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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 14.05.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 139/01
Rechtsgebiete: ZSEG


Vorschriften:

ZSEG § 16 Abs. 2
ZSEG § 16 Abs. 2 S. 1
ZSEG § 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Koblenz Beschluss

1 Ws 139/01

In der Strafsache

wegen Trunkenheit im Verkehr pp.

hier: Beschwerde des Sachverständigen Prof. Dr. med. Dr. rer.nat. R. U. gemäß § 16 Abs. 2 ZSEG

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am Landgericht Schmitz

am 14. Mai 2001 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Sachverständigen wird der Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 23. November 2000 aufgehoben.

2. Die Entschädigung des Sachverständigen wird auf 1105 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Am frühen Morgen des 7. Mai 2000 verursachte die Beschuldigte einen Verkehrsunfall mit Sachschaden. Sie ließ ihren PKW stehen und entfernte sich zu Fuß vom Unfallort. Um die Mittagszeit wurde sie von Polizeibeamten in ihrer Wohnung angetroffen. Nach Belehrung gab sie an, das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt geführt zu haben. Wegen deutlich wahrnehmbaren Atemalkohols wurde die Entnahme einer Blutprobe angeordnet. Auf Befragen erklärte sie mehrmals, nach dem Unfall keinen Alkohol zu sich genommen zu haben. Die Blutprobe wurde um 13:25 Uhr entnommen. Anschließend wartete sie auf der Polizeidienststelle auf ihre Mutter, die sie abholen sollte. Kurz nach 14:00 Uhr erklärte sie einem der Beamten, sie habe nach dem Unfall doch noch alkoholische Getränke getrunken. Daraufhin wurde ihr um 14:40 Uhr eine zweite Blutprobe entnommen.

Beide Blutproben wurden am 10. Mai 2000 auf ihren Alkoholgehalt (Ethanolgehalt) untersucht.

Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 27. Juni 2000 trug sie vor, sie habe nach dem Unfall mehrere Dosen Bier, eine größere Menge Rotwein und mehrere Schlucke Fernet Branca getrunken.

Am 3. Juli 2000 beauftragte die Staatsanwaltschaft Koblenz den Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zur Frage der Alkoholisierung der Beschuldigten zum Unfallzeitpunkt und führte dazu u.a. aus: " Sollte in diesem Zusammenhang zur Überprüfung der Angaben zum Nachtrunk eine Begleitstoffanalyse erforderlich sein, so wird auch insoweit ausdrücklich ein Auftrag erteilt, die entsprechenden Untersuchungen durchzuführen".

Am 1. September 2000 legte der Sachverständige ein ausführliches schriftliches Gutachten vor und stellte der Staatsanwaltschaft 1105 DM in Rechnung. Der Betrag setzt sich zusammen aus:

570 DM für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens (6 Std. à 95 DM)

35 DM Schreibgebühren

250 DM je Blutprobe für Laborleistungen.

Auf Anregung des Bezirksrevisors kürzte die Staatsanwaltschaft am 26. September 2000 den Stundensatz auf 90 DM, hielt für die Laborleistungen nur 80 DM pro Blutprobe für angemessen und setzte die Entschädigung auf 735 DM fest.

Der Sachverständige beantragte daraufhin die gerichtliche Festsetzung ( § 16 Abs.1 ZSEG). Mit Beschluss vom 23. November 2000 hat die Strafkammer die Festsetzung der Staatsanwaltschaft bestätigt.

Dagegen wendet sich der Sachverständige mit der nach § 16 Abs. 2 S. 1 ZSEG statthaften Beschwerde, der die Strafkammer nicht abgeholfen hat.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Entschädigung ist in der vom Sachverständigen geltend gemachten Höhe festzusetzen.

A.

