Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 08.08.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 387/00
Rechtsgebiete: StPO, GG


Vorschriften:

StPO § 305
GG Art. 19 IV 1
Leitsatz:

Eine Terminierung der Hauptverhandlung, die es dem angeklagten Unternehmen unmöglich macht, saisongebundene notwendige Arbeiten in seinem Betrieb durchzuführen, ist objektiv willkürlich und kann ausnahmsweise mit der Beschwerde angefochten werden.


Geschäftsnummer: 1 Ws 387/00 1008 Js 30304/95 - W - StA Bad Kreuznach

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

In der Strafsache

gegen

1. W. Ph. L.,

- Verteidiger: 1. Rechtsanwalt R.,

2. Rechtsanwalt Sch. -

2. S. K. L.,

- Verteidiger: 1. Rechtsanwalt Dr. E.,

2. Rechtsanwalt B. -

3. J. M. L.,

- Verteidiger: 1. Rechtsanwalt H.,

2. Rechtsanwältin C. -

wegen Vergehen gegen das Weingesetz und Betruges

hier: Beschwerde gegen die Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe und die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa

am 8. August 2000 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerden der Angeklagten wird festgestellt, dass die Verfügung des Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer bei dem Landgericht Bad Kreuznach vom 8. Mai 2000 rechtswidrig ist.

Gründe:

I.

Der Angeklagte Werner L. und seine mitangeklagten Söhne bewirtschaften als Vollerwerbswinzer und Selbstvermarkter in H. (bei L.) gelegene Weingüter mit einer Gesamtrebfläche von ca. 60 ha. Es handelt sich um einen Familienbetrieb, in dem saisonal Aushilfskräfte beschäftigt werden.

In einem vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach anhängigen Verfahren werden ihnen Vergehen gegen das Weingesetz und Betrug zur Last gelegt (Tatzeit: Oktober 1993 bis Oktober 1997).

Mit der Hauptverhandlung war zunächst am 30. September 1998 begonnen worden. Nach der Verfügung des Vorsitzenden vom 4. März 1998 sollte im Oktober 1998 an 10 Tagen verhandelt werden. Nachdem die Angeklagten darauf hingewiesen hatten, dass diese Tage in die Zeit der Weinlese fallen, änderte der Vorsitzende die Terminierung. Im Oktober 1998 wurde nur an einem Tag pro Woche verhandelt. Am 8. Juli 1999 wurde die Hauptverhandlung nach 33 Verhandlungstagen ausgesetzt.

Am 21. Februar 2000 bestimmte der Vorsitzende 35 neue Hauptverhandlungstermine, beginnend mit dem 30. August 2000. Ab dem 11. September 2000 soll jeweils montags, mittwochs und freitags ab 9.00 Uhr verhandelt werden.

Terminslisten wurden den Angeklagten unter dem Datum 15. März 2000 formlos übersandt, die Ladungen am 27. April 2000 zugestellt. Zeugen und Sachverständige sind bisher noch nicht geladen.

Mit Schriftsatz ihrer Verteidiger vom 25. und 26. April sowie 2. Mai 2000 beantragten die Angeklagten, die Terminierung aufzuheben und mit der Hauptverhandlung erst im Dezember 2000 zu beginnen. Sie machten geltend, während der in der zweiten Septemberwoche beginnenden und voraussichtlich bis Ende Oktober/Anfang November dauernden Weinlese sei ihre ständige Anwesenheit im Betrieb notwendig. Durch die Terminierung werde es ihnen praktisch unmöglich gemacht, die diesjährige Ernte einzubringen. Außerdem könnten sie ihre Rechte in der Hauptverhandlung nur wahrnehmen, wenn sie sich voll und ganz auf diese Aufgabe konzentrierten. Dies sei aber wegen des hohen persönlichen Einsatzes während der Erntezeit nicht möglich.

Rechtsanwalt Dr. E. wies noch ergänzend auf seinen Urlaub vom 15. bis 30. Oktober 2000 hin.

Mit Verfügung vom 8. Mai 2000 hat der Vorsitzende die Terminsverlegungsanträge mit folgender Begründung abgelehnt:

"Den Prozessbeteiligten wurde bereits am 21.02.2000 die Terminsmitteilung bekannt gegeben. Sämtliche Beteiligte hatten und haben ausreichend Gelegenheit, sich auf die Hauptverhandlung vorzubereiten. Dies gilt insbesondere auch für die Urlaubsplanung von Rechtsanwalt Dr. E. im Oktober dieses Jahres. Die Anklage im vorliegenden Verfahren datiert vom 01.12.1997. Um dem Beschleunigungsgebot Genüge zu tun, ist eine umgehende Verhandlung der Strafsache geboten. Auch im Hinblick darauf, dass zahlreiche Zeugen zu vernehmen sind und deren Erinnerungsvermögen mit zunehmender Zeit geringer wird, erscheint die baldige Verhandlung erforderlich. Die Behauptung, die Terminierung sei eine Behinderung der Verteidigung, da sie nicht verfahrensimmanent und unzumutbar wäre, ist mangels einer irgendwie gearteten Begründung nicht nachvollziehbar und damit unbeachtlich. Der bisherige Gang des Verfahrens hat gezeigt, dass die Angeklagten in der Lage sind, neben ihren beruflichen Belastungen aktiv an einer Hauptverhandlung teilzunehmen. Die Anregung, nur einen Hauptverhandlungstag pro Woche anzuberaumen, würde im Übrigen auch zu einer unzumutbar langen Hauptverhandlungsdauer führen."

Dagegen wenden sich die Angeklagten mit der Beschwerde.

II.

