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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 25.04.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 244/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 120 I 2
StPO § 154 II
StPO § 154 V
Leitsatz:

1. Die - unter dem Vorbehalt der Wiederaufnahme stehende - gerichtliche Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO schafft ein Verfahrenshindernis.

2. Zuständig für den Wiederaufnahmebeschluss nach § 154 Abs. 5 StPO ist nur der Spruchkörper, dessen Einstellungsentscheidung rückgängig gemacht werden soll


1 Ws 244/01 2101 Js 22187/97 - StA Koblenz

In der Strafsache

wegen Anstiftung zum Mord u.a.

hier: Haftbeschwerde

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am Landgericht Schmitz am 25. April 2001 beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz vom 4. Februar 1997 (30 Gs II 355/97) in der Fassung des Haftfortdauerbeschlusses der 2. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 10. April 2001 wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Angeklagte befand sich zunächst in dem Verfahren 2113 Js 53423/96 - StA Koblenz aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Koblenz vom 4. Februar 1997 (30 Gs II 355/97) seit diesem Tage in Untersuchungshaft.

In dem Haftbefehl wurde ihr vorgeworfen, ab Ende 1995 von einem P. J. wöchentlich ca. 50 g Amphetamin zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs erworben und ab Sommer 1996 im Zwei-Wochen-Rhythmus Ecstasypillen aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt zu haben.

Mit Anklageschrift vom 25. Juli 1997 zur 4. Strafkammer des Landgerichts Koblenz legte die Staatsanwaltschaft der Angeklagten zur Last, in der Zeit zwischen Januar 1995 und Februar 1997 58 Betäubungsmitteldelikte begangen zu haben.

Eine Woche vor Anklageerhebung, am 18. Juli 1997, hatte das Amtsgericht Koblenz (30 Gs I 2121/97) in dem Verfahren 2101 Js 22187/97 - StA Koblenz einen weiteren Haftbefehl gegen die Angeklagte erlassen. Ihr wurde vorgeworfen, im Juni 1995 P. J. mit der Tötung ihres früheren Lebensgefährten Daniel K. beauftragt zu haben, weil sie befürchtet habe, dieser werde ihre Drogengeschäfte der Polizei verraten. K. war Ende Juni 1995 von einem V. F. im Zusammenwirken mit J. durch einen Genickschuss getötet worden (vgl. das insoweit rechtskräftige Urteil des Landgerichts Koblenz vom 1. Dezember 1998). Die Leiche wurde etwa zwei Jahre später gefunden.

Der Haftbefehl vom 18. Juli 1997 wurde zunächst nicht vollstreckt (Überhaft).

Am 14. Januar 1998 erhob die Staatsanwaltschaft gegen die Angeklagte, J. und F. Anklage zur 3. Strafkammer des Landgerichts Koblenz wegen gemeinschaftlichen Mordes zum Nachteil K.s.

Am 26. Januar 1998 ordnete der Vorsitzende der 4. Strafkammer die Unterbrechung der Untersuchungshaft in dem Betäubungsmittelverfahren zum Zwecke der Vollstreckung des Haftbefehls vom 18. Juli 1997 an. Diese Entscheidung wurde auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft durch Beschluss des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. Februar 1998 bestätigt.

Am 16. April 1998 legte der Vorsitzende der 4. Strafkammer das Betäubungsmittelverfahren der 3. Strafkammer mit der Bitte um Prüfung der Übernahme vor.

Mit Beschluss vom 27. April 1998 wurde die Anklage vom 14. Januar 1998 zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Zugleich wurde bezüglich der Angeklagten K. Haftfortdauer angeordnet.

Mit Beschluss der 3. Strafkammer vom 23. Juni 1998 wurden die beiden Verfahren miteinander verbunden.

Die Hauptverhandlung vor der 3. großen Strafkammer begann am 3. September 1998. Der Eröffnungsbeschluss bezüglich der Anklage vom 25. Juli 1997 datiert vom selben Tage; zugleich wurde Haftfortdauer angeordnet.

Aufgrund einer Vereinbarung zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft wurde die Beweisaufnahme zunächst auf den Mordvorwurf beschränkt. Da sich die Angeklagte mit der Behauptung verteidigt hatte, sie habe kein Motiv für eine Tötung K.s gehabt, weil sie nennenswerte Drogengeschäfte erst nach dessen Verschwinden Ende Juni 1995 getätigt habe, wurden auf ihren Antrag vom 17. November 1998 (11. Hauptverhandlungstag) auch in dem Betäubungsmittelverfahren benannte Zeugen vernommen.

Am 13. Hauptverhandlungstag beantragte die Staatsanwaltschaft, die Angeklagte wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen und das Betäubungsmittelverfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen.

Durch Urteil vom 1. Dezember 1998 wurde die Angeklagte wegen Anstiftung zum Mord zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich verkündete der Vorsitzende folgende Beschlüsse:

"Hinsichtlich der Taten in der Anklage vom 25.07.1997 betreffend die Angeklagte K. wird das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

Bezüglich aller Angeklagten wird Haftfortdauer angeordnet."

Eine ausdrückliche Entscheidung über den Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz vom 4. September 1997 wurde weder an diesem Tage noch in der Folgezeit getroffen. Die Angeklagte blieb aufgrund der Haftfortdaueranordnung vom 1. Dezember 1998 in Untersuchungshaft.