Die der Erstellung eines Begleitstoffgutachtens notwendigerweise vorausgehenden labortechnischen Leistungen sind, wenn Untersuchungsgegenstand kein frisches Blut ist, in ihrer Gesamtheit mit 250 DM je Probe zu vergüten, da es sich entgegen der Auffassung der Strafkammer und des Bezirksrevisors um schwierige und außergewöhnlich umfangreiche Untersuchungen im Sinne der Nr. 6 der Anlage zu § 5 ZSEG handelt. Die Begleitstoffanalyse ist zwar vom Grundprinzip (Gaschromatographie) mit der "normalen" Blutalkoholbestimmung (Ethanolbestimmung) nach der GC-Methode vergleichbar. Es bestehen aber, wovon sich ein Mitglied des Senats durch einen Besuch am 17. April 2001 bei der Untersuchungsstelle für Blutalkohol überzeugen konnte, wesentliche Unterschiede hinsichtlich der Dauer des Personal- und Geräteeinsatzes sowie der der automatischen Analyse nachfolgenden unerlässlichen Plausibilitätskontrolle.

Die vom Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 26. April 2001 zu dem Vermerk des Berichterstatters vom 18. April 2001 angeführten Entscheidungen und Kommentarfundstellen beziehen sich auf die bloße Ethanolbestimung in einer Körperflüssigkeit und sind für die vorliegend zu treffenden Entscheidung irrelevant.

1.

Die GC-Analyse ist ein Verfahren zur Trennung eines gasförmigen oder verdampfbaren Stoffgemisches und zur Identifizierung sowie Quantifizierung der einzelnen Komponenten. Nach Erhitzung wird das Gemisch mittels eines Gasstroms durch eine Trennsäule transportiert, wobei jede einzelne Komponente entsprechend ihren physikalischen Eigenschaften wie Flüchtigkeit, Polarität und Molekularstruktur seine eigene charakteristische Durchgangszeit hat. Am Säulenende werden die nacheinander ankommenden Substanzen verbrannt, wobei elektrisch geladene Kohlenstoffionen entstehen, die in einem Kondensator ein Stromsignal erzeugen. Der Verlauf des Stromsignals wird in einem Schaubild (Chromatogramm) graphisch dargestellt. Die dabei entstehenden "Peakflächen" dienen der Ermittlung der Konzentrationen. Ist das Analysegerät - wie heute üblich - mit einem Computer verbunden, errechnet dieser die Konzentration.

2.

"Begleitstoffe" sind alle chemischen Inhaltsstoffe, die neben Wasser und Ethanol in einem alkoholischen Getränk enthalten sind. Leicht flüchtige Inhaltsstoffe wie die sog. Fuselalkohole (Methanol, Propanol- und Butanol-Isomere), Aldehyde und Ketone lassen sich im Blut nachweisen. Ihre Zusammensetzung ist eine Art "Fingerabdruck" für bestimmte Alkoholika. Die unterschiedlichen Abbaugeschwindigkeiten lassen eine zeitliche Bestimmung der (letzten) Alkoholaufnahme zu. Einzelne Begleitstoffe (sog. Alkoholismus-Marker) erlauben darüber hinaus die Beurteilung eines eventuellen Langzeitalkoholkonsums.

3.

Die Konzentrationen der bei der Begleitstoffanalyse ge- und untersuchten Substanzen sind etwa um den Faktor 1000 niedriger als die Ethanolkonzentration und bewegen sich häufig im Bereich der Nachweisgrenze. Zur Minimierung von Messfehlern ist deshalb eine 3-fach Bestimmung für jeden Begleitstoff notwendig. Der Kontrolle auf Messfehler dient u.a. die Zugabe eines "inneren Standards", d.h. einer weder im Blut noch in alkoholischen Getränken vorkommenden Substanz (Pentanol) in einer vorgegebenen Konzentration.

