Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 03.06.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 317/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 302
1. Wird nur die Abgabe der Erklärung im Protokoll vermerkt, so ist die Richtigkeit des Vermerks im Freibeweis zu klären, wobei das Protokoll nur ein Beweisanzeichen für den Verzicht ist.

2. Der Rechtsmittelverzicht eines verhandlungsfähigen Angeklagten ist in der Regel als wirksam anzusehen (OLG Oldenburg, NStZ 1982, 520). Nur ausnahmsweise und bei besonders gelagerten Einzelfällen hat die Rechtsprechung - erkennbar aus Gründen der Gerechtigkeit des Einzelfalls - die Rechtswirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts verneint.


Geschäftsnummer: 1 Ws 317/03 2020 Js 56217/02 - 5 Ns StA Koblenz

In der Strafsache

wegen gemeinschaftlichen Diebstahls hier: Verwerfung der Berufung als unzulässig

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe sowie die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa

am 03. Juni 2003 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 5. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 17. April 2003 wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 19. Mai 2003 u. a. Folgendes ausgeführt:

"Zu Recht hat die Berufungskammer die Berufung des Angeklagten vom 27. Februar 2003 als unzulässig verworfen. Denn ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 20. Februar 2003 (Bl. 31 ff. d.A.) haben sowohl der Angeklagte als auch seine Verteidigerin nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils jeweils wirksam Rechtsmittelverzicht erklärt.

1. Es bestehen zunächst keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Angeklagte - ebenso seine Verteidigerin - am Ende der Hauptverhandlung jeweils eine Rechtsmittelverzichtserklärung abgegeben haben.

Der Rechtsmittelverzicht kann in der Hauptverhandlung unmittelbar nach der Urteilsverkündung erklärt und im Protokoll beurkundet werden (BGHSt 31, 109). Selbst unterstellt, der vorliegende im Hauptverhandlungsprotokoll vermerkte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten und seiner Verteidigerin nehme - trotz des Vermerks "v.u.g." (Bl. 35 d.A.) - nicht an der Beweiskraft des § 274 StPO teil, da das Gericht die entsprechenden Erklärungen nicht in der Form des § 273 Abs. 3 StPO in das Protokoll aufgenommen hat (BGHSt 18, 257), ist dennoch mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass sowohl der Angeklagte und seine Verteidigerin hier jeweils eine Rechtsmittelverzichtserklärung abgegeben haben. Wird nur die Abgabe der Erklärung im Protokoll vermerkt, so ist die Richtigkeit des Vermerks im Freibeweis zu klären, wobei das Protokoll nur ein Beweisanzeichen für den Verzicht ist (BGHSt 19, 101). Dem Vermerk kommt dabei Bedeutung als wesentliches Beweisanzeichen für die Verzichtserklärung zu (OLG Düsseldorf, VRS 88,41). Vorliegend bestreitet der Angeklagte jedoch nicht, überhaupt eine Rechtsmittelverzichtserklärung abgegeben zu haben. Aus der Formulierung in dem Schreiben seiner Verteidigerin vom 27. Februar 2003, " (...), dass der nach Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht (...) " (Bl. 43 d.A.) ergibt sich vielmehr, dass die Abgabe einer Erklärung auf Rechtsmittelverzicht tatsächlich erfolgt ist; der Angeklagte macht insoweit allein geltend, diese Erklärung sei im Ergebnis unwirksam. Somit erscheinen weitere Ermittlungen, insbesondere die Einholung dienstlicher Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten, zu der Frage, ob die protokollierten Erklärungen tatsächlich abgegeben worden sind, entbehrlich.

2. Entgegen der Auffassung des Angeklagten bestehen auch keine Zweifel an der Wirksamkeit der Verzichtserklärung.

a) ......

Der Rechtsmittelverzicht eines verhandlungsfähigen Angeklagten ist in der Regel als wirksam anzusehen (OLG Oldenburg, NStZ 1982, 520). Nur ausnahmsweise und bei besonders gelagerten Einzelfällen hat die Rechtsprechung - erkennbar aus Gründen der Gerechtigkeit des Einzelfalls - die Rechtswirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts verneint. Unwirksamkeit des erklärten Rechtsmittelverzichts ist insbesondere angenommen worden, wenn es sich um junge und lebensunerfahrene Angeklagte handelte, die zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, und wenn außerdem zusätzliche Besonderheiten zu berücksichtigen waren wie z.B. die Verkennung durch das Gericht, dass ein Fall notwendiger Verteidigung vorlag (OLG Hamm, MDR 1977, 599). Im Hinblick auf einen angeklagten Ausländer, dem kein Dolmetscher zur Seite stand, ist die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts verneint worden, weil der Verzicht nicht protokolliert worden war und Zweifel verblieben, ob der ausländische Angeklagte aufgrund seiner geringen deutschen Sprachkenntnisse die Bedeutung der Rechtsmittelerklärung und seines Verzichts verstanden hatte (OLG Schleswig, Rpfleger 1966, 214). Weiterhin ist Unwirksamkeit z.B. angenommen worden, wenn der Vorsitzende unzuständigerweise eine Zusage abgegeben hat, die nicht eingehalten worden ist (BGH NJW 1995, 2568), oder wenn trotz fühlbarer Bestrafung die Verzichtserklärung entgegengenommen worden ist, ohne dass sich der Angeklagte mit seinem Verteidiger beraten konnte (BGHSt 18, 257).

