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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 15.11.2006
Aktenzeichen: 1 U 573/06
Rechtsgebiete: BGB, BSHG, AGBGB


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 291
BGB § 528
BGB § 528 Abs. 1
BGB § 1092 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1093 Abs. 2
BSHG § 90
AGBGB § 2
AGBGB § 14
1. Ein Altenteilsvertrag (Art. 96 EGBGB) setzt die Übertragung einer die Existenz des Übernehmers wenigstens teilweise sichernden Wirtschaftseinheit voraus.

2. Kann der Inhaber eines dinglichen Wohnrechts dieses wegen Pflegebedürftigkeit nicht mehr ausüben, steht ihm regelmäßig kein Anspruch auf Zahlung einer Geldrente unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 1 U 573/06

Verkündet am 15. November 2006 In dem Rechtsstreit Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Itzel und die Richter am Oberlandesgericht Rüll und Goebel auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2006 für Recht erkannt: Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 17. März 2006 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Gründe: I.

Der Kläger verlangt von den Beklagten aus übergeleitetem Recht die Zahlung einer Geldrente zum Ausgleich geleisteter Sozialhilfe.

Die Tante der Beklagten zu 2), die am 06.12.1919 geborene Frau E... S..., hatte der Beklagten zu 2) durch notariellen Vertrag vom 18.03.1986 (Bl. 32 GA) das Hausgrundstück Uhlandstraße 1 in O... unentgeltlich übertragen. Beide Beklagten räumten am 12.06.1986 Frau S... an einer kurz zuvor erworbenen Eigentumswohnung in der N...straße .. in O... ein lebenslanges ausschließliches Wohnungs- und Nutzungsrecht ein (Bl. 37 GA). Aus dieser Wohnung zog Frau S... am 11.11.1999 in ein Altenpflegeheim. Die Beklagten vermieteten die Wohnung ab dem 01.09.2000 zu einer monatlichen Kaltmiete von 700,-- DM (Bl. 40 GA). Frau S... bewilligte am 17.04.2001 ohne Gegenleistung die Löschung des Wohnrechts.

