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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 03.09.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 1005/01
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 51 I
StGB § 67 IV
StGB § 67 I
Vor Beginn des Maßregelvollzugs erlittene Untersuchungshaft ist zunächst gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 StGB auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen. Erst danach ist gemäß § 67 Abs. 4 S. 1 StGB der Maßregelvollzug auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen, wobei für diese Anrechnung nur noch der durch die frühere Untersuchungshaft noch nicht erledigte Rest von zwei Dritteln der erkannten Freiheitsstrafe zur Verfügung steht.

Eine zwischen Rechtskraft des Urteils und Aufnahme in den Maßregelvollzug erlittene Organisationshaft ist hingegen auf das letzte Strafdrittel anzurechnen.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 1005/01

In der Strafvollstreckungssache

wegen Betrugs u.a. hier: Widerruf der Reststrafaussetzung zur Bewährung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 3. September 2001 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mainz vom 10. Juli 2001 wird als unbegründet auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Mainz verurteilte den Beschwerdeführer am 28. Mai 1998 wegen Betrugs in vier Fällen und Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Das Urteil wurde am Tag seiner Verkündung rechtskräftig. Zuvor hatte sich der Verurteilte in dieser Sache seit dem 26. November 1997 in Untersuchungshaft befunden. Nach Rechtskraft des Urteils blieb der Verurteilte zunächst in sogenannter Organisationshaft in der Justizvollzugsanstalt Mainz und wurde am 8. Juni 1998 in die Rhein-Hessen-Fachklinik in Alzey verlegt.

Durch Beschluss vom 30. Juni 1999 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mainz die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit Wirkung ab dem 7. Juli 1999 für erledigt und setzte den Strafrest auf die Dauer von drei Jahren zur Bewährung aus. Der Verurteilte wurde der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Der Beschluss ist seit dem 13. Juli 1999 rechtskräftig.

Am 21. Dezember 2000 verurteilte das Landgericht Kaiserslautern den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Nach den Urteilsfeststellungen hatte er seine damalige Lebensgefährtin am 15. Oktober 1999 mehrmals mit der flachen Hand so massiv ins Gesicht geschlagen, dass ihr linkes Auge stark anschwoll. Nach einem Fluchtversuch der Frau schlug er derart auf sie ein, dass sie zu Boden stürzte. Sodann drückte er ihr Gesicht zu Boden, setzte sich auf ihr Genick und würgte sie leicht. Nachdem er sie ins Wohnzimmer gezogen hatte, schlug er sie nochmals mit der flachen Hand. Das Urteil ist seit dem 29. Dezember 2000 rechtskräftig.

Mit Beschluss vom 10. Juli 2001 hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Mainz vom 28. Mai 1998 zur Bewährung widerrufen.

Gegen diesen, dem Verurteilten nicht vor dem 12. Juli 2001 zugestellten Beschluss wendet er sich mit seiner am 18. Juli 2001 eingegangenen sofortigen Beschwerde. Er hält den Bewährungswiderruf für fehlerhaft, weil nach seiner Auffassung ein zu vollstreckender Strafrest nicht mehr besteht. Da zwei Drittel der Freiheitsstrafe durch die Anrechnung des Maßregelvollzugs verbüßt seien und außerdem Untersuchungshaft und Organisationshaft auf die Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen seien, habe er eigentlich schon viel zu lange Freiheitsentzug erlitten.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 1 StGB widerrufen, weil der Betroffene innerhalb der Bewährungszeit erneut straffällig geworden ist und dadurch gezeigt hat, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Nur etwa drei Monate nach Rechtskraft der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung hat er sich in erheblicher Weise erneut strafbar gemacht. Die neuerliche Tat kann vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte in der Zeit von 1977 bis 1996 10 mal wegen Betrugs bzw. Diebstahls zu zum Teil empfindlichen Freiheitsstrafen und 1988 durch das Kreisgericht Aue wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, nur zum Widerruf der Reststrafaussetzung führen. Die in § 56 f Abs. 2 StGB genannten Maßnahmen reichen nicht aus, den Verurteilten künftig von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, zumal ihm mit der Strafaussetzung bereits ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt worden war.

2.

Der Bewährungswiderruf scheidet auch nicht aus, weil ein noch zu vollstreckender Strafrest nicht mehr bestehen würde. Entgegen der Auffassung des Verurteilten ist die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr durch Anrechnung von Untersuchungshaft, Organisationshaft und Maßregelvollzug noch nicht vollständig erledigt.

a)

Die Frage, in welcher Reihenfolge Untersuchungshaft und gemäß § 67 Abs. 1 StGB vorweggenommener Maßregelvollzug auf eine zu verbüßende Freiheitsstrafe anzurechnen sind, ist umstritten.

