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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 05.12.2001
Aktenzeichen: 1 U 257/00
Rechtsgebiete: BGB, BeurkG, ZPO, BNotO, GKG


Vorschriften:

BGB § 1767 Abs. 1
BGB § 1772 Abs. 1
BGB §§ 1601 ff.
BGB § 1611
BGB § 1772
BGB § 1755 Abs. 1
BGB § 1772 S. 1 Alt. b)
BGB § 1772 Abs. 1 S. 2
BGB § 1770
BeurkG § 17 Abs. 1 S. 1
BeurkG § 17 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
BNotO § 19 Abs. 1
BNotO § 19 Abs. 1 S. 2
GKG § 17 Abs. 1 S. 1
GKG § 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Koblenz Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 1 U 257/00

Verkündet am 5. Dezember 2001

In dem Rechtsstreit

wegen Notarhaftung.

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krämer, die Richterin am Oberlandesgericht Semmelrogge und die Richterin am Landgericht Dr.Kurtenbach

auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 11. Januar 2000 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Freistellung von Unterhaltsansprüchen seiner leiblichen Mutter und auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 320,16 DM wegen Amtspflichtsverletzung in Anspruch.

Der am 15. April 1968 geborene Kläger lebte seit seinem achten Lebensjahr als Pflegekind bei den Eheleuten W..... und M......... S.......

Am 20. Juni 1988 beurkundete der Beklagte einen Adoptionsantrag des Klägers und seiner Pflegeeltern (URNr.10../1988, Bl.24-26 d.A.). Durch Beschluss vom 1.9.1988 (Bl. 4-6 d.A.) sprach das Vormundschaftsgericht Neuwied die Annahme des Klägers als gemeinsames eheliches Kind der Eheleute S....... aus. Seit März 1997 nimmt das Sozialamt der Kreisverwaltung N...... den Kläger auf Zahlung von Unterhaltsbeiträgen für seine leibliche Mutter, U.. Sch...... dem Grunde nach in Anspruch.

Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob der Kläger seiner Prüfungs- und Belehrungspflicht im Rahmen der Beurkundungstätigkeit in ausreichendem Umfang nachgekommen und den Kläger und seine späteren Adoptiveltern auf den Unterschied zwischen einer "normalen" Erwachsenenadoption nach § 1767 Abs.1 BGB und einer Erwachsenenadoption mit Wirkungen wie bei der Annahme Minderjähriger gemäß § 1772 Abs.1 BGB hingewiesen hat.

Das Landgericht hat nach Vernehmung der Eheleute S....... der Klage stattgegeben und begründet dies mit einem Verstoß des Beklagten gegen Belehrungspflichten gemäß § 17 Abs.1 S.1 BeurkG.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung und wiederholt im wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Der Beklagte tritt dem entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze mit den weiteren zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Seite 2-8; Bl. 100-106 der Gerichtsakte) verwiesen.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs.1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Zu Recht ist das Landgericht von der Zulässigkeit der Feststellungsklage ausgegangen.

Das gemäß § 256 Abs.1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, da die Unterhaltspflicht gemäß §§ 1601 ff. BGB, von der Freistellung begehrt wird, derzeit (noch) nicht bezifferbar ist (vgl. BGH NJW 1996, 2725, 2726). Das schutzwürdige Interesse entfällt erst dann, wenn der Kläger eine Inanspruchnahme durch das Sozialamt nicht mehr befürchten müsste, zum Beispiel nach Eintritt der Verjährung (OLG Hamm, OLGR 1995, 254, 255). Im hier vorliegenden Fall droht die Inanspruchnahme des Klägers jedoch nach wie vor. Das Sozialamt hat auf die Geltendmachung seiner Ansprüche nicht verzichtet. Der Einwand des Beklagten, es bestehe keine Unterhaltspflicht gegenüber der leiblichen Mutter gemäß § 1611 BGB, greift nicht durch. Ob hier die Voraussetzungen des § 1611 BGB vorliegen, begegnet Bedenken, ist jedoch gegebenenfalls in einem Unterhaltsprozess zu klären. Die begründete Besorgnis der Inanspruchnahme des Klägers ist gegeben und zur Rechtfertigung des Feststellungsinteresses ausreichend.

