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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 05.03.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 127/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 454 II
Leitsatz:

1. In dem nach Gutachtenerstattung gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft, die bedingte Entlassung des Verurteilten abzulehnen, liegt noch kein Verzicht auf die Anhörung des Sachverständigen gem. § 454 Abs. 2 S. 7 StPO.

2. Trotz Verzichts der Verfahrensbeteiligten ist eine Anhörung des Sachverständigen durchzuführen, wenn diese aus bestimmten Gründen geboten ist; das ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Gutachten in wesentlichen Teilen knapp oder widersprüchlich abgefasst worden ist.


Geschäftsnummer: 1 Ws 127/01 StVK 888/00 g 110 VRs 5185/99 StA Koblenz

In der Strafvollstreckungssache

gegen

S. J. U.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt K. -

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

hier: Aussetzung der Vollstreckung von Restfreiheitsstrafe

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Richter am Oberlandesgericht Völpel, die Richterin am Oberlandesgericht Hardt und die Richterin am Landgericht Schmitz

am 5. März 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich vom 11. Januar 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur Nachholung der mündlichen Anhörung des Sachverständigen Dr. W. und zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Verurteilte verbüßt zur Zeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in elf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen aus einer Verurteilung des Landgerichts Koblenz vom 23. Februar 1999.

Zwei Drittel der Strafe waren am 8. Januar 2001 verbüßt, das Strafende ist auf den 10. März 2003 notiert. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 11. Januar 2001 hat die Strafvollstrekkungskammer die bedingte Entlassung des Verurteilten, im Wesentlichen gestützt auf das Prognosegutachten eines psychiatrischen Sachverständigen, abgelehnt.

II.

Die gemäß § 453 Abs. 1 Satz 1 StPO statthafte und fristgerechte sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung leidet an einem wesentlichen Verfahrensfehler.

1.

Die Strafvollstreckungskammer hat ein psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Dr. W. aus Wittlich hinsichtlich der dem Verurteilten zu stellenden Zukunftsprognose eingeholt. Die Voraussetzungen des § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO liegen zwar nicht vor, denn die Verurteilung erfolgte weder wegen eines Verbrechens, noch wurde wegen der Vergehen nach §§ 174, 176 StGB eine Strafe von mehr als zwei Jahren verhängt. Abzustellen ist insoweit nicht auf die Gesamtfreiheitsstrafe, sondern auf die Höhe der Einzelstrafen (OLG Koblenz, Senatsbeschluss vom 6. September 1999, 2 Ws 532/99). Auch wenn die Einholung des Prognosegutachtens mithin nicht zwingend geboten war, war die Strafvollstreckungskammer jedoch nicht hieran gehindert.

Wird ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf welches sich die Entscheidung sogar im Wesentlichen stützt, ist die mündliche Anhörung des Sachverständigen gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO vorgeschrieben. Den Verfahrensbeteiligten ist die Möglichkeit zu geben, das Gutachten eingehend zu diskutieren und das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen (OLG Koblenz, Beschluss vom 4. Januar 2001 - 1 Ws 809/00 - unter Hinweis auf BT-Drcks. 13/9062, S. 14). Das hat die Strafvollstreckungskammer unterlassen.

2.

Ein Verzicht aller Verfahrensbeteiligten auf die Erörterung des Gutachtens mit dem Sachverständigen (§ 454 Abs. 2 Satz 7 StPO) ist den Akten nicht zu entnehmen. Die Staatsanwaltschaft Koblenz wurde ausweislich eines Vermerks des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer nach Eingang des Gutachtens telefonisch über dessen Ergebnis informiert. Sie hat beantragt, die bedingte Entlassung des Verurteilten abzulehnen. Zur Frage der Anhörung des Sachverständigen hat sie sich nicht geäußert, von einer Verzichtserklärung kann nicht ausgegangen werden.

Auch an der Verzichtserklärung des Verurteilten bestehen Zweifel. Er hat ausweislich des Protokolls der Anhörung erklärt, er wolle vorzeitig entlassen werden, das Ergebnis des Gutachtens sei ihm unverständlich, da er nicht pädophil veranlagt sei. In einem gesonderten Absatz des allein vom Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer unterschriebenen Protokolls ist vermerkt: "Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist nicht erforderlich". Diese Formulierung gibt lediglich eine Feststellung wieder, wobei offen bleibt, ob sie dem Verurteilten oder dem Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer zuzuschreiben ist.

3. Selbst wenn jedoch von einem wirksamen Verzicht aller Verfahrensbeteiligten auszugehen wäre, war die Anhörung des Sachverständigen vorliegend geboten. § 454 Abs. 2 Satz 7 StPO eröffnet nur die Möglichkeit von der Anhörung abzusehen. Wie bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, bestand angesichts der Darlegungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten zu einer Erörterung Anlass. Das bereits inhaltlich sehr knapp gehaltene Gutachten ist in sich widersprüchlich. Die Generalstaatsanwaltschaft führt hierzu aus:

"In seinem Befund kommt der Sachverständige zunächst zu dem Ergebnis, dass "irgendwelche manifesten Devianzen insbesondere eine Pädophilie" bei dem Verurteilten nicht erkennbar seien. Bei seiner zusammenfassenden Beurteilung zur Frage der Sozialprognose rückt der Sachverständige von diesen Feststellungen ab und stützt seine im Ergebnis negative Prognose gerade auf eine "persistierende pädophile Neigung" des Verurteilten. Die Kammer hätte daher dem Sachverständigen Gelegenheit geben müssen, diesen Widerspruch näher zu erläutern und möglichst auszuräumen. Hierzu bestand auch deshalb Anlass, weil sich der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten nicht mit der ihm bekannten Stellungnahme des psychologischen Dienstes der Justizvollzugsanstalt vom 20. Oktober 2000 (Bl. 24 VH) auseinandersetzt, die dem Verurteilten eine "eher günstige" Prognose attestiert".

Dem schließt sich der Senat an.

Darüber hinaus hat auch die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Wittlich im Übrigen, die dem Verurteilten - einem Erstverbüßer - beanstandungsfreies Verhalten im offenen Vollzug bestätigt, Anlass gegeben, das Sachverständigengutachten zu hinterfragen.

Zur Nachholung des verfahrensrechtlichen Versäumnisses, das einer Sachentscheidung entgegensteht, verweist der Senat das Verfahren an die Strafvollstreckungskammer zurück.

Ende der Entscheidung

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