Zum Teil wird die Auffassung vertreten, Untersuchungshaft dürfe nicht auf die ersten zwei Drittel der Strafe angerechnet werden, um die Anrechnung der vorweg vollzogenen Maßregel nicht zu verkürzen (OLG Düsseldorf, 4. Strafsenat StV 96, 47; OLG Celle StV 97, 477; LG Wuppertal, StV 96, 329; LG Stade Recht und Psychiatrie 95, 95; Volckart StV 97, 479). Nach der in der obergerichtlichen Rechtsprechung jedoch überwiegend vertretenen Auffassung, der sich der Senat anschließt, ist vor Beginn des Maßregelvollzugs erlittene Untersuchungshaft zunächst gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 StGB auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen. Erst danach ist gemäß § 67 Abs. 4 S. 1 StGB der Maßregelvollzug auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen, wobei für diese Anrechnung nur noch der durch die frühere Untersuchungshaft noch nicht erledigte Rest von zwei Dritteln der erkannten Freiheitsstrafe zur Verfügung steht (OLG Zweibrücken NStZ 96, 357 = StV 97, 478; OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 380; OLG Hamm, 2. Strafsenat NStZ-RR 96, 381 = StV 97, 481; OLG Hamm, 3. Strafsenat - 3 Ws 167/96 -; OLG Düsseldorf, 2. Strafsenat - 2 Ws 127, 128 und 332/96 -; OLG Nürnberg NStZ-RR 97, 265; OLG Braunschweig NStZ-RR 2000, 7).

Nach § 67 Abs. 4 S. 1 StGB wird die Zeit eines vorweggenommenen Vollzugs der Maßregel auf die Strafe nur insoweit angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Zweck und Mittel dieser Regelung sind verfassungsmäßig nicht zu beanstanden. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gebietet eine volle zeitliche Anrechnung des Maßregelvollzugs nicht (BVerfG NStZ 94, 578, 579 f = StV 94, 594).

Für den Fall der teilweise vorab zu vollziehenden Freiheitsstrafe (§ 67 Abs. 2 StGB) ist anerkannt, dass eine Anrechnung nach § 67 Abs. 4 S. 1 StGB nur erfolgen kann, wenn zu Beginn des Maßregelvollzugs noch nicht zwei Drittel der Strafe verbüßt waren (BGH NJW 91, 2431). Dabei ist Untersuchungshaft auf die vorab vollzogene Strafe anzurechnen (BGH a.a.O.).

Nichts anderes gilt im Falle des Vorwegvollzugs der Maßregel hinsichtlich der erlittenen Untersuchungshaft. Nach dem im Wortlaut des § 67 Abs. 4 S. 1 StGB deutlich zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers soll die Bereitschaft des Verurteilten, an der Rehabilitation mitzuwirken, durch den Druck einer noch nicht vollständig erledigten, jedoch bei Erfolg der Behandlung aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe gefördert werden. Diese Motivation würde entfallen, wenn das von der Anrechnung des Maßregelvollzugs ausgenommene letzte Strafdrittel bereits durch Berücksichtigung von Untersuchungshaft aufgebraucht wäre. Die Untersuchungshaft muss deshalb vor der nur begrenzt anrechnungsfähigen Unterbringungszeit angerechnet werden. Nach Anrechnung der etwa sechsmonatigen Untersuchungshaft verbleiben bis zu dem nach § 67 Abs. 4 S. 1 maßgeblichen Zweidrittelzeitpunkt nur etwa zwei Monate Maßregelvollzug, die auf die Strafe angerechnet werden können.

Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich aus dieser Anrechnungsreihenfolge nicht (BVerfG StV 97, 476). Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich hervorgehoben, dass es Sache der zuständige Fachgerichtsbarkeit ist, die Vorschriftenkonkurrenz der §§ 51 Abs. 1, 67 Abs. 4 S. 1 StGB zu lösen. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gebietet es nicht, bei der Anrechnung stets die dem Verurteilten günstigste Variante zu wählen (BVerfG a.a.O.). Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist, da die Freiheitsentziehung auch nach Verbüßung des noch ausstehenden Strafrestes insgesamt weniger als zwei Jahre betragen wird, gewahrt.

b)

Im Gegensatz zur Untersuchungshaft ist die zwischen Rechtskraft des Urteils und Aufnahme in den Maßregelvollzug erlittene Organisationshaft auf das letzte Strafdrittel anzurechnen. Dass der Verurteilte, für den nicht sofort ein Unterbringungsplatz zur Verfügung steht, die Zwischenzeit in "Organisationshaft" verbringt, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Führt dieser Verstoß gegen § 67 Abs. 1 StGB zu einer Verlängerung des effektiven Freiheitsentzugs, so gebieten es Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 Abs. 1 GG der Vollstreckungsbehörde von Verfassungs wegen, den Folgen dieser Regelwidrigkeit im Rahmen der Strafzeitberechnung in geeigneter Weise entgegenzuwirken und den Verurteilten so zu stellen, als sei seine Unterbringung rechtzeitig vollzogen worden (BVerfG a.a.O.). Dies kann nur durch Anrechnung auf das letzte Strafdrittel geschehen.

Da die Organisationshaft 11 Tage gedauert hat, reduziert sich das nicht durch Anrechnung, von Untersuchungshaft und Maßregelvollzug erledigte letzte Strafdrittel um diesen Zeitraum. Damit sind noch vier Monate abzüglich 11 Tage Freiheitsstrafe zu vollstrecken.

Ende der Entscheidung

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