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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 13.05.2002
Aktenzeichen: 1 Ws 363/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 302
Eine Berufungsrücknahme ist unwirksam, wenn sie durch eine objektiv falsche Auskunft des Vorsitzenden des Berufungsgerichts über die (Un-)Zulässigkeit des Rechtsmittels veranlasst worden ist.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 363/02

In der Strafsache

wegen Beleidigung und Hausfriedensbruchs

hier: sofortige Beschwerde gegen eine Kostenentscheidung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, die Richterin am Oberlandesgericht Hardt und den Richter am Oberlandesgericht Summa am 13. Mai 2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss der 8. Strafkammer des Landgerichts Trier vom 8. April 2002 aufgehoben.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten.

Gründe:

I.

Mit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassener Anklage vom 17. Januar 2001 hatte die Staatsanwaltschaft Trier der Beschwerdeführerin sowie ihren Söhnen J. und H. zur Last gelegt, am 10. August 2000 um 21.00 Uhr die Zeugin M. beleidigt zu haben und widerrechtlich in deren Wohnung eingedrungen zu sein (§§ 113, 185, 25 Abs. 2, 53 StGB).

Am 21. August 2001 verurteilte sie das Amtsgericht Trier wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 25 DM. Außerdem wurden ihr die Kosten des Verfahrens auferlegt. Die mitangeklagten Söhne wurden der Beleidigung in Tatmehrheit mit Hausfriedensbruch für schuldig befunden.

Den Feststellungen zufolge hatten zwar alle drei Angeklagten eine verbale, von Beleidigungen geprägte Auseinandersetzung mit der Zeugin M. gehabt, in deren Wohnung waren aber nur J. und H. eingedrungen.

Gegen dieses Urteil legte die Beschwerdeführerin form- und fristgerecht Berufung ein. Nach Urteilszustellung am 3. September 2001 teilte der Verteidiger mit Schriftsatz vom selben Tage mit:

"... wird die namens unser Mandantschaft eingelegte Berufung aus folgendem Grund durchgeführt:

1. Die Angeklagte D. C. war wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs und der Beleidigung angeklagt.

2. Verurteilt wurde die Angeklagte D. C. jedoch nur wegen Beleidigung.

3. Insofern hätte die Angeklagte C. - bezüglich des Vorwurfs des Hausfriedensbruchs - freigesprochen werden müssen. Der Kostenausspruch hätte sich entsprechend zu ändern."

Anfang Dezember 2001 legte die Staatsanwaltschaft die Akten gemäß § 321 StPO der Strafkammer vor. In einem der Zuleitungsverfügung vorangestellten Vermerk vertrat sie die Auffassung, das Rechtsmittel sei zulässig; die Beschwer der Angeklagten ergebe sich daraus, dass der Vorwurf des Hausfriedensbruchs immer noch im Raum stehe.

Mit Schreiben vom 20. März 2002 teilte der Vorsitzende dem Verteidiger folgendes mit:

"In der Strafsache gegen D. C. ... ist nach hiesiger Auffassung die Berufung der Angeklagten mit dem Ziel eines Freispruchs von dem Anklagepunkt des Hausfriedensbruchs unzulässig, da insoweit eine Verurteilung nicht erfolgte und deshalb die Angeklagte nicht beschwert ist.

Üüber den tatmehrheitlichen Anklagevorwurf des Hausfriedensbruchs wurde vom AG bezüglich der Angeklagten nicht entschieden. Diese Entscheidung kann auch noch nachgeholt werden. Es ist deshalb beabsichtigt, die Akte dem AG Trier zwecks entspr. Veranl. vorzulegen. In diesem Fall könnte die Berufung als entsprechender Antrag umgedeutet werden.

Falls jedoch die Berufung aufrechterhalten wird, bitte ich dies binnen zwei Wochen schriftlich mitzuteilen."

Nachdem sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 27. März 2002 für den Hinweis bedankt hatte, erklärte er mit Schriftsatz vom 4. April 2002:

"... besteht von Seiten der Verteidigung und der Mandantschaft Einverständnis dahingehend, den Kostenausspruch ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung abzuändern. Ein entsprechender Antrag wird gestellt.

Die Berufung wird demnach zurückgenommen.

Für Ihre Mühewaltung vielen Dank."

Mit Beschluss vom 8. April 2002 hat die Strafkammer der Beschwerdeführerin gemäß § 473 Abs. 1 die Kosten des Berufungsverfahrens und die ihr insoweit entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.

Dagegen wendet sie sich mit der fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, Grund der Berufungsrücknahme sei "eine Berichtigung der angefochtenen Entscheidung", weshalb die Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO zu ihren Gunsten zu treffen sei.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg, weil es an einer wirksamen Rechtsmittelrücknahme fehlt und deshalb eine Kostenentscheidung (noch) nicht veranlasst war.