Der Feststellungsantrag ist auch begründet.

Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend das Vorliegen eines Amtshaftungsanspruches des Klägers gegen den Beklagten wegen einer fahrlässigen Amtspflichtverletzung nach § 19 Abs.1 BNotO und damit die Verpflichtung des Beklagten dem Grunde nach, den Kläger von etwaigen Unterhaltsansprüchen seiner leiblichen Mutter freizustellen, bejaht. Der Umfang der Prüfungs- und Belehrungspflicht des Notars nach § 17 Abs.1 BeurkG (siehe im Einzelnen: Hauck, Die Amtshaftung des Notars, 2.Aufl., Rn.445 f.) richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zwar ist sie nur insoweit erforderlich, um eine den wahren Willen der Beteiligten wiedergebende Urkunde zu erstellen (BGH DNotZ 1989, 45). Jedoch kann sich der Beklagte hier nicht darauf berufen, der Kläger und seiner späteren Adoptiveltern hätten ihm keine Anhaltspunkte gegeben, die ihn veranlassen mussten, zu einem Adoptionsantrag mit den Wirkungen des § 1772 BGB zu raten. Ausweislich Ziffer in des notariellen Vertrages war ihm bekannt, dass der Kläger seit Juli 1976 im Haushalt der Eheleute S....... in einem echten Eltern-Kind-Verhältnis lebte, dort freie Unterkunft und Verpflegung erhielt und auf ihre Kosten zur Schule gegangen ist und eine Ausbildung gemacht hat. Hieraus ergab sich eine Verpflichtung des Beklagten zur Belehrung über die verschiedenen Adoptionsmöglichkeiten und gegebenenfalls zur weiteren Sachaufklärung durch Nachfragen bei den Beteiligten.

Im Ergebnis zu Recht hat die Einzelrichterin auch einen Verstoß des Beklagten gegen seine Aufklärungs- und Belehrungspflicht angenommen. Dabei verkannte sie jedoch die Darlegungspflicht des Beklagten.

Grundsätzlich ist der Kläger als Anspruchsteller beweisbelastet für eine Amtspflichtverletzung des Beklagten, auch soweit der Vorwurf erhoben wird, der Beklagte habe eine Aufklärung und eine entsprechende Belehrung unterlassen. Die Schwierigkeit des Negativbeweises wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass der Beklagte sich nicht damit begnügen darf, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in allgemeiner Form zu bestreiten. Vielmehr muss er den Gang der Verhandlung im einzelnen schildern und konkret angeben, welche Hinweis und Belehrungen er im einzelnen erteilt haben will (BGH DNotZ 1996, 568, 570; NJW 1987, 1322, 1323; NJW 1993, 1139, 1140). Der Kläger wäre dann für das Unterlassen der Hinweise und Belehrungen beweispflichtig.

