Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 13.03.2002
Aktenzeichen: 1 U 529/00
Rechtsgebiete: GG, BGB, BAföG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 34
BGB § 852
BGB § 254
BGB § 839 Abs. 1
BAföG § 41 Abs. 3
ZPO § 256
ZPO § 713
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 543 Abs. 1 a.F.
Der Beamte hat gegenüber einem Antragsteller ganz besondere Beratungs- und Hinweispflichten, wenn er Kenntnis davon hat oder bekommt, dass dem Antragsteller besondere, weitergehende gesetzliche Förderungsmöglichkeiten (hier Erziehungsbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz) zustehen.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 1 U 529/00

Verkündet am 13. März 2002

in dem Rechtsstreit

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krämer, die Richterin am Oberlandesgericht Semmelrogge und die Richterin am Landgericht Dr. Kurtenbach auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 14. März 2000 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz in Höhe von 2/3 der Leistungen zu zahlen, die dem Kläger bei fristgerechter, ordnungsgemäßer Beantragung von Erziehungsbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Verbindung mit der Verordnung für Kriegsopferfürsorge (KFürsV) im Februar 1994 für die Ausbildung seines Sohnes in der Berufsfachschule für Musik in Bad Königshofen für die Zeit von September 1994 bis einschließlich Juli 1996 gewährt worden wären. Dies unter Berücksichtigung der mit Bescheiden der Kreisverwaltung vom 31. August 1994 und 31. August 1995 bewilligten BAföG-Leistungen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/3, der Beklagte 2/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung aus einer Amtspflichtverletzung gemäß § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG.

Der Kläger ist als Wehrdienstbeschädigter sonderfürsorgeberechtigt und bezieht eine Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.

Ein von ihm im Juli 1996 gestellter Antrag auf Gewährung von Erziehungsbeihilfe nach dem Kriegsopferfürsorgegesetz für die Ausbildung seines Sohnes rückwirkend ab 1994 wurde für die Vergangenheit abgelehnt, da der Antrag bereits im Jahre 1994 hätte gestellt werden müssen.

Der Kläger behauptet, er habe den Antrag im Jahre 1994 nur deshalb nicht gestellt, weil er durch den Beklagten falsch beraten worden sei.

Der Beklagte bestreitet die Falschberatung und erhebt im Übrigen die Einrede der Verjährung.

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Es läge keine Amtspflichtverletzung vor, da die tatsächlichen Voraussetzungen für eine besondere Beratungs- oder Auskunftspflicht nicht bewiesen seien. Außerdem bestehe grundsätzlich keine Amtspflicht, von sich aus auf sonstige Fördermöglichkeiten hinzuweisen; diese hätte der Kläger erfragen müssen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen sein erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt.

Der Beklagte tritt dem in Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze mit den weiter zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (S. 2-4, Bl. 77-79 und Bl. 107-108 d.GA.) verwiesen.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

Die Anspruchsberechtigung des Klägers ergibt sich aus § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG.

Gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrages gemäß § 256 ZPO bestehen keine Bedenken. Trotz möglicher Leistungsklage ist das Feststellungsinteresse ausnahmsweise zu bejahen, wenn schon das Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führt, weil der Beklagte erwarten lässt, dass er bereits auf das Feststellungsurteil hin leisten wird (so für Behörden BGH NJW 1984, 1118, 1119; Zöller-Greger ZPO 21. Aufl. § 256 Rn. 8).

Der Feststellungsantrag des Klägers ist unter Berücksichtigung eines 1/3-Mitverschuldensanteils auch begründet. Die Mitarbeiterin des beklagten Landkreises, die Zeugin, hat ihre gegenüber dem Kläger bestehende Amtspflicht dadurch schuldhaft verletzt, dass sie den Kläger nicht über seine Ansprüche auf Erziehungsbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz im Frühjahr 1994 unterrichtet hat. Nach § 41 Abs. 3 BAföG hat das Amt für Ausbildungsförderung die Auszubildenden sowie deren Eltern über die individuelle Förderung der Ausbildung nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften zu beraten. Dieser Verpflichtung ist die Zeugin nicht nachgekommen.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob an der Tür des Dienstzimmers der Zeugin "Kriegsopferfürsorgestelle" stand, ob der Antrag von dem Kläger alleine oder gemeinsam mit der Zeugin ausgefüllt wurde und ob der Kläger bei seinem ersten Vorsprechen im Februar 1994 auf seine Versorgungsberechtigung hingewiesen hat. Das Landgericht führt in der angefochtenen Entscheidung insoweit zu Recht aus, dass für die Zeugin kein Anlass bestanden hatte, von sich aus eine gegebenenfalls vorliegende Wehrdienstbeschädigung zu erfragen.