Zwar sind Prozesserklärungen wie Rechtsmittelverzicht oder -rücknahme grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar. Sie sind aber ausnahmsweise unwirksam, wenn sie durch eine objektiv unrichtige Erklärung oder Auskunft des Gerichts zustandegekommen sind (st. Rechtsprechung; vgl. BGH StV 01, 220; OLG Koblenz NStZ-RR 96, 306; OLG Zweibrücken NStZ 82, 348).

So ist es vorliegend.

Die im Schreiben des Vorsitzenden vom 20. März 2002 vertretene Rechtsauffassung, durch die die Beschwerdeführerin zur Rechtsmittelrücknahme veranlasst werden sollte und auch tatsächlich veranlasst wurde, war objektiv falsch.

1.

Das Amtsgericht ist nicht befugt, den nach den Feststellungen gebotenen Teilfreispruch mit entsprechender Kostenentscheidung "nachzuholen".

a) Die Sache ist nicht mehr beim Amtsgericht anhängig. Von der theoretischen Möglichkeit, das Verfahren bezüglich des Vorwurfs des Hausfriedensbruchs abzutrennen und in einer gesonderten Hauptverhandlung abzuschließen, war weder ausdrücklich noch konkludent Gebrauch gemacht worden. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls war Gegenstand der Beweisaufnahme die Auseinandersetzung zwischen den drei Angeklagten und der Zeugin M. am Abend des 10. August 2000 gewesen. Die Verhandlung hatte sich auch bezüglich der Beschwerdeführerin auf den beide Anklagevorwürfe umfassenden Lebenssachverhalt i.S.d. § 264 StPO erstreckt. Dementsprechend hat die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerdeführerin wegen Beleidigung und Hausfriedensbruchs zu einer Gesamtgeldstrafe zu verurteilen.

b) Nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung ist der Tenor nicht mehr abänderbar oder ergänzbar, selbst wenn der gebotene, aber weggelassene Teil des Entscheidungssatzes beraten und beschlossen worden ist (BGH NStZ 84, 279 m.w.N.). Eine Berichtigung im Beschlusswege ist nur bei offensichtlichen Schreibversehen oder sonstigen offensichtlichen Unrichtigkeiten (z.B. Zählfehler bei der Tenorierung von Serienstraftaten) zulässig. Fehler bei der Rechtsanwendung, auch wenn sie offensichtlich sind, können nur im Rechtsmittelverfahren korrigiert werden. Ein solcher Fehler liegt vor, wenn der Urteilsspruch den durch den Eröffnungsbeschluss bestimmten Verfahrensgegenstand nicht erschöpfend erledigt.

Vorliegend handelt es sich nicht um einen offensichtlichen Fehler in der äußeren Fassung des Tenors, sondern um ein Versäumnis bei der Urteilsfindung und somit um einen Fehler bei der Rechtsanwendung, der nicht im Wege der Berichtigung behoben werden kann (LR-Gollwitzer, StPO, 25. Auflage, § 268 Rdnrn. 44 ff.). Dies ergibt sich u.a. daraus, dass in der verkündeten Kostenentscheidung § 467 Abs. 1 StPO keine Berücksichtigung fand und in den schriftlichen Urteilsgründen jeder Hinweis auf einen Freispruch fehlt.

2.

Entgegen der Auffassung des Vorsitzenden fehlt es auch nicht an der für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels notwendigen Beschwer.

Ein Verfahrensbeteiligter ist beschwert, wenn die angefochtene Entscheidung eine unmittelbare Beeinträchtigung seiner Rechte oder schutzwürdigen Interessen begründet. Dies ist auch dann der Fall, wenn in der Entscheidung ein im konkreten Fall gebotener, für ihn günstiger Ausspruch fehlt.

Vorliegend hätte das Amtsgericht die Beschwerdeführerin vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freisprechen müssen, und zwar auch dann, wenn es - was angesichts der Verurteilung der Mitangeklagten allerdings unwahrscheinlich ist - der Meinung gewesen wäre, beide Vorwürfe stünden im Falle der Nachweisbarkeit in Tateinheit zueinander (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 260 Rdn. 13 m.w.N.).

Ob es sinnvoller gewesen wäre, Sprungrevision einzulegen, weil das Revisionsgericht die Möglichkeit hat, den Tenor rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen anzupassen, ist unerheblich. Die Beschwerdeführerin hatte die nach § 312 StPO zulässige Berufung gewählt. Zur Rücknahmeerklärung wurde sie durch die objektiv unrichtige Auskunft des Vorsitzendes des Berufungsgerichts veranlasst. Die Erklärung vom 4. April 2002 ist deshalb unwirksam und die Sache noch bei der 8. Strafkammer des Landgerichts Trier anhängig. Eine Kostenentscheidung ist erst nach Abschluss des Berufungsverfahrens zu treffen.

Ende der Entscheidung

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