Der Beklagte ist darlegungspflichtig geblieben. Nachdem der Beklagte erstinstanzlich kein Erinnerungsvermögen mehr an den Vorgang hatte, ist sein neuer Vortrag in der Berufungsinstanz, er sei sich jetzt völlig sicher, auch über den Unterschied zwischen der "normalen" Erwachsenenadoption und der Erwachsenenadoption mit den starken Wirkungen der Minderjährigen-Adoption belehrt zu haben, nicht glaubwürdig. Der Beklagte legt nicht dar, aus welchem Grund er sich nach seinem erstinstanzlichen Vortrag nunmehr angeblich an den Vorgang zu erinnern vermag. Auch gibt er keine Erklärung, warum sich die Beteiligten bei ihrer übereinstimmend angegebenen Interessenlage (Legitimierung des Eltern-Kind-Verhältnisses und Abbruch auch der rechtlichen Beziehung des Klägers zu seinen leiblichen Eltern) in Kenntnis der Unterschiede der verschiedenen Adoptionsarten für die "normale" Erwachsenenadoption entschieden haben sollten. Eine aus der jahrelangen Notarpraxis folgende Belehrungsvermutung reicht nicht aus. Dem Beklagten ist das substantiierte Darlegen trotz des langen Zeitablaufs auch zuzumuten. Ihm ist seine gegebenenfalls langjährige Haftung bekannt, so dass er sich darauf einstellen kann, durch Aktennotizen, Aufbewahrung von Schriftverkehr etc. sein Erinnerungsvermögen zu erhalten. Auch aus § 2 des notariellen Vertrages, wonach die Beteiligten von dem Notar über die Rechtswirkungen der Annahme und des Erbrechtes belehrt worden sein sollen, folgt zur Überzeugung des Senats nicht die Belehrung des Klägers durch den Beklagten auch und gerade über die Möglichkeit, dass sich die Wirkungen einer Annahme an Kindes Statt nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen richten können und nur in diesem Fall gemäß § 1755 Abs.1 BGB das bisherige Verwandtschaftsverhältnis zu den leiblichen Eltern und somit auch die Unterhaltspflicht erlischt.

Insgesamt ist der Beklagte somit darlegungspflichtig geblieben, so dass es auf eine Würdigung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht ankommt.

Der Schaden des Klägers, der in der Belastung mit einer unterhaltsrechtlichen Verpflichtung gegenüber seiner leiblichen Mutter besteht und die Kosten für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zur Prüfung und Abwehr des vom Sozialamts geltend gemachten Anspruches umfasst, ist auch adäquat kausale Folge der Amtspflichtverletzung.

Die Eheleute S....... bekundeten bei ihrer erstinstanzlichen Vernehmung übereinstimmend, bei entsprechender Aufklärung hätten sie eine Volladoption nach § 1772 BGB gewählt.

Einem Antrag auf Volladoption nach § 1772 BGB wäre wohl auch mit großer Wahrscheinlichkeit vom Vormundschaftsgericht stattgegeben worden. Die Voraussetzungen des § 1772 S.1 Alt.b) BGB lagen vor. Die sittliche Rechtfertigung der Annahme nach § 1767 Abs.1 BGB hatte das Vormundschaftsgericht bereits mit dem Adoptionsbeschluss vom 1. September 1988 bejaht.

Aber auch unter besonderer Berücksichtigung der Interessen der leiblichen Eltern des Klägers bestehen nach Auffassung des Senats im hier vorliegenden Fall keine durchgreifenden Bedenken. Nach Sinn und Zweck der Volladoption soll dem Kind, dessen Verbindung zur natürlichen Verwandtschaft faktisch oder rechtlich zerschnitten wurde, eine vollwertige Ersatzfamilie gegeben werden. Besteht dagegen noch eine Verbindung zur leiblichen Familie, wurde der Adoptierte insbesondere während seiner Bedürftigkeit vom leiblichen Elternteil versorgt, so ist nach Erreichen der Volljährigkeit der Abbruch der Beziehungen grundsätzlich sittlich nicht gerechtfertigt (MüKo-Lüdderitz, BGB, 3.Aufl., § 1772 Rn.5; LG Heidelberg FamRZ 2001, 120, 121).

Das Landgericht ging zutreffend davon aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Adoptionsantrages zu seinen leiblichen Eltern keinen tragfähigen Kontakt mehr hatte. Seit dem 8. Lebensjahr befand sich die Mutter des Klägers wegen einer psychischen Erkrankung in verschiedenen Kliniken, sodann dauerhaft in einem Heim. Das Kreis Jugendamt N...... wurde zum Vormund des Klägers bestellt. Der Kontakt des Klägers zu seiner leiblichen Mutter beschränkte sich auf gelegentliche Besuche.