Der klagende Landkreis gewährte Frau S... ab dem 01.05.2001 ergänzende Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt für nicht gedeckte Heimpflegekosten. Er leitete Ansprüche der Frau S... gegen die Beklagten aus § 528 BGB wegen der unentgeltlichen Rückübertragung des Wohnrechts gemäß § 90 Bundessozialhilfegesetz auf sich über. Der Kläger hat vorgetragen, Frau S... stehe ein Anspruch aus § 528 BGB zu, weil sie ihr Wohnrecht unentgeltlich aufgegeben habe. Die Einräumung des Wohnrechts im Jahr 1986 sei als Altenteilsvertrag im Sinne von Art. 96 EGBGB zu qualifizieren, so dass Frau S... nach Aufgabe der Wohnung gemäß § 14 Landesausführungsgesetz zum BGB (AGBGB) eine Geldrente habe verlangen können. Durch das Wohnrecht sollte Frau S... eine gesicherte Lebensgrundlage erhalten, nachdem sie der Beklagten zu 2) ihr Hausgrundstück geschenkt hatte. Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 16.821,20 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ab dem 01.04.2005 bis zum Ableben von Frau E... S..., geboren am 06.12.1919, monatlich je 357,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einzelnen Raten jeweils ab dem 01. des Folgemonats, also erstmals ab 01.05.2005 zu zahlen. Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagten haben einen Zusammenhang zwischen der Schenkung des Hausgrundstücks in der Uhlandstraße und der nachfolgenden Einräumung des Wohnungs- und Nutzungsrechts bestritten, da der Beklagte zu 1) nicht Begünstigter der vorausgegangenen Schenkung gewesen sei. Ein Altenteilsvertrag liege nicht vor. Mit einer monatlichen Rente von damals mehr als 1.850,00 DM wäre Frau S... in der Lage gewesen, ihren Lebensunterhalt einschließlich des Wohnbedarfs aus ihrem Einkommen zu bestreiten. Zudem seien von dem erzielten Mietzins Erhaltungsaufwendungen des Jahres 2001 in Höhe von 22.000,00 € in Abzug zu bringen. Für die Zeit bis 31.03.2005 bestehe kein Zahlungsrückstand, da der Kläger bereits 30.000,00 DM von den Neffen der Frau S... zurückerhalten habe. Schließlich sei der Überleitungsbescheid vom 05.05.2003 zu unbestimmt, um eine Rückwirkung entfalten zu können. Das Landgericht hat die Klage abgesehen von einem Teil der Zinsforderung (Zinsen für künftig fällig werdende Raten) zugesprochen. Zwar habe es sich bei der Einräumung des Wohnrechts an der Eigentumswohnung der Beklagten nicht um einen Altenteilsvertrag im Sinne von Art. 96 EGBGB gehandelt. Nachdem sie die Wohnung nicht mehr selbst nutzen konnte, habe Frau S... jedoch ein Anspruch auf Wertausgleich nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) zugestanden. Auf diesen Anspruch habe Frau S... unentgeltlich verzichtet, so dass ihr ein Anspruch aus § 528 BGB zustehe, nachdem sie die Kosten ihrer Heimunterbringung nicht mehr selbst aufbringen könne. Diesen Anspruch habe der Kläger ab dem Zeitpunkt der Gewährung der Sozialhilfe auf sich übergeleitet. Hinsichtlich der Höhe sei die erzielte Kaltmiete auszukehren; Aufwendungen für den Erhalt der Wohnung seien hiervon nicht abzuziehen, da diese auch angefallen wären, wenn Frau S... die Wohnung weiterhin unentgeltlich genutzt hätte. Der Kläger habe belegt, dass die gewährte Sozialhilfe auch unter Berücksichtigung der von den Neffen der Frau S... zurück erhaltenen Beträge den erhaltenen Mietzins übersteige. Mit der Berufung verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Sie halten den Überleitungsbescheid vom 05.05.2003 nicht für ausreichend bestimmt. Zudem könne der Kläger nach § 528 BGB lediglich die Herausgabe des Geschenkes, mithin die Wiedereinräumung des Wohnrechts, nicht aber die von den Beklagten erzielten Mieteinkünfte verlangen. Ein Anspruch auf die Mieteinkünfte habe Frau S... auch nicht zugestanden. Denn sie habe nach der vertraglichen Regelung, die keinerlei Pflegevereinbarung oder ähnliches enthalten habe, alleine das Risiko getragen, in Folge späterer Erkrankung beziehungsweise Pflegebedürftigkeit die Wohnung nicht mehr persönlich nutzen zu können. Schließlich erheben die Beklagten die Verjährungseinrede, jedenfalls die Ansprüche für das Jahr 2001 seien verjährt. Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass es sich bei der Einräumung des Wohnrechts um einen Altenteilsvertrag handele; hierfür sei ausreichend, wenn nur ein Teilbereich des gesamten Lebensbedarfs - hier das Wohnen - gesichert sei.

Im Wege der Anschlussberufung verlangt der Kläger auch Zinsen für die ab 24.01.2006 fällig werdenden Monatsraten. Ein Anspruch hierauf ergebe sich zumindest unter dem Gesichtspunkt des § 291 BGB. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 114 ff GA) Bezug genommen. II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.

Zwar ist die Überleitung von eventuellen Ansprüchen der Tante der Beklagten zu 2) aus § 528 BGB auf den Kläger wirksam erfolgt. Denn die Wirksamkeit der Überleitung (Gläubigerwechsel) ist durch das Urteil des VG Mainz vom 19.03.2004 (Bl. 7, 11 GA) bindend festgestellt (vgl. hierzu MünchKomm-Kollhosser, 4. Aufl. 2004, § 528 BGB Rn. 27 m.w.N.).