Unstreitig wurde der Zeugin jedoch im April 1994 ein Schreiben des Versorgungsamtes Koblenz vom 30.3.1994 (Bl. 7-8 d.GA.) vorgelegt, aus dem sich die Versorgungsbezugsberechtiqung des Klägers ergab. Nach Vorlage dieses Bescheides hätte für die Zeugin Anlass bestanden, auf die andere Fördermöglichkeit durch Beantragung von Erziehungsbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz hinzuweisen (vgl. BGH NVwZ 1997,1243,1244). Dass ein Anspruch auf Erziehungsbeihilfe in Betracht kam, hätte die Sachbearbeiterin des beklagten Kreises erkennen können und müssen.

Gemäß §§ 25 Abs. 2, Abs. 4, 25 b Abs. 1 Nr. 2, 27 Abs. 1 b, 31, 33 b Abs. 2 BVG, §§ 18 bis 22 Kriegsfürsorgeverordnung haben Beschädigte, die eine Grundrente beziehen und den Bedarf ihrer Kinder nicht aus eigenen Mitteln oder Mitteln von Familienangehörigen decken können, einen Anspruch auf Erziehungsbeihilfe. Diesen Erziehungsbeihilfeanspruch musste die Zeugin als die mit der Bearbeitung der BAföG-Anträge befasste Stelle schon deshalb in ihren Grundzügen kennen, weil bei einem bestehenden Anspruch auf Erziehungsbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz keine BAföG-Leistungen zu gewähren sind. Auch ergab sich aus Ziffer 9 des dem Kläger mit dem BAföG-Antrag übergebenen Merkblattes "Hinweise zum Ausfüllen des Formblattes 1/93" (Bl. 72 d.GA.), dass die für die Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz zuständige Stelle beim Amt für Ausbildungsförderung, mithin bei der Zeugin, zu erfahren sei.

Auch die Bedürftigkeit des Klägers war für die Sachbearbeiterin ersichtlich, da ansonsten keine BAföG-Leistungen gewährt worden wären.

Unter Berücksichtigung vorgenannter Umstände hätte die Sachbearbeiterin erkennen müssen, dass der Kläger offensichtlich aus Unkenntnis keine Erziehungsbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz - die unstreitig höher gewesen wäre als die Bezugsleistungen nach dem BAföG - beantragt hatte. Deshalb wäre ein entsprechender Hinweis auf die Möglichkeit des Bezuges von Erziehungsbeihilfe dringend erforderlich gewesen (vgl. zu einem gleich gelagerten Fall OLG Hamm NJW 1989, 462 f.). Auch die Zurverfügungstellung der Antragsformulare mit Ausfüllhinweisen genügt der aus § 41 Abs. 3 BAföG folgenden Beratungspflicht nicht (a.a.O.). Wenn - wie hier - eine vorteilhaftere Ausbildungsförderung erkennbar aus Unwissenheit nicht in Anspruch genommen wird, so muss der mit der Bearbeitung des BAföG-Antrages befasste Bedienstete auch dann auf die günstigere Fördermöglichkeit aufmerksam machen, wenn für den Auszubildenden oder dessen Eltern aufgrund der in den Antragsformularen enthaltenen Hinweise Anlass bestanden hätte, eigene Nachforschungen zu betreiben. Denn der Beratende hat darauf bedacht zu sein, dass seine Hinweise auch verstanden werden. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1965, 1226) gehört es im sozialen Rechtsstaat zu den Pflichten eines Beamten, im Rahmen seines Aufgabengebietes einen sozial schwachen und erkennbar rechtsunkundigen Gesuchssteller vor vermeidbaren Schäden zu bewahren. Der Beamte darf nicht sehenden Auges zulassen, dass der bei ihm vorsprechende Bürger einen Schaden erleidet, den er durch eine kurze Belehrung hätte abwenden können.