b) Der vorliegende Sachverhalt ist den genannten Fallgestaltungen nicht vergleichbar oder ähnlich. Der Angeklagte war vorliegend kein besonders junger oder lebensunerfahrener Mann. Die ihm vorgeworfene Tat wog nicht sonderlich schwer. Er ist nicht besonders hart bestraft worden. Auch stand ihm eine Dolmetscherin für seine Heimatsprache zur Verfügung, gegen deren Zuverlässigkeit im Übersetzen keine substantiierten Bedenken vorgebracht oder ersichtlich sind. Zudem sind ihm ausweislich der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden vom 1. April 2003 (Bl. 45 R d.A.) sämtliche gebotenen Belehrungen sorgfältig erteilt und jeweils simultan in die deutsche Sprache übertragen worden (vgl. auch Vermerk im Hauptverhandlungsprotokoll Bl. 35 d.A.).

Zwar trägt der Angeklagte nunmehr vor, er sei sich der Tragweite seiner Erklärung nicht bewusst gewesen. Jedoch wurde er im Hauptverhandlungstermin durch seine Verteidigerin anwaltlich vertreten. Aus diesem Grund vermag auch das Vorbringen des Angeklagten, er habe auf Grund seiner - im Übrigen nicht näher dargelegten - intellektuellen Defizite die Konsequenzen seiner Erklärung nicht erfassen können, eine Unwirksamkeit seiner Verzichtserklärung nicht zu begründen. Dass er keine Gelegenheit hatte, sich vor der Verzichtserklärung mit seiner Verteidigerin zu beraten, hat der Angeklagte nicht behauptet; vielmehr hat seine Verteidigerin mit Schreiben vom 27. Februar 2003 vorgetragen, während der gerichtlichen Urteilsberatung habe man im Gerichtsflur ausgiebig über die mögliche Einlegung der Berufung diskutiert, wobei seine Verteidigerin ihn hiervor sogar ausdrücklich gewarnt habe (Bl. 43 d.A.).

Dafür, dass sich der Angeklagte der Bedeutung seiner Erklärung bewusst war, spricht auch der Umstand, dass ihm ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls der von ihm erklärte Verzicht vorgelesen und er diesen genehmigt hat (Bl. 35 d.A.).

c) Selbst unterstellt, es läge ein Verstoß des Vorsitzenden gegen Nr. 142 Abs. 2 Satz 1 RiStBV vor, würde auch dies nicht allein zu einer Unwirksamkeit des Verzichts führen. Nr. 142 Abs. 2 Satz 1 RiStBV gibt dem Richter eine Empfehlung; ein gesetzliches Verbot, dessen Übertretung den Rechtsmittelverzicht unwirksam machen könnte, enthält diese Vorschrift indes nicht (OLG Köln, VRS 48, 213). In den Fällen, in denen die Unwirksamkeit einer Verzichtserklärung wegen Verstoßes gegen Nr. 142 Abs. 2 Satz 1 RiStBV angenommen worden ist, trat der besondere Umstand hinzu, dass die Mitwirkung eines Verteidigers ausgeschaltet worden war, indem entweder der anwesende Verteidiger in die Verzichtserklärung nicht einbezogen worden oder verfahrensfehlerhaft nicht anwesend war. Die prozesswidrige Verfahrensweise des Gerichts wurde zum Teil noch durch weitere Umstände - Schwere des Urteils, kein erkennbares Gewähren einer Überlegungsfrist, Alter und Unerfahrenheit der Angeklagten - in ihrer Wirkung verstärkt. Im Anschluss an diese Rechtsprechung ist es daher erforderlich, dass zu der Missachtung der Richtlinie besondere Umstände hinzutreten, die das Gericht selbst prozesswidrig geschaffen hat oder die doch dazu drängten, dem Angeklagten keine Erklärung abzufordern (OLG Köln, a.a.O.).

An solchen Umständen fehlt es im vorliegenden Fall. Insbesondere ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das Gericht die Verteidigerin des Angeklagten "ausgeschaltet" hat. Ebenfalls nicht vorgetragen wurde, dass der Vorsitzenden dem Angeklagten keine hinreichende Überlegungsfrist gewährt hätte. Zudem hat auch die Verteidigerin des Angeklagten den Verzicht auf Rechtsmittel erklärt. Weitere Umstände, die zu einer Unwirksamkeit des Verzichts führen könnten, liegen - wie oben dargestellt - nicht vor.

3. Im Übrigen bestehen keine Zweifel daran, dass (auch) die Verteidigerin des Angeklagten im Anschluss an die Urteilsverkündung für den Angeklagten eine wirksame Rechtsmittelverzichtserklärung abgegeben hat. Dass eine solche Erklärung seitens seiner Verteidigerin erfolgt ist, wird nicht bestritten. Gründe, die an der Wirksamkeit dieser Erklärung zweifeln lassen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere hat der Angeklagte nicht behauptet, die Verzichtserklärung seiner Verteidigerin sei gegen seinen erklärten Willen erfolgt.

Auch aus diesem Grund liegt hier ein wirksamer Rechtsmittelverzicht des Angeklagten vor."

Diese Ausführungen sind zutreffend. Der Senat schließt sich ihnen an.

Ende der Entscheidung

Zurück