Mit der Bewilligung der Löschung des Wohnrechts nach dem dauerhaften Umzug in ein Altenheim verzichtete die Tante der Beklagten zu 2) aber nicht auf eine ihr nach Aufgabe der überlassenen Wohnung zustehende Geldrente. Demnach steht dem Kläger kein übergeleiteter Herausgabeanspruch aus § 528 Abs. 1 BGB auf Zahlung einer derartigen Geldrente in Höhe des für die Wohnung erzielten Mietzinses zu.

Ein Anspruch der Tante der Beklagten zu 2) auf Zahlung einer Geldrente ergibt sich nicht aus § 14 Abs. 1 des Landesgesetzes zur Ausführung des bürgerlichen Gesetzbuchs (AGBGB). Denn die in dieser Bestimmung vorgesehene Umwandlung des Wohnrechts und der sonst dem Berechtigten gebührenden Leistungen in eine Geldrente setzt nach § 2 AGBGB voraus, dass es sich um einen Altenteilsvertrag im Sinne des Art. 96 EGBGB handelt. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.

Das Altenteilsrecht diente ursprünglich der Regelung der bäuerlichen Hofübergabe, bei der sich die abtretende ältere Generation nach Art einer vorweggenommenen Erbfolge ihrer Wirtschaftsgrundlage ganz begibt, um dagegen eine den jeweiligen Bedarf deckende Versorgung einzutauschen. Das steht zwar einer Anwendung im Bereich nicht-landwirtschaftlicher und auch städtischer Grundstücke nicht entgegen, setzt jedoch ein besonders qualifiziertes Übergabeobjekt als Gegenstand des Altenteilsvertrages in Form einer die Existenz - wenigstens teilweise - sichernden Wirtschaftseinheit voraus (vgl. hierzu MünchKomm-Habersack, 4. Aufl. 2006, Art. 96 EGBGB Rn. 17 m.w.N). Es ist erforderlich, dass dem Übernehmer ein Gut oder Grundstück überlassen wird, kraft dessen Nutzung er sich eine eigene Lebensgrundlage verschaffen und gleichzeitig den dem Altenteil geschuldeten Unterhalt gewinnen kann (BGH NJW 2003, 1126, 1127).

Im vorliegenden Fall ist weder vorgetragen, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass das an die Beklagte zu 2) übertragene Hausgrundstück über die bisherige Wohnnutzung der Frau S... hinaus noch eine wirtschaftliche Nutzung hatte, deren Fortführung der Beklagten zu 2) als Lebensgrundlage dienen und den Altenteil der Übergebenden finanzieren könnte.

Darüber hinaus liegt hier noch die Besonderheit vor, dass der Tante der Beklagten zu 2) das Wohnrecht nicht im Rahmen des Übertragungsvorgangs an dem von ihr übertragenen Hausgrundstück eingeräumt wurde, sondern das Wohnrecht wurde an einer erst nach der Übertragung von der Beklagten zu 2) und ihrem - nicht begünstigten - Ehemann erworbenen Eigentumswohnung bestellt.

Es kann dahin stehen, dass die zeitliche Nähe dieser innerhalb von etwa 3 Monaten abgewickelten Rechtsgeschäfte und die teilweise Personenidentität einen zur Begründung eines Rückforderungsanspruchs aus § 528 BGB ausreichend engen Zusammenhang nahe legen. Denn der Tante der Beklagten zu 2) stand auch unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB a.F.) kein Anspruch auf Zahlung einer Geldrente in Höhe des erzielten Mietzinses zu, auf den sie unentgeltlich hätte verzichten können.