Ge- und untersucht werden 13 flüchtige Substanzen und der "innere Standard". Die automatische Analyse einer Probe dauert etwa 55 Minuten. Unter Berücksichtigung der Zeit für die Probenvorbereitung (Pipettierung, Abwiegen und Zugabe von Natriumsulfat) nimmt eine 3-fach-Bestimmung bei der Blutprobe eines Menschen etwa 3 Stunden in Anspruch. Im Vergleich dazu ist der Geräteeinsatz bei der Ethanolbestimmung nach der GC-Methode gering: In 3 Stunden kann - bei Doppelbestimmungen - das Blut von etwa 35-40 Menschen untersucht werden (da bei der Blutalkoholbestimmung eine Untersuchung nach 2 versehenden Methoden vorgeschrieben ist, kommt allerdings noch der Aufwand z.B. für die ADH-Methode hinzu).

4.

Das bei der Verbrennung der einzelnen Substanzen entstehende Stromsignal ist auch dann, wenn der GC an einen Rechner mit einem entsprechenden Programgekoppelt ist, nicht ohne weiteres in absolute Konzentrationswerte umsetzbar. Notwendig ist es vielmehr, das Gerät vor der Analyse der Blutproben mit einer wässrigen Standardlösung, die bekannte (geringe) Mengen der gesuchten Substanzen enthält, zu kalibreren. Erst dadurch, dass man die Stärke des bei der Kalibrierung entstandenen Stroms in Relation zu den später gewonnenen Werten setzt, können die Konzentrationen der einzelnen Komponenten des untersuchten Stoffgemischs errechnet werden. Die Kalibrierung dauert etwa 3 Stunden. Da Begleitstoffanalysen im Vergleich zu Blutalkoholbestimmungen selten anfallen, muss das Gerät praktisch vor jeder Untersuchungsserie (durchschnittlich 10 Aufträge) neu kalibriert werden, weil sonst der Beweiswert der Ergebnisse in Zweifel gezogen werden könnte.

Für die Blutalkoholbestimmung gibt es im Handel gebrauchsfertige Standardlösungen mit einem feststehenden Ethanolanteil. Die Lösungen für die Kalibrierung des GC auf 14 verschiedene Substanzen müssen von Mitarbeitern des Labors in einem zeitaufwendigen und von notwendigerweise großer Sorgfalt geprägten Verfahren selbst hergestellt werden.

5.

Der vom Computer errechnete Ethanolgehalt kann in der Regel, wenn die Plausibilitätskontrolle durch geschulte Mitarbeiter der Untersuchungsstelle keinen Hinweis auf eine Störung der technischen Geräte ergibt, als richtig übernommen werden. Bei der Begleitstoffanalyse ist dies anders. Wie bereits erwähnt, erfolgt die Untersuchung in Konzentrationsbereichen, in denen der Computer bei der Ethanolbestimmung "O" anzeigen würde. In diesen Bereichen kann es zu Fehlanzeigen durch Verunreinigungen oder andere im Untersuchungsmaterial befindliche Stoffe kommen, die der Computer als solche nicht erkennt und bei der Berechnung der Konzentrationswerte auch nicht berücksichtigt (sog. Fehlintegrierung). Derartige Fehler können allerdings von Fachleuten bei einer zeitaufwendigen optischen Auswertung des Chromatogramms erkannt werden, wenn beispielsweise die Basislinie einer Peakfläche fehlt oder ein Peak fehlerhaft geteilt wurde. Da sie bei jeder Analyse auftreten können, ist es unerlässlich, jedes Chromatogramm für jeweils 14 Parameter einer sorgfältigen Überprüfung zu unterziehen. Erkannte Fehler können durch eine "manuelle" Korrektur des Schaubildes am Bildschirm - und damit zugleich der Berechnungsgrundlagen des Computers - beseitigt werden.

6.

Das Ergebnis der Begleitstoffanalyse gibt den Zustand des Untersuchungsmaterials zum Zeitpunkt der Untersuchung wieder, der regelmäßig Wochen oder Monate nach der Blutentnahme liegt. In dieser Zeit kann sich auch ordnungsgemäß kühl gelagertes Blut verändert haben. Um das Analyseergebnis auf den verfahrenserheblichen Zeitpunkt der Blutentnahme übertragen und entsprechend interpretieren zu können, muss durch weitere Untersuchungen das Ausmaß der Veränderung bestimmt werden.

a.