Das Umgangsrecht des Vaters wurde zu Gunsten einer stabilen Entwicklung des Klägers in seiner Pflegefamilie stark eingeschränkt und in der Folgezeit mit Ausnahme einer Teilnahme an der Konfirmation des Klägers nicht mehr ausgeübt. Unterhaltszahlungen wurden -soweit ersichtlich- von den leiblichen Eltern nicht erbracht. Unter gleichzeitiger Berücksichtigung der vollumfänglichen Einbindung des Klägers in das Familienleben seiner späteren Adoptiveltern tritt bei der erforderlichen Interessenabwägung (vgl. BT-Drucksache 12/2506 S.9) das ideelle und materielle Interesse der leiblichen Eltern zu Gunsten der Gesichtspunkte und Belange, die für die angestrebte Volladoption sprechen, nach Ansicht des Senats zurück.

Dem Rechtsgedanken des § 1772 Abs.1 S.2 BGB steht auch nicht entgegen, dass die Pflegeeltern des Klägers bis zu dessen Ausbildungsende Pflegegeld von der Kreisverwaltung N...... erhalten haben. Eine sich daraus ergebende Pflicht des Klägers, nunmehr die öffentliche Hand im Rahmen seiner Möglichkeiten von Unterhaltsleistungen für die Mutter freizustellen, sieht der Senat nicht. Bei der oben dargelegten notwendigen Interessenabwägung sind Belange der öffentlichen Hand nicht mit einzubeziehen. Selbst unter Berücksichtigung des Pflegegeldes als Unterhaltsleistung der leiblichen Mutter begründet dies alleine nicht eine vollumfängliche Betreuung des Klägers während seiner Bedürftigkeit, wie sie ihm von seinen Pflegeeltern gewährt worden ist, so dass auch insoweit eine Sittenwidrigkeit der Volladoption nach Auffassung des Senats nicht in Betracht kommt.

Im Übrigen übernimmt der Kläger mit der Adoption auch umfangreiche Betreuungs- und Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Adoptiveltern, § 1770 BGB.

Der Beklagte handelte auch fahrlässig, da er bei gehöriger Aufmerksamkeit den Umfang seiner Aufklärungs- und Belehrungspflicht hätte erkennen müssen.

Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit nach § 19 Abs.1 S.2 BNotO besteht nicht, insbesondere ist der Antrag nach Volladoption nicht nachholbar (MüKo-Lüdderitz aaO, § 1772 Rn.3; Palandt-Diederichsen, 60.Aufl., § 1772 Rn.6).

Mithin ist die Klage vollumfänglich begründet und die Berufung des Beklagten ohne Erfolg.

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 97 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr.10, 713 ZPO.

Der Wert des Berufungsverfahrens berechnet sich wie folgt:

1) Feststellungsantrag 2.052,00 DM gemäß § 17 Abs.1 S.1 GKG, 2) Zahlungsantrag 320,16 DM, 2.372,16 DM.

Dem Feststellungsantrag wurde zugrundegelegt eine monatliche Unterhaltszahlungsverpflichtung in Höhe von 171,- DM gemäß Schreiben der Kreisverwaltung N...... vom 5. Juni 1998 (Bl. 7 f d.A.). Die Berücksichtigung eines 20%igen Abschlages unterbleibt, da es sich um die Feststellung der Befreiung von wiederkehrenden Leistungen gemäß § 17 GKG handelt (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 21.Aufl. § 3 Rn.16 "Feststellungsklage"; Thomas-Putzo, ZPO, 21.Aufl. § 3 Rn.65).

Die Beschwer des Beklagten berechnet sich wie folgt:

1) Feststellungsantrag 7.182,00 DM (3,5x 2.052 DM gemäß § 9 Abs.1 ZPO) 2) Zahlungsantrag 320,16 DM, 6.965,76 DM.

Ende der Entscheidung

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