Zwar wird ein derartiger Anspruch in der Rechtsprechung vereinzelt bejaht (vgl. etwa OLG Köln WoM 1995, 590, 591 und OLG Celle NJW-RR 1999, 10 jeweils in Beschwerdeentscheidungen wegen der Nichtbewilligung von Prozesskostenhilfe). Die entsprechende Anwendung der Regelungen für das Altenteil wird darauf gestützt, dass der Gesetzgeber des BGB in § 1093 Abs. 2 BGB die Aufnahme von Pflegepersonal in die Wohnung und damit das Verbleiben in der Wohnung auch für den Fall der Pflegebedürftigkeit vorgesehen habe. Dies entspreche jedoch nicht mehr den heutigen Verhältnissen, so dass es dem Verpflichteten in Ausnahmefällen nach § 242 BGB zumutbar sei, bei unvorhergesehener persönlicher Verhinderung die Nutzungen dem Wohnungsberechtigten zukommen anstatt die Wohnung leer stehen zu lassen.

Überzeugender ist jedoch die Gegenauffassung (vgl. etwa OLG Oldenburg NJW-RR 1994, 1041; OLG Köln FamRZ 1998, 431; OLG Hamm, Urt. v. 09.05.2005, 5 U 198/04). Diese beruft sich auf die klaren und eindeutigen sachenrechtlichen Regelungen in § 1092 Abs. 1 Satz 1 und 1093 Abs. 2 BGB. Wenn die Parteien auf dieser gesetzlichen Grundlage bewusst ein dingliches Wohnrecht und eben keine andere, eine (entgeltliche) Überlassung des Wohnraums an Dritte erlaubende Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen (z. B. Nießbrauchsbestellung) gewählt haben, kann dies nicht nachträglich, auch nicht im Interesse von Sozialhilfeträgern, im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung "korrigiert" werden. Zudem liegen die Voraussetzungen für eine Anwendung des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in diesen Fällen regelmäßig nicht vor. Regelmäßig ist das Pflegeheimrisiko für die Parteien eines Grundstücksübertragungsvertrages mit Wohnrechtsbestellung vorhersehbar, wenn nicht gar bekannt. Trotzdem wollen die Beteiligten keine dahin gehende Risikoübernahme durch den neuen Eigentümer (die sie dann ja geregelt hätten). Für die Annahme eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage fehlt es damit an dem erforderlichen "hypothetischen Element", dass der Vertrag in Kenntnis des Risikos anders geschlossen worden wäre (vgl. Staudinger/Mayer [2002] § 1093 BGB Rn. 55 m.w.N.).

Im Gegensatz zu den Sachverhalten, die den Entscheidungen des OLG Düsseldorf (NJW-RR 1988, 326) und des OLG Koblenz (NJW-RR 2004, 1375) zu Grunde lagen, die zu einer Vertragsanpassung bereits durch Auslegung des Übertragungs- und Versorgungsvertrages führten, bestehen im hier zu entscheidenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien bei Einräumung des Wohnrechtes davon ausgingen, dass die Tante der Beklagten zu 2) dieses bis zu ihrem Tod nutzen könnte. Wie bereits dargestellt, ist der vorliegende Fall insoweit atypisch, als das Wohnrecht gerade nicht das Verbleiben in der bis dahin bewohnten Wohnung sicherstellen sollte. Vielmehr gab Frau S... im Zuge der Übertragung ihres Hausgrundstücks an die Beklagte zu 2) ihre bisherige Wohnung auf und zog in die ihr von den Beklagten zur Verfügung gestellte, von diesen neu erworbene Eigentumswohnung um. Zudem hatten sich die Beklagten über die Einräumung des Wohnrechts hinaus zu keinen Pflegeleistungen verpflichtet. Frau S... konnte damit von den Beklagten gerade keine umfassende Versorgung beanspruchen. Sie hat lediglich ein nicht übertragbares (§ 1092 Abs. 1 S. 1 BGB) Wohnrecht erhalten. Die Frage, wie Versorgungsleistungen, die nach dem Umzug in ein Altenpflegeheim nicht mehr benötigt werden, anzupassen sind, stellt sich demnach nicht.

III.

Die Kosten- und Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Es handelt sich - wie oben ausgeführt - um einen besonders gelagerten Einzelfall.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 33.119,-- €.

Ende der Entscheidung

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