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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 24.04.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 293/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 142 Abs. 1
Leitsatz:

1. Zu den Voraussetzungen der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers

2. Auch wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis nicht geltend gemacht wird, kommt die Beiordnung eines vom Angeklagten benannten auswärtigen Verteidigers in Betracht, wenn dadurch die Kosten nicht oder nur unwesentlich erhöht werden.


1 Ws 293/01 8004 Js 19646/00 StA Trier

In der Strafsache

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

hier: Beschwerde gegen eine Pflichtverteidigerbestellung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht

am 24. April 2001 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 5. Strafkammer des Landgerichts Trier vom 20. Februar 2001 aufgehoben, soweit Rechtsanwalt W. dem Beschuldigten als zweiter Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist.

Die weitergehende Beschwerde des Beschuldigten gegen den vorgenannten Beschluss wird als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschuldigte, jedoch wird die Gebühr für das Beschwerdeverfahren um die Hälfte ermäßigt. In diesem Umfang hat die Staatskasse auch die dem Beschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Gegen den seit dem 25. November 2000 in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten wird wegen 13 Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und acht Fällen des gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel ermittelt.

Nachdem sich Rechtsanwalt J. aus E. am 1. Dezember 2000 als Verteidiger des Beschuldigten bestellt hatte, beantragte die Staatsanwaltschaft Trier am 11. Januar 2001 beim Landgericht Trier, dem Beschuldigten zur Verfahrenssicherung einen ortsansässigen Pflichtverteidiger beizuordnen. Mit Verfügung vom 18. Januar 2001 setzte der Vorsitzende der 5. Strafkammer den Beschuldigten und seinen Verteidiger über den Antrag der Staatsanwaltschaft in Kenntnis und gab Gelegenheit, einen örtlich ansässigen Verteidiger zu benennen; ansonsten werde Rechtsanwalt W. in Trier beigeordnet werden.

Mit Schriftsatz vom 29. Januar 2001 teilte Rechtsanwalt J. mit, der Beschuldigte sei nicht damit einverstanden, dass ihm ein ihm unbekannter Pflichtverteidiger beigeordnet werde, und beantragte, seinen Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Gegen die Beiordnung eines verfahrenssichernden Pflichtverteidigers bestünden grundsätzlich keine Bedenken. Jedoch seien die Wünsche des Beschuldigten bei der Auswahl zu respektieren. Gegen eine Beiordnung des Rechtsanwalts S. aus K. sei "nichts einzuwenden".

Mit Beschluss vom 20. Februar 2001 hat der Vorsitzende der 5. Strafkammer des Landgerichts Trier dem Beschuldigten Rechtsanwalt J. und Rechtsanwalt W. als Pflichtverteidiger beigeordnet und die Bestellung von Rechtsanwalt S. abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass es sich bei Rechtsanwalt J. um den Verteidiger des Vertrauens des Beschuldigten handele. Bei den erheblichen Vorwürfen und den zahlreichen Zeugenaussagen sei mit einer längeren Dauer des Verfahrens zu rechnen. Zur Sicherung der Durchführung des Verfahrens sei dem Beschuldigten ein ortsansässiger Verteidiger beizuordnen. Eine Beiordnung von Rechtsanwalt S. scheide mit Rücksicht auf die weite Entfernung zwischen K. und T. und die zahlreichen zu erwartenden Hauptverhandlungstermine aus.

Gegen die Beiordnung von Rechtsanwalt W. und die Ablehnung der Bestellung von Rechtsanwalt S. als zweitem Pflichtverteidiger wendet sich der Beschuldigte mit seiner durch Schriftsatz des Rechtsanwalts J. vom 12. März 2001 eingelegten Beschwerde. Er ist der Auffassung, sein Wunsch auf Beiordnung von Rechtsanwalt S. als zweiten Pflichtverteidiger sei zwingend zu berücksichtigen, da ihm § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO ein Vorschlagsrecht einräume. Die Ablehnung der Beiordnung dieses Verteidigers verletze sein Recht auf ein faires Verfahren. Er werde auf keinen Fall eine Zwangsverteidigung durch einen ihm nicht bekannten Rechtsanwalt hinnehmen und sehe die Einheitlichkeit der Verteidigung gefährdet.

II.

1.

Die Beschwerde ist zulässig.

Grundsätzlich ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers für den Beschuldigten mangels Beschwer einer Anfechtung entzogen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 141 Rdnr. 9 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 3. Mai 2000 - 1 Ws 264/00). Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos, vor allem dann nicht, wenn wie im vorliegenden Fall geltend gemacht wird, die Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers sei unzulässig, da dieser nicht das Vertrauen des Beschuldigten genieße.

2.