Die Rechtsmittel, über die wegen Anträgen nach § 24 Abs. 3 Satz 2 StPO erst jetzt entschieden werden kann, haben Erfolg.

1.

Die Beschwerden sind zulässig.

Zwar hält der Senat grundsätzlich an der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz fest, dass es sich sowohl bei der Terminsbestimmung als auch bei der Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags um Entscheidungen handelt, die gemäß § 305 Satz 1 StPO der Anfechtung im Wege der Beschwerde entzogen sind. Vorliegend ist jedoch - auch vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG - eine Ausnahme zu machen.

§ 305 Satz 1 StPO soll verhindern, dass der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidungen des erkennenden Gerichts oder seines Vorsitzenden sowohl vom Beschwerdegericht als auch von dem für die Entscheidung über das Rechtsmittel gegen das Urteil zuständigen Gericht überprüft werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 305 Rdnr. 1). Diese der Verfahrensökonomie dienende Vorschrift kann aber nur für Entscheidungen gelten, die mit dem Rechtsmittel gegen das Urteil angegriffen werden können. Dazu gehören in der Regel auch die Terminierung der Hauptverhandlung betreffende Verfügungen des Vorsitzenden (zu den möglichen Revisionsrügen siehe KK-Tolksdorf, StPO, 4. Aufl., § 213 Rdnr. 9 m.w.N.). Daraus folgt, dass die Beschwerden unzulässig wären, wenn sich die Angeklagten nur darauf berufen hätten, die Doppelbeanspruchung durch saisonbedingte betriebliche Arbeiten und die Teilnahme an einer Hauptverhandlung mache eine effektive Verteidigung unmöglich. Gleiches gilt für die urlaubsbedingte zeitweilige Abwesenheit eines Verteidigers (a.A. OLG München NStZ 94, 451; OLG Frankfurt StV 95, 9).

Das Vorbringen geht jedoch darüber hinaus. Die Angeklagten haben ihre Terminsverlegungsanträge - wie auch die Beschwerden - in erster Linie damit begründet, die Teilnahme an drei Hauptverhandlungsterminen pro Woche mache es ihnen praktisch unmöglich, die diesjährige Ernte - die Existenzgrundlage des Familienbetriebes - einzubringen. Dieses Vorbringen wäre unter keinem Gesichtspunkt von revisionsrechtlicher Relevanz. Die Angeklagten könnten auch die Ablehnung eines so begründeten Aussetzungsantrags (§ 228 Abs. 1 StPO) nicht mit Aussicht auf Erfolg in der Revision rügen, weil ein gesetzlicher Ausschließungsgrund oder eine unzulässige Behinderung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO; siehe dazu BGH NStZ 96, 454) nicht vorlägen. Außerdem wäre die Erntezeit längst vorüber, wenn irgendwann einmal das Revisionsgericht mit dem Verfahren befasst sein sollte.

2.

Die Beschwerden sind begründet.

Die angefochtene Verfügung des Vorsitzenden vom 8. Mai 2000 ist bereits deshalb rechtswidrig, weil sie nicht erkennen lässt, dass der gesamte Vortrag der Angeklagten und ihre berechtigten Interessen Berücksichtigung gefunden haben (vgl. BGH NStZ 98, 311). Mit ihren Hauptargumenten hat sich der Vorsitzende nicht auseinandergesetzt.

Die Terminierung ist außerdem objektiv willkürlich. Zwar hat ein Unternehmer, dem strafbare Handlungen vorgeworfen werden, grundsätzlich die mit der Durchführung einer Hauptverhandlung einhergehenden Belastungen hinzunehmen. Die Terminierung darf aber nicht so gestaltet werden, dass es ihm weitgehend unmöglich gemacht wird, saisongebundene notwendige Arbeiten in seinem Betrieb durchzuführen. Dem Vorsitzenden einer auf Weinstrafsachen spezialisierten Strafkammer dürfte bekannt sein, dass Spätsommer und Herbst die arbeitsintensivste Zeit für einen Winzer sind. Während der Weinlese ist er notwendigerweise praktisch rund um die Uhr im Einsatz. Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gelesen und anschließend noch bis tief in die Nacht gekeltert wird. Bei diesen Arbeiten muss der Winzer selbst anwesend sein. Er kann die ständig zu treffenden Entscheidungen nicht Erntehelfern oder sonstigen Hilfskräften überlassen. Daraus folgt zwar nicht zwingend, dass während der Erntezeit überhaupt nicht gegen einen Winzer verhandelt werden darf. Ihm muss jedoch durch die Terminsgestaltung die Möglichkeit gegeben werden, seinen Betrieb weiter zu bewirtschaften und damit seine Existenzgrundlage zu erhalten. Dies wäre praktisch ausgeschlossen, wenn er während der Weinlese mehr als einmal pro Woche aus der Südpfalz nach Bad Kreuznach fahren und dort an einer Hauptverhandlung teilnehmen müsste.

Durchgreifende Gründe, die es unabdingbar erscheinen ließen, gerade im September und Oktober dreimal wöchentlich zu verhandeln, sind angesichts der bisherigen Dauer des Verfahrens und des Zeitablaufs seit der Aussetzung der Hauptverhandlung im Jahre 1999 nicht erkennbar und wurden von dem Vorsitzenden auch nicht dargelegt.

Auf die Beschwerden der Angeklagten ist somit festzustellen, dass die Verfügung des Vorsitzenden vom 8. Mai 2000 rechtswidrig ist (KK-Tolksdorf, a.a.0. Rdnr. 8). Über die Terminsverlegungsanträge ist unter Berücksichtigung und Abwägung des gesamten Vorbringens der Antragsteller neu zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

Zurück