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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 27.02.2002
Aktenzeichen: 1 U 265/01
Rechtsgebiete: GG, BGB, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 34
BGB § 839
ZPO § 713
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 543 Abs. 1 a.F.
Zu Umfang und Grenzen der kommunalen Weinbergshut in Rheinhessen.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 1 U 265/01

Verkündet am 27. Februar 2002

in dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz aus Verletzung der Weinbergshut.

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krämer und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Giese und Dr. Itzel auf die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 16. Januar 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Kläger ist Winzer und betreibt unter anderem in dem im Gemeindegebiet der Beklagten gelegenen Weinberg Flur 3, Nr. 3000 auf einer Fläche von 4.642 qm Weinanbau. Die Beklagte hat seit dem Jahre 1979 als freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe für die in ihrem Ortsgebiet gelegenen 172 ha Weinberge die Weinbergshut übernommen. Seither werden 26 Schreckschussapparate sowie der Weinbergshüter Löffel eingesetzt, dem ein Fahrzeug und eine Schreckschusspistole zur Verfügung steht.

Am 27. Oktober 1996 kam es auf der genannten Weinbergsparzelle des Klägers zu einem Stareneinfall. Der Weinberg des Klägers war an diesem Tage im Gegensatz zu den umliegenden Parzellen noch nicht abgeerntet.

Mit der Behauptung, der Weinbergshüter habe die Weinbergshut nicht ordnungsgemäß ausgeübt und die Beklagte habe nicht für die notwendigen organisatorischen Maßnahmen für eine effektive Weinbergshut gesorgt, begehrt der Kläger Schadensersatz in Höhe von 27.924 DM. Die Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten und insbesondere der Auffassung, dass sie zu einem lückenlosen Schutz nicht verpflichtet sei.

Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen, weil dem Weinbergshüter eine Amtspflichtverletzung nicht anzulasten und die Beklagte im Übrigen auch nicht zu einem lückenlosen Schutz verpflichtet sei.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er unter Vertiefung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens sein Klagebegehren weiterverfolgt. Die Beklagte tritt dem ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrages entgegen.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß § 543 Abs. 1 a.F. ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

Eine schuldhafte Verletzung der Hutaufgaben, zu deren Kosten die Winzer der beklagten Gemeinde auch im Jahre 1996 einen Beitrag geleistet haben, wäre eine Amtspflichtverletzung, für deren Folgen die Beklagte einzustehen hätte, § 839 BGB, Art. 34 GG. Der Kläger hat jedoch eine Pflichtverletzung der Beklagten durch ein Organisationsverschulden nicht schlüssig dargetan. Gleiches gilt für eine Pflichtverletzung durch den Weinbergshüter jedenfalls ist eine solche nicht nachgewiesen.

1. Der Kläger meint, die Beklagte habe im Jahre 1996 wegen des Stareneinfalls für den Einsatz von mehr Weinbergshütern sorgen müssen. Die Beklagte habe dies in einem Schreiben vom 6. März 1997 an die Verbandsgemeindeverwaltung auch eingeräumt. Da sie es bei einem Weinbergshüter belassen habe, treffe sie ein Verschulden für den Eintritt des Schadens durch Stareneinfall in seinem Weinberg.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Zu einem schlüssigen Vortrag hätte insoweit insbesondere gehört, dass die Beklagte zu Beginn der Weinbergshut oder jedenfalls im Lauf der relativ kurzen Zeit Anlass gehabt hätte, mehr Weinbergshüter einzusetzen, als dies in dem zuständigen Ausschuss, in dem die Winzer vertreten sind, beschlossen worden war und dass dies auch mit den vorhandenen Finanzmitteln (Beiträge der Winzer) in diesem Rahmen möglich und zumutbar war. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte aufgrund von Erfahrungen aus vergangenen Jahren einen entsprechenden Handlungsbedarf erkennen konnte, sind nicht vorgetragen. Im Gegenteil war die Weinbergshut in den Jahren zuvor erfolgreich. Die auch im Jahre 1996 durchgeführte Weinbergshut hatte in all den Jahren zuvor die Zustimmung der Winzer gefunden. Weshalb die Gemeinde also im Jahre 1996 neben den installierten 26 Schussapparaten und dem Zeugen L weitere Weinbergshüter einsetzen musste, ist deshalb nicht ersichtlich.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von dem Kläger zitierten Schreiben der Beklagten vom 6. März 1997 an die Verbandsgemeinde. Der Inhalt dieses Schreibens ist das Ergebnis einer Nachbetrachtung, keinesfalls aber das Zugeständnis eines Versäumnisses und erst Recht nicht das Zugeständnis einer schuldhaften Pflichtverletzung. Anliegen dieses Schreibens ist es erkennbar, darzulegen, dass die Weinbergshut bei einem Stareneinfall wie im Jahre 1996 nicht mehr unter den gegebenen Bedingungen bewältigt werden kann.

Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang auch zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte zu einem angemessenen, nicht aber zu einem lückenlosen Schutz verpflichtet war. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 11. Februar 1981 (1 U 568/80) und in seinem Urteil vom 16. Oktober 1985 (1 U 1071/84, RdL 1986, S. 291) Folgendes ausgeführt:

"Dabei verkennt der Kläger, dass die Gemeinde nur zu einem angemessenen, nicht aber zu einem absoluten und lückenlosen Schutz verpflichtet war, nachdem sie die Weinbergshut als freiwillige Aufgabe übernommen hatte. Ein absoluter Schutz ist mit zumutbaren Mitteln nicht möglich, weil es sich um eine große Gemarkungsfläche (im vorliegenden Fall: 172 ha) handelt, in der nicht jede Stelle zu jedem Zeitpunkt überwacht werden kann. Stare lassen sich durch Schüsse nur vorübergehend vertreiben und können nicht dauerhaft am Fressen gehindert werden. Die Gemeinde kann keine Gewähr für eine völlige Schadensfreiheit bieten, sondern nur einen teilweisen Schutz."

Des Weiteren kommt vorliegend hinzu, dass die Parzellen in unmittelbarer Umgebung des klägerischen Weinberges bereits abgeerntet waren und die Wahrscheinlichkeit eines Schadens immer größer wird, je länger die Trauben eines Weinberges noch hängen. Die Gemeinde kann in solchen Fällen wie sie es in ihrem Schreiben vom 6. März 1997 an die Verbandsgemeinde zutreffend ausführt, auch darauf vertrauen, dass sich ein Winzer unter diesen Umständen selbst mit um den Schutz seines Lesegutes bemüht. Dies gilt vorliegend um so mehr, als der betroffene Weinberg des Klägers nur etwa 50 m vom Ort entfernt liegt und ihm bekannt war, dass dort kein Schussapparat installiert war.

2. Der Senat vermag aber auch kein Fehlverhalten des Weinbergshüters zu erkennen.

Der Vorwurf des Klägers besteht darin, dass der Zeuge L am 27. Oktober 1996 zwischen 14.00 und 15.00 Uhr nicht an seinem Weinberg gewesen sei, um diesen vor Stareneinfall zu beschützen. Dies reicht zur Begründung einer Pflichtverletzung nicht aus. Zum einen ist bereits unklar, wie der Kläger zu der Erkenntnis kommt, der Stareneinfall habe sich zwischen 14.00 und 15.00 Uhr ereignet. In erster Instanz hat er dies (Schriftsatz vom 7. Dezember 2000, Bl. 75 GA) damit begründet, dass der Weinbergshüter L dies bestätigt und behauptet habe, er habe ca. 300 m weit entfernt gestanden und habe von dort nichts machen können. Andererseits wirft der Kläger dem Weinbergshüter jedoch vor, überhaupt keine Weinbergshut betrieben zu haben, sondern sich zum Zeitpunkt des Stareneinfalls zu Hause in der Mittagspause befunden zu haben.

Ungeachtet des von daher rein spekulativ angenommenen Schadenszeitpunktes gilt für den Weinbergshüter jedoch ebenso das, was oben zur Schutzpflicht der Gemeinde ausgeführt ist. Auch er kann keinen absoluten und lückenlosen Schutz garantieren. Im Schriftsatz vom 26. Januar 2000 (Bl. 19 GA) lässt der Kläger ausführen, dass bei weitem noch nicht alle Trauben gelesen waren, in der Gemarkung der Beklagten vielmehr mindestens noch 10 ha Trauben hingen. Der Weinbergshüter L hatte also die Verpflichtung, die gesamte Gemarkung abzufahren bzw. abzugehen. Er war nicht verpflichtet, alleine für den Schutz des Weinbergs des Klägers Sorge zu tragen.