Die Beschwerde ist nur teilweise begründet.

a) Die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers neben einem Wahl- oder Pflichtverteidiger ist nur dann sachlich gerechtfertigt und zulässig, wenn der Prozessstoff aufgrund seines Umfangs und seiner Schwierigkeit von einem Verteidiger nicht bewältigt werden kann, wenn bei voraussichtlich länger dauernder Hauptverhandlung und ernstlicher Erkrankung des Wahl- oder Pflichtverteidigers zur Sicherung des Verfahrens und zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Verteidigung die Bestellung eines weiteren Verteidigers erforderlich ist, wenn der weitere Pflichtverteidiger über spezielle, für eine sachgerechte Verteidigung erforderliche Rechtskenntnisse verfügt oder wenn sie aus sonstigen Gründen geboten erscheint, um dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten (OLG Düsseldorf StV 2000, 412, 413; OLG Celle StV 1988, 100; OLG Frankfurt StV 1994, 288). Diese Voraussetzungen sind hier ersichtlich nicht gegeben. Allein zur Sicherung des Verfahrens und ohne Berücksichtigung der Belange des Beschuldigten ist die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers ausnahmsweise nur dann gerechtfertigt, wenn die begründete Besorgnis besteht, der Wahlverteidiger oder der dem Vorschlag des Beschuldigten entsprechend bestellte Pflichtverteidiger werde seine Verteidigeraufgabe nicht ordnungsgemäß wahrnehmen oder seine Stellung als Organ der Rechtspflege missbrauchen, um die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens zu erschweren oder zu verhindern (OLG Düsseldorf a.a.0.). Zwischen Wahl- und Pflichtverteidiger können gegensätzliche Auffassungen über die von ihnen jeweils selbständig zu führende Verteidigung bestehen und dann eine ordnungsgemäße Verteidigung - zumindest aus der Sicht des Beschuldigten - beeinträchtigen (Senatsbeschluss vom 3. Mai 2000 - 1 Ws 264/00 -). Gründe für die Annahme, Rechtsanwalt J. werde seine Verteidigeraufgabe nicht ordnungsgemäß wahrnehmen oder seine Stellung als Organ der Rechtspflege missbrauchen, sind weder in der angefochtenen Entscheidung noch in dem Nichtabhilfebeschluss dargetan. Auch ansonsten sind keine Umstände ersichtlich, die darauf hindeuten würden.

Da das Ermittlungsverfahren bislang noch nicht abgeschlossen ist und eine Anklageerhebung dementsprechend noch aussteht, konnte noch kein Versuch unternommen werden, Hauptverhandlungstermine mit Rechtsanwalt J. abzustimmen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass unter seiner alleinigen Mitwirkung als Verteidiger eine ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung unmöglich wäre. Zwar obliegt die Terminsbestimmung allein dem Strafkammervorsitzenden. Hierbei sind jedoch Belange der Verfahrensbeteiligten und insbesondere Verhinderungen des Verteidigers im Rahmen der in Haftsachen gebotenen besonderen Verfahrensbeschleunigung zu berücksichtigen. Im gegenwärtigen Verfahrensstadium besteht jedenfalls keine Notwendigkeit, einen weiteren Pflichtverteidiger beizuordnen.

Die Beiordnung von Rechtsanwalt W. als zweiten Pflichtverteidiger ist daher aufzuheben.

b) Bereits aus den genannten Gründen kann dem Antrag des Beschuldigten auf Beiordnung von Rechtsanwalt S. nicht entsprochen werden.

Im übrigen setzt die Bestellung des vom Beschuldigten bezeichneten Verteidigers grundsätzlich voraus, dass sich der Beschuldigte mit seinem Vorschlag innerhalb des in § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO bezeichneten Personenkreises gehalten hat. Benennt er - wie hier - einen Rechtsanwalt außerhalb des Gerichtsbezirks, so kann er dessen Beiordnung in der Regel nicht verlangen (OLG Koblenz RPfleger 1992, 215; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.0. § 142 Rdnr. 11 m.w.N.). Nur wenn Gerichtsort und Sitz des Rechtsanwalts nicht weit voneinander entfernt sind, hat die Rücksicht auf das Vertrauensverhältnis - das hier auch nicht ansatzweise dargelegt ist - den Vorrang vor der Ortsnähe (OLG Koblenz NStZ 1989, 386 m.w.N.). Ansonsten kommt die Beiordnung eines auswärtigen Verteidigers nur in Betracht, wenn dadurch die Kosten nicht oder nur unwesentlich erhöht werden (OLG Schleswig StV 1987, 478; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.0. § 142 Rdnr. 12; a.A. offensichtlich OLG Düsseldorf StV 2000, 412, wobei in dieser Entscheidung die Entfernung zwischen Kanzleisitz und Gerichtsort nicht mitgeteilt ist). Mit Rücksicht auf die weite Entfernung zwischen K. und T. von nahezu 200 km kann davon nicht ausgegangen werden.

Sollte sich im Laufe des Verfahrens die Notwendigkeit der Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers ergeben, wird sich der Beschuldigte mit seinem Vorschlag nach § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO innerhalb des in Satz 1 dieser Vorschrift genannten Personenkreises zu halten haben oder zumindest einen Verteidiger bezeichnen müssen, dessen Kanzleisitz nicht oder allenfalls unwesentlich weiter als die längste Anreisestrecke innerhalb des Gerichtsbezirks vom Gerichtsort entfernt liegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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