigten, der Stadt R..., verlangen. Unter Beachtung des Umstandes, dass die Regelung zur Verzinsung in § 99 Abs. 3 in der alten Fassung bis zum 11. April 2002 gültig war und mit Wirkung vom 12. April 2002 neu gefasst wurde, war auch der Ausspruch zur Verzinsung an diese Neuregelungen datumsmäßig anzupassen. 3. Nach allem ist die Enteignung der Straßengrundstücke gegenüber dem Beteiligten zu 1. rechtlich zulässig und wirksam. Die Entschädigungshöhe für das entzogene Eigentum wurde zutreffend festgesetzt. Dieser Entschädigungsbetrag ist jedoch ab der Inbesitznahme, dem völligen Entzug der Nutzungsmöglichkeiten für den jeweiligen Eigentümer, damit ab dem 1.01.1932 entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verzinsen. Damit ist das Urteil der Baulandkammer in dem Verfahren 1a O 4/05.Baul entsprechend abzuändern. Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, da die in § 543 Abs. 2 ZPO i. V. mit § 221 Abs. 1 BauGB festgelegten Revisionszulassungsgründe nicht gegeben sind. Es handelt sich im vorliegenden Fall um eine Einzelfallentscheidung, die durch verschiedene tatsächliche Besonderheiten geprägt ist. Der Senat hat im Weiteren die allgemein anerkannten und vom BGH auch mehrfach bestätigten Entschädigungsgrundsätze beachtet und auf den hier vorliegenden Einzelfall mit seinen Besonderheiten angewendet. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 228 BauGB, § 92 ZPO, wobei die beiden in erster Instanz getrennt geführten Verfahren nach § 221 Abs. 3 BauGB auch in Kostenhinsicht als einheitliches Verfahren zu betrachten sind. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf insgesamt 19.845,00 EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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