Dass die Zeugin den Kläger 1994 nicht auf die Erziehungsbeihilfe hingewiesen hat, ist unstreitig. Sie kann sich nicht mit der Behauptung der Unkenntnis entlasten. Der Beamte muss die zur Führung seines Amtes notwendigen Fachkenntnisse besitzen oder sich diese verschaffen. Es kommt nicht auf die Fähigkeit an, über die der Beamte tatsächlich verfügt. Entscheidend ist vielmehr, welche Kenntnisse und Einsichten für die Führung des übernommenen Amtes erforderlich sind (Geigel/Schlegelmilch/ Kunschert, Haftpflichtprozess 23. Aufl. Kap. 20 Rn. 113; BGH NJW 1992, 3229, 3232; 1998, 1307, 1308; NVwZ 94, 405, 406). Dabei reicht hier allerdings eine Grundkenntnis dahin gehend aus, dass ein Anspruch auf Erziehungsbeihilfe bestehen könnte und an welche Stelle sich der Kläger diesbezüglich wenden muss. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines entschuldbaren Tatsachen- oder Rechtsirrtums liegen hier nicht vor.

Die unterlassene Beratung war auch adäquat kausal dafür, dass dem Kläger für die Zeit von September 1994 bis einschließlich Juli 1996 keine Erziehungsbeihilfe gewährt wurde.

Der klägerische Anspruch ist nicht nach § 852 BGB verjährt. Zwar hatte der Kläger offensichtlich bereits am 29. Mai 1996 nach einer Vorsprache bei der Zeugin Kenntnis vom Anspruch auf Erziehungsbeihilfe anstelle von BAföG. Er wurde aber ausweislich des Vermerks der Zeugin vom gleichen Tag (Bl. 11 d.GA.) darüber (unzutreffend) in Kenntnis gesetzt, dass die BAföG-Bewilligungsbescheide voraussichtlich aufgehoben würden und für die beiden Schuljahre rückwirkend Erziehungsbeihilfe zu gewähren sei. Erst mit Bescheid des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung vom 5. November 1997 (Bl. 14 d.GA.) erlangte der Kläger davon Kenntnis, dass ihm Erziehungsbeihilfe nicht für die Vergangenheit gewährt werden konnte. Erst jetzt hatte er Kenntnis im Sinne des § 852 BGB davon, dass ihm durch die Amtspflichtverletzung der Sachbearbeiterin ein Schaden entstanden war, so dass die dreijährige Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen war.

Allerdings ist gemäß § 254 BGB ein Mitverschuldensanteil des Klägers in Höhe von 1/3 zu berücksichtigen. Aufgrund der ihm übergebenen BAföG-Unterlagen hätte für den Kläger Anlass bestanden, bei der Sachbearbeiterin wegen einer Erziehungsbeihilfeberechtigung nachzufragen. Aus den "Hinweisen zum Ausfüllen des Formblattes 1/93" ergibt sich, dass Ansprüche des Auszubildenden nach dem Bundesversorgungsgesetz dem Anspruch nach dem BAföG vorgehen und daher vorrangig geltend zu machen sind. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass es für einen rechtsunkundigen Bürger erhebliche Schwierigkeiten bereitet, die für die Ausbildungsförderung bestehenden Möglichkeiten zu durchschauen. Aus diesem Grund hält der Senat einen Mithaftungsanteil in Höhe von 1/3 für angemessen.

Mithin war der Berufung in ausgeurteiltem Umfang stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten ergeht nach § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erfolgt aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.000 DM (= 6.135,50 €) festgesetzt. Durch dieses Urteil sind der Kläger in Höhe von 2.045,17 €, der Beklagte in Höhe von 4.090,33 € beschwert.

Ende der Entscheidung

Zurück