Untersuchungsgegenstand ist nicht Vollblut, sondern Blutserum. Während der Lagerzeit kann Wasser unter Mitnahme wasserlöslicher Substanzen (Ethanol und Begleitstoffe) in die festen Blutbestandteile diffundiert sein. Eine bei "altem" Blut notwendige Ethanolnachuntersuchung ergibt das Ausmaß der Veränderung, die auch bei ordnungsgemäßer Lagerung in 5-6 Monaten 0,1 Promille betragen kann.

b.

Auch wenn keine nennenswerte Veränderung der BAK feststellbar ist, besteht die zwingende Notwendigkeit, eine Wassergehalt- und Hämoglobinbestimmung vorzunehmen, insbesondre um das Ausmaß der Hämolyse (Austritt von Farbstoff aus den roten Blutkörperchen) zu bestimmen. Seit vielen Jahren ist bekannt (s. z.B. Wolf/Weller/Urban/Tröger, BA 87,378ff), dass bei der GC-Analyse die ausgewiesenen Werte für verschiedene Begleitstoffe bei gleicher Konzentration in Abhängigkeit vom Hämöglobingehalt des untersuchten Serums unterschiedlich sind. Für jeden Begleitstoffwert muss deshalb ein Korrekturfaktor berücksichtigt werden, um die "wahre Serumkonzentration" zu ermitteln. Zur Bestimmung dieses Korrekturfaktors ist die Bestimmung des Hämoglobingehaltes einer jeden Blutprobe unerlässlich.

Aus dem Vorstehenden folgt, dass eine Vergütung der der Erstellung eines Begleitstoffgutachtens vorausgehenden labortechnischen Leistungen mit dem für die Ethanolbestimmung heute üblichen Satz (80 DM) weder der Schwierigkeit noch dem Umfang der Untersuchungen gerecht würde. Da es sich um insgesamt 3 Untersuchungsschritte handelt, von einen allein die eigentliche Begleitstoffanalyse wesentlich aufwendiger ist als die bloße Blutalkoholbestimmung, hält der Senat - in Anwendung des bis 2000 DM reichenden Rahmens für besondere Untersuchungen - die vom Sachverständigen beanspruchte Entschädigung in Höhe von insgesamt 250 DM je Probe nicht für überzogen.

B.

Der von dem Sachverständigen geltend gemachte Stundensatz von 95 DM ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Die Erstellung eines Begleitstoffgutachtens setzt Spezialkenntnisse voraus, über die nicht jeder an einem rechtsmedizinischen Institut tätige Sachverständige verfügt. Der Beschwerdeführer ist nicht "nur" promovierter Mediziner und Chemiker, sondern gehört auch zu den Wissenschaftlern, die durch Forschungen und Veröffentlichungen dazu beigetragen haben, dass aus der Grundidee der Begleitstoffanalyse ein gerichtsverwertbare Beweise lieferndes Verfahren wurde.

Hinzu kommt, dass sich der Sachverständige vorliegend mit der Behauptung der Beschuldigten auseinandersetzen musste, sie habe nach dem Unfall 3 verschiedene alkoholische Getränke in unterschiedlichen Mengen zu sich genommen, von denen jedes einen eigenen "Fingerabdruck" hat. Mit der Feststellung, dass die Angaben so nicht stimmen können, war der Auftrag der Staatsanwaltschaft aber noch nicht erschöpft. Es sollte der Alkoholisierungsgrad zu Tatzeit festgestellt werden. Dazu war es notwendig, verschiedene Alternativen jeweils unter Berücksichtigung des Grundsatzes "im Zweifel für die Beschuldigte" einer genauen Prüfung zu unterziehen.

Die Entschädigung des Beschwerdeführers ist somit, wie von ihm beantragt, auf 1105 DM festzusetzen.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 16 Abs. 5 ZSEG).

Ende der Entscheidung

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