Mit Beschluss vom 17. Mai 2000 hob der Bundesgerichtshof auf Revision der Angeklagten das Urteil vom 1. Dezember 1998, soweit es sie betraf, wegen eines Verfahrensfehlers auf und verwies die Sache "im Umfang der Aufhebung" an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Koblenz zurück.

Die erneute Hauptverhandlung begann am 29. Januar 2001. Verlesen wurde der Anklagesatz vom 14. Januar 1998.

Nach einem dem Senat vorliegenden Entwurf des Hauptverhandlungsprotokolls wurde die Beweisaufnahme am 28. März 2001 geschlossen, Staatsanwaltschaft und Verteidigung hielten ihre Schlussvorträge. Wegen Hilfsbeweisanträgen der Verteidigung wurde am 2. April 2001 nochmal in die Beweisaufnahme eingetreten. Nach Vernehmung eines Zeugen wurde am selben Tage folgender Kammerbeschluss verkündet:

"1. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz vom 18.7.97 wird aufgehoben, da dringender Tatverdacht nicht mehr gegeben ist.

2. Die mit vorliegendem Verfahren verbundene Sache 2113 Js 53423/96 wird nunmehr aufgenommen (BTM-Verfahren).

3. Die HV wird unterbrochen.

4. Termine zur Fortsetzung des BTM-Verfahrens werden bestimmt auf:

a) Mittwoch, den 2.5.01, 14.00 Uhr

b) Donnerstag, den 3.5.01, 9.00 Uhr."

Die Angeklagte blieb in Haft.

Mit Beschluss vom 10. April 2001 hat die 2. Strafkammer den Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz durch Anpassung an die Anklageschrift vom 25. Juli 1997 neu gefasst und Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Angeklagte mit der Beschwerde, der die Strafkammer nicht abgeholfen hat.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg, weil die 2. Strafkammer des Landgerichts Koblenz für den Wiederaufnahmebeschluss gemäß § 154 Abs. 5 StPO nicht zuständig war und deshalb auch keine das Betäubungsmittelverfahren betreffende Haftentscheidungen treffen durfte. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz vom 4. Februar 1997 in der Neufassung vom 10. April 2001 ist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StPO aufzuheben.

Die - unter dem Vorbehalt der Wiederaufnahme stehende - gerichtliche Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ist entgegen dem missverständlichen Wortlaut des Gesetzes endgültig (und deshalb mit einer Kosten- und Auslagenentscheidung zu versehen; BGH NJW 96, 2519 a.E.). Sie beendet die gerichtliche Anhängigkeit der von ihr betroffenen Anklagevorwürfe und schafft insoweit ein Verfahrenshindernis, welches nur durch einen förmlichen Wiederaufnahmebeschluss des dafür zuständigen Gerichts beseitigt werden kann (BayObLG NStZ 92, 403 m.w.N.). Betrifft sie einen Teil der Taten (im Sinne des § 264 StPO), die in einem von Anfang an gemeinsamen oder in später verbundenen Verfahren angeklagt worden sind, führt sie zugleich zu einer Verfahrenstrennung (LR-Rieß, StPO, 24. Aufl., § 154 Rdnr. 50) mit der Folge, dass (wieder) mehrere selbständige Verfahren entstehen, für die im weiteren Verlauf unterschiedliche gerichtliche Zuständigkeiten begründet sein können.

Zuständig für die Wiederaufnahme nach § 154 Abs. 5 StPO ist und bleibt das Gericht, dessen Einstellungsbeschluss rückgängig gemacht werden soll (BGH GA 81, 36; MDR 73, 192). Dabei ist unter "Gericht" nicht die organisatorische Einheit (z.B. "das Landgericht") zu verstehen, sondern der Spruchkörper, der die Einstellung beschlossen hatte. Dies gilt auch dann, wenn nach Aufhebung des Urteils in dem weiterbetriebenen Verfahren die Sache insoweit an einen anderen Spruchkörper desselben Gerichts zurückverwiesen wird (vgl. LG Heilbronn StV 88, 52). Die Zuständigkeit für die Wiederaufnahme des eingestellten Verfahrens kann nicht davon abhängen, welche der in § 354 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 StPO normierten Alternativen das Revisionsgericht anwendet.

Vorliegend hatte das Betäubungsmittelverfahren mit Beschluss der 3. Strafkammer vom 1. Dezember 1998 sein - unter dem Vorbehalt der Wiederaufnahme stehendes - Ende gefunden. Bei diesem Spruchkörper verblieb auch die "latente Anhängigkeit" für den Fall der Wiederaufnahme. Gegenstand des Revisionsverfahrens und der Zurückverweisung war nur der im Verfahren 2101 Js 22187/97 - StA Koblenz erhobene Vorwurf der Beteiligung an einem Mord. Nur insoweit ist die 2. Strafkammer gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geworden.

Der Wiederaufnahmebeschluss der 2. Strafkammer vom 2. April 2001 konnte folglich das mit Beschluss der 3. Strafkammer vom 1. Dezember 1998 geschaffene Verfahrenshindernis nicht beseitigen. Da die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO nicht "bloß vorläufig" ist, muss der Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz vom 4. Februar 1997 - in der Fassung des Beschlusses vom 10. April 2001 - gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StPO aufgehoben werden (wie dies bereits am 1. Dezember 1998 hätte geschehen müssen).

Ende der Entscheidung

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