Im Übrigen hat der Senat in dem o.a. zitierten Urteil (RdL 1996, S. 291) auch hierzu ausgeführt:

"Es ist gerichtsbekannt und unstreitig, dass gerade in Rheinhessen immer wieder Unmengen von Staren im Herbst über die breiten Weinbergsflächen herfallen und sich zum Ende der Lesezeit auf die wenigen Weinberge konzentrieren, die noch einen Behang haben. Die Vögel kommen entweder in großen Schwärmen, die in kürzester Zeit einen verhältnismäßig kleinen Weinberg kahl fressen können, oder in kleineren Gruppen, die andauernd in die Weinberge einfallen oder "einsickern" und alsbald die Trauben abfressen. Das kann keineswegs immer durch einen mit Schussgeräten ausgerüsteten Weinbergshüter verhindert werden, auch wenn dieser stets aufmerksam seinen Bezirk abgeht und beobachtet. Denn er kann nicht überall gleichzeitig sein und jede Gefahr rechtzeitig erkennen."

Aus der Tatsache, dass ein Schaden entstanden ist, kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht geschlossen werden, dass dies auf einer schuldhaften Pflichtverletzung durch den Weinbergshüter beruht. Die geltend gemachten Schäden können auch bei einer ordnungsgemäßen Hut eintreten, so dass die Voraussetzungen etwa eines Anscheinsbeweises, nämlich das Vorliegen eines Sachverhaltes, der typischerweise eine Amtspflichtverletzung voraussetzt, nicht gegeben sind.

Schließlich kann dem Weinbergshüter L auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, eine Mittagspause eingelegt und sein Mittagessen zu Hause eingenommen zu haben. Dies steht ihm zu und begründet keine Pflichtverletzung.

Ein Sachverhalt, der eine Verletzung der dem Weinbergshüter L obliegenden Schutzpflichten begründen könnte, ist sonach nicht vorgetragen. Auf das Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme kommt es deshalb nach Auffassung des Senats schon nicht mehr an. Im Übrigen erscheinen ihm die Aussagen des Zeugen L vom 15. Februar bzw. 5. Dezember 2000 auch nicht widersprüchlich, wie dies der Kläger annimmt. Zum einen hat der Zeuge keine exakten Zeitangaben gemacht. In seiner ersten Vernehmung hat er angegeben, dass die Stare in den Weinberg des Klägers um ca. 13.00 Uhr eingefallen seien. Da erfahrungsgemäß niemand bei seiner täglichen Arbeit im Normalfall auf die Uhr schaut, sich genaue Zeiten merkt oder aufschreibt, kann damit nicht ausgeschlossen werden, dass der Vater des Klägers noch gegen 13.00 Uhr in diesem Weinberg war. Auch insoweit handelt es sich um eine ungefähre Zeitangabe. Soweit der Zeuge bei seiner zweiten Vernehmung angegeben hat, er sei selbst nicht im Weinberg des Klägers gewesen, steht dies nicht im Widerspruch zu seiner ersten Aussage. Dort hat er angegeben, er sei in die Richtung des Weinbergs des Klägers gefahren und habe aus einer Entfernung von ca. 100-200 m in diesen Weinberg hineingeschossen. Die Aussagen stimmen also insoweit überein. Richtig ist lediglich, dass der Zeuge bei seiner zweiten Vernehmung angegeben hat, er habe gar nicht gesehen und gewusst, dass im Weinberg des Klägers Stare eingefallen waren. Führt man sich seine übrige Aussage vor Augen, nach der er an dem fraglichen Tag ab etwa 8.00 Uhr in den Weinbergen war und ab 10.00 Uhr der Stareneinfall überall begann, er hinter diesen zum Teil hergefahren ist und berücksichtigt man weiter, dass der Zeuge diese Aussage über vier Jahre nach dem Ereignis gemacht hat, so lässt dieser vom Kläger hervorgehobene Punkt seiner Aussage nicht die weitreichende Schlussfolgerung zu, der Zeuge habe bei Allem gelogen.

Mit der Aussage des Zeugen L ist jedenfalls widerlegt, dass dieser an dem fraglichen Tag überhaupt keine Weinbergshut betrieben habe. Er war lediglich zu dem Zeitpunkt, als die Stare in den Weinberg des Klägers einfielen, nicht oder nicht nahe genug an diesem Weinberg, um die Stare wirksam von dort vertreiben zu können.

Da es sich um die Entscheidung eines Einzelfalles handelt und diese auch nicht im Gegensatz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen steht, besteht für eine Zulassung der Revision keine Veranlassung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Wert des Berufungsverfahrens und die Beschwer des Klägers betragen 27.924,-- DM.



Ende der